* Rosso:

 

Strategia tensione (Strategie der Spannung) lautete der Fachbegriff für die von Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre von neofaschistischen Terrorgruppen in Zusammenarbeit mit „verirrten Teilen der italienischen Geheimdienste“ und der CIA (Stichwort: GLADIO !) betriebene Versuch durch Attentate und Bombenanschläge auf linke Aktivisten oder ganz generell auf Menschenansammlungen die Bevölkerung einzuschüchtern, zu demoralisieren, Panik zu verbreiten und für den Ruf nach einem starken Staat und nach einer Machtergreifung rechtsradikaler, antikommunistischer Kräfte zu provozieren bzw. zu verstärken. Unwillkürlich fühlt man sich durch die Anschläge und die gezielt geschürten Spannungen im Libanon in den letzten Monaten bzw. den letzten zwei Jahren daran erinnert. Wobei hierzulande immer wieder Syrien und die pro-syrischen Kräfte dafür verantwortlich gemacht werden.

 

Spätestens seit der Ermordung des rechten, christlich-maronitischen Industrieministers Pierre Gemayel am 21.November 2006 stellen sich allerdings auch manche pro-westlichen Beobachter die Frage, ob dem wirklich so ist. Zumal die pro-syrische, antiimperialistische und anti-neoliberale Front aus Hisbollah, Amal, der christlich-laizistischen FPM von Michel Aoun, der libanesischen KP, den linken, nasseristischen Sunniten in Sidon, linken Drusen etc. laut Umfragen 58% der Libanesen repräsentiert, also wenig Interesse an einer solchen Terrorstrategie haben kann. Der in der jordanischen Hauptstadt Amman ansässige, bekannte „Senior Analyst“ der dem EU-Imperialismus nahe stehenden und vom ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Ahtisaari geleiteten, mitte-linken Denkfabrik International Crisis Group (http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm), Mouin Rabbani, machte sich in einem Interview für die unabhängige, linke, italienische Tageszeitung „il manifesto vom 14.2.2007 einige Gedanken zu diesem Thema. Anlass war der Bombenanschlag auf zwei Minibusse in der Nähe von Bikfaya, im vor allem von Christen bewohnten Gebiet nord-östlich von Beirut am Vortag, bei dem drei Zivilisten getötet und 20 verletzt wurden.

 

Interview:

 

„Syrien, USA, Israel: Die Eskalation dient vielen“

 

Wer steckt hinter dem Anschlag? Interview mit dem Analysten der International Crisis Group, Mouin Rabbani.

 

Michele Giorgio

 

Ein Anschlag, um den Libanon ins vollständige Chaos zu stürzen, in einen neuen Bürgerkrieg, aber auch, um erneut jenes Klima ständiger Beschuldigungen gegen das Syrien Bashar Assads zu schaffen, das sich in die innerlibanesischen Angelegenheiten einmische. „Es ist klar, dass man die Möglichkeit in Betracht ziehen muss, dass Syrien irgendeine Verantwortung für diesen Anschlag hat. Ich fordere allerdings dazu auf, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und absehbare Urteile zu fällen, die nur den Interessen bestimmter internationaler Parteien dienen“, sagt der Analyst der International Crisis Group, Mouin Rabbani, den wir gestern einige Stunden nach den Explosionen, interviewten, die die beiden Minibusse in der Nähe von Bikfaya vollkommen zerstörten.

 

Worauf beziehen Sie sich, wenn Sie von „internationalen Parteien“ sprechen?

 

„Wie ich sagte, befinden wir uns noch in einer Anfangsphase, die es uns nicht erlaubt voreilige Urteile zu fällen und gerade deshalb darf man nicht nur mit dem Finger auf Damaskus zeigen, wie es die regierungsfreundlichen libanesischen Kräfte oder die Vereinigten Staaten gewöhnlich tun. Man muss sich stattdessen fragen, wem diese Eskalation der Gewalt in den Kram passt. Sicher kann man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Syrer ein Interesse daran haben, Chaos zu provozieren, um den Beginn des internationalen Prozesses gegen die mutmaßlichen Organisatoren des Attentats auf <den sunnitischen pro-amerikanischen und pro-saudischen Milliardär und Ex-Ministerpräsidenten> Rafik Hariri (am 14.Februar 2005) zu verhindern. Es stimmt allerdings auch, dass jedes Mal, wenn im Libanon die Gewalt explodiert, alle Syrien attackieren und es in die Ecke stellen. Es ist daher erlaubt sich zu fragen, warum Damaskus auf diese Weise intervenieren sollte, wenn es dann gerade das Assad-Regime ist, das die hohen politischen und diplomatischen Kosten dafür bezahlt. Die Wahrheit ist, dass sich viel zu viele Seiten, auch ausländische (wie Israel und die Vereinigten Staaten) in die inneren Angelegenheiten des Libanon einmischen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen. Man darf den Ausgang des Konfliktes vom vergangenen Jahr im Südlibanon nicht unterschätzen, der für Israel ein Reinfall war. Der Regierung von Ehud Olmert, die arg mitgenommen daraus hervorging, ist es vor allem nicht gelungen die Entwaffnung der Hisbollah zu erreichen. Es ist kein Geheimnis, dass Washington und Tel Aviv sich von der Regierung Fouad Sinora und vom UNIFIL-Kontingent der Vereinten Nationen die Anwendung von Gewalt gegen die Hisbollah erwarten, die eine Verbündete Syriens und des Irans ist. Und auch dies ist ein Faktor, der sehr sorgfältig zu berücksichtigen ist, wenn von der Destabilisierung des Libanon gesprochen wird.“

 

Unmittelbar nach dem Anschlag, der ein christliches Gebiet aufs Korn nahm, stellte jemand Hypothesen über eine Beteiligung islamischer Extremisten an, d.h. von salafitischen Gruppen, die mit Al Qaeda verbunden sind, und hob dabei hervor, dass sich die Hochburg dieser Gruppierungen im palästinensischen Flüchtlingslager Ein Al-Hilwe befindet. Was meinen Sie dazu?

 

„Ich tendiere dazu diese Möglichkeit auszuschließen, weil mir das Ziel des Anschlags enger mit den innerlibanesischen Angelegenheiten verknüpft zu sein scheint als mit dem, was allgemein der ‚globale Dschihad genannt wird. Was mir jedoch Sorgen macht, ist dieses erneute Ins-Rampenlicht-Rücken der palästinensischen Flüchtlinge, die, wie wir wissen, in der Vergangenheit (vor allem in Form von Menschenleben) allein aufgrund der Tatsache, dass sie nach der Vertreibung aus Israel in den Libanon geflüchtet sind, einen sehr hohen Preis bezahlt haben. Ich möchte nicht, dass irgendjemand im Libanon versucht das Geschehene zu benutzen, um neue Anschuldigungen gegen die Palästinenser zu lancieren und um wieder ein Hexenjagdklima zu schaffen, indem er im Flüchtlingslager von Ein-Al-Hilwe die Hochburg des bewaffneten Fundamentalismus ausmacht, die um jeden Preis geschliffen werden müsse. Im Übrigen befinden sich die Hochburgen dieser salafitischen Gruppen sicher nicht nur in Ein Al-Hilwe, sondern auch in Tripolis und in anderen Ballungszentren des Nordlibanon. Die Instrumentalisierungen bilden in diesem Klima eine der größten Gefahren und ich wünsche mir, dass es nicht die Palästinenser sind, die die Rechnung dafür bezahlen müssen. Wobei die Palästinenser heute in den libanesischen Angelegenheiten ein politisches Gewicht besitzen, das quasi gegen Null tendiert.“ 

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch  oder  gewerkschaftsforum-H@web.de