* Rosso:
Vom 10. bis 12.November 2006 fand in
Rostock die zweite Aktionskonferenz zur Vorbereitung der Proteste / des
Widerstandes gegen den G8-Gipfel Anfang Juni 2007 in Heiligendamm statt. Eigentlich
sollte es sich dabei um eine Art „Generalversammlung“ der Gegner des G8-Meetings handeln, auf dem die
entscheidenden Beschlüsse der „Bewegung“ gefällt werden. Dem war allerdings –
wiederum – nicht so, wie der folgende, sehr gute Bericht von in Rostock
anwesenden Genossen der (linkstrotzkistischen) Gruppe Arbeitermacht (www.arbeitermacht.de) zeigt, die von Beginn
an auch im „Anti-G8-Bündnisses für
eine revolutionären Perspektive“ aktiv sind, d.h. in der revolutionären Strömung der Protestbewegung, der bis zu ihrer
Auflösung Ende Oktober 2006 auch die Antifa-AG der Uni
Hannover angehörte. Der Bericht gibt darüber hinaus auch einen guten Überblick
über die Positionen der wichtigsten politischen Kräfte des Anti-G8-Spektrums
und macht Vorschläge für die Politik derjenigen, denen ein hübsch „choreografiertes“
Protestballett zur Unterstützung neosozialdemokratischer Politik nicht
ausreicht.
Entnommen ist er dem „Red
Newsletter“ Nr. 241 vom 14.11.2006.
Anti-G8-Aktionskonferenz in Deutschland:
Entschieden wird im
„kleinen Kreis“
Bericht
von „Arbeitermacht“, deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale
Nach einer
anti-rassistischen Demonstration gegen das Lagersystem, Abschiebungen und die
verschärfte politische und soziale Repression von MigrantInnen,
begann die Tagung mit einer „allgemeinen
Aussprache“
Während sich diese
am Freitag vor allem auf Ziele, Absichten und „ganz persönliche Wünsche“ konzentrieren sollte, war am
Samstagvormittag die „Choreografie der
Proteste“, also der zeitliche Ablauf, Gegenstand der Plenardebatte.
Wie so oft bei
diesem „Format“ wurde eine Reihe
Beiträge vorgestellt. Aber sie blieben „nebeneinander“
stehen, ohne in eine inhaltliche politische Diskussion zu münden. Vor allem
aber dienten sie nicht dazu, eine politische Entscheidung der Konferenz
vorzubreiten und die strategischen und taktischen Fragen und Differenzen dabei
sichtbar zu machen.
Die gesamte
Diskussion, ja die „Choreographie“
der Aktionskonferenz war von Beginn an so angelegt, dass am Ende die schon im
Voraus geplante politische und zeitliche Choreographie dabei heraus kam.
Nach einer „Aussprache“ gab es eine Reihe von
Arbeitsgruppen zur Planung und zur „Vernetzung“,
an deren Ende ebenso viele Mailinglisten wie AGs standen, rund 20 Kurzberichte
für das Plenum am Samstagabend und eine kurze Aussprache zu strittigen Punkten.
Zweifellos haben
einige Arbeitsgruppen für die TeilnehmerInnen neue
Informationen und neue Kontakte gebracht. Sicher haben sie auch ein besseres
Bild über den Stand der Mobilisierung ergeben.
Auch wo
Arbeitsgruppen, wie z.B. jene zu „Krieg
und Frieden“, eine radikalere inhaltliche Ausrichtung diskutierten und
forderten - dass z.B. der Kampf gegen imperialistischen Krieg und Besatzung
eine zentrale Rolle in der ganzen Gegenmobilisierung spielen müsse -, blieb
diese Auseinandersetzung nur Teil der Arbeitsgruppen und wurde nicht im Plenum
weitergeführt.
Auch wo - wie z.B.
im Netzwerk zur „Internationalen
Mobilisierung“ - eine Diskussion über die inhaltliche Ausrichtung der
Mobilisierung eingefordert wurde, blieb das weitgehend folgenlos: obwohl es in
der Diskussion von mehreren Leuten aufgegriffen wurde. So forderten VertreterInnen des „Anti-G8-Bündnisses
für eine revolutionären Perspektive“ und von Arbeitermacht, dass sich die internationale Mobilisierung klar
gegen imperialistische Kriege und Besatzung, gegen den Generalangriff des
Kapitals in Europa und international, gegen Rassismus und für die Solidarität
mit dem Widerstand der ArbeiterInnen und
Unterdrückten aussprechen und das auch inhaltlich ins Zentrum der Aktionen zum
Gipfel gestellt werden müsse. Andere, wie der Vertreter der französischen LCR, griffen das auf und ergänzten es
um eigene Vorschläge (Frage der EU-Verfassung, der Gewerkschaften). Auch der
Vorschlag, um diese Punkte einen internationalen Aufruf für eine Kampagne zu
entwickeln, wurde „zur Kenntnis“ genommen,
um dann im allgemeinen Wust der Diskussion technischer und organisatorischer
Fragen unterzugehen.
Zu einer
politischen Debatte darüber, ob die Konferenz insgesamt oder mehrheitlich eine
bestimmte inhaltliche Ausrichtung der Kampagne oder Aktionsvorstellungen teilt
und eine dementsprechende Ausrichtung beschließt, kam es nicht!
Im Gegenteil: das
wurde bewusst verhindert. Die Aktionskonferenz war ganz offenbar nicht dafür
vorgesehen, Entscheidungen zu fällen, sondern dazu, die schon von der „offenen“ Vorbereitungsgruppe
getroffenen am Ende abzusegnen und „Anregungen“
aus den Arbeitsgruppen „mitzunehmen“
Deutlich wurde das
im Plenum am Samstag bei der Frage des „Gegengipfels“.
Schon in der Arbeitsgruppe war klar geworden, dass attac und andere NGOs sowie die
Gewerkschaftsbürokratie einen Gegengipfel zum politischen Lobbying
haben wollen und von diesem Konzept auf keinen Fall abrücken wollten.
So bestand attac-Chef Peter
Wahl darauf, dass der Gegengipfel unbedingt am Mittwochvormittag, also zur
Zeit der zentralen Blockadeaktionen stattfinden müsse. Außerdem stellte er in
der Arbeitsgruppe auf der Konferenz klar, dass sich die „Vorbereitungsgruppe zum Gegengipfel“ an Entscheidungen der
Konferenz nicht halten werde, dass man Organisationen wie der IG Metall, die 2,5 Millionen Mitglieder
repräsentiert, ja eine demokratische Beschlussfassung von 400 Leuten nicht „zumuten“ könne. Lassen wir einmal
beiseite, wer von den 2,5 Millionen konsultiert wurde, so ignorierte Wahl auch
ganz eindeutig, dass die erste Aktionskonferenz der Arbeitsgruppe die Vorgabe
gab, den Gegengipfel nicht parallel zu den Aktionen gegen den G-8-Gipfel zu
planen.
Im Plenum wurde
diese Ignoranz und die Planung der NGOs noch einmal
scharf kritisiert und eine Beschlussfassung eingefordert. Hier zeigte nun attac mit Pedram Shahyar und Sabine
Leidig das „Bewegungsgesicht“ -
um zu erklären, dass ein Gegengipfel am Mittwoch „natürlich“ überhaupt keine Alternative zu den Blockaden sei und
die Teilnahme an einem Gipfel schließlich auch eine „Aktionsform“ sei, die man nicht gegen direkte Aktionen ausspielen
dürfe.
Bei dieser Debatte
zeigte sich auch beispielhaft, welche Rolle die „radikale Linke“ aus der „Interventionistischen Linken“ (IL) oder ein großer Teil
des „Dissent“-Spektrums
politisch spielen. Moderiert wurde die Sache von einem Vertreter von „NoLager“,
die als Mittler in der „offenen
Vorbereitung“, in der IL und in Dissent vertreten
ist.
Obwohl es eine
lange Debatte in der Arbeitsgruppe und im Plenum gab, entschied die Moderation,
ohne überhaupt eine Diskussion über den eigenen Vorschlag zuzulassen, dass die
Frage noch einmal in der Arbeitsgruppe mit der „Suche nach einem Kompromiss“ in die Arbeitsgruppe zurückgehen
solle, gewissermaßen in den Vermittlungsausschuss.
Ein Genosse des „Anti-G8-Bündnisses für eine revolutionäre
Perspektive“ und vom „Gegeninformationsbüro“
durfte diese Machenschaften immerhin noch als das darstellen, was ist: eine
Verzögerungstaktik. Im Plenum hatte sich eine Mehrheit dafür abgezeichnet, dass
der Gipfel nicht am Mittwochvormittag und nicht am frühen Nachmittag
stattfinden und stattdessen am Sonntag beginnen solle. Einige RednerInnen hatten sich dafür ausgesprochen, dass er
überhaupt nicht während des Gipfels, sondern davor stattfinden solle.
Statt jedoch diese
einfachen Vorschläge zur Abstimmung zu bringen, endete alles wie das Hornberger
Schießen. Die attac- und NGO-gesteuerte
Arbeitsgruppe nimmt die Vorschläge unter freudiger Mithilfe von PDS und Gewerkschaftsführungen „zur
Kenntnis“ - und dann zieht die Lobbyisten-Karawane weiter. Der „Kompromiss“ sieht so aus, dass am
Sonntag eine „große Auftaktveranstaltung“
stattfinden soll, der Gegengipfel auch am Mittwochvormittag stattfindet und
dass sich einige Prominente auch zu den Blockaden begeben würden, um dort ihre
Reden zu halten.
Natürlich hätte
eine Abstimmung die Manöver von attac und Co.
keineswegs „endgültig“ beseitigt,
aber es hätte dazu wenigstens den Beschluss einer Konferenz mit 400 AktivistInnen und VertreterInnen
verschiedenster Bündnisse und Organisationen, die gegen die G8 mobilisieren,
gegeben. Attac und die anderen NGOs
hätten sich dann überlegen müssen, ob sie einen solchen Beschluss offen mit
Füßen treten wollen.
So kam es aber
nicht. Die „radikale Linke“ hat sich durch ihre eigene Weigerung, einen
Beschluss zu dieser Frage durchzufechten und der Mehrheit zu ihrem Recht zu
verhelfen, zum Hampelmann von attac, PDS und anderen
Reformisten gemacht. Das ist leider kein Einzelfall, sondern fast ein
Markenzeichen zahlreicher „Linker“
geworden. Dahinter steht u.a. auch die illusorische
Vorstellung, durch ewige Zugeständnisse die Reformisten und die NGOs ihrerseits zu „Zugeständnissen“
zu bewegen. Insofern gab die Konferenz von Rostock einen trüben, aber offenen
Einblick in die aktuelle politische Physiognomie der Anti-G8-Proteste.
a.) Die „offene Vorbereitung“ und Koordinierung
ist alles andere als „offen“. Sie
wird von einem Block dominiert, der
vom politischen und gewerkschaftlichen Reformismus (PDS, linke
Gewerkschaftsbürokratie), über die Kirchen und NGOs
bis attac reicht. Zentral sind hier natürlich die PDS
und die Gewerkschaftsbürokratie und sowie die Kirchen und einige NGOs als „Teile der
Zivilgesellschaft“. Die Bedeutung von attac liegt darin, dass es die
Fassade der „Bewegungsorganisation“
spielen kann, auch in der Interventionistischen
Linken (IL) u.ä. mitmacht, keine Partei oder
Gewerkschaft ist und damit mit biederem Reformismus auch noch als „links“, „kritisch“ und „offen“
daherkommt. Attac bietet darüber hinaus den „Vorteil“, dass es den verschiedenen
reformistischen und bürgerlichen Gruppierungen als Plattform dient, um
unterschiedliche Positionen auszuhandeln und Kompromisse zu finden.
b.) Diesem Block angelagert ist die Interventionistische Linke, die selbst keine eigene
inhaltliche Ausrichtung einbringt, kein eigenes politisches Profil gegenüber
dem führenden Block vertritt und im Austausch dafür Teilbereiche „mit“kontrollieren darf (Blockaden,
Aktionstag gegen Migration). Eine ähnliche Rolle spielen Linksruck und die Internationale
Sozialistische Linke (isl) <d.h.
