* Rosso:
Die
Hinrichtung Saddam Husseins durch einen US-kontