* Rosso:
Die Sprengung eines Parkhauses des
Madrider Flughafens am 30.Dezember 2006 durch ein ETA-Kommando, bei dem zwei
Ecuadorianer ums Leben kamen, weil die spanische Polizei und die ansonsten
nicht zimperliche Guardia Civil trotz dreier präziser Warnanrufe nicht willens oder
in der Lage war das Parkhaus innerhalb einer Stunde vollständig zu räumen, hat
den Konflikt in Euzkadi (Baskenland) wieder in den
Mittelpunkt des politischen Interesses gerückt. Für die Frage, welche
Perspektiven der von der baskischen Linken (ETA, Batasuna,
der Jugendorganisation Jarrei / Haika
/ Segi, der Basisgewerkschaft LAB etc.) angestrebte „demokratische
Prozess“ zur Lösung des Konflikts hat und was für ein Zukunftsszenario er
eröffnet, sind die entsprechenden Erfahrungen in Nordirland seit dem sog. „Karfreitagsabkommen“
vom 10.April 1998 sehr aufschlussreich. Zumal die linke, republikanische
Bewegung im britisch besetzten Norden Irlands während des dortigen „demokratischen
Prozesses“ politisch und militärisch sehr viel stärker war als es die
baskische Linke heute ist.
Die Entwicklung in Irland seit dem „Good
Friday Agreement“ ist allerdings alles andere als
positiv für die Linke. Zwar wurde die vollständige Freilassung der IRA- und INLA-Gefangenen sowie eine deutliche Reduzierung der
britischen Besatzungstruppen erreicht, doch die Bildung einer
All-Parteien-Regierung, d.h. die Regierungsbeteiligung von Sinn Féin (die die rechtssozialdemokratische SDLP längst als
stärkste Partei des irisch-republikanischen Bevölkerungsteils abgelöst hat),
wird durch den rechtsradikalen Loyalistenführer und Presbyterianer-Prediger Ian
Paisley und seine DUP erfolgreich blockiert. Von einer Wiedervereinigung
Irlands ist schon gar nicht mehr die Rede und in der Bildungs- und
Sozialpolitik hat die Sinn Féin-Führung unter Gerry
Adams und Martin McGuiness erhebliche Zugeständnisse an die neoliberale Politik
der Blair-Regierung gemacht. Die Erfolge des Waffenstillstands, der Entwaffnung
und der faktischen Auflösung der IRA sowie der politischen Integration von Sinn
Féin ins System sind also äußerst bescheiden.
Der Unmut darüber ist an der
republikanischen Basis in den letzten Monaten kontinuierlich gewachsen und
kulminiert jetzt an der Frage, ob Sinn Fein nun auch noch die verhasste
loyalistische Polizeitruppe Royal Ulster Constabluary
(RUC) anerkennen und unterstützen soll. Zur Klärung dieser Frage bzw. zur
Niederringung der innerparteilichen Opposition wurde für den 28.Januar 2007 in
Dublin ein außerordentlicher Parteitag anberaumt, auf dem 2.000 SF-Delegierte
über den weiteren Kurs entscheiden sollen. Vieles spricht dafür, dass sich die
Wege des republikanischen Lagers in naher Zukunft trennen werden, da die Linie
der Sinn Féin-Führung immer mehr derjenigen einer
x-beliebigen sozialdemokratischen Partei gleicht, die republikanische Linke allerdings
nach wie vor stark ist.
So wichtig die Einheit grundsätzlich
ist, so sehr ist der Parteilinken im Falle einer Parteitagsniederlage gegen
Adams & Co. zu einer Abspaltung und (zusammen mit der IRSP und der Workers Party, d.h. der ehemaligen Official
Sinn Féin bzw. Official
IRA) zum Aufbau einer neuen, radikalen und kämpferischen sozialistischen Partei
zu raten. Einer Partei, die versucht über ihr wirtschafts- und
sozialpolitisches Programm auch die erreichbaren Teile der protestantischen Working Class
anzuziehen, ohne Zugeständnisse an deren bisherige loyalistische Ideologie zu
machen, und sich darüber im Klaren ist, dass die grundsätzlichen ökonomischen
wie politischen Probleme im Rahmen des Kapitalismus nicht gelöst werden können.
Es ist Zeit für eine Neuzusammensetzung der irischen Linken.
Über die Lage bei Sinn Féin informiert der folgende Bericht der unabhängigen, linken, italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 6.1.2007, verfasst
von der langjährigen London-Korrespondentin des Blattes, Orsola
Casagrande.
INTERNATIONAL:
Sinn Féin über
Nordirlands neue Polizei gespalten
Gerry Adams beruft
die Parteispitzen ein, um eine neue Krise des Friedensprozesses abzuwenden.
Parteitag vielleicht Ende des Monats.
