* Rosso:
Die unabhängige linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ hat – wie ihr
Mitbegründer und aktueller Verwaltungsratsdirektor Valentino Parlato vor knapp einem Jahr in einem Interview einräumte –
im Laufe ihres Bestehens nicht nur als wichtigstes Organ der radikalen Linken,
sondern auch als unfreiwillige Kaderschmiede für die bürgerlichen Medien
fungiert. Aus der unter chronischem Geldmangel leidenden „manifesto“-Redaktion
stammen nicht wenige prominente bürgerliche Journalisten. Bislang Letzter in
dieser Reihe ist Riccardo Barenghi (50), der
seit 1980 für „il manifesto“ arbeitete und von
März 1998 bis Dezember 2003 ihr Direktor, d.h. Chefredakteur, war. Er folgte
der ehemaligen „manifesto“-Redakteurin
und PCI-Linken Lucia Annunziata (56) im Januar
2005 zur FIAT-eigenen, gemäßigt linksliberalen
Tageszeitung „La Stampa“, wo beide zum auserwählten
Kreis der Leitartikler zählen. Bekanntlich ist ein solches Abdriften im Laufe
der Zeit eine weit verbreitete Erfahrung, die mit lebensgeschichtlichen Phasen,
materiellen Verlockungen und einer relativen Stabilität des Kapitalismus zu tun
hat. Winston Churchill hat das in dem berühmten, zynischen Spruch
zusammengefasst: „Wer mit 20 kein
Sozialist ist, der hat kein Herz. Und wer es mit 40 immer noch ist, der hat
keinen Verstand.“
Dieser persönliche Entwicklungsweg
wird hier auch nur deshalb erwähnt, um den politischen Hintergrund Riccardo Barenghis
ein wenig zu erhellen, der sich in einem Leitartikel für „La Stampa“ vom 9.3.2007 mit dem
politischen Dilemma eines anderen Aufsteigers der italienischen „radikalen“ Linken
befasst: mit dem Dilemma Fausto Bertinottis, der nach
seiner Wahl zum Präsidenten der italienischen Abgeordnetenkammer (und damit ins
dritthöchste Staatsamt der NATO-, EU- und G8-Macht Italien) Ende April 2006
nach 12 Jahren zwar den Parteivorsitz von Rifondazione
Comunista (PRC) an Franco Giordano abgab, aber weiter
die bestimmende Figur der größten Partei der italienischen „radikalen
Linken“ bleibt. In seinem Kommentar greift Barenghi
im Übrigen einen zentralen Begriff Bertinottis auf: „Die zwei Linken“ (eine „reformistische“ und eine „alternative“), den dieser u.a. in einem gleichnamigen Buch entwickelte. Mehr über Barenghis Positionen gegen Ende seiner Zeit bei „il manifesto“ gibt es unter: http://antifa.unihannover.tripod.com/Kommunisten_ohne_Kommunismus.htm
Meinungen:
Bertinotti zwischen
zwei Linken
Riccardo Barenghi
Bis vor wenigen Wochen war
sie die Partei, die der Regierung Gesetze diktierte. Oder zumindest schrieben
es die Zeitungen so und genauso wurde es mit Irritation von ihren Verbündeten
gesehen. Da genügt es an den Gipfel von Caserta <am 11./12. Januar 2007> zu denken, der von allen als Triumph von Rifondazione Comunista gefeiert
wurde.
Dank ihrer eisernen Achse
mit dem Ministerpräsidenten hatte sie <Linksdemokraten (DS)-Generalsekretär> Fassino gezwungen zu
vermitteln und Rutelli <Anm.1> seine Forderungen zurückzustellen. Die beiden
wichtigsten Führer der Mitte-Links-Union hatten immer wieder von der Phase 2
gesprochen, was bedeutete, die Regierung auf einen sehr viel mehr auf Reformen orientierten
denn radikalen Kurs zu bringen. Das Ruder blieb jedoch in Prodis
Händern, der dem zusammen mit Bertinotti
abgesteckten Kurs folgte. Und von Phase 2 wurde nicht mehr gesprochen.
