Letzte Ausfahrt „Linkspartei“
?
10 Thesen zur Bewertung
des Bündnisses aus PDS und WASG (samt
Begründung)
1.) Die „Linkspartei“ ist in erster Linie Objekt und
nicht Subjekt der politischen Entwicklung. Sie ist nicht Protagonistin
politischen Protests oder gar Widerstands gegen den Neoliberalismus im Allgemeinen
und die konkreten Gegenreformen im Besonderen, sondern nichts anderes als der
momentane Ausdruck einer diffusen und inkonsequenten Unzufriedenheit angesichts
der Hartz-Gesetze, Steuerpolitik, Gesundheits“reform“
etc.. Mittel zum Zweck, um vor allem SPD und GRÜNEN einen „Denkzettel“ zu
verpassen. Nicht mehr und nicht weniger.
2.) Die „Linkspartei“ ist der politisch-parlamentarische
Ausdruck der Identitäts- und Integrationskrise der SPD und einer Phase sozialer
Bewegung, die vor gut 5 Jahren begann und mittlerweile – für Alle
offensichtlich – nicht nur in der BRD am Ende angelangt ist. Die Rede ist von
der Antiglobalisierungsbewegung (die sich selbst inzwischen –
bezeichnenderweise – lieber „Alternative Globalisierungsbewegung“ / „Mouvement altermondialiste“
nennt) und den von dieser inspirierten Massenmobilisierungen gegen Sozialabbau.
Diese Bewegung ist nicht nur international theoretisch und praktisch am Ende,
sondern war in Deutschland auch deutlich schwächer als z.B. in Frankreich und
Italien. Hierzulande erlebte sie ihre stärkste Entfaltung während der selbst
organisierten Großdemo gegen Sozialabbau und Agenda 2010 in Berlin im November
2003, den drei, mit großem Verwaltungsaufwand vom DGB organisierten
Massendemonstrationen Anfang April 2004 (der eigentlichen Geburtsstunde der
WASG) und der spontanen Montagsdemos gegen Hartz 4 im
Sommer 2004, die allerdings vor allem in Ostdeutschland stattfanden.
Wie sehr die
Antiglobalisierungsbewegung aufgezehrt ist, hat das Deutsche Sozialforum vom 21.-24.7.2005
in Erfurt gezeigt. Das DSF war quantitativ und qualitativ ein Reinfall (real
500-600 Leute auf der Abschlussdemo), den Angela Klein in der „Sozialistischen
Zeitung“ charmant so umschrieb: “Das Sozialforum in Erfurt war keine
Veranstaltung der Superlative, der großen Zahlen oder gar fertigen Lösungen.“ („SoZ“ September 2005, S.8/9)
Angesichts der offenkundigen Schwäche flüchtete es sich inhaltlich und
organisatorisch auf den Schoß der „Linkspartei“ und der „Mutter Kirche“
(natürlich bei verbaler Kritik am bösen Onkel Lafontaine). Vor Ort wird ihr
erbärmlicher Zustand nicht nur an der äußerst geringen Beteiligung am „Sozialen
Bündnis Hannover“ deutlich, sondern auch daran, dass sich eben dieses Bündnis
bei der von der Erwerbslosenzeitung „Alptraum“ initiierten Kampagne „Freie Fahrt für Geringverdiener“
mehrheitlich nur zu einer „gerechten“
Umsetzung von Hartz 4“ durchringen konnte. (Das
heißt zur Forderung eines Sozialtickets für 15-18 Euro im Monat, weil der ALG
2-Satz das für die Mobilität der Erwerbslosen vorsieht.) Bündnismitglieder, die
sich nicht an die Denkschranken der Hartz-Gesetze halten
und für Nulltarif eintreten oder es wagen, das Vorgehen des Berliner
SPD/PDS-Senats in dieser Frage (erst Abschaffung des Sozialtickets zu 20 Euro,
dann auf Druck nach zwei Jahren Wiedereinführung mit 50%iger Preiserhöhung,
d.h. für gut 30 Euro) zu kritisieren, werden umgehend als „Umstürzler“ und „Revolutionäre“
entlarvt’.
Dennoch hat die
Antiglobalisierungsbewegung in Teilaspekten etwas bewegt: Es ist ihr gelungen,
die soziale Frage neu zu thematisieren, „das
neoliberale Einheitsdenken“ infrage zu stellen, die Notwendigkeit einer
Zusammenführung der Teilbereichsbewegungen ins Bewusstsein zu rücken und sie
mit der Arbeiter- & Gewerkschaftsbewegung zu verbinden, das Denken in
internationalen Dimensionen zu fördern, den Kampf gegen das Finanzkapital zu
intensivieren… Gescheitert ist sie an ihrer fehlenden Stringenz, Klarheit und
Verbindlichkeit (also an demselben „Pluralismus“,
der zunächst ihr Erfolgsrezept war), an der weitgehenden Unfähigkeit zur
Selbstkritik und zur Entwicklung wirklich basisdemokratischer und zugleich
effektiver Entscheidungsstrukturen, der Schwammigkeit der Ziele und
Forderungen, der mangelnden Bereitschaft, die kapitalistischen
Eigentumsverhältnisse infrage zu stellen und der Weigerung grundsätzlich die
Machtfrage zu stellen (d.h. der faktischen Ablehnung jeder sozialen Revolution).
Als Alternative präsentiert sie „Ungehorsam“
und individuelle Verweigerung („Not in my name!“). Das sind Schwächen
und Fehlern, die ihrerseits den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen
geschuldet sind.
Die vom Neoliberalismus
Betroffenen haben sich – bei allem Genörgel und aller kalten Wut, die sie
manchmal überkommt – mit den stattgefundenen massiven Verschlechterungen weitestgehend
abgefunden. Im Alltag wird dementsprechend nicht nur bei Angriffen der Kapitalseite
sofort zurückgewichen, sondern auch auf breiter Front vorauseilender Gehorsam
geleistet (regelmäßige unbezahlte Überstunden, sich krank zur Arbeit schleppen,
untertarifliche Entlohnung stillschweigend akzeptieren, Blanko-Bewertungsbögen
unterschreiben, eine bei der Zwangsarbeit ruinierte Gesundheit als „Glück“ betrachten etc.). Damit wird
immer weiteres Terrain preisgegeben, ohne dass auch nur Ansätze von Widerstand wahrzunehmen
sind. Parteipolitisch sah die übergroße Mehrheit der Lohnabhängigen in der
Endphase des Wahlkampfes selbst im „Neue Mitte“-Kanzler
Schröder und seiner abgehalfterten SPD erneut den „Anwalt der kleinen Leute“ gegen die „soziale Kälte“ der CDU/CSU + FDP.
