Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der (Frontal-)Angriff auf den Öffentlichen Dienst sowie die
Löhne und Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten mit dem Ziel weiterer
Privatisierungen bzw. Kommerzialisierungen, begleitet von Lohnsenkungen und
Mehrarbeit (bzw. Flexibilisierung) ist – branchenbezogen – das letzte große
Vorhaben auf der Gegenreform-Agenda des Kapitals. Die Härte der Tarifrunde
Anfang 2006 im Öffentlichen Dienst der BRD war ein Vorgeschmack darauf. Wie
weit die Situation in Italien im öffentlichen Sektor bereits gediehen ist und
welchen Widerstand die Gewerkschaftsbewegung dort zu leisten versucht, darüber
berichtet Enrico Panini, seines Zeichens Generalsekretär der
Bildungsgewerkschaft FLC, die zur größten Gewerkschaftszentrale CGIL gehört.
Das entsprechende Interview mit ihm erschien in der unabhängigen linken
Tageszeitung „il manifesto“ vom 1.7.2006,
hat seitdem allerdings nichts an Aktualität eingebüßt.
„Das Gesetz Nr.30 abschaffen. Es bedarf einer Wende!“
Enrico Panini (FLC-CGIL) spricht mit
uns über die Versammlung „Stoppt die Prekarität
jetzt!“. Am 8.Juli zusammen mit den Bewegungen in Rom. Die Regierung muss
ein klares Signal der Diskontinuität geben. Sie kann sofort 150.000 prekär
Beschäftigte in den Schulen und 30.000 in den Universitäten <fest>
übernehmen. Weg mit allen zwielichtigen Typologien nach Art der Co.Co.Cò (Scheinselbständigen). Nein zum
Tarifmoratorium oder es gibt einen Generalstreik.
Antonio Sciotto
Die Motoren für die große
Versammlung „Stoppt die Prekarität jetzt!“ am
8.Juli 2006 in Rom laufen heiß. Darüber sprachen wir bereits mit Carlo Podda und Gianni Rinaldini, den
Führern der FP-CGIL und der FIOM. Heute ist Enrico Panini an der Reihe, der
Generalsekretär der FLC-CGIL, d.h. der Föderation der Arbeiter des Wissens: der
Schule, der Universität und der Forschung, die durch 5 Jahre Berlusconi-Moratti-Regierung geschädigt wurden, (was
Einschnitte und Prekarisierungen anbelangt) aber
bereits Geprüfte der vorangegangenen Mitte-Links-Regierung sind. „Es bedarf
einer Diskontinuität. Die neue Regierung muss klare Signale aussenden“, beginnt
Panini. „Es ist nicht möglich, dass wieder die Werktätigen, die Rentner und
die Jugendlichen geben. Jetzt sind diejenigen an der Reihe, die sich in den
letzten Jahren bereichert haben, während Italien dringend das auf dem Gebiet
des Wissens verlorene Terrain zurückgewinnen muss, indem den vielen prekär
Beschäftigten, die ohne Rechte und angemessene Entlohnung arbeiten, eine
sichere Perspektive gegeben wird. Und man soll nicht von Moratorien sprechen,
weil sonst im Herbst ein Generalstreik unabwendbar sein wird.“
Über wie viele prekär
Beschäftigte sprechen wir?
„In den letzten Jahren ist
ein regelrechter Wilder Westen der Prekarität
ausgebrochen, der einen Rückgang der Rechte der Beschäftigten bedeutete, aber
auch eine brutale Aggression gegen einen der essentiellen Dienste: das
Bildungswesen. Man spricht, mangels genauer Zahlen, von ungefähr 300.000
Personen. 20% der Schulpersonals, 50% des
Universitätspersonals, bis zu 80% in den Forschungseinrichtungen (eklatant im
Fall des CNR) und 70% in der beruflichen Bildung. Das Durchschnittsalter der
Neueingestellten in den Schulen liegt bei 39 Jahren, d.h. 5 Jahre höher als
2001, aber volle 14 Jahre höher als in den 80er Jahren. Die Leute, die <erstmals> einen Forschungsauftrag bekommen, sind zwischen 32
und 40 Jahre alt. Die tariflichen Typologien sind äußerst vielfältig:
Ausgegliederte, Co.Co.Co’s
(Scheinselbständige), Auftragsbezogene, Leute mit Stipendium oder einem
Forschungsauftrag, Beraterverträge, Lehraufträge, Doktoranten, ehrenamtlich
Tätige, um nur einige zu nennen. Ich bin der Ansicht, dass dieser ‚Boom’
nicht zufällig in den Jahren von Moratti und
Berlusconi stattgefunden hat, sondern dass er im Gegenteil gewollt war, um den
öffentlichen Charakter des Wissens zu schwächen und dem Privatsektor Raum zu
verschaffen. Eine Logik, die den neuen Generationen die Zukunft raubte, in dem
sie ihre Zeitplanung traf. Normalerweise dauert ein Forschungsprojekt drei,
fünf oder zehn Jahre. Wie schaffst Du es aber das unbeschwert mit einem
6-Monats-Vertrag zu planen? Das gleiche gilt für das Verhältnis von Schülern
und Lehrern: die Lehrerin meines Sohnes fängt im September an und hört im Juni
auf. Er läuft Gefahr im Jahr darauf eine andere zu kriegen.“
Was fordert Ihr also von
der Regierung?
„Wir müssen damit beginnen,
dass wir sofort 150.000 Lehrer und ATA-Beschäftigte <= technisches, Verwaltungs- und
Hilfspersonal> in den Schulen
einstellen und 30.000 Leute in den Universitäten. Die Kosten für den Staat würden
nicht steigen, sondern in einigen Fällen sogar sinken. Das System ist bereit
sie zu absorbieren. Vor allem weil in den kommenden Jahren 400.000 Lehrer in
Rente gehen werden und bis 2010 30% der
Universitätsdozenten. Im Moment gibt es jedoch keinerlei Plan für den Turn over. Bildungsminister Fiorini
hat soeben 23.500 prekär Beschäftigte in den Schulen übernommen. Gut, das war
der letzte Schwung von Leuten, die seine Vorgängerin Letizia
Moratti <Forza Italia> kurz vor den Wahlen angekündigt hatte. Jetzt muss
die neue Regierung jedoch ihre Neueinstellungen planen. Wenn mir die
Rektorenkonferenz sagt, dass im Schuljahr 2002 / 2003 gut 40.000 Lehrer mit
offiziellen Lehrauftragsverträgen oder ergänzenden Aktivitäten beschäftigt
waren, worüber reden wir dann? Das sind alles notwendige Arbeitsplätze, die mit
prekär beschäftigtem Personal besetzt sind. Sowohl Fiorini
als auch der Universitätsminister Mussi <einer der führenden Leute des
linken DS-Flügels> haben Bereitschaft gezeigt, aber das hängt
nicht nur von ihnen ab. Es ist die ganze Regierung, die die Mittel bereit stellen muss. Außerdem hatte die Moratti
in den letzten Haushalten gekürzt. Es sind schon Hunderte von Lehrern für
behinderte Kinder weggefallen. In einigen Fällen liegen wir also unter dem
Personalbestand. Außerdem sagen wir Nein zum Tarifpolitischen Moratorium. Wenn
die Tarifverträge nicht erneuert werden, wird der Generalstreik des
öffentlichen Sektors unabwendbar sein.“
Ihr schlagt die
Abschaffung des Gesetzes Nr. 30 vor, aber die <Mitte-Links->
Union scheint durchaus nicht auf dieser Linie zu liegen.
„Ich glaube, dass es ein Fehler
wäre, das Gesetz Nr. 30 (ebenso wie die Moratti-<Bildungs->Reform und das Bossi-Fini-<Einwanderungs->Gesetz)
nicht abzuschaffen. Weil das alles Gesetze sind, die die Arbeitswelt und die
Dienstleistungen für den Bürger prekarisiert haben.
Wir fordern eine ‚Diskontinuität’, d.h. die Streichung dieser
ungerechten Gesetze und die Verabschiedung von neuen Gesetzen, die die Rechte
in den Mittelpunkt stellen. Die Abschaffung aller zwielichtigen
Beschäftigungsformen, wie den CoCoCo, den CoCoPro und all jenen Arbeitsverträgen, die nichts
anderes sind als verschleierte determinierte Arbeitszeiten. Man muss zu nur
zwei Formen von Arbeit zurückkehren: der befristeten und der unbefristeten
Beschäftigung und ich füge sogar hinzu, dass sofort, d.h. ab den kommenden
Tarifverträgen, alle prekären Typologien im vorliegenden Fall einzig und allein
als befristete Beschäftigung erneuert werden dürfen und ihnen somit volle Entlohnung
und alle Rechte zuteil werden. Diese Dinge sagen wir seit langem in der von der
FLC gestarteten Kampagne ‚Niemals wieder Prekäre!’ Das sind Themen, die
sowohl auf der finanziellen Ebene in Angriff genommen werden müssen (indem die
Mittel bereit gestellt werden) als auch auf der
tarifpolitischen, durch die gewerkschaftliche Demokratie und das
gewerkschaftliche Handeln. Ein Teil unserer Delegierten <d.h. der spezifisch
italienischen Mischung aus Personalräten und Vertrauensleuten> ist nämlich unter den prekär Beschäftigten gewählt
worden. Und schließlich ist das politische und gesetzgeberische Handeln
notwendig. Man muss diese neoliberale Phase des Herangehens an das Wissen und
die Arbeit beenden und mit dem Verfassen neuer Gesetze eine neue Phase
eröffnen.“
In diesem Sinne fordert
Ihr von der Regierung der <Mitte-Links-> Union „Diskontinuität“.
„Ja und am 8.Juli werden wir
uns nicht zufällig zusammen mit den Verbänden, mit den Bewegungen und den
politischen Persönlichkeiten bewegen, sondern weil das Herangehen an die Prekarität nicht nur ein gewerkschaftliches sein kann. Wenn
sie unsere Forderungen aufgreifen, können wir nur sagen: Gut, die Regierung
macht eine bemerkenswerte Politik. Sonst müssen wir eine Mobilisierung starten,
weil die Prekarität nicht in Urlaub geht. Und wir
erinnern daran, dass im Juli das DPEF <Wirtschaftliche und Finanzielle Planungsdokument> verfasst wird. Für den Herbst haben wir eine
Demonstration vorgesehen. Wir wollen Antworten auf diese Probleme bereits mit
dem DPEF und dem Haushaltsgesetz. Wir wollen, dass die Aufmerksamkeit auf die
Werktätigen und die Rentner und auf die Notwendigkeit gelegt wird, den Reichtum
durch eine andere Steuerpolitik umzuverteilen. Ich spreche von einer ‚positiven
Diskriminierung’. Dieses Mal müssen diejenigen bezahlen, die sich bis heute
bereichert haben. Die abhängig Beschäftigten, die Jugendlichen und die Rentner
haben bereits reichlich gegeben.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover + Gewerkschaftsforum Hannover