Antifa-AG der Uni Hannover:

 

In unserem ausführlichen und nach wie vor aktuellen Papier „Letzte Ausfahrt Linkspartei“ (http://antifa.unihannover.tripod.com/Letzte_Ausfahrt.htm) schrieben wir Ende November 2005 u.a.: „Die ‚Linkspartei’ ist der politisch-parlamentarische Ausdruck der Identitäts- und Integrationskrise der SPD und einer Phase sozialer Bewegung, die vor gut 5 Jahren begann und mittlerweile – für Alle offensichtlich – nicht nur in der BRD am Ende angelangt ist. Die Rede ist von der Antiglobalisierungsbewegung (die sich selbst inzwischen – bezeichnenderweise – lieber ‚Alternative Globalisierungsbewegung’ / Mouvement altermondialiste nennt) und den von dieser inspirierten Massenmobilisierungen gegen Sozialabbau. Diese Bewegung ist nicht nur international theoretisch und praktisch am Ende, sondern war in Deutschland auch deutlich schwächer als z.B. in Frankreich und Italien.“

 

Waren damals noch Viele skeptisch, ob wir da mit der Antiglobalisierungs-Bewegung (und der armen Linkspartei) nicht zu hart ins Gericht gehen bzw. zu Schwarz malen würden, so wird dem heute wohl kaum noch jemand ernsthaft widersprechen. Die lokalen Sozialforen sind so gut wie verschwunden, das zersplitterte und fade Europäische Sozialforum im Mai 2006 in Athen war alles andere als ein Erfolg, zentrale, vom ESF beschlossene, internationale Mobilisierungen scheiterten (siehe die Anti-Kriegs-Aktionen) oder wurden gar nicht erst durchgeführt und Attac im Mutterland Frankreich wird seit einem Jahr von einer tiefen Krisen geschüttelt (siehe http://antifa.unihannover.tripod.com/Rebellion_in_Attac_FRA.htm und http://www.jungewelt.de/2006/06-30/002.php) Die Hoffnungen auf linke Wahlerfolge wurde im letzten Jahr noch mehr zum letzten Strohhalm, an den man sich klammerte. Die neue italienische Mitte-Links-Regierung Prodi, in der diverse attac-Mitglieder und Antiglobalisierer Minister (z.B. Paolo Ferrero von Rifondazione Comunista – PRC – zuständig für „Soziale Solidarität“) und Staatssekretäre (Patrizia Sentinelli, PRC, im Außenministerium oder Alfonso Gianni, PRC, im Wirtschaftsministerium) sind und mit Fausto Bertinotti (PRC) einer der Helden der No global-Bewegung gar das dritthöchste Staatsamt der G8-Macht Italien innehat, zeigt allerdings wie wenig davon zu erwarten ist. Außenpolitisch bedeutet bieten Prodi, Bertinotti & Co. die Fortsetzung von Kriegen (wie in Afghanistan) und die „Führerschaft“ bei Kolonialtruppeneinsätzen (wie im Libanon), innenpolitisch eine Fortsetzung der Repression (zahlreiche geräumte centri sociali, Verhaftungswelle gegen radikale Linke auf Sardinien) und wirtschafts- und sozialpolitisch einen Sparhaushalt von 30 Milliarden Euro, in dem 12,7 Mrd. Euro direkte Sozialkürzungen enthalten sind.

 

Die Lage bei Attac Deutschland fasst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (www.faz.net) vom 18.9.2006 zusammen. Auch im Hinblick auf die laufende Mobilisierung gegen den G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligendamm eine interessante Lektüre. Wobei das Zentralorgan der herrschenden Klasse durchaus schonend mit dem Verband der „Globalisierungskritiker“ umgeht. Insbesondere jetzt wo „vor allem (Links-)Extremisten gegangen“ seien, die – o graus! – „auf eine stärkere Ideologisierung von Attac hingewirkt“ und „im Nahost-Konflikt seit Jahren wenn nicht antisemitische, so doch pointiert antiisraelische Positionen“ vertreten hätten. Genannt werden dabei die (zu Recht wenig beliebten) Linksrucker, gemeint sind aber alle radikalen Linken.

 

Sisyphosarbeit statt Gipfelsturm

 

Bei der globalisierungskritischen Bewegung Attac ist der Schwung der Anfangsjahre vorbei

 

Von Timo Frasch

 

FRANKFURT, im September. Elias Canetti hat in seinem Buch „Masse und Macht“ geschrieben, dass „offene Massen“, wenn sie aufhören zu wachsen, zerfallen. Die globalisierungskritische Bewegung Attac, 1998 in Frankreich gegründet, in Deutschland seit 2000 aktiv, war immer sehr offen – wenn es nicht gerade um ihre Ansichten ging. Sie hat allen Zuflucht geboten, die sich dem rauen Wind des „Neoliberalismus“ ungeschützt ausgesetzt fühlten: Gewerkschafter. Alt-Achtundsechziger, Trotzkisten, Umweltschützer, christliche Friedensgruppen. Selbst des Beifalls von Rechtsextremisten konnte man sich nicht immer erwehren.

 

Die Masse hat zwar noch nicht aufgehört zu wachen, aber sie erreicht bei weitem nicht mehr die Zulaufraten wie noch vor einigen Jahren. Während 2003  4.826 Personen Attac beitraten (bei 269 Austritten), waren es im vergangenen Jahr 1.600. 850 traten aus. Von den etwa 250 Ortsgruppen existieren einige nur auf dem Papier. „Die ganz großen Zeiten sind sicherlich vorbei“, sagt Sabine Leidig, Geschäftsführerin von Attac Deutschland. Von einer Krise könne aber keine Rede sein. „Eher schon von Normalisierung.“

 

Die „großen Zeiten“, das war in den Jahren 2000 bis 2004, als Oskar Lafontaine Gründungsmitglied wurde, als zum G-8-Gipfel in Genua Busse voller Demonstranten fuhren und Heidemarie Wieczorek-Zeul in ihrem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Machbarkeitsstudie zum sogenannten Tobinsteuermodell erstellen ließ. Die Forderung nach der globalen Steuer auf Finanztransaktionen stand am Anfang der Bewegung und hat ihr den Namen gegeben: „Association pour une Taxation des Transactions financières pour l’Aide aux Citoyens“ – Verein für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger.

 

James Tobin, der 1981 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekam, hat sich längst gegen die Indienstnahme der von ihm inspirierten Steuer durch die Globalisierungskritiker verwahrt. Auch in der parlamentarischen Debatte ist das Steuermodell nie über die Hinterbank hinausgekommen: Zwar hat das französische wie auch das belgische Parlament die Einführung der Steuer beschlossen – für den Fall, dass sie alle EU-Mitgliedsländer einführen. Die Aussicht darauf ist allerdings denkbar schlecht.

 

Die politische Agenda hat sich seit der Gründung von Attac verändert. Und Attac mit ihr. Die Bewegung demonstrierte plötzlich Seit’ an Seit’ mit den Gewerkschaften gegen Hartz IV, kritisierte die Gesundheitsreform und kämpfte gegen Software-Patente. Gegenwärtig läuft eine Kampagne gegen die Privatisierung der Deutschen bahn. „Unsere Schwerpunktsetzung richtet sich auch danach, was die Leute umtreibt“, sagt Sven Giegold, Mitglied des Koordinierungskreises, der Kampagnenzentrale von Attac. Ralf Thomas Baus von der Konrad-Adenauer-Stiftung, der mehrere Aufsätze zu Attac veröffentlicht hat, sagt es ein wenig anders: Die Bewegung neige immer mehr dazu, die Themen zu besetzen, die gerade Konjunktur haben. „Dann gründen sie eine AG, und bis die AG zu arbeiten angefangen hat, ist das Thema durch.“

 

Attac hat sich in eine Richtung bewegt, von der der Bewegungsforscher Dieter Rucht, selbst Mitglied im „Wissenschaftlichen Beirat“, einem Beratergremium von Attac, schon vor Jahren auf einem Attac-Kongreß gewarnt hatte. „Bleibt der ideologische und programmatische Nenner zu diffus, zerfasert eine Bewegung.“ Er sieht sich heute bestätigt. Nach Ansicht von Baus war das abzusehen: Das Konsensprinzip, das bei Attac Grundlage für Entscheidungen ist, führe eben dazu, dass man sich immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann.