Dann kam Vicenza
<Anm.2>. Das war der höchste Punkt, den die Partei des
Kampfes und der Regierung erreichte. Unerschütterlich von der Allianz
überzeugt, aber in den Bewegungen, die gegen genau diese Allianz protestierten,
stark verankert. Der Satz des Präsidenten der Abgeordnetenkammer („Wenn ich
könnte, würde ich zu der Demonstration gehen.“) fasst die politische Rolle
perfekt zusammen, die Rifondazione hatte und haben
wollte. Sofort danach kam allerdings, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die
Regierungskrise, die die Karten auf dem Tisch neu mischte. Franco Giordanos
Partei stand im Handumdrehen unter Anklage und wurde in die Ecke gedrängt. Sie
musste sich ziemlich anstrengen – und bemüht sich noch immer – um sich wieder
zu fangen. Der Parteiausschluss Turgliattos <Anm.3>, der bei der abfälligen Bemerkung D’Alemas <Anm.4> allerdings nicht
entscheidend war, stellte eindeutig das Opferlamm dar, das Rifondazione
auf dem Altar der Regierung darbringen wollte. (Den Disziplinregeln
entsprechend hätten Cannavò und Paolo Cacciari <Anm.5> ebenfalls
ausgeschlossen werden müssen.)
Hier entsteht die
Identitätskrise von Bertinottis Partei, die alles auf
die Mitte-Links-Union und die Regierungsherausforderung gesetzt hatte, wobei
sie sich jedoch immer den „sozialen“ Weg offen hielt, d.h. den der
Bewegungen. Jetzt haben sich diese beiden Wege, aufgrund von Vicenza und vor allem aufgrund der afghanischen Frage,
getrennt. Es ist kein Zufall, dass der Parteisekretär den Intellektuellen
antwortet, die ihn auffordern bei der Mission mit Nein zu stimmen, und ihnen
erklärt, dass dies Prodis Sturz bedeuten würde. Einen
Sturz, den Rifondazione absolut nicht will und sich
politisch vor allem auch nicht leisten kann. 1998 <Anm.6> ist Geschichte aus einem anderen Jahrhundert. So
befindet sich diese Partei heute in einer Art Vorhölle. In der Sprache des Partito Comunista Italiano (PCI) hätte man gesagt: inmitten der Furt. Sie
wird von innen angegriffen (und mittlerweile schließt man eine Spaltung der
Härtesten oder der Bewegungsorientiersten, wie man
will, nicht mehr aus) und von außen (gerade von den nicht mehr organischen
Intellektuellen) und von „ihren“ Bewegungen kritisiert. Und es gelingt
ihr nicht in der Regierung jene Resonanz zu finden, die ihr bislang sicher war.
Prodi ist schwächer und wie es beim Menschen üblich
ist, stützt er sich auf diejenigen, die vorteilhafter für ihn sind. In diesem
Fall stützt er sich auf die Schultern der Linksdemokraten (DS) und der
Margerite, die die Krise ihrer radikaleren Genossen mit Sicherheit nicht
bedauern, vielleicht machen sie sich nicht über sie her, aber sie profitieren
davon, um den Bug des Schiffes auf ihres Kurs zu bringen.
Dies ist die Situation, in
der Bertinottis letzte öffentliche Äußerungen gesehen
werden müssen. Ein Interview nach dem anderen. Ein Fernsehauftritt nach dem
anderen. Es ist klar, dass der Präsident der Abgeordnetenkammer gemerkt hat,
dass seine Partei Gefahr lief (Gefahr läuft) in der Ecke zu landen, wenn er
sich nicht irgendetwas ausdenkt. Einen überraschenden Schachzug, eine
Initiative, eine Herausforderung, eine Provokation, irgendetwas, das in der
Lage ist die Karten neu zu mischen und das Spiel neu zu eröffnen. Was dazu
führte, dass Bertinotti das Gehege der beiden Linken verließ,
das vor zehn Jahren von ihm selbst und von D’Alema
errichtet worden war, um der jeweils anderen Linken den Vorschlag zu machen,
zusammen zu marschieren. Heute in Sachen Bürgerrechte wie zu Zeiten des Kampfes
um die <Liberalisierung> Ehescheidung), morgen in Sachen Sozialismus und
übermorgen wer weiß wofür.