die rechte Fraktion der „offiziellen“ 4.Internationale in der BRD und
Herausgeberin der „Sozialistischen
Zeitung“>.
c.) Dissent spielt
überhaupt keine eigenständige Rolle. Ein Teil des Spektrums ist in der IL und
macht dieselbe Politik wie diese. Andere (auch einzelne Mitglieder der IL)
wollen der Dominanz von attac und den Reformisten
zwar etwas entgegensetzen, weigern sich aber, politische Beschlüsse herbeizuführen.
Hier wird das unsägliche Konsensprinzip in diesem Spektrum zu einer direkten
politischen Waffe der Reformisten, die einmütig mit den Kräften aus dem Dissent-Spektrum jede Abstimmung, jede
Mehrheitsentscheidung mit dem zynischen Verweis auf „die undemokratische Dominanz“ der Mehrheit blockieren. So wird
sichergestellt, dass erst gar keine „falschen
Beschlüsse“ gefällt werden, die der ohnehin schon bekannten Ausrichtung
durch attac, PDS, NGOs etc.
im Wege stehen könnten.
d.) Mit dieser politischen Mechanik verknüpft ist
freilich auch eine gemeinsame neo-reformistische Ideologie, die von attac, NGOs, VertreterInnen der PDS
wie Katja Kipping bis hin zu Gruppen wie „NoLager“
vertreten wird. Im Kampf um „globale
soziale Rechte“ (globales Mindesteinkommen, globale Bewegungsfreiheit)
sehen sie das eigentliche politische Ziel der Bewegung und auch den Weg für die
Gewerkschaften, aus ihrer Sackgasse der Standortkonkurrenz zu kommen. Ziel sei
es, die Anti-G8-Kampagne zur Schaffung eines „historischen Blocks“ (Kipping)
oder eines „zivilisatorischen Projekts“
(Wahl) um diese Forderungen zu nutzen - eines Blocks, der der
kapitalistischen Globalisierung und imperialistischen Barbarei nicht den
Befreiungskampf, den Widerstand, die sozialistische Revolution, sondern einen
neuen Reformweg, die Bändigung des Bestehenden mittels „globaler Rechte“ entgegenstellt.
e.) Die Rostocker Aktionskonferenz brachte eine
politische Konstellation zum Ausdruck, wie sie in der BRD - und in modifizierter
Form - auch international, bei Aktionskonferenzen, in den sozialen Bewegungen,
beim Sozialforum zu beobachten ist.
f.) Für die klassenkämpferischen,
anti-imperialistischen, anti-kapitalistischen und internationalistischen Kräfte
ist es notwendig, diesem Block organisiert entgegenzutreten, um ihn politisch
zu bekämpfen und seine Einheit aufzubrechen. Natürlich schließt das auch die
Einheit in der Aktion mit Gewerkschaften, attac etc.
ein, wo es möglich ist, sich auf gemeinsame Ziele und Aktionen zu verständigen.
Ja, es ist notwendig, diese gemeinsame Mobilisierung gegen Kapitalisten und
Regierungen einzufordern. Doch es geht auch darum, selbst politisch
mobilisierungsfähig zu sein.
g.) Ein wichtiger, zentraler Schritt dafür ist es,
dass jene Kräfte, die sich im „Anti-Imperialistischen
Netzwerk“ des Europäischen Sozialforums zusammengefunden haben sowie jene,
die in Deutschland im Rahmen des „Anti-G8-Bündnisses
für eine revolutionäre Perspektive“ oder in anderen anti-imperialistischen
Bündnissen mobilisieren, eine gemeinsame Kampagne zur Aktion gegen den Gipfel
durchführen. Ziel soll es sein, einen gemeinsamen internationalistischen,
anti-imperialistischen und anti-kapitalistischen Block auf der Großdemo, einen
eigenen Raum im Rahmen des Camps sowie eigenständige Teile des Gegengipfels zu
organisieren.
Vorbemerkung,
Hervorhebungen und Einfügung in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de