Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind im
öffentlichen Dienst Italiens ein großes Problem, wie auch die großen,
weitgehend sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften zugeben (siehe z.B. das
nebenstehende Interview mit dem Generalsekretär der Bildungsgewerkschaft FLC-CGIL,
Enrico Panini, vom 1.7.2006). Die entscheidende Frage ist, was praktisch
dagegen unternommen wird. An diesem Punkt sind die eigenständigen linken
Basisgewerkschaften meist erheblich aktiver und aggressiver gegenüber den
öffentlichen „Arbeitgebern“, auch wenn ihre Wirkung durch die sehr viel
geringere Größe natürlich erheblich reduziert wird. Die größte
Basisgewerkschaft im öffentlichen Dienst der italienischen Halbinsel sind die Rappresentanze di Base (RdB), die der Einheitskonföderation der Basis (CUB;
real ca. 20.000 Mitglieder) angehören. In einzelnen Sektoren, Betrieben,
Behörden und Universitäten besitzen die RdB
sogar ein ähnliches Gewicht wie die Branchengewerkschaften von CGIL, CISL
und UIL (z.B. unter den Feuerwehrleuten).
Die RdB
(Basisvertretungen; http://www.rdbcub.it/) entstanden
Ende der 80er Jahre auf Initiative eines Teils der römischen Autonomia-Bewegung von 1977 (der Organizzazione
Proletaria Romana –
Römische Proletarische Organisation), die nicht nur unter den Beschäftigten
(speziell des öffentlichen Dienstes) arbeitete, sondern auch unter den
Hausbesetzern, den Studenten etc. Die RdB bilden eine
Struktur auf zwei Ebenen, die die politische Aktivität grundlegend von der
Gewerkschaft trennt. Die politische Ebene ist überwiegend im Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten) zusammengefasst,
dass die Zeitschrift „Contropiano“ (http://www.contropiano.org/) herausgibt.
Dennoch stehen die RdB nicht für eine
bornierte Betriebsarbeit. Beleg dafür sind diverse, breiter angelegte Aktionen
gegen Prekarität. So gehören RdB
und CUB zu den wichtigsten Trägern der seit 2002 in Mailand und anderen
Städten stattfindenden Mayday-Paraden.
Für Freitag, den 6.Oktober 2006, haben die Rappresentanze
di Base im Kampf gegen die Prekarität zu einem
landesweiten Streik im Öffentlichen Dienst und zu einer nationalen
Manifestation in Rom aufgerufen. Motto: „Assunti tutti, assunti subito, assunti davvero!” (Alle einstellen, sofort einstellen, wirklich
einstellen!“) Die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ brachte am 5.10.2006
dazu das folgende Interview mit dem RdB-CUB-Koordinator
Umberto Fascetti. Zahlreiche Fotos von der Demo
finden sich online unter http://tesoro2.rdbcub.it/assuntisubito6.10.2006/index.html
Die von den Organisatoren genannte
Teilnehmerzahl von „35.000“ ist
allerdings leider einmal mehr extrem aufgebauscht. Da der Übertreibungsfaktor
bei der CUB, was eigene Mitglieder-, Streik- und Demozahlen anbelangt, bei 20 -
25 (!) liegt, dürften es real 1.500 bis
2.000 Teilnehmer gewesen sein. Unter den gegebenen Bedingungen jedoch durchaus eine
gelungene Aktion.
„Ungeschützte Arbeit: Der Staat soll ein
Signal geben“
Morgen der Streik der Prekären der
öffentlichen Verwaltung. Interview mit Umberto Fascetti
(RdB-CUB-Koordinator): „Die Regierung soll ihre
Versprechen einhalten.“
Francesco
Piccioni
Morgen werden die prekär
Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung streiken und zu der von der RdB-CUB organisierten nationalen Manifestation in Rom
zusammenkommen. Es wird eine Demonstration mit mehr als 15.000 Leuten erwartet.
Darüber sprechen wir mit Umberto Fascetti, dem
Verantwortlichen für die nationale Koordination der Prekären.
Dieser Streik hat de
facto einen politischen Beigeschmack.
Im Wahlkampf der
Mitte-Linken waren, auch dank der starken Bewegungen gegen die Prekarität in den letzten Jahren, bedeutende Reden
bezüglich des ‚Kampfes gegen die Prekarität’
zu hören. Kaum an die Regierung gekommen, war hingegen eine gewisse ‚Abkühlung’
im Tonfall wahrzunehmen. Man hat aufgehört von der ‚Abschaffung des Gesetzes
Nr.30’ <von
2003> zu sprechen und es begannen die
Vorschläge für eine simple ‚Modifizierung’. Der Arbeitskampf der in den
öffentlichen Verwaltungen prekär Beschäftigten verlangt von dieser Regierung
Antworten, die im Einklang mit dem stehen, was vor der Wahl versprochen wurde.“
Welche Ausmaße hat die „öffentliche“
prekäre Beschäftigung?
„Es ist schwer das exakt zu
kalkulieren. Man schätzt, dass die Prekären 20% der öffentlich Bediensteten
ausmachen. Allein in den Schulen sind es 190.000. In den Ministerien, den
lokalen Einrichtungen und dem halbstaatlichen Sektor sind es mindestens genauso
viele. Hinzuzählen muss man fast 60.000 LSU-Beschäftigte
<“Gemeinnützige
Arbeiter“ / Beschäftigte in befristeten, staatlichen
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen>.
Unseren Schätzungen zufolge kommt man am Ende auf fast 600.000.“
Im Parlament gibt es
einen Gesetzentwurf von Euch.
„Der zielt darauf ab die
Rangordnungen auf Grundlage der Dienstjahre und der Arbeitsart der prekär
Beschäftigten neu zu gestalten und einen, auch stufenweisen
Weg zur Übernahme zu schaffen. Es ist aber notwendig die Ausgliederungen zu
stoppen und denjenigen, die die Arbeit machen, ihre Rechte zu sichern. Für die LSU’ler werden zum Beispiel keine Sozialbeiträge
bezahlt. Wir fordern vom Gesichtspunkt der öffentlichen Haushalte aus nichts
Unmögliches, weil alle diese Leute bereits von der öffentlichen Verwaltung
bezahlt werden.“
Geht das Haushaltsgesetz
nicht in diese Richtung?
„Das Haushaltsgesetz zeigt,
dass die Regierung an etwas anderes denkt. Zum Beispiel: In den Schulen ist
innerhalb von drei Jahren die Einstellung von 170.000 Lehrern und ATA-Personal
<technisches und
Verwaltungspersonal> vorgesehen. Man
schätzt allerdings, dass in den kommenden drei Jahren, aufgrund des berühmten ‚Buckels’
mindestens 250.000 Beschäftigte ausscheiden werden. Die Neueinstellungen decken
also nicht einmal die Fluktuation ab.“
Und außerhalb der
Schulen?
„Läuft es auch schlecht. Der
Haushalt sieht für Neueinstellungen die Nutzung von 20% eines Fonds aus dem
Jahr 2004 und des ‚Baccini-Fonds’ vor.
Insgesamt sind es wenig mehr als 200 Millionen Euro, die vielleicht für 8.000
Leute reichen können. 5.000 Einstellungen waren allerdings bereits vom Haushalt
2006 vorgesehen. Es gibt keine Übereinstimmung mit den Themen des Wahlkampfes.“
Was erwartet Ihr nach dem
Streik?
„Es müssen die wahren
Positionen ‚aufgestöbert’ werden. Wir wollen eine Auseinandersetzung mit
dieser Regierung beginnen, um Rechenschaft über die ‚Tendenzwende’ zu
verlangen, die vom Haushalt in punkto Prekarität
vorgesehen war. Zum Beispiel nimmt man nur Bezug auf Beschäftigte mit einem ‚auf
mindestens drei Jahre befristeten’ Arbeitsvertrag. So werden die
Leiharbeiter und die Co.Co.Co.
(Scheinselbständige) gänzlich ausgeschlossen.“
Seid Ihr von irgendeinem
Minister empfangen worden?
„Nicolais (Minister
für den Öffentlichen Dienst; Anm.d.Red.), der Justizminister und der Gesundheitsminister haben
ihre Bereitschaft erkennen lassen. Wir wollen eine Auseinandersetzung, weil –
wenn man ein anderes Signal geben will – das Haushaltsgesetz geändert werden
muss. Wenn nicht einmal der öffentliche Sektor, was die Überwindung der
prekären Beschäftigung anbelangt, ‚mit gutem Beispiel vorangehen’ kann,
wie soll es dann der ‚private’ tun? Es genügt sich anzuschauen wie Atesia auf den Bericht der Arbeitsinspektoren reagiert hat:
‚Okay, wir stellen ein, aber nur wenn es alle anderen auch tun.’ Wenn es
hingegen im Öffentlichen Dienst zu einer positiven Lösung kommt, ist das ein
gutes Signal für alle.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover + Gewerkschaftsforum Hannover