Anmerkungen:
1.) Der Journalist und ehemalige grüne Bürgermeister von Rom, Francesco
Rutelli (geboren am 14.6.1954 in Rom), ist führender Vertreter der „Margerite“,
d.h. des christdemokratisch-liberalen Parteien- und Personenbündnisses, das den
rechten Flügel der Mitte-Links-Union bildet.
2.) Gemeint ist hier der von der Prodi-Regierung
genehmigte und im 12-Punkte-Programm nach der Regierungskrise noch einmal
bestätigte, massive Ausbau der US-Militärbasis in Vicenza
und die Großdemonstration am 17.2.2007 dagegen.
3.)
Franco Turigliatto (geboren am 13.12.1946 in
der Provinz Turin), Führungsmitglied von Rifondazione
Comunista, bei den Parlamentswahlen am 9. April 2006
zum Senator gewählt. Am 1.3.2007 aus der Partei ausgeschlossen, weil er Mitte
Februar zusammen mit dem anderen „dissidenten“ kommunistischen Senator (und ehemaligen PdCI-Mitglied) Rossi der Fortsetzung des italienischen
Kolonialtruppen- und Kriegseinsatzes in Afghanistan seine Stimme verweigerte
und damit eine Regierungskrise auslöste. Innerparteilich gehörte Turigliatto zum linken Flügel von Rifondazione
und dort zu der zum Großteil mit der offiziellen IV.Internationale
verbundenen, Strömung „Sinistra Critica“ (Kritische Linke; http://www.sinistracritica.org/),
die 6,5% der 95.000 nominellen Parteimitglieder vertritt.
4.)
Außenminister und Linksdemokraten (DS)-Präsident Massimo D’Alema
(geb. 20.4.1949 in Rom) hatte mit der Bemerkung „Eine bestimmte Linke bringt
es nicht!“ für einiges Aufsehen gesorgt.
5.)
Die Rifondazione angehörenden Abgeordneten Salvatore
Cannavò (geb. 23.8.1964 in der sizilianischen Provinz
Catania) und Paolo Cacciari (geb. 10.6.1949 in
Venedig) verweigerten dem Afghanistan-Einsatz und der Aufrüstungspolitik der
Regierung ebenfalls die Stimme. Cannavò aus einer
grundsätzlichen politischen Opposition heraus, da er wie Turigliatto
ein führender Kopf der „Sinistra Critica“-Strömung
ist und Cacciari als konsequenter Pazifist, der zwar
der Parteimehrheit angehört, aber Bertinottis,
eigentlich zur Zähmung der radikalen Linken gedachtes, Gewaltfreiheitsdogma
wirklich ernst nimmt und entsprechend abstimmt. Die Gegenstimmen der Beiden
sind allerdings weniger brisant, weil die Mitte-Links-Union in der
Abgeordnetenkammer über eine komfortable Mehrheit verfügt.
6.)
Anfang Oktober 1998 beendete Rifondazione Comunista unter Führung von Fausto Bertinotti
als Generalsekretär die Tolerierung der ersten Mitte-Links-Regierung Prodi im Parlament und führte damit seinen Sturz herbei. Prodi wurde von dem Linksdemokraten D’Alema
als Ministerpräsident abgelöst. Die damalige Mitte-Links-Union namens „Olivenbaum“
(der Rifondazione nicht angehörte) erweiterte sich um
die rechtschristdemokratische Kleinpartei UDEUR von Clemente Mastella. Rifondazione setzte –
nach der Abspaltung ihres rechten Flügels, der unter Führung von Armando Cossutta und Oliviero Diliberto den
PdCI gründete und die Regierung auch während des
NATO-Krieges gegen Jugoslawien weiter unterstützte (und mit mehreren Ministern und
Staatssekretären direkt an ihr beteiligt war) – auf nationaler Ebene mehrere
Jahre lang vor allem auf außerparlamentarische Bewegungen, insbesondere auf die
entstehende Anti-Globalisierungsbewegung.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de