* Rosso:

 

Der politische Niedergang und die Integration großer Teile der italienischen Autonomen bzw. Aktivisten der centri sociali (Sozialen Zentren), die in Ermangelung eines neuen Sammelbegriffes nach wie vor zumeist als Disobbedienti (Ungehorsame) firmieren, zeigt der folgende Überblick der unabhängigen linken Tageszeitung „il manifesto vom 21. Juli 2006. Er fasst die Positionen von vier prominenten Vertretern zur Frage des italienischen Militäreinsatzes in Afghanistan zusammen, die (ob es den berühmt-berüchtigten „Horizontalen“ hierzulande nun passt oder nicht) führende Köpfe der unterschiedlichen Strömungen in der autonomen Szene Italiens sind und es, dank der (relativen) Wahlerfolge der Mitte-Linken zumeist  zu hübschen Pöstchen gebracht haben oder noch bringen wollen. Leider hat sich an der im Artikel beschriebenen Situation bisher nichts zum Besseren entwickelt. Er ist daher nach wie vor hochaktuell.

 

Exit strategy oder sofortiges Nein?“ Disobbedienti frei von der Leber weg

 

Das Ja von Farina und das Nein von Caruso. D’Erme öffnet sich gegenüber Bertinotti und Casarini macht dicht. Am 7.Oktober 2001 war das nicht so.

 

Angelo Mastrandrea

 

Ein schöner Tag, der dabei war mit einem guten Abendessen unter freiem Himmel zu Ende zu gehen, nachdem stundenlang über G8 und Repression diskutiert worden war und darüber, wie der gerade erst durch die einen Monat zuvor begangenen Anschläge vom 11.September angekündigte permanente Krieg zu sabotieren sei. Dann die plötzliche, wenn auch (seit den Flügen der US-Jagdbomber mit scharf gemachten Raketen über Afghanistan) erwartete Meldung: „Sie bombardieren Kabul.“ Am Horizont der Anti-Globalisierungs-Bewegung materialisierte sich plötzlich der Krieg. Rom, Stadtteil Cinecittà, Sonntag, den 7.Oktober 2001. Centro sociale Corto circuito (Kurzschluss), nationale Versammlung der Disobbedienti. Es ist vielleicht die glänzendste Periode der Bewegung, die die Erfahrung des Carlini-Stadions in Genua hinter sich hatte. Es scheinen zwanzig Jahre vergangen zu sein und doch sind es nur fünf. Jene Bewegung gibt es nicht mehr. Die Protagonisten haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Und in Sachen Weiterfinanzierung der Afghanistan-Mission vertreten sie Positionen, die unvereinbar erscheinen.

 

Oder vielleicht doch, wenn man Daniele Farina hört, der damals Sprecher des <großen Mailänder Centro sociale> Leoncavallo war und heute – auf der Liste des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) gewählt – Vizepräsident des Justizausschusses der Abgeordnetenkammer ist. Einer, der an jenem Tag die Bomben auf Afghanistan und diejenigen zwei Jahre zuvor auf den Kosovo miteinander verglich: „Es scheint, dass man aufs neue eine Szene sieht, die man bereits gesehen hat.“ „Was Enduring Freedom anbelangt, hat sich mein Urteil nicht geändert und es ist absolut negativ“; sagt er heute. „Aber das Problem, vor dem wir stehen, ist wie die italienische Präsenz dort mit Friedenscharakteristika qualifiziert und eine Exit strategy <Ausstiegsstrategie> in nicht biblischen Zeiträumen eingeleitet werden kann, ohne jenes Land in ein westliches Protektorat zu verwandeln.“ Im Unterschied zu anderen Parlamentariern seiner Partei, hat er mit Ja gestimmt. Das erklärt er so: „Wir haben ein Mandat bekommen uns auch mit anderen Kriegen niedriger Intensität zu beschäftigen, von den Drogen über die Migranten bis hin zu den Prekären. Man kann den Plan nicht nur in Sachen Afghanistan verändern, wie es einige Antiimperialisten tun. Jetzt haben wir sechs Monate Zeit, um zu zeigen, dass Italien wirklich etwas ändern kann.“

 

Sein Parteigenosse Francesco Caruso war seinerzeit Sprecher des kampanischen No global-Netzwerkes. Im Unterschied zu Farina hat er mit Nein gestimmt. Danach ist er mit <dem vom Papst geschassten linken Basispfarrer> Don Vitaliano della Sala bis über den Montevergine vor die Tore von Avellino <dem bedeutenden NATO-Luftwaffenstützpunkt> gezogen, um in der der Nähe einer Radarantenne der NATO eine Regenbogenfahne aufzupflanzen. Mit dem Ziel, eine Kontinuität des persönlichen und politischen Weges zu bekräftigen. „Ich vertrete das, was ich bin und meinen menschlichen und politischen Entwicklungsweg. Ich habe nie daran gedacht die Bewegungen im Parlament zu repräsentieren. Aber daher komme ich und auf jene Arten der Politikauffassung und des Politikmachens beziehe ich mich auch weiterhin. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die individuelle Position einiger weniger Parlamentarier, die heute gegen den Krieg stimmen, wenig nützlich ist, weil aus den Palästen der Macht ohne einen externen sozialen Schub, der Druck macht, um die Opposition gegen den permanenten und globalen Krieg voranzutreiben, niemals etwas kommen wird.“

 

Nunzio D’Erme, der an jenem Tag „Hausherr“ der Versammlung war, ist hingegen nicht im Parlament, sondern – wegen des „proletarischen Einkaufs“ in einem römischen Supermarkt  (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Enteigner_Casarini.htm und http://antifa.unihannover.tripod.com/San_Precario-Repression.htm)  in Hausarrest gelandet. Nach dem traumatischen Bruch und der Eiszeit mit Rifondazione im Gefolge der verpassten Wahl <im Juni 2004> ins Europaparlament, scheint er in Bezug auf Afghanistan <dem faktischen Parteichef von Rifondazione und Präsidenten der Abgeordnetenkammer> Bertinotti näher zu stehen als den radikalsten Anti-Kriegs-Aktivisten: „Die Regierung muss fortgesetzt werden, auch auf Kosten einer Vertrauensabstimmung“, sagte er in einem Interview für „il manifesto.

 

Wer hingegen keine Zweifel hat, ist Luca Casarini, der ehemalige Sprecher der Bewegung: „Wie sabotieren wir den Krieg? Darüber haben wir an jenem Tag diskutiert. Und ich denke heute noch genau wie damals“, sagt er an seine ehemaligen Genossen gewandt. Die die Chance verpasst haben, „in punkto Kriegsführung eine Krise herbeizuführen“. „Wer, wie Farina, mit Ja gestimmt hat, ist“ – hingegen – „zur Magd einer neuen Strategie geworden (der der humanitären Kriegsführung), die für die Phase des Neoliberalismus funktional ist.“

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen übernommen hatte. Nach Auflösung der Antifa Uni (nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006; siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) erscheinen die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erfolgen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums Hannover.

 

Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch  oder  gewerkschaftsforum-H@web.de