 

Auch Attac-Aktivisten glauben, dass sich die Bewegung auf Politikfelder begeben habe, die von etablierten Kräften wie Gewerkschaften oder Parteien besser beackert werden können. Tatsächlich werden seit der Bundestagswahl 2005 durch die Linkspartei Einwände von Attac auch im Parlament vorgebracht – was zum Bedeutungsverlust der Bewegung beigetragen hat. „Früher ist Sven Giegold zu Sabine Christiansen eingeladen worden, heute ist es eben Oskar Lafontaine“, sagt Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der zusammen mit Baus über Attac geschrieben hat. Peter Wahl, Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, sieht das ähnlich: „Manche Dinge werden von der Linkspartei öffentlichkeitswirksamer vertreten, als wir das können.“ Die Abwanderung von Attac-Mitgliedern zur WASG oder zur PDS ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Heike Hänsel etwa oder Ulla Lötzer, die eine früheres Mitglied im Koordinierungskreis von Attac, die andere im Wissenschaftlichen Beirat, sitzen heute für die Linkspartei im Bundestag. Die Kernmannschaft sei aber erhalten geblieben, sagt Wahl.

 

Gegangen seien vor allem Extremisten wie Mitglieder von Linksruck, einer trotzkistischen Gruppierung, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ eingestuft wird. Die Linksruck-Leute hatten auf eine stärkere Ideologisierung von Attac hingewirkt. Sie halten George Bush für der Welt größten Terroristen und vertreten insbesondere im Nahost-Konflikt seit Jahren wenn nicht antisemitische, so doch pointiert anti-israelische Positionen. „Darüber, dass wir diese Leute en passant losgeworden sind, ist keiner von uns traurig“, sagt Sabine Leidig. Gleichwohl wird Linksruck – wie Verdi oder die Jusos – immer noch als Attac-Mitglied geführt.

 

In der Vergangenheit gehörten die Linksruck-Aktivisten zu den auffälligsten Vertretern von Attac: Bei Demonstrationen schrieen sie am lautesten, wenn es um das Organisieren von Bussen für den Gipfelsturm ging, zählten sie zu den Eifrigsten. An solchem Eifer scheint es Attac gegenwärtig zu mangeln. Attac hat ein Mobilisierungsproblem“, sagt Baus. Die Attacis, wie sie sich selbst nennen, sehen das anders. Es habe eben schon lange kein Großereignis mehr gegeben. Und die Medien stürzten sich nun einmal gerade darauf, sagt Giegold. „Der ganze Hype um Attac war sowieso kein Binnenphänomen.“ Genauso sei es jetzt mit der herbeigeschriebenen Krise. Im übrigen unterlägen soziale Bewegungen von jeher konjunkturellen Zyklen. „Das Thema Globalisierung hat sich jedenfalls noch lange nicht erledigt“, sagt Giegold.

 

Gegenwärtig findet in Singapur die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank statt, zweier Hauptfeinde der Globalisierungskritiker. Attac Deutschland hat erst gar niemanden hingeschickt, nur eine Vertreterin der Attac-Mitgliedsorganisation Weed ist vor Ort. Es hätte sich wohl auch nicht gelohnt: Von den etwa 500 Vertretern der vom IWF und der Weltbank zugelassenen Nichtregierungsorganisationen durften die meisten erst gar nicht einreisen und hatten sich zwischenzeitlich auf die indonesische Insel Batam zurückgezogen. Attac hat seinen Protest am Freitag vor dem Bundeskanzleramt zum Ausdruck gebracht: Aktivisten bliesen einen Weltkugelball auf, der von einem Gewicht, auf dem „IWF“ und „G 8“ stand, niedergedrückt wurde. Viel Aufhebens wurde darum nicht gemacht. Die Hoffnungen von Attac richten sich denn auch auf Heiligendamm, den G-8-Gipfel im nächsten Jahr. „Kann gut sein, dass dann von einem Attac-Revival die Rede ist“, sagt Giegold. Vorher gilt es, die Mühen der Ebene zu ertragen: Infostände aufbauen, Flyer verteilen, Bildungsarbeit leisten. „Das ist der eigentliche Kern unserer Arbeit“, sagt Sabine Leidig, „aber eben nicht so sexy.“ Jugendorganisationen von Parteien kennen die Schwierigkeit. Sie können ihren Mitgliedern aber wenigstens noch Karriereaussichten bieten. „Das können wir nicht“, sagt Frau Leidig. „Dafür kann sich bei uns jeder sofort einbringen.“ Etwa bei der Sommerakademie, zu der in diesem Jahr gut 700 Teilnehmer kamen. Die Jahre davor waren es weniger. Neben Seminaren zu den üblichen Themen wurde auch eine Veranstaltung zur Zukunft von Attac angeboten, mit dem schmissigen Titel Attac reloaded. Ganze zehn Teilnehmer verloren sich: fünf Attacis und fünf Journalisten.

 

 

Vorbemerkung und Kursivsetzung: Antifa-AG der Uni Hannover