* Rosso:

 

Einen Monat nach seinem letzten Kommentar zur Lage in Palästina geht Zvi Schuldiner in der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto vom 21.3.2007 auf die neuesten Entwicklungen ein. Sein Urteil über die von Ehud Olmert und Amir Peretz geführte israelische Große Koalition fällt dabei noch vernichtender aus als zuvor. Zvi Schuldiner ist Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem und ein prominenter Aktivist der Friedensbewegung sowie der israelischen Linken. Er schreibt regelmäßig in “il manifesto und der linksalternativen Schweizer WoZ und kann als linker Sozialdemokrat betrachtet werden, wie auch seine Begeisterung für „Historische Kompromisse“ nach Art der italienischen KP in den 70er Jahren zeigt. Wie sich einige Leser(innen) erinnern werden, bereitete der „Historische Kompromiss“ von Enrico Berlinguers PCI seinerzeit zwar der italienischen Bourgeoisie viel Freude – der Arbeiterklasse und der Linken allerdings sehr viel weniger. Er diente vielmehr zur berühmt-berüchtigten „Normalisierung“ des durch die 68er-Revolte und eine kämpferische Arbeiterbewegung angeschlagenen kapitalistischen Systems, von der sich die italienische Linke bis heute nicht erholt hat…

 

 

Der Kommentar:

 

Regierung Olmert – der schlimmste Feind des israelischen Volkes

 

Zvi Schuldiner

 

Der vergangene Samstag hätte als Tag des Amtsantritts der neuen palästinensischen Regierung ein Festtag für die Israelis sein können. Stattdessen bekam man, aufgrund des Triumphes der Angst, der Paranoia, des Rassismus und der geistigen Vorherrschaft der Ultrarechten nichts anderes zu hören als das Gejammer und die routinierten demagogischen Parolen einer Regierung, die <uns> in eine Sackgasse führt.

 

Was gibt es für die alten und erklärten Friedensträume der Israelis besseres als die Optionen, die durch den Amtsantritt einer neuen palästinensischen Regierung der nationalen Einheit eröffnet werden, welche sich auf die Förderung einer panarabischen Initiative und der jüngst erzielten Übereinkommen von Mekka stützt?

 

In Mekka haben Saudi-Arabien und seine Verbündeten von den Parteien – Hamas und Al-Fatah – Zugeständnisse gefordert und ihnen auch selbst welche gemacht, die in der Lage sind das Abgleiten in den Bürgerkrieg zu stoppen und den Weg zur Bildung einer Koalitionsregierung zu ebnen, die bis vor kurzem undenkbar war. Die beiden wichtigsten Kräfte auf der palästinensischen Bühne haben beide begriffen, dass ihre Zukunft und die Zukunft des palästinensischen Volkes auf dem Spiel stand. Wird das funktionieren? Es ist sehr schwer diesbezüglich Prognosen abzugeben. Sicher ist jedoch, dass die Bildung einer Regierung wie dieser und die Erklärungen von Ministerpräsident Hanija anlässlich der Vereidigung einen bedeutenden Ausgangspunkt für einen radikalen Wandel im Mittleren Osten bilden könnten.

 

Palästinenser-Präsident Abu Mazen fordert Israel auf die Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Ministerpräsident Ismail Hanija, eine wichtige Figur des gemäßigten Flügels der Hamas, erklärt, dass das palästinensische Volk sich das Recht auf den bewaffneten Kampf gegen die israelische Besatzung vorbehalte, allerdings mit Klarstellungen von erheblicher Bedeutung. Wie dem Appell die gegenwärtig im Süden geltende Waffenruhe auszuweiten. Und noch wichtiger sind zwei weitere Punkte aus Hanijas Rede, die von all jenen ernsthaft in Betracht gezogen werden sollten, die wirklich eine Veränderung der gegenwärtigen tragischen Situation anstreben: die Respektierung der Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft sowie der von der PLO unterzeichneten Abkommen (der – daran sollte man erinnern – die Hamas nicht angehört).

 

Der historische Kompromiss der Hamas

 

Wenn Hanija sagt, dass die von der PLO eingegangenen Abkommen respektiert werden, müssen seine Worte zusammen mit den Erklärungen gesehen werden, die in diesen Tagen von Quellen aus der palästinensischen islamistischen Bewegung kommen und die vom historischen Kompromiss sprechen, zu dem die Hamas gelangen sollte, indem sie die Realität anerkennt. Mit anderen Worten: der Akzeptanz Israels als nationalem Gebilde mit einem irreversiblen Existenzrecht.

