* Rosso:
Der sehr professionell und mit einem
erheblichen Maß an Insiderwissen begangene Mord am pro-imperialistischen
libanesischen Industrieminister Pierre Gemayel von der rechtsradikalen Falange
am 21.November hat den Libanon innenpolitisch auf das Heftigste erschüttert und
sofort zu einer erneuten Intensivierung der Attacken von EU und USA
insbesondere auf Syrien geführt. Die ehemalige Tageszeitung der 1990
aufgelösten italienischen KP, “l‘Unità”,
die heute den Linksdemokraten (DS = die PCI-Nachfolgepartei)
gehört und grundsätzlich pro-zionistisch ausgerichtet ist, veröffentlichte dazu
und zur Situation des im wesentlichen aus EU-Truppen bestehenden
UNIFIL-Kontingents im Südlibanon am 26.11.2006 ein Interview mit
dem Fraktionsvorsitzenden der Hisbollah im libanesischen Parlament, Mohammed Raad.
Mohammed Raad: “Keine Drohung der
Hisbollah gegen die UNIFIL”
“Unsere Verurteilung des
Mordes an Pierre Gemayel ist eindeutig und total. Genauso wie die Tatsache,
dass wir damit nicht das Geringste zu tun haben. Niemand darf diesen Tod
allerdings dazu benutzen, um zu versuchen die Hälfte des Libanon auszugrenzen.
Aus Verantwortungsbewusstsein und um nicht in Provokationen hineinzugeraten,
haben wir die seit Tagen auf dem Programm stehenden Demonstrationen verschoben.
Aber damit das klar ist: Die Hisbollah fürchtet die Herausforderung auf der
Straße nicht. Und das werden wir in den kommenden Tagen unter Beweis stellen.” Der das sagt ist der Fraktionsvorsitzende der
Hisbollah im libanesischen Parlament, Mohammed Raad,
einer der wichtigsten politischen Leader der Partei Gottes. Was die Gefahren
eines neuen Bürgerkrieges anbelangt, ist der Hisbollah-Funkionär
deutlich: “Wir werden ihn nicht anzetteln, aber ganz sicher werden wir
Provokationen nicht hinnehmen. Wir haben nicht gegen die israelischen Streitkräfte
gekämpft, um aus dem Libanon eine amerikanische Kolonie zu machen.”
Kann die Ermordung Pierre Gemayels eine bewaffnete Abrechnung im Libanon auslösen?
“Die Hisbollah will das
nicht. Die Ermordung Gemayels findet statt nachdem wir einen Regierungswechsel
gefordert haben. Unsere Minister und diejenigen der Amal
hatten ihren Rücktritt eingereicht und wir waren bereit imponierende
Massendemonstrationen zur Unterstützung einer Wende an der Spitze des Libanon
zu organisieren. Das alles in aller Öffentlichkeit. Derjenige, der die
Ermordung Gemayels befahl, hatte die Absicht diese Einheit des Volkes, die in
den Tagen des Krieges rund um den nationalen Widerstand entstanden ist, zu
zerbrechen.”
Es gibt Leute, die behaupten, dass der Mord an dem christlich-maronitischen Führer die Antwort auf die Bildung des internationalen UNO-Tribunals über die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri ist. Warum ist die Hisbollah gegen dieses Tribunal?
“Weil es, so wie es ist, die
Souveränität des Libanon verletzt, weil es auf einer vorgefertigten Theorie
entsteht und weil es eine Reaktion auf einen politischen Input ist, der mit der
Suche nach der Wahrheit nichts zu tun hat.”
Die Hisbollah hat die Straßendemonstrationen infolge des Mordes an Pierre Gemayel ausgesetzt. Seid Ihr in der Defensive?
“Ganz im Gegenteil. Und das
werden wir sehr bald unter Beweis stellen. Wir haben die vorgesehenen
Demonstrationen ausgesetzt, um nicht in Provokationen hineinzugeraten. Aber
damit das klar ist: Die Hisbollah fürchtet die Straße nicht. Niemand soll
meinen, er könne die Hälfte des Libanon kriminalisieren oder in einen Käfig
sperren. In den kommenden Tagen werden wir unsere Massenverankerung
demonstrieren. Wir werden den Platz der Märtyrer füllen, um eine neue Regierung
oder vorgezogene Neuwahlen zu fordern.”
Wie reagiert die Hisbollah auf die von Ministerpräsident Fuad Siniora lancierten Appelle zur Einheit?
“Man kann nicht Appelle zur
Einheit lancieren und gleichzeitig eine totale Abschottung gegen die Forderungen
der Opposition demonstrieren. Wir sind nicht bereit, Diktate hinzunehmen. Was
das Internationale Tribunal anbelangt wird jede unserer Überlegungen als
vorgeschoben abgetan. Die Mauer-gegen-Mauer-Haltung
ist eine gravierende und unverantwortliche Entscheidung, die wenig mit der
Unabhängigkeit des Libanon zu tun hat und sehr viel mit den amerikanischen
Interessen im Mittleren Osten.”
Um die Wahrheit zu sagen, sind in Europa viele der Ansicht, dass es die Hisbollah ist, die von Teheran und Damaskus aus gesteuert wird.
“Die Hisbollah ist
integraler Bestandteil der libanesischen Gesellschaft, genauso wie es die Hamas
in der palästinensischen Gesellschaft ist. Die Unterstützung für uns rührt von
unserer sozialen Aktion her, vom Widerstand gegen die israelische Besatzung und
daher, dass wir einen grundlegenden Teil der libanesischen Gesellschaft
repräsentieren. Sicher, wir unterhalten Beziehungen zu Syrien und dem Iran, so
wie zu all jenen arabischen und islamischen Ländern, die nicht die Hisbollah,
sondern den Widerstand gegen den zionistischen Feind unterstützt haben. Wir
bekennen uns zu diesen Beziehungen. Aber die Hisbollah nimmt von niemandem
Befehle entgegen. Wir sind eine libanesische Kraft.”
Eine Radikalisierung der innerlibanesischen Auseinandersetzung bringt auch die UNIFIL-Mission in Gefahr. Muss sich Italien Sorgen über das Schicksal seiner Blauhelme machen?
“Die UNIFIL-Mission ist auch
mit der Unterstützung der Hisbollah zustande gekommen, weil diese Mission nicht
als einem Teil des libanesischen Volkes und dem Widerstand gegen Israel
gegenüber feindlich angesehen wurde. Wir haben es nicht mit Besatzungstruppen
zu tun. Wenn das so bleibt, haben die Blauhelme von der Hisbollah nichts zu
befürchten. Allenfalls könnte es Andere geben, die Provokationen starten.”
Bleibt die Tatsache, dass Italien beabsichtigt die Regierung Siniora mit Nachdruck zu unterstützen.
“Italien unterstützt die
Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit in Palästina. Das ist eine weise
Entscheidung. Ich hoffe, dass sich dieselbe Weisheit im Libanon äußern kann.
Eine Regierung der Nationalen Einheit ist der wahre Damm gegen jeden Versuch
der Destabilisierung.”
Vorbemerkung
und Übersetzung aus dem Italienischen: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de