Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Seit 1989 wird nicht nur in den bürgerlichen Medien, sondern gerade auch in der verbliebenen Linken die Frage gestellt, was heute eigentlich das Wort „kommunistisch“ bedeutet, ob es für kommunistische Politik noch eine Perspektive gibt und Kommunistische Parteien noch zeitgemäß sind bzw. was an denen, die sich so nennen eigentlich noch kommunistisch ist. Fragen, die mit der wachsenden Frustration und Resignation und der nur selten für kurze Zeit unterbrochenen gesellschaftlichen Lethargie an Intensität gewonnen haben. Genau dies wurde jüngst – am Beispiel Italien und dem Partito della Rifondazione Comunista (PRC) – auch in der linksunabhängigen Tageszeitung „il manifesto“ vom 1.6.2004 diskutiert, die sich im Untertitel bis heute als „kommunistisch“ bezeichnet. Auslöser war ein Leserbrief von Alessandro Barile aus Rom, auf den der Redakteur Riccardo Barenghi (von Frühjahr 1998 bis November 2003 Direktor, d.h. Chefredakteur der Zeitung) in der entsprechenden Rubrik antwortete. Zwar gehört Barenghi eher der rechteren Strömung in der Redaktion an und wurde Anfang 2004 durch den linkeren Gabriele Polo als Direktor ersetzt, doch diese politischen Unterschiede – so bedeutend sie sind – sind keine grundsätzlichen, sondern eher graduelle. Was Barenghis Aussage zum Thema unseres Erachtens noch interessanter und repräsentativer macht.

 

Briefe:

 

Wenn die Kommunisten ohne Kommunismus dastehen

 

Lieber Barenghi,

 

die politische Veränderung Rifondaziones und seines Führers <Fausto Bertinotti> in den letzten zwei Jahren ist interessant. Ich glaube sagen zu können, dass es mittlerweile nichts Kommunistisches mehr gibt, dass man Rifondazione zuschreiben kann. Die Basis einmal beiseite gelassen, ist Rifondazione heute zu einer Partei des Friedens und der Arbeit geworden, die mit den Bewegungen auf zweideutige Weise verknüpft ist. Sie hat praktisch nichts Kommunistisches mehr an sich, strebt keine konkrete Veränderung der Gesellschaft mehr an, verbündet sich mit ehemals christdemokratischen und Kräften der Mitte und äußert nicht mehr jene starken und in starkem Kontrast zur Mehrheit des parlamentarischen Panoramas stehenden Meinungen, die zu äußern vor Jahren üblich war. Mit dem Abtritt dieser Partei ist der Kommunismus, zumindest im Parlament, definitiv von der Bühne verschwunden. Welchen Sinn hat es, sich heute als Kommunist zu bezeichnen ?  Für den Frieden zu sein ?  Für die Rechte der Werktätigen ?  Um Gottes Willen, das sind alles sehr schöne Dinge, für die man Kämpfe um Kämpfe führen könnte, aber was findet sich von unserer Geschichte, die wir auf dem Buckel haben und die zumindest ich nicht verleugne, darin ?  Leider scheint der Weg immer mehr in Richtung eines Verschwindens jeglichen Ideals zu gehen, das man als kommunistisch bezeichnen kann. Und mit Kommunist meine ich nicht, dass man Stalin preisen oder Nostalgiker sein soll, sondern den Kampf gegen dieses Gesellschaftsmodell – wo ist der geblieben ?

 

Mit großer Wertschätzung,

 

Alessandro Barile, Rom

 

Die Antwort:

 

Offen gestanden wüsste ich nicht zu sagen, ob Rifondazione noch etwas Kommunistisches an sich hat oder ob nur der Name übrig geblieben ist. Aber ich finde die Kritik unseres Lesers nicht richtig, wenn er sagt, dass Bertinottis Partei keine Veränderung der Gesellschaft anstrebt. Diese Bestrebung gibt es – und wie ! (Ob die dann kommunistisch sein wird oder nicht, werden wir später sehen.) Es ist allerdings eine Sache, etwas anzustreben, eine andere ist es, das Ziel zu erreichen oder sich ihm zumindest zu nähern. Ich bin trotz allem nicht der Ansicht, dass man dieses fehlende Ziel einer politischen Kraft vorwerfen kann, die ca. 5% der Wählerschaft auf sich vereint (ein in jedem Fall außergewöhnliches Resultat, wenn man die Epoche und das Vorhandensein einer weiteren kommunistischen Partei <d.h. des kleineren und rechteren PdCI von Cossutta, Rizzo und Diliberto> betrachtet).

 

Was den Diskurs über die sogenannten Bündnisse anbelangt, denke ich, dass Rifondazione durchaus eine richtige Politik verfolgt (im Gegensatz zu der Periode, die von Herbst `98 bis zum Herbst 2002 dauerte <als Rifondazione die Tolerierung der Regierung Prodi aufkündigte und eine von der Mitte-„Linken“ unabhängige Politik versuchte, die sehr stark außerparlamentarisch orientiert war>). Eine Politik, die uns sicherlich nicht zum Kommunismus führt, aber vielleicht zumindest zu einem Klima, in dem das Adjektiv ‚kommunistisch’ nicht nur eine Beleidigung ist.

 

Und hier kommt der komplizierteste Diskurs, der unmöglich in wenigen Zeilen geführt werden kann und den ich daher soweit wie möglich vereinfachen werde. Ich glaube, lieber Barile, schlussendlich nicht, dass bis zum Äußersten gegen dieses Gesellschaftsmodell zu kämpfen bedeutet, Kommunist zu sein und umgekehrt. Das kann man tun, ohne es zu sein und es zu tun, bedeutet nicht, es zu sein <sic !>. Und das ist ein bisschen das Bild, das unsere Parteien abgeben, die sich noch kommunistisch nennen. Und auch unserer Zeitung, die sich diesen Begriff unter den Titel geheftet, ihn <der journalistischen Arbeit> übergeordnet hat, wie <der vor einem Jahr verstorbene ehemalige kommunistische Partisan, ex-PCI-Linke, 1968 Mitbegründer und später Chefredakteur von „il manifesto“> Pintor sagte, den das in Polemik mit dem PCI und <der PCI-Tageszeitung> „l’Unità“ gebracht hatte. (Es sollte bedeuten, dass man auch außerhalb der Partei Kommunist sein konnte.) Es hatte ihm allerdings nie gefallen, es als pleonastische (übermäßig gehäufte) Spezifizierung zu betrachten. Sich „il manifesto“ (Das Manifest) zu nennen, ist bereits ein diesbezüglich eher eloquentes Zitat. Sagen wir also, dass jenes Wort mehr als alles andere die Berufung auf eine Idee und auf eine Geschichte und vielleicht ein Horizont ist, den man jedoch bekanntlich niemals erreicht.

 

Wenn man ihn aber doch erreichen könnte, welches Alternativmodell zum Kapitalismus und zu den liberalen Demokratien wäre noch möglich ?  Anders gefragt: Wäre es noch das Modell, das wir „Kommunisten“ des 21.Jahrhunderts umsetzen wollten ?  Offen gesagt: Nein. (Ich spreche da ausschließlich im eigenen Namen.) Ich weiß, dass die heutige Gesellschaft nicht gerecht ist. Ich weiß, dass ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz vielleicht ein ebenso unerreichbarer Horizont ist wie der Kommunismus. Natürlich habe ich den verwirklichten Kommunismus niemals geliebt, aber einen anderen Kommunismus habe ich niemals erlebt. Ich glaube nicht, dass ich ihn erleben werde und vielleicht interessiert es mich auch gar nicht so sehr, ihn zu erleben.

 

Ich möchte stattdessen versuchen, aus diesem Disput (der, wenn er kein nominalistischer ist, sich dem <zumindest> nähert) herauszukommen, um zu begreifen, ob die – nicht nur ideelle, sondern auch konkrete – Möglichkeit existiert, früher oder später zu einer Gesellschaft zu gelangen, die grundlegend anders ist als die gegenwärtige, jedoch keine Neuauflage falscher und gescheiterter Modelle darstellt. Die berühmte Marxsche Maxime („Jeder nach seinen Möglichkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen !“) könnte auch jenseits des Kommunismus einen Sinn haben. Könnte…

 

<Riccardo Barenghi>

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover