* Rosso:

 

Beim zwischenzeitlichen Rücktritt der italienischen Mitte-Links-Regierung unter Ex-EU-Kommissions-Präsident Romano Prodi war der „dissidente“ Senator von Rifondazione Comunista (PRC), Franco Turigliatto (60, Angestellter aus Turin), für die Einen der Held und für die Anderen der Buhmann der Woche. Die Parteispitze von Rifondazione und auch ein erheblicher Teil des unteren Funktionärskörpers sowie der (mittlerweile weitgehend inaktiven) Parteibasis sahen „ohne Not“ die schönen Regierungspöstchen und angeblichen „Mitsprachemöglichkeiten“ dahinschwinden. Wen interessiert da schon die (von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnte !) italienische Beteiligung am Kriegs- und Kolonialeinsatz in Afghanistan? Entsprechend wurde der sofortige Parteiausschluss des Parteimitbegründers Turigliatto gefordert und am 1.März 2007 auch vollzogen. Da Franco Turigliatto daneben auch ein Vertreter der zum Großteil mit der offiziellen IV.Internationale verbundenen, parteilinken Strömung „Sinistra Critica“ (Kritische Linke; http://www.sinistracritica.org/) ist, die 6,5% der 95.000 nominellen Parteimitglieder vertritt, wurde auch gleich zur fröhlichen Trotzkistenhatz geblasen. Die Distanzierung vom „Stalinismus“ und dem „real existierenden Sozialismus“ dient offenkundig nur der Abkehr vom Kommunismus (ein Begriff der demnächst zugunsten des Namens „Partei der Europäischen Linken“ auch verschwinden soll!)

 

Doch – bei aller Solidarität – Turigliatto ist bestenfalls ein Held wider Willen. Nicht nur weil er die Prodi-Politik 9 Monate lang mit den üblichen „Bauchschmerzen“ und Verrenkungen voll und ganz mitgetragen hat, sondern auch weil er jetzt zu Prodis Rücktritt glaubhaft versichert: „Das wollte ich nicht!“ Und weil er sofort als Senator seinen Rücktritt einreichte anstatt als Stimme des oppositionellen Teils der radikalen Linken, von Rifondazione und der regierungskritischen Teile der außerparlamentarischen Bewegungen die Parlamentsbühne und das Medieninteresse weiterhin politisch zu nutzen. Eine gute Zusammenfassung der Position Franco Turigliattos nach der zu erwartenden Ablehnung von Prodis Theatercoup durch Staatspräsident Giogio Napoletano (Linksdemokraten – DS) liefert die FIAT-eigene, linksliberale Tageszeitung „La Stampa“ vom 27.2.2007:

 

„TURIGLIATTO: ICH WERDE FÜR DAS VERTRAUEN STIMMEN. Der dissidente Senator Franco Turigliatto überwindet endgültig seine Vorbehalte und lässt wissen, dass er morgen der Exekutive das Vertrauen aussprechen werde. ‚Ich habe’ – erklärt er – ‚den Sturz der Regierung Prodi nie gewollt.’ Er bekräftigt allerdings sein Nein zu Afghanistan (auch wenn in diesem Zusammenhang die Vertrauensfrage gestellt wird) und was Themen wie <die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke> TAV und Renten anbelangt, lässt er wissen: ‚Ich behalte mir vor bezüglich einzelner Maßnahmen ein negatives Urteil zu fällen.’ ‚Ihr habt sehr stark dramatisiert’ – sagt er an die Adresse der Journalisten im Palazzo Madama gerichtet – ‚weil für mich das Problem niemals in der Vertrauensfrage gegenüber der Regierung bestand. Den Sturz der Regierung Prodi habe ich nie gewollt.’ Turigliatto erklärt allerdings, dass sein Vertrauen eines ‚auf Distanz’ sein wird, weil es darum gehe, über das morgige Votum hinauszuschauen, d.h. auf die Probleme Afghanistan, TAV und Renten. ‚Zu diesen Punkten wird es eine gesellschaftliche Mobilisierung geben’ – behauptet der Senator – ‚und in diesen Punkten behalte ich mir ein Urteil über die einzelnen Maßnahmen vor.’“

 

Nachdem er aus dem PRC ausgeschlossen worden war (das oberste Schiedsgericht von Rifondazione fällte diese Entscheidung mit 14 zu 6 Stimmen wegen „schwerer Verletzung der sich aus dem öffentlichen Amt ergebenden Verpflichtung, sich streng an die Ausrichtung der Partei zu halten und wegen des schweren Schadens, den er der Partei verursacht hat“), zeigte er sich „bekümmert“. „Sie haben mich ausgeschlossen. Das tut mir sehr leid. Ich habe diese Partei mit aufgebaut.“ Und: „Mit einem derartigen Vorgehen, dass mit der tief greifenden Rückentwicklung der politischen Linie verbunden ist, läuft die Partei Gefahr das zu zerstören, was sie in diesen Jahren geschaffen hat.“ (Website „La Stampa“ 1.3.2007)

 

Turigliatto selbst wendete sich mit einem Offenen Brief an die Linke, in dem er seine Entscheidung erläutert. Die unabhängige, linke Tageszeitung „il manifesto“ druckte ihn am 25.2.2007 als Artikel ab:

 

Offener Brief:

 

„Ich war zu einer unvermeidlichen Entscheidung gezwungen“

 

Franco Turigliatto

 

Ich habe der Regierung Prodi entsprechend dem Mandat, dass sie auf der Grundlage des Programms der Mitte-Links-Union erhalten hat, das Vertrauen ausgesprochen, dass weder den endlosen Krieg in Afghanistan noch den Ausbau der US-Basis in Vicenza auf das doppelte Ausmaß umfasste.