Orsola
Casagrande
Es war nicht schwer
vorherzusehen, dass dies die am schwersten zu überwindende Klippe war. Die
große Familie der irischen Republikaner davon zu überzeugen nicht nur die (wenn
auch reformierte) nordirische Polizei anzuerkennen und zu akzeptieren, sondern
sie auch zu unterstützen und ihr zu helfen. Mit anderen Worten Sinn Féin soll ihre Wähler und
Aktivisten auffordern mit der Polizei und mit dem Justizsystem voll zu
kooperieren und zusammenzuarbeiten. Es ist klar, dass für viele Republikaner
zusammenarbeiten (collaborare) das bedeutet,
was es in der Vergangenheit, während der Jahre des Konfliktes, stets bedeutet
hat, d.h. Informanten zu werden und die eigenen Aktivisten an die von
Großbritannien geführten und fast ausschließlich aus Unionisten bestehenden
Sicherheitskräfte zu verkaufen.
Vergangene Woche schloss der
Führer der republikanischen Partei, Gerry Adams, eine Veranstaltungstour
ab, die zu den heikelsten und komplexesten seiner politischen Karriere zählte.
Die Spannung war verständlicherweise auf dem Höhepunkt und die Emotionen
ebenfalls. Weil dies mehr eine Frage des ‚Bauches’ als eine politische Frage
ist. In allen Countys gab es sehr lebhafte
Diskussionen. Es gab die Kritik derjenigen, die unter der Polizei (der
berüchtigten Royal Ulster Constabulary – RUC)
gelitten haben, die für Hunderte von Toten, tausende von Verhaftungen,
Folterungen und Verfolgungen verantwortlich ist. Am Ende dieses Monats der
Leidenschaften forderte Adams vom Zentralkomitee der Partei die Zustimmung zu
einem Antrag, der einem außerordentlichem Parteitag unterbreitet wird, welcher
bis Ende Januar stattfinden soll, jetzt aber ein bisschen weit weg erscheint,
und erhielt sie auch. Der Antrag verpflichtet die Partei faktisch dazu die
Polizei zu unterstützen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Zwei Drittel des
Zentralkomitees von Sinn Féin stimmten ihm zu – viele
indem sie sich dabei ‚die Nase zuhielten’, andere mit ‚Bauchschmerzen’.
Für ein Drittel der Mitglieder des wichtigsten Gremiums der Partei waren Adams Beruhigungen
jedoch nicht ausreichend. Und einige Tage nach der Entscheidung des
Zentralkomitees als sich die Einberufung des Parteitages als Drohung
abzeichnete, begannen wichtige Exponenten der republikanischen Bewegung dann
auch damit öffentliche Stellungnahmen herauszugeben. Es wurde deutlich, dass sich
die Wogen nicht so geglättet haben wie es die Parteiführung dargestellt hatte.
Die Turbulenzen innerhalb
der republikanischen Familie überzeugten sogar den englischen Premierminister
Tony Blair davon ein paar Tage seines Florida-Urlaubs zu streichen. Einmal zu Hause
angekommen, forderte Blair Sinn Féin auf in der Frage
der Polizei aktiv zu werden, weil „das der Punkt ist“ wie Blair erklärte
– „an dem die republikanische Partei Konkretheit demonstrieren
muss. Nur wenn es dieses ausdrückliche Engagement / diese explizite
Verpflichtung gibt, wird es die Devolution <Abtretung der regionalen
Regierungsgewalt an das Belfaster Stormont-Parlament> geben.“
Die Anerkennung der Polizei
von republikanischer Seite ist einer der Punkte, die im letzten zwischen den am
nordirischen Friedensprozess beteiligten Parteien erreichten Abkommen enthalten
sind. Der andere entscheidende (und für die Unionisten von Ian Paisley schwer
verdauliche) Punkt betrifft die Teilung der Macht. Nachdem diese beiden Punkte akzeptiert
sind, werden (am 7.März) die Neuwahlen zur Nordirland-Versammlung und damit die
Bildung der Regierung (bis zum 26.März) stattfinden. Die neue republikanische
Krise führt in gewissem Maße zu einem Neumischen der Karten. (Aber auch die
Unionisten der DUP müssen noch ihre Position zur Teilung der Macht klären.)
Nach dem Rücktritt einiger
führender Vertreter der Partei wurde gestern auch der Brief zweier sehr
beliebter und geschätzter, ehemaliger republikanischer Aktivisten
veröffentlicht: Joe Hill (einer der Gründer der Bewegung) und Brendan
Hughes (The Dark,
der Dunkle / Finstere). Insbesondere Hill genießt unter den
Republikanern große Wertschätzung, obwohl er sich im Laufe der Jahre zunehmend
von Sinn Féin entfernt hat (und der Ansicht ist, dass
sie auf große Teile ihrer linken Identität verzichtet habe). Hughes war
der Leader des ersten Hungerstreiks im Gefängnis. In dem Brief schreiben
die beiden, dass sie „gefährliche Drohungen erhalten haben, aber diese
Drohungen kommen von Sinn Féin und nicht von
denjenigen, die unsere traditionellen politischen Gegner sind“. Adams
hat für Dienstag eine Sitzung der Parteiführung einberufen, um zu entscheiden,
wie man dafür sorgen kann, dass die Partei auch diese Kröte schluckt. Für den
Frieden.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
* Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de