* Rosso:

 

Wenn sich der Staat im Mittleren Osten, den nicht nur die Antideutschen als „Staat der Aufklärung“, „einzige Demokratie des Mittleren Ostens“, „Staat der Opfer“ etc. glorifizieren, durch etwas besonders auszeichnet, dann ist es die Überheblichkeit und die Skrupellosigkeit seiner Potentaten, seiner Soldateska und eines Großteils seiner Bevölkerung. In den letzten Tagen hat der Kolonialstaat Israel diese Skrupellosigkeit seines Vorgehens im Gaza-Streifen erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Höhepunkt war dabei fraglos das Maschinengewehrfeuer auf eine Frauendemonstration, die aus Solidarität mit in einer Moschee eingekreisten palästinensischen Kämpfern stattfand.

 

Laut der Online-Ausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 5.11.2006 wurden bei dieser israelischen „Offensive“ allein vom 1. bis zum 5.November 48 Palästinenser getötet und über 200 verletzt. Darunter eine ganze Reihe Frauen, Kinder und Jugendliche. Auf unbewaffnete Frauen müsse – wie im Fall Beit Hanun – laut dem zionistischen Regierungschef Ehud Olmert geschossen werden, weil die Palästinenser aber Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzen“ (ebenda). Offenkundig schließt er von seiner Soldatestka auf andere. Denn gerade in den letzten Wochen berichten die unterschiedlichsten Quellen davon, dass die zionistischen Besatzungstruppen sowohl im Gaza-Streifen als auch im Westjordanland in prekären Situationen mit Waffengewalt palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzten, um „nach getaner Arbeit“ ungeschoren davon zu kommen.

 

Zu den Ereignissen in Beit Hanun brachte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto vom 4.11.2006 das folgende Interview mit der palästinensischen Feministin und Leiterin des Women’s Affairs Center von Gaza, Naila Ayesh. Die linksliberale britische Tageszeitung The Independant charakterisierte den WAC am 31.1.2006 als „tapfere Oase des progressiven Feminismus im strikt konservativen Gaza“ (siehe http://www.standwithus.com/news_post.asp?NPI=633). Die laizistische Naila Ayesh saß – genau wie ihr Ehemann – mehrmals aus politischen Gründen in israelischen Knästen. Ihr politisches Credo lautet, dass „der nationalistische Kampf durch den Kampf um soziale und politische Gleichheit vervollständigt werden muss“ (siehe: http://www.osa.ceu.hu/galeria/the_divide/cpt20files/speaking_through_walls.pdf)

 

Interview:

 

Menschliche Schutzschilde? „Vereint gegen die Besatzung“

 

Es spricht Naila Ayesh, historische Führerin der palästinensischen Feministinnen.

 

Michele Giorgio

 

Frauen unter Feuer in Gaza. Die Tötung einer 40jährigen Mutter und eines Jugendlichen, die gestern, gemeinsam mit Hunderten Anderer mithalfen den Intifada-Militanten zur Flucht zu verhelfen, die sich – von Soldaten umzingelt – in einer Moschee in Beit Hanun verschanzt hatten, hat bei allen palästinensischen Aktivisten starken Eindruck hinterlassen. Die israelische Offensive im nördlichen Gaza-Streifen hatte den Effekt Frauenbewegungen und -organisationen wieder zusammenzuschweißen, die sich auf der Welle der Spannungen zwischen Hamas und Fatah gespalten hatten. Darüber sprachen wir mit Naila Ayesh, einer der historischen Führungspersönlichkeiten der Frauen in Gaza.

 

Was bedeutet es, dass die Frauen von Beit Hanun das „menschliche Schutzschild“ abgaben und so denjenigen zur Flucht verhalfen, die sich in der Moschee verborgen hatten?

 

„Das ist ein Punkt, über den man Klarheit schaffen muss. Wenn man von menschlichen Schutzschilden spricht, dürfen wir nicht an Personen denken, die den feindlichen Gewehren ihre Brust hinhalten und bereit sind anstelle Anderer zu sterben. Die Frauen haben nichts von alledem getan, sondern nur das, was unter den schrecklichen Bedingungen von gestern und der letzten Monate richtig war. Sie sind auf die Straße gegangen, um die Israelis zum Rückzug aufzufordern und ihre Ehemänner, Brüder und Söhne nicht zu verhaften, die sich in der Moschee versteckt hatten. Auf jeden Fall war das israelische Feuer unerwartet und völlig ungerechtfertigt. Jemand wollte die Frauen dafür bestrafen, dass sie sich bei der Verteidigung ihres Landes gegen den Invasor geschlossen und vereint gezeigt haben.“

 

Sind nur Hamas-Frauen auf die Straße gegangen?

 

„Nein, von allen Fraktionen. Natürlich zusammen mit vielen anderen, die keine Politik machen, die angesichts dessen, was in Gaza geschieht, aber nicht gleichgültig bleiben können. Ich füge hinzu, dass die Medien ungenaue Informationen verbreitet haben. Sie haben gesagt, dass die Frauen in Beit Hanun alle von Hamas waren, weil sie den Hijab trugen und haben dabei vergessen, dass in Gaza alle Frauen (mit wenigen Ausnahmen) verschleiert sind. Auch diejenigen, die keine Aktivistinnen sind oder für die islamische Bewegung gestimmt haben. In jedem Fall haben die beiden Gefährtinnen in Beit Hanun und die Weitere, die am Donnerstag unter dem Feuer der Israelis gefallen ist, mit ihrem Opfer zu einer Annäherung der verschiedenen Organisationen der palästinensischen Frauen beigetragen und die erneute Schaffung einer Einheitsfront begünstigt. Die brauchen wir, weil die innenpolitische Krise

dabei ist die Oberhand über das wichtigste Problem der Palästinenser zu gewinnen: die Besatzung. Solange die israelische Unterdrückung andauert und das Licht eines unabhängigen palästinensischen Staates nicht zu erkennen ist, wird die Arbeit, die viele Organisationen geleistet haben, um die Situation der Frauen in Gaza und in den übrigen Besetzten Gebieten zu verbessern, niemals eine konkrete Entwicklung zur Folge haben. Das Leiden, die harten Lebensbedingungen, der alltägliche Kampf, den viele leisten, um dafür zu sorgen, dass die Kinder etwas zu essen haben, erlauben es nicht die Debatte auf die zentralen Themen der Frauenfrage auszudehnen.“

 

Sie sprachen von dem stärkeren Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen der Hamas und denen der laizistischen Organisationen, der auch aufgrund der Verschärfung der Lage in Gaza zustande komme. Aber welche Fortschritte habt Ihr in Bezug auf die Rechte der Frauen gemacht?

 

„Es hat Fortschritte gegeben, auch wenn die Differenzen groß bleiben. Es ist klar, dass es nicht leicht ist in Bezug auf die Rolle der Frau in der Familie und in der Gesellschaft mit den Hamas-Führern einen Punkt der Übereinkunft zu finden. Zu meinen, dass das ganze Leben, nicht nur einer Frau, sondern auch eines Mannes, nur auf die religiöse Lehre ausgerichtet sein muss, ist sehr weit von dem entfernt, für das die Frauen in Gaza viele Jahre lang gekämpft haben. Gleichzeitig ist die Debatte eröffnet und wird sie von uns allen (Laizistinnen und Religiösen) in dem Bewusstsein geführt, dass das Erreichen einer Übereinkunft im Interesse aller palästinensischen Frauen liegt.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen übernommen hatte. Nach Auflösung der Antifa Uni (nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006; siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) erscheinen die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erfolgen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums Hannover.

 

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