3.) Bei allem Hype um die von
PDS und WASG erzeugte Kreatur „Linkspartei“ werden die inneren Widersprüche dieser
Vereinigung gern in den Hintergrund gedrängt oder auf die Person Lafontaine
beschränkt. Das ist angesichts des oben Gesagten zwar verständlich, aber ein
fataler Fehler. Die inneren Widersprüche und Konfliktlinien der „Linkspartei“
sind sehr viel mannigfaltiger und gravierender. Sie haben mit der
Ost-West-Spaltung zu tun (PDS als ostdeutsche – WASG als westdeutsche Partei),
mit dem inneren Ungleichgewicht (die PDS hat 10mal so viele Mitglieder wie die
WASG), mit der politischen Traditionslinie (PDS „post-kommunistisch“ – WASG heimatvertriebene Sozialdemokraten) und
mit ebenso abstrusen wie manifesten antikommunistischen Reflexen („Mauerschützenpartei“), mit dem
parteipolitischen Charakter (PDS als in zwei Bundesländern mitregierende,
relativ arrivierte Partei, WASG als noch in der Findungsphase steckender
Protestverein), persönlichen Animositäten (André Brie contra Oskar Lafontaine)
und vielem mehr.
Auch politisch-inhaltlich
stimmt das simplifizierende und schematische Denken „Lafontaine rechts – alle anderen
irgendwo links“ keineswegs. In der Ausländerpolitik steht der Saar-Napoleon mit
seiner Agitation gegen „Fremdarbeiter“
ohne Frage rechts von allen anderen, ebenso in seiner teilweisen Unterstützung
polizeilicher Folter (Fall Daschner). Bei seiner Bereitschaft
zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit UNO-Mandat steht er aber bereits Seite
an Seite mit der PDS-Führung und gegen einen Großteil der WASG- und der
PDS-Mitgliedschaft. In punkto Hartz-Gesetze (die er, zusammen
mit der WASG, komplett abschaffen will) findet man ihn allerdings deutlich
links der PDS-Spitze, die das ALG nur anheben will und zum Teil (siehe
PDS-Senator Wolf und die Welle der Berliner 1 Euro-Jobs) die Einführung der
Zwangsarbeit massiv vorantreibt und auch ideologisch verteidigt. Noch
komplizierter waren die Frontverläufe in der Frage der EU-Verfassung:
Lafontaine sprach sich, obwohl
überzeugter EU-Anhänger, wie auch die WASG, eindeutig dagegen aus und
beteiligte sich gar als Redner an der Mobilisierung für das „NON“ in Paris, während z.B. die
PDS-Europaabgeordnete Kaufmann und die Berliner PDS mit ihrem Chef Liebich an der Spitze als „kleineres Übel“ vehement dafür eintraten, die westdeutschen
PDS-Landeschefs einen gemeinsamen Brandbrief dagegen verfassten, etliche „unentschieden“ waren und die PDS-Spitze
mit Konsensonkel Bisky nach einigem Schwanken sich (angesichts der
Massenstimmung) aus opportunistischen und wahlkampftaktischen Gründen ebenfalls
gegen den Verfassungsvertrag aussprach.
In der Frage des
Mindestlohnes war Lafontaine beim „Linkspartei“-internen
Zahlenlotto mit seinem 1.250 Euro brutto-Gebot
wiederum der „Moderateste“. Es sage niemand, dass die PDS-WASG-Liaison
keinen Unterhaltungswert besitze !
4.) Angela Klein von der „SoZ“-Redaktion,
der ISL / 4.Internationale und ehemals Koordinatorin des Euromarsches gegen
Arbeitslosigkeit und Prekarität, schreibt in ihrem
Leitartikel für die September-Ausgabe der „SoZ“ „Was erwarten wir von der Linkspartei?“:
„Von einer Linkspartei die Einhaltung
ihres Wahlprogramms zu fordern, scheint eine Plattitüde, ist es aber nicht.“
Fürwahr! Doch müsste man zu
allererst einmal wissen, wofür diese „Linkspartei“ inhaltlich überhaupt steht.
Angesichts der beschriebenen „Pluralität“
ist das eine offene Frage. Fassen wir also zusammen, was an „pluralem“
Programm der Listenverbindung (Verzeihung, der offenen Liste der PDS), bisher
tatsächlich bekannt ist: Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die
bürgerliche Staatsmacht werden nicht einmal im Ansatz in Frage gestellt, die
bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht angetastet, ja es wird noch nicht
einmal – wie lange Zeit von den Jusos oder von Ende der 60er bis Anfang der
80er Jahre von Mitterands französischem Parti Socialiste (PS) – die Forderung nach Verstaatlichung der Schlüsselindustrien
erhoben, von Preis- und Produktionskontrolle der Lohnabhängigen ganz zu
schweigen! Stattdessen strebt man die „Beteiligung
der Beschäftigten am Produktivvermögen“ an (wahrscheinlich über die auch
von den CDU-Sozialausschüssen heiß geliebte Ausgabe von „Belegschaftsaktien“)
und redet nebulös von „eine(r)
umfassende(n) Demokratisierung der Wirtschaft “, die seit der
„Montanmitbestimmung“ (dem Schmuckstück der DGB-Spitze) keinen Arbeitsplatz
gerettet und keine Flexibilisierung verhindert hat.
Außenpolitisch machen PDS
und Lafontaine seit Jahren keinen Hehl daraus, dass sie den Aufbau des
kapitalistischen Kontinentalstaates EU voll unterstützen und nur in ihm den
zeitgemäßen Regulationsrahmen für ihre sozialdemokratischen Zauberkünste sehen.
Die Forderung nach einem „Sozialen
Europa“ ist so illusionär und desorientierend wie die nach einem „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“
bzw. „sozialem Gewissen“. Beides ist
unmöglich. Im Falle der EU, weil sie dann – angesichts der globalisierten
Konkurrenz und der gewachsenen Profitgier des Kapitals – ihren Daseinszweck
nicht erfüllen könnte: der imperialistische „Global Player“
zu sein, der den USA und China (später sicherlich auch Russland, Indien und
Brasilien) beim Kampf um Märkte und Ressourcen erfolgreich entgegentritt. Dass
das auch Handels- und klassische militärische Kriege (gegen die Konkurrenten
und gegen unbotmäßige „Eingeborene“) bedeuten wird, liegt in der Natur der
Sache und ist auch mit noch so schönen pazifistischen Floskeln nur schwer zu
verheimlichen. Auch wenn deutsche Militäreinsätze auf Kriegsschauplätzen wie
dem Irak und Afghanistan von der „Linkspartei“ derzeit noch abgelehnt werden
(weil „unilateral“ USA-dominiert und
zu heiß) so hat Lafontaine Bundeswehreinsätze mit UN-Mandat als „BILD-Zeitungs“-Kolumnist immer wieder befürwortet und Gysi
Kommandoaktionen paramilitärischer Spezialeinheiten wie der GSG 9 in aller Welt
mehrfach selbst vorgeschlagen. Um eine eindeutige „Friedenspartei“ handelt es sich angesichts eines solchen
Spitzenduos wohl kaum.
Eine geschlossene Opposition
gegen die Hartz-Gesetze existiert ebenfalls nicht.
Stattdessen wurde erst im allerletzten Moment (auf Druck der WASG) die Anhebung
des ALG2-Satzes auf einheitlich „üppige“ 420 Euro (statt 345 bzw. 331 Euro
heute) zugunsten der Parole „Weg mit Hartz IV!“ als zentraler Orientierung gekippt. (Man
könnte auch sagen: weggeschachert.) Nach der Wahl ist nun (als Ergebnis von Beratungen
der gemeinsamen Bundestagsfraktion und im erklärten Gegensatz zur Streichung
des Gesetzes) von „Hartz
IV überwinden“ die Rede und steht erneut die Anhebung des ALG2 auf 420 Euro
im Zentrum der „Reformbemühungen“ (siehe
u.a. das Interview mit der stellvertretenden
PDS-Parteivorsitzenden und MdB Katja Kipping in „junge
Welt“ vom 23.11.2005; http://www.jungewelt.de/2005/11-23/023.php).
Die ersten drei Hartz-Gesetze sollen ohnehin „differenziert betrachtet“ werden. Nach
Ansicht der PDS-Führung sind sie (also Mini-Jobs, ICH-AG’s,
Leiharbeitsagenturen PSA etc. trotz miserabler Erfahrungen) „ausbaufähig“. Ihre Abschaffung wird
denn auch nicht einmal im Wahlprogramm gefordert. Immerhin, zur Ablehnung der
von Hartz IV vorgesehenen und mit 1 Euro die Stunde
vergoltenen Zwangsarbeit konnte man sich durchringen – allerdings nur nachdem
auf den Wahlplakaten zuvor ein klares Bekenntnis zu Ausbeutung &
Lohnsklaverei im allgemeinen abgelegt wird.
Originalton: „Lohnarbeit ja, Billigjobs
nein!“ Eine solche Peinlichkeit hat sich bisher nicht einmal die SPD
erlaubt. Das „emanzipative“ Entwicklungspotential
solcher Losungen (in zentralen Fragen !) tendiert
stark gegen Null.
Nicht viel anders verhält es
sich in der Ausländer- und Migrationspolitik, wo mit
Lafontaines Anti-„Fremdarbeiter“-Hetze und der
diesbezüglichen PDS-Programmatik die Auswahl zwischen Pest & Cholera
besteht. Auf die ausländerfeindliche und volksverdummende
(„Die Nazis waren nicht in erster Linie fremdenfeindlich, sondern
rassistisch, denn sie haben Fremde im Deutschen Reich beschäftigt.“ –
Lafontaine auf dem WASG-Parteitag am 3.7.2005)
Propaganda antwortet die PDS-Spitze (unterstützt von einem Großteil der
Parteibasis) mit der linksliberalen Forderung nach offenen Grenzen und der bürgerlichen
Mystifizierung der Reisefreiheit, ohne sich auch nur zu fragen, welche
Auswirkungen eine massive Zunahme des „Angebots“ auf dem Arbeitsmarkt wohl für
den Preis der Ware Arbeitskraft hat und ob die durch Armut und Krieg erzwungene
Flucht aus den eigenen Lebenszusammenhängen, der Verkauf der eigenen
Arbeitskraft ohne ausreichende Sprachkenntnisse etc. und das womöglich in
finanzieller Abhängigkeit von mafiösen Menschenhändlern
wirklich mit dem Bali- oder Bahamas-Urlaub eines gutsituierten
deutschen Mittelschichtlers gleichzusetzen ist.
Gefordert wäre hier eine klare antiimperialistische und sozialistische Politik
bzw. – old school-mäßig ausgedrückt – ein
konsequenter proletarischer Internationalismus auf allen Ebenen, von dem bei
der „Linkspartei“ und ihren prominentesten Vertretern allerdings nichts zu
sehen ist.
Es ist interessant, dass die
Linke im Nachbarland Schweiz da zu einem Gutteil weiter denkt. Beim für den
25.September 2005 angesetzten Referendum über die Personenfreizügigkeit rufen
die Genfer Sektion der Partei der Arbeit (PdA), die
wie die PDS der „Europäischen Linkspartei“ angehört und das trotzkistische Mouvement pour le Socialisme /
Bewegung für den Sozialismus (MPS / BfS) zur
Ablehnung auf, weil ihnen „die flankierenden Maßnahmen nicht genügen“
und sie „Arbeitslosigkeit und Sozialdumping“ voraussehen („Wochenzeitung
WoZ“ 18.8.2005).
Kurz und gut: das reale
Programm der „Linkspartei“ ist nichts anderes als ein Aufguss normaler
sozialdemokratischer Politik der 70er und 80er Jahre. Das heißt weniger als die
damalige SPD-Linke forderte und eben auch – auf Bewegungen und Widerstand
bezogen – der Aufguss sozialdemokratischer Befriedungspolitik! Deren Ergebnisse sind bekannt.
5.) Die „Linkspartei“ ist eine Partei, die alt geboren
wird, die bereits in ihrer Geburtsstunde statt Dynamik und Aufbruch erhebliche Fäulniserscheinungen zeigt. Neben
der abgestandenen und überholten Programmatik ist dafür der bei ähnlichen
Gelegenheiten noch nicht erlebte renitente Karrierismus
beispielhaft, der beim Kampf um die sicheren und die halbwegs sicheren
Listenplätze (also die Pfründe) deutlich wurde. Ein Kampf der beispielsweise
auf dem bayerischen PDS-Parteitag zwischen führenden Vertretern von WASG und PDS
kurz davor war, faustrechtlich ausgetragen zu werden. Das Projekt „Gemeinsame Kandidatur“ aber auch so an
den Rand des Scheiterns führte. In Hannover wird dieses Phänomen durch den WASG-Stadtrat und Lokalmatador Detlev Schmidt sowie den
PDS-Kreisvorsitzenden Jan Korte repräsentiert. Während der Erstere, aufgrund
diverser Skandale in der Vergangenheit und allzu dreisten Vorgehens zur
Bundestagswahl scheiterte, wurde der Zweite als Ziehsohn von Parteichef Bisky
und Vorzeigejugendlicher an der niedersächsischen Basis vorbei auf
Landeslistenplatz 2 in Sachsen-Anhalt gehievt. Wobei das politische
Leichtgewicht Korte vor allem dadurch auffällt, dass er (als Exponent der sog. „Reformlinken“, man könnte auch sagen
der „Hartz-Linken“)
vorzugsweise die PDS-Politik als immer noch zu links kritisiert und – im
Bündnis mit den Antideutschen und anderen Israel-Anhängern – den AStA der Uni
Hannover von Linken säuberte (wie übrigens auch die Nr.5 der niedersächsischen
Landesliste, Maren Kaminski, die bis vor gut einem halben Jahr noch als treue
SPD-Parteisoldatin aktiv war).
Der altbackene und
verkrustete Charakter der „Linkspartei“ zeigte sich aber auch bei der Kür der
beiden bundesweiten Spitzenkandidaten Lafontaine und Gysi. Obwohl sie als
solche das Erscheinungsbild und die Ausrichtung der Partei nachhaltig prägen,
wurden sie von keinem Parteigremium jemals mit dieser Funktion betraut. Auch
auf dem PDS-Wahlparteitag am 27.August 2005 wurde darüber nicht abgestimmt.
Begründung des PDS-Parteisprechers Thalheim: „Das sind quasi unsere natürlichen Spitzenkandidaten, die müssen nicht
gewählt werden.“ Soviel zur Wahlkampfparole „Mehr Direkte Demokratie durchsetzen!“, dem aufgewärmten Willy
Brandt-Slogan „Mehr Demokratie wagen“.
Von der
Antiglobalisierungsbewegung, die so gern ihre „partizipative Demokratie“ propagiert
(die schon im brasilianischen Modellversuch in Porto Alegre
die sozialen Einschnitte und infolgedessen auch die Abwahl der Arbeiterpartei –
PT – nicht verhinderte) ist kein Protest zu vernehmen.
6.) Die weitere politische Entwicklung wird diese
Grundübel der „Linkspartei“ nicht beheben, sondern noch verschärfen. Das
Bündnis aus WASG & PDS ist ein Bündnis aus SPD-Nostalgikern der „goldenen
Zeiten“ von Willy Brandt und Helmut Schmidt (deren Chauvinismus, Repression,
Sozialabbau und ausländerfeindliche Anwandlungen dabei galant unter den Teppich
gekehrt werden) mit mehrfach gebrochenen ehemaligen SED’lern,
die endlich als Bürger respektiert werden und in der BRD ankommen
wollen. Angereichert wird diese Verbindung durch frustrierte und resignierte ehemalige
radikale Linke (Alt-Autonome, Ex-ML’er, ehem. Antiimps, DKP-Mitglieder…) sowie einige trotzkistische
Linke, die ihr x’tes Entrismusabenteuer
absolvieren und zum Teil (wie die SAV’ler in der
WASG) hart am Rande des Parteiausschlusses entlang balancieren oder (wie die Linksrucker ebenda) aus taktischen Gründen versuchen, die
Realos in den eigenen Reihen an „Realitätssinn“
noch zu überbieten, d.h. rechts zu überholen. Das ist die subjektive politische
Ausgangslage für die weitere Entwicklung der „Linkspartei“.
Auch wenn es bei WASG und
PDS am verbalen Bezug auf außerparlamentarische Mobilisierungen und Bewegungen
nicht fehlt und deren Notwendigkeit beteuert wird, sind beide Parteien doch vor
allem aufs Parlament und seine Ausschüsse konzentriert. Gerade die „junge
Protestpartei“ WASG ist der Versuch, das was man als unzufriedene SPD’ler, Attacis und
Gewerkschaftslinke im Betrieb und auf der Straße nicht abwenden oder
durchsetzen konnte, nun auf den Korridoren und in den Sitzungssälen des
bürgerlichen Parlamentes zu erreichen.
Dies wird sich – ob man nun mit 0,5% vor Fischers Grünen liegt oder
nicht – in nicht allzu ferner Zukunft als fatale Illusion erweisen. In der
buntscheckigen Parlamentsfraktion sind vielmehr heftige interne Auseinandersetzungen
vorprogrammiert, da eine diskutierte gemeinsame Linie fehlt und mindestens drei
verschiedene Fraktionen in der Fraktion vorhanden sein werden: die PDS’ler, der WASG’ler und Oskar
Lafontaine, die allesamt eigene Ziele und Strategien verfolgen.
Das wird die Kräfte in
intensiver Selbstbeschäftigung und zuweilen Selbstzerfleischung binden und das
Erscheinungsbild erheblich beeinträchtigen. Darüberhinaus
ist jetzt schon klar, dass WASG und PDS in den nächsten zwei Jahren (dieses
Zeitziel haben sie sich selbst gesetzt) in starkem Maße mit ihrer
organisatorischen Verschmelzung beschäftigt sein werden. Einer schwierigen
Geburt, die – zusammen mit der Diskussion der Kabale im Parlament, Energien
weitgehend absorbieren und sie der Gewerkschaftslinken und der Anti- bzw. „Alternativen Globalisierungsbewegung“
entziehen wird.
Die klarsten taktischen und
strategischen Vorstellungen von allen Beteiligten hat offenkundig Oskar
Lafontaine (der ohnehin der fähigste und skrupelloseste Kopf in diesem
ansonsten reichlich biederen Verein ist). Seine letzte Freundin im Regierungslager
– die ausscheidende grüne Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer – fasst sie so
zusammen: „Lafontaine will, indem er die Linke nur vordergründig spaltet,
eigentlich zur linke Einheit beitragen. Er schafft sich seine USPD, um sie in
ein paar Jahren in eine erneuerte SPD zu führen.“ Ihrer Meinung nach ein „heikles
Unterfangen“ (SZ 12.9.2005). Lafontaine selbst „erwartet zunächst eine
große Koalition, ‚die aber nur 2 Jahre halten wird: Dann ist das Spiel
offen’. Es ist Oskars großes Spiel.“ (SZ 12.9.2005) Lafontaine spielt es, indem er sich als
Populist gebärdet, ohne Populist zu sein – ähnlich wie es Margret Thatcher Ende
der 70er und in den 80er Jahren in Großbritannien auf
der Rechten getan hat. Ein Indiz für die bürgerliche Konsenskrise im
Allgemeinen und die Krise der Sozialdemokratie im Besonderen.
Die grundlegenden
Charakteristika des Populismus finden sich bei Lafontaine und der WASG im Kern
nicht wieder, auch wenn Lafontaine erhebliche Anleihen beim Populismus (und
teilweise eben auch beim Rechtspopulismus) nimmt, allerdings um auf diesem Wege
die Rekonstruktion der Sozialdemokratie zu betreiben – wie Erfolg versprechend
das längerfristig auch sein mag...
Kann die radikale und die revolutionäre Linke von diesen
populistischen Anleihen Lafontaines unter dem Strich profitieren, indem sie „die aufgeputschten Massen“ in wirklich
antagonistische (d.h. in unversöhnlichem Widerspruch zum Kapitalismus stehende)
Politik überführt? Nein, denn sie kann erst von der existenziellen Krise solcher
Kräfte und Positionen profitieren und das auch nur bei eigener politischer und
organisatorischer Autonomie und einer grundlegenden Kritik an dieser Politik.
Ansonsten ist sie nichts anderes als der Schwanz, mit dem der Hund Lafontaine nach
Belieben wedelt.
Das Problem des Spielers
Lafontaine ist, dass er nur einen kurzen Ausflug in den Populismus und „Radikalismus“ plant, um auf diese Weise
wieder an die Spitze einer erneuerten Sozialdemokratie und in die Regierung zu
gelangen, d.h. erneuerter Teil des Establishments zu werden. Wohin ihn die
PDS-Führung erklärtermaßen sehr gern begleiten möchte. Gregor Gysi lässt in den
letzten Wochen kaum eine Gelegenheit (NTV-Interview, RBB-Interview,
verschiedene Wahlkampfreden, Internet-Chat bei www.politik-digital.de…)
aus, um ganz unvermeidlich und wie zufällig darauf hinzuweisen, dass 2009 ein
gutes Datum für den letzten Akt beim Ankommen in der BRD wäre. Das liest sich
dann – auf die Frage nach der Regierungsbeteiligung – z.B. so: „Im Prinzip
sind wir dazu bereit, aber 2005 gibt es dazu keine reale Möglichkeit. (...)
Wenn die SPD zu ihren Traditionen in den nächsten Jahren wieder zurück
finden sollte, kann ich mir für eine neue Richtung der Politik eine
Zusammenarbeit bis zu einer Koalition vorstellen, also vielleicht 2009.“ (http://www.politik-digital.de/salon/transcripte/ggysi050728.shtml)
Eine solche Perspektive wird
manchem in der WASG (vor allem den vom SPD/PDS-Senat in Berlin Enttäuschten und
einem Teil der Gewerkschaftslinken) und in der Jugendorganisation der PDS solid
missfallen. Es bleibt dennoch das erklärte strategische Ziel. Wer aber – wie
vor ihm bereits die „rot-grünen“
Ex-68er – den „Marsch durch die
Institutionen“ hinein in die Regierung plant (noch dazu kurzfristig binnen
2 oder 4 Jahren), der wird sich selbst bei reformistischen Mobilisierungen
außerhalb der Parlamente eher
zurückhalten. Denn zum einen ist es für Leute, die mitregieren und den
Kapitalismus mitverwalten wollen, selbst unangenehm, wenn es dann
außerparlamentarisch brodelt und zum anderen ist der weitgehende Verzicht auf
Mobilisierungen „der Straße“
regelmäßig die Vorbedingung der größeren und „moderateren“ Koalitionspartner an „Linksparteien“, dem – als „Zeichen des Verantwortungsbewusstseins“
– auch Folge geleistet wird.
Gleichwohl bildet die sich
abzeichnende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD eine besondere Situation und
ist für die „Linkspartei“ ein Geschenk des Himmels. Während bei einer
schwarz-gelben oder einer sog. „Jamaika-Koalition“ (der „Schwampel“ aus Union, FDP & Grünen) Widerstand
gegen die zu erwartenden Angriffe in punkto Kündigungsschutz, Mitbestimmung,
Renten, Steuerpolitik (d.h. fortgesetzte Umverteilung von unten nach oben) und
weitere Sozialkürzungen, zwecks Einhaltung der Brüsseler Vorgaben, (nach einer
Umgewöhnungsphase von vielleicht einem Jahr) eher aus den
Gewerkschaftsapparaten von ver.di und der IG Metall oder
gar vom DGB gekommen wäre, werden diese sich nun zurückhalten. (Und DGB-Chef
Sommer demonstriert das ebenso wie die „linke“
Engelen-Kefer auch bereits extensiv.) PDS und WASG werden sich daher im
Parlament als einzige soziale Opposition präsentieren können (mit der FDP als
marktradikaler Opposition, die die Begrenztheit der Gegenreformen kritisiert
und den Grünen, die in der „goldenen Mitte“
zunehmend Probleme bekommen werden) und im Verbund mit kritischen Teilen des
Gewerkschaftsapparates auch die eine oder andere außerparlamentarische
Mobilisierung anschieben, um sich zu profilieren. Begrenzt wird dies neben der
strikt sozialdemokratischen Programmatik und dem ständigen Schielen nach der
„Regierungsverantwortung“ auch durch die Haltung der IG-Metall- und ver.di-Führung, zu denen ein z.T.
subalternes Verhältnis besteht, wie
nicht nur die Entscheidung
über die Höhe des Mindestlohnes gezeigt hat.
7.) Die wichtigste und bekannteste Stellungnahme der
außerparlamentarischen Linken zur „Linkspartei“ ist der „Offener Brief sozialer und politischer Basisorganisationen an die PDS
und WASG“ (nachzulesen unter: http://offener-brief.kreuzberg36.com/).
Selten hat in den letzten Jahren ein derartiges Dokument eine solche Resonanz
gehabt. Bis zum 12.August 2005 wurde es von 345 Gruppen, Organisationen und
Einzelpersonen unterstützt. Leider ist die Substanz des Textes nicht so, dass
man sich unbedingt darüber freuen müsste. Der „Offene Brief“ zeichnet sich, neben dem zeitgeistigen Anhängen an
den parlamentaristischen PDS-WASG-Zug
durch verquere Behauptungen, eine ziemlich Anmaßung und generell durch eine
linksliberale Tendenz aus.
Ziemlich anmaßend ist die
Behauptung. „Wir sind diejenigen,
die in vielen Orten und Städten eine Politik von unten im Alltag
erfahrbar machen und Projekte sowie Strukturen aufrechterhalten.“ Dieser unterschwellige
Alleinvertretungsanspruch für linke Basisarbeit und Aufrechterhaltung von
Strukturen ist mehr als deplaziert. Es gibt nämlich zahlreiche Gruppen und
Aktivist(inn)en an der Basis, die dieses Papier aus
inhaltlichen Gründen nicht unterstützen. (Lokal unterstützen ihn von den uns
bekannten 21 „sozialen und politischen
Basisorganisationen“ in Hannover nur drei !)
Außerdem werden wichtige Strukturen (wie Arbeitslosenzentren etc.) auch von institutionalisierteren Organisationen aufrechterhalten.
Unsinnig ist die in dem Brief
aufgestellte Behauptung „Parteien und
soziale Bewegungen fußen auf verschiedenen Herangehensweisen, sie sind und
bleiben zwei unterschiedliche Realitäten.“ Dahinter steht eine völlig
mechanische Denkweise.
Parteien sind und waren
faktisch von Anbeginn an ein tragender Bestandteil der
Antiglobalisierungsbewegung, die ja immerhin als die „Bewegung der Bewegungen“ bezeichnet wird. Ohne die Ligue Communiste Revolutionnaire (was immer man von ihr hält) wäre attac Frankreich gar nicht denkbar. Ohne LCR, PCF und den
PS-Minderheitsflügel unter Fabius und ihren Einfluss in der CGT, der MNCP, SUD
etc. wäre die Bewegung für das Nein zur EU-Verfassung so nicht möglich und wohl
kaum erfolgreich gewesen. Und ohne Rifondazione Comunista hätte die No
global-Bewegung
in Italien, bei allem Enthusiasmus von Cobas, Disobbedienti, ARCI, FIOM usw. sehr alt ausgesehen.
Ähnliches galt und gilt – in abgeschwächter Form auch für außerparlamentarische
Bewegungen, um gar nicht erst daran zu erinnern, dass eine Partei wie Fischers
GRÜNE aus der Studentenbewegung und der Anti-AKW- und Friedensbewegung
hervorgegangen sind. So unterschiedlich scheinen die „Realitäten“ also nicht zu sein.
Auch „die deutliche Positionierung von PDS und WASG für die Abschaffung der Hartz IV-Gesetze“ gab es weder zum Zeitpunkt des
Verfassens noch bei der offiziellen Übermittlung des „Offenen Briefes“ an die
beiden Parteien. Wie oben gezeigt, hat sie in der PDS-Führung überhaupt keine
Mehrheit, sondern wurde beim Schacher hinter den Kulissen unmittelbar vor dem
PDS-Parteitag am 27./28.August 2005 von der WASG erzwungen.
Das fatalste ist allerdings
die durchweg linksliberale (treffender: ultralinksliberale) Ausrichtung des
Briefes. Da ist zwar viel von Bürgerrechten die Rede, von Residenzpflicht etc.
aber kein Wort z.B. von den lohnpolitischen Auswirkungen und den sozialen
Herausforderungen, die das an die Linke stellt. Die „soziale Frage“ interessiert die Autoren denn auch nur insoweit als
sie „allerdings auf keinen Fall auf dem
Rücken anderer ausgetragen werden darf“. Sich – angesichts von Lafontaines
gezielter Hetze gegen „Fremdarbeiter“
– gegen „rassistische, diskriminierende
und nationalistische Untertöne … in linken Parteien“ zu wenden, ist gut und
notwendig. Wenn man sie allerdings wirklich beseitigen will (und das auch unter
der Masse der hier lebenden Menschen) dann wird man über Linksliberalität
hinausgehen müssen. Dann ist es notwendig das Problem mit Kategorien wie gewerkschaftlichem
und politischem Organizing, Klassenkampf,
Antiimperialismus und internationaler (nicht antinationaler) Solidarität
anzugehen. Was bedeutet, Erwerbslosen- und Fabrikkämpfe ebenso zu unterstützen
wie antiimperialistische und antikoloniale Befreiungsbewegungen in aller Welt.
Unser Ziel muss die soziale Revolution sein und nicht das Weltbürgertum. Das
Problem des Großteils der radikalen Linken in der BRD ist jedoch, dass sie über
ultralinksliberale Positionen noch nicht hinausgekommen bzw. nach 1989 dorthin
zurückgekehrt ist.
8.) Wenn es um die Linkspartei geht, werden in der
radikalen Linken allerlei historische und internationale Parallelen bemüht, um
das Projekt schön zu reden und für eine – wie auch immer geartete – Beteiligung
zu werben. Erfahrungen, die bei der Einschätzung wirklich weiterhelfen könnten,
bleiben hingegen (offenbar weil zu ernüchternd) unerwähnt.
So vergleicht die ehemalige
PDS-Linke und heute prominente Aktivistin der Communist
Party of Great Britain (CPGB), Tina Becker, das PDS-WASG-Bündnis immer wieder mit der „USPD“ von 1916-1918 (siehe z.B. die CPGB-Wochenzeitung
„Weekly Worker“ Nr.587 vom 28.7.2005; www.cpgb.org.uk/worker/587/germany.htm)
dringt auf eine Mitarbeit der radikalen Linken und verstieg sich – wie man hört
– auf der Summer University der CPGB gar dazu, die „Linkspartei“ mit der USPD
gleichzusetzen und zu erklären, daraus könnte ein „neuer Spartakusbund“ (Rosa Luxemburgs & Karl Liebknechts
Gruppe vor der Gründung der KPD) hervorgehen, deshalb sei die Mitgliedschaft
der radikalen Linken in der „Linkspartei“ unabdingbar. Ähnliches vertritt Theodor
Bergmann (89 Jahre, ehemaliges Mitglied der antistalinistischen KPD-Opposition
- KPO - der sich später der linkssozialdemokratischen Gruppe um die Zeitschrift
„Sozialismus“ - SOST - anschloss und heute ein bisschen „der große alte Mann“
der bundesdeutschen Gewerkschaftslinken ist) in einem Interview für die „junge
Welt“ vom 14.7.2005. (siehe: http://www.jungewelt.de/2005/07-14/020.php)
Das ist wahrlich eine fatale
Verkennung der Lage und eine extreme Überstrapazierung der Geschichte: Zwar
befinden wir uns im von den USA und der NATO erklärten „weltweiten Krieg gegen den Terrorismus“, doch ist dieser mit dem
innerimperialistischen Weltkrieg, den Millionen Toten und Verwundeten und
Verkrüppelten des 1.Weltkrieges wohl kaum vergleichbar. Sodann befinden wir uns
nicht mehr in der Frühphase der Arbeiterbewegung, in der es nur die
sozialdemokratische Partei gab und kommunistische Gruppen nur als kleinste
Zirkel um 1848 herum existierten. Auch ist die SPD heute – allen „Heuschrecken“-Debatten zum Trotz (bzw. gerade
deshalb) – weit davon entfernt, noch von Sozialismus zu schwadronieren (wie es
Ebert, Scheidemann & Konsorten durchaus taten). Dementsprechend versteht
sich die SPD-Abspaltung WASG auch nicht als „konsequent
sozialistische“, sondern als konsequent sozialdemokratische, d.h.
betont systemimmanente, Gruppierung. Und bei der PDS ist der – mit dem neuen
Parteinamen „Linkspartei.PDS“ weitgehend weg
gesäuberte – Begriff „demokratischer
Sozialismus“ nichts anderes als die Brücke für den Übergang ins
sozialdemokratische Lager. Ebensowenig steht uns wohl
in allernächster Zeit keine Novemberrevolution ins Haus und kein
konterrevolutionärer Kapp-Putsch wie 1920, bei dem sich die „Linkspartei“,
unter Führung von Gregor Gysi & Oskar Lafontaine, wie weiland die USPD,
federführend an der Organisation einer „Roten Ruhrarmee“ beteiligt… Bei allem
Geschichtsoptimismus bringen uns solche hanebüchenen Vergleiche wohl kaum
weiter.
Von Anderen werden dagegen
gern aktuelle Vergleiche mit Rifondazione Comunista (PRC) in Italien gezogen und darauf
hingewiesen, dass Parteichef Fausto Bertinotti doch
die Partei massiv in Richtung Bewegungen geöffnet hätte, die Revolution
anstrebe und fast alle revolutionären Linken Italiens (Basisgewerkschafter der
verschiedenen Cobas, CUB, SULT etc., Disobbedienti, Trotzkisten, Operaisten,
ehemalige Rotbrigadisten etc.) Mitglied im PRC oder
zumindest mit ihm eng verbunden seien und man es ihnen gleichtun sollte.
Tatsächlich beendete Rifondazione im Oktober 1998 die
Tolerierung der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi,
was zur Abspaltung des rechten Flügels (heute: PdCI)
und zu einer mehrjährigen Phase der Orientierung auf die außerparlamentarischen
Kämpfe und Bewegungen führte. Doch seit knapp zwei Jahren steuert Bertinotti genau den gegenteiligen Kurs, schwört seine
Partei, ohne dass auch nur irgendein Entwurf für ein Regierungsprogramm
vorliegt, uneingeschränkt auf die Beteiligung an einer neuerlichen Prodi-Regierung (diesmal sogar mit Ministern) ein, lobt
Sharon, verteidigte wiederholt Bush, Blair und Sharon, sprach sich für die
Nationale Einheit mit dem Berlusconi-Lager in „Notsituationen“ und (natürlich) „aus humanitären Gründen“ aus, erklärte nach den Londoner
Anschlägen seine Unterstützung für Ausnahmegesetze, engagierte sich in den letzten
Monaten vor allem in „Vorwahlen“ nach
US-Muster, die die Mitte-Linke veranstaltet und durch die Romano Prodi die plebiszitäre Blankovollmacht ausgestellt wurde,
die er sich gewünscht hatte. Folgerichtig empfiehlt Bertinotti
dem PRC und der gesamten europäischen Linken „ein neues europäisches Bad Godesberg“. (Online nachzulesen in
diversen Berichten und Bertinotti-Interviews unter http://antifa.unihannover.tripod.com/unter_italien3.html) Wir müssen wohl nicht extra daran erinnern,
dass sich die SPD 1960 auf dem Bad Godesberger Parteitag auch verbal endgültig
vom Sozialismus verabschiedete.
Dieser Kurs der
Parteiführung hat zu einem tiefen Zerwürfnis mit den COBAS und den Nachfolgern
der Disobbedienti (u.a.
den Senza Volto
/ Gesichtslosen) geführt. Innerhalb Rifondaziones hat
sich dagegen eine aus 4 Fraktionen bestehende linke Opposition formiert, die
zwar 40% der Parteimitglieder vertritt, aber weitgehend zersplittert ist und
mit immer undemokratischeren Methoden von echter Einflussnahme ferngehalten
wird. Dort wo sie lokal stark ist, lassen sich große Teile von ihr aber auch des
Öfteren willfährig einbinden und einwickeln.
Sehr viel spannender sind
unseres Erachtens in diesem Zusammenhang die Erfahrungen, die in den letzten
Jahren mit der schwedischen „Linkspartei“ (Vänsterpartiet
– VP) gemacht wurden. Die ehemalige KP Schwedens leitete von 1990 bis 1993
eine radikale politische „Erneuerung“, d.h. Mäßigung ihrer Positionen in
Richtung Sozialdemokratie, ein, um ihre Ausgrenzung „von Regierungsmacht und
weiterem Einfluss im Reichstag“ zu überwinden und zwanghaft „politische
‚Verantwortungsfähigkeit’“ zu demonstrieren. Das stieß gegen Ende der 90er
Jahre auf „wachsenden Widerstand aus den Reihen von Mitgliedschaft und
Jugendverband“ („PDS-International“ Nr.2 / 2003, S.83/84). Dennoch
bzw. auch deshalb konnte sie 1998 von der Unzufriedenheit vieler sozialdemokratischer
Wähler mit dem von ihrer SAP betriebenen „sozialen Demontage“
profitieren und erzielte mit 12% das beste Wahlergebnis aller Zeiten. Prompt
begann die bis dahin „ständige Oppositionspartei“ eine langfristige und
vertragliche fixierte Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen SAP-Minderheitsregierung
unter Göran Persson und sackte 2002 wieder auf 8,3% der Stimmen ab. Bei den
Europawahlen 2004 konnte sie dann von den weiteren Verlusten der SAP (nochmal –1,4%) auch nicht mehr profitieren, sondern verlor
selbst 3% (von 15,8% auf 12,8%). Gewinnerin war hier die Protestpartei
„Juni-Liste“, die aus dem Stand auf 14,4% kam.
Die innere Entwicklung der Vänsterpartiet beschreibt die vom PDS-Arbeitskreis für
Internationales herausgegebene, sehr empfehlenswerte, allerdings wenig
verbreitete Zeitschrift „PDS-International“ in der Nr.2 / 2003 so: „Die
Aktivitäten der Partei begrenzen sich in größerem Ausmaß als zuvor auf die
Teilnahme an parlamentarischen Gremien. Besonders die aktive Teilnahme von
Parteimitgliedern in Verbandsarbeit, in den Gewerkschaften etc. ist markant
gesunken. Vor allem auf lokaler Ebene ist Ämterhäufung inzwischen eher die
Regel als die Ausnahme, da die Zahl der aktiven Mitglieder oft gleichbedeutend
ist mit der Zahl der parlamentarischen Mandats- und Nebenmandatsträger.“
Weiter wird festgestellt,
dass „das hohe Wahlergebnis bei den Reichstagswahlen 1998 zu einer
strukturellen Diskrepanz in der Partei zwischen den Einflussmöglichkeiten und
materiellen Ressourcen der Reichstagsfraktion einerseits sowie den
Möglichkeiten und Ressourcen des Parteiapparates andererseits geführt hat. Der
Parteiapparat hatte auch zunehmende Probleme die steigende Erwartungshaltung
von real-existierenden und potentiellen Mitgliedern
und Wählern zu befriedigen.“ (S.84)
Die Folge dieser
Enttäuschung vieler SAP- aber nun auch VP-Mitglieder, kritischen Gewerkschafter
und Jugendlichen war keineswegs ein Run auf die Mitarbeit in der Vänsterpartiet. Diejenigen, die das versuchten, hielten es
dort nicht lange aus und bewegen konnten sie schon gar nichts. Henning Süssner, der Autor des „PDS-International“-Artikels
beobachtet bei der Partei vielmehr „eine ‚Professionalisierung’ der Politik“
und die Bildung von „Kompetenznetzwerken“ für den Parlamentsbetrieb.
Auch „die schwedische Linkspartei“ sei zu einer „professionalisierten
‚Kampagneorganisation’“ (S.86), d.h. zu einem Wahlkampfverein, mit einer „immer
rasantere(n) ‚Durchschleusung’ von neuen Mitgliedern“ (S.84) geworden.
Als Reaktion auf diese
Misere haben sich seit 1998 „Sozialistische Foren“ gegründet.
Auf dem ersten 1998 in Ulmea, das „gegen den
Widerstand der örtlichen Sozialdemokraten durchgeführt“ wurde, „trafen
Vertreter aller Schattierungen der Linken zusammen, um in verschiedenen
Workshops angewandte Themen und generelle Probleme zu diskutieren. Von Anfang
an sollte die Gefahr einer parteipolitischen Vereinnahmung durch die
Aufstellung von gewissen Verfahrensgrundregeln und die Weigerung der
Ausgrenzung von spezifischen Organisationen der Linken vermieden werden.
Veranstalter waren <die
gewerkschaftliche „Denkfabrik“> LO-idédebatt, das Bildungswerk der
Arbeiterbewegung ABF und die radikaldemokratische Vereinigung ‚Ordfront’“. Teilnehmerzahl: 800. „Inzwischen werden
offene sozialistische Foren, wo sich sowohl Vertreter von Sozialdemokratie,
Gewerkschaften und Linkspartei als auch von außerparlamentarischen Bewegungen
und K-Gruppen sammeln, in verschiedenen schwedischen Städten mit
beeindruckendem Erfolg abgehalten. Das Interessante dabei ist, dass die immer
wieder aufkommende Kritik am Etikett ‚sozialistisch’ (…) bislang mit
großer Mehrheit abgewiesen worden ist.“ (S.89)
9.) Die Sozialdemokratie zielt darauf ab, die
kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung dank sozialer Zugeständnisse und
Mitverwaltungsmöglichkeiten in Klassenharmonie zu vollziehen und deshalb
Klassenkämpfe tendenziell herunterzukochen, antagonistische und revolutionäre
Kräfte zu isolieren, politisch zu eliminieren und die Reste zu integrieren.
Unser Ziel kann nur das genaue Gegenteil davon sein. Ansonsten haben wir
unseren Zweck verfehlt.
Die Erfahrungen mit linker
und rechter Sozialdemokratie sind zahlreich. Am nachhaltigsten waren sie sicherlich
in der Weimarer Republik. Die Lehren, die die undogmatische, antistalinistische,
revolutionäre Linke damals daraus gezogen hat waren: „Die Reformisten haben
das Bestreben, die Tageskämpfe der Arbeiter in dem Rahmen zu halten, der mit
dem Bestand des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen ‚Ordnung’
verträglich ist, d.h. diese nicht erschüttert. Dadurch sind sie genötigt, diese
Kämpfe möglichst zu vermeiden, ihre Ziele möglichst niedrig zu setzen, sie in ihrer
Entfaltung zu hemmen und sie zu verraten, sobald sie in revolutionäre Gleise,
d.h. in den Kampf um die Macht überzugehen drohen. Die Reformisten gehen in
bestimmten Zeitabschnitten sogar dazu über, gemeinsam mit der Bourgeoisie
Reformen selbst direkt abzubauen. Die Kommunisten kennen keine solchen
Rücksichten. Sie bestimmen die Ziele der Tageskämpfe nicht entsprechend den
Bedürfnissen der Erhaltung der kapitalistischen ‚Ruhe und Ordnung’, sondern
entsprechend der vorhandenen Kampfkraft der Arbeiter. Sie sind bestrebt die
Kampfkraft der Arbeiter zu steigern. Entsprechend dem Wachstum der Aktion in
Bezug auf die Zahl der Beteiligten und der Zunahme ihrer Stoßkraft müssen die
ursprünglichen Kampfziele gesteigert werden. Die Kommunisten sind bestrebt,
diese Kämpfe so weit zu führen, wie die entwickelte Kampfkraft es ermöglicht.
Die Kommunisten verbinden die Tageskämpfe mit einer konkreten Propaganda der
kommunistischen Grundsätze und Ziele.“
Und: „Aus dem Wesen des
linken Flügels der Sozialdemokratie ergibt
sich als notwendig:
Gleichzeitig gilt es, den
linken Flügel zum Kampf voranzutreiben, ihn vor die Frage zu stellen, entweder
mit denjenigen seiner Losungen ernst zu machen, die wirklichen Interessen der
Arbeiterklasse entsprechen oder sie als bloße Phrasen zu enthüllen.“
(aus: „Plattform der
Kommunistischen Partei Deutschlands – Opposition, Berlin Dezember 1930, Seite
36 und 37/38)
10.) Diese Erkenntnis und die politische und organisatorische Autonomie der
revolutionären Linken sind die notwendige Voraussetzung für Aktionsbündnisse mit dem
reformistischen Lager in Tagesfragen,
ohne dabei den Erfüllungsgehilfen oder den Hofnarren der Sozialdemokratie zu
spielen. Solche Bündnisse sind notwendig, zum einen um sich effektiver gegen
Angriffe von rechts verteidigen und eigene Tagesforderungen durchsetzen zu
können und zum anderen, weil man vor allem aus praktischen Erfahrungen lernt.
In der gleichberechtigten und
eigenständigen Beteiligung an solchen Bündnissen und ihrer Initiierung ist
es (bei beiderseitiger Freiheit der
Kritik, um die gemachten Erfahrungen auswerten zu können) möglich, den
Anhängern z.B. der „Linkspartei“ zu demonstrieren wie inkonsequent und
ängstlich ihre Führung ist, wie sie letzten Endes immer wieder der herrschenden
Kapitallogik folgt und dass es dazu durchaus eine Alternative gibt. Auf diesem
Weg kann die antagonistische Linke die absehbare Enttäuschung breiter Kreise
von der WASG-PDS-Liaison produktiv werden lassen.
Denn Sektierertum ist nichts als politische Selbstbefriedigung.
Friede
den Hütten – Krieg den Palästen !
Antifa-AG der Uni Hannover, 23.November
2005