 

Abgesehen von den sozialen Desastern, die sich aus der fortdauernden Geltung der Gesetze Nr. 30 /2003 <Prekarisierung>, Moratti <Kommerzialisierung der öffentlichen Schulen> und Bossi-Fini <Einwanderung> ergeben, kennzeichnet der Dreifachschlag der Erhöhung der Militärausgaben, <der Verlängerung> des Einsatzes in Kabul bis 2011 und der logistischen Unterstützung des Krieges durch die neue Basis in Vicenza einen tiefen Bruch mit jeder noch so sanften linken und Friedensoption. Auf die Forderungen nach einem Überdenken der Position was die Basis anbelangt, nach der Demonstration vom 17.Februar, wurde geantwortet „Das ziehen wir durch!“ (Prodi) und „Jedes Überdenken wäre ein feindseliger Akt gegenüber den USA.“ (D’Alema). Und <Finanzminister und Ex-EZB-Direktor> Padoa-Schioppa fügte hinzu: „Wir werden den TAV bauen!“ Eine Ohrfeige nach der anderen für die Forderungen der Bewegungen.

 

Deshalb habe ich beschlossen, mich nicht an der Abstimmung zu beteiligen und habe auf diese Weise in voller Übereinstimmung nicht nur mit meinen Vorstellungen, sondern auch mit dem historischen Programm meiner Partei gehandelt. Deshalb würde ich es auch wieder tun.

 

Die Operation von D’Alema, Cossiga, Andreotti und <Großkapitalist> Pininfarina ist strahlend und die neue Exekutive mit <dem übergelaufenen rechts-christdemokratischen Senator> Follini die vorsätzlich gezogene Konsequenz für die „Phase 2“ der Regierung, nachdem in der „Phase 1“ die Linke, die als Siegerin erschien und gleichzeitig als mitverantwortlich für alle Arten von sozialer Unzufriedenheit, in Wirklichkeit sehr wenig erreicht hat. Die Regierung, deren Diskontinuität <zur Regierung Berlusconi> angeblich in der Durchlässigkeit für die Bewegungen bestand, hat die gewerkschaftlichen und Friedenskämpfe mit Blick auf die <anstehende> Attacke gegen die Altersvorsorge und die Kriegsoffensive in Afghanistan präventiv kriminalisiert. Es ist viel zu bequem für die Führer des PRC und Andere mich zum „Sündenbock“ zu machen, um nicht das Scheitern des Projektes einer Beeinflussung der Mitte-Links-Union von Links eingestehen zu müssen. Mit meinem Parteiausschluss wird die Verbreitung der falschen These vom Sturz der Regierung abgeschlossen und das in die politische Mitte zielende Manöver verborgen.

 

Das Klima einer Hexenjagd gegen mich und den gesamten Bereich von Sinistra Critica hat – außer dass es unmodern ist – etwas Groteskes an sich. Ich werde sogar der „Spaltung“ beschuldigt, nachdem ich aus der Parlamentsfraktion verjagt und dazu gezwungen wurde, mich der gemischten Gruppe anzuschließen. Übrigens in Erwartung meines Rücktritts <als Senator>, den ich aus Gründen der politischen Kohärenz vor der Abstimmung angekündigt und sofort danach bestätigt hatte.

 

Die auch von meiner Partei betriebene mediale Lynchaktion akzeptiere ich nicht. Vor allem glaube ich nicht, dass eine Politik wirksam sein kann, die am Samstag gegen den Krieg demonstriert und am Mittwoch darauf auf der Grundlage eines angeblichen Realismus und der „Konkretheit“ für eine Politik der militärischen Intervention stimmt. Viele beschuldigen mich, die gute Seele zu spielen, auch wenn die politische Solidarität und die Zuneigung, die ich erhalten habe, alle meine Erwartungen übertreffen. Wenn man allerdings nicht zur Einheit von Denken und Handeln zurückfindet, ist die Politik dazu verurteilt eine reine Technik der Machtausübung zu sein. Die fehlende Kohärenz zwischen den institutionellen Entscheidungen und dem Verhalten in den Institutionen sowie den propagierten gesellschaftlichen Absichten führt wirklich zur Selbstbezogenheit und zum politischen Autismus. Das ist eine der Ursachen für die Krise der Politik und kann die Demoralisierung und die Zersetzung der Bewegungen, die man schaffen möchte, nur fördern.

 

Diese Inhalte hat Rifondazione viele Jahre lang verteidigt, bis sie dann zum Pragmatismus konvertiert ist. Deshalb bestätige ich, dass ich niemals für die Kriege und auch für keine Gegenreform bei den Renten oder für den TAV stimmen werde. Ich werde die Anliegen, die mich an diesen Ort gebracht haben, nicht verraten. Einen Ort, der nicht „das Zentrum der Politik“ ist (das bleibt für mich der soziale Konflikt, angefangen bei den Arbeiterinnen und Arbeitern) und das vor allem dann nicht, wenn man nicht aufhört – wie es heute der Fall ist – diesem Konflikt gegenüber undurchlässig zu bleiben.

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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