 

Wenige Stunden nach der programmatischen Rede auf palästinensischer Seite hörte man die Stimme von Yossi Beilin von der moderaten <ehemals linkssozialdemokratischen> Partei Meretz, der zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen aufrief und behauptete, dass wir vor einem historischen Abkommen stehen könnten. Danach erklärte der der Arbeitspartei (Avoda) angehörende arabisch-israelische Minister Majadla zur Überraschung Vieler, dass die Hälfte der Minister der neuen palästinensischen Regierung „Oslo-Leute“ seien, d.h. Leute, die an dem von der Regierung Rabin in Oslo eingeleiteten Friedensprozess beteiligt waren oder diesen unterstützt haben. Womit er die Tür zu einem möglichen Linienschwenk aufstieß.

 

Im Jahr 2002 billigte die Arabische Liga in Beirut die „Arabische Friedensinitiative“, die die kollektive Anerkennung des Existenzrechts Israels beinhaltete, den Weg zu Friedensabkommen mit den arabischen Staaten ebnete und den israelischen Rückzug in die Grenzen von 1967 umfasste – mit einem palästinensischen Staat, der in den damals besetzten Gebieten hätte gebildet werden sollen. Darüber hinaus enthielt der Vorschlag auch eine mögliche Verhandlungslösung des heiklen Flüchtlingsproblems.

 

Die Regierung Sharon (der dann von den Dummen oder Naiven als ein Mann des Friedens angesehen wurde) wies jene historische Initiative barsch zurück. Das Blut floss, die Politik der Stärke und die Besoffenheit der internationalen Unterstützung für die „Opfer des Terrorismus“ ließen bei vielen Gelegenheiten vergessen, dass es – über die islamischen Terroristen, die alle verurteilen, hinaus – die Bushs, die Sharons und Ihresgleichen die wahren Terroristen in der grausamen Variante des Staatsterrorismus sind.

 

Fünf Jahre später hat Saudi-Arabien die Initiative wieder aufgegriffen. Wobei dieses Land weder fortschrittlich und pazifistisch geworden ist noch sich der Heilsarmee angeschlossen hat. Genau wie der ehemalige amerikanische Außenminister und Republikaner James Baker wissen die Saudis sehr gut, dass der Realismus zu einer Eilinitiative drängt, zu einem eiligen Politikwechsel bevor sich die gesamte Region – nach Palästina – in ein wahres Inferno verwandelt.

 

In seiner politischen Stupidität ist der israelische Ministerpräsident Olmert einer der wenigen und letzten Politiker, die Bush bei seinem verbrecherischen Abenteuer im Irak ermutigen. In Washington sucht der schlimmste Repräsentant der amerikanischen Falken weiterhin nach einem Weg, um die Weltbühne in ein paar Jahren zu verlassen, ohne als einer der schlechtesten und tragischsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten betrachtet zu werden. Selbst Bush scheint in den letzten Wochen aber die Notwendigkeit einer Änderung der Vorgehensweise erkannt zu haben und ist, ohne dies einzugestehen, auf einige der in dem Papier der Baker-Hamilton-„Weisen“ enthaltenen Prämissen eingegangen.

 

Das tragische „Nein“ einer schwachen Regierung

 

In Jerusalem traut sich eine schwache Regierung, die durch den Absturz der Popularitätswerte nach einem nicht siegreichen Krieg im Libanon gelähmt und durch diverse Ermittlungsverfahren bedroht ist (die sich mit einem, wie es scheint, umfangreichen Korruptionsnetzwerk des Ministerpräsidenten beschäftigen), nur ein Wort zu sagen: Nein. Es ist ein tragisches Nein. Das Nein der Kriegspartei. Das Nein derjenigen, die zu schwach sind, um Israel zum Frieden zu führen und die so seine Zukunft und seine Grundlagen als freier Gesellschaft in Gefahr bringen. Das Nein derjenigen, die uns zu neuen Blutbädern führen. Es ist schwer vorauszusagen, ob die Stimme der Vernunft in der Lage sein wird diese Regierung von ihrer gefährlichen und kriminellen Ablehnung jeder Möglichkeit eines Dialog abzubringen.

 

Vor mehr als 30 Jahren diskutierten wir über die Notwendigkeit die Politik der Verweigerung aufzugeben und mit dem Feind zu verhandeln. Heute wiederholt sich die Geschichte. Mittlerweile ist es 18 Jahre her, dass wir auf diesen Seiten ein langes Interview mit der viel diskutierten Nummer 2 des (israelischen Inlandsgeheimdienstes) Shin Bet veröffentlichten, der schon vor Oslo zu erklären versuchte, dass es der Feind ist, mit dem man Frieden schließt.

 

Heute ist die Lage noch tragischer und noch verzweifelter, während wir weiterhin darauf warten, dass Europa (und Italien) den Versuch unternehmen, einer israelischen Regierung, die zum schlimmsten Feind des israelischen Volkes geworden ist, irgendeinen Tropfen Vernunft einzuflößen.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch  oder  gewerkschaftsforum-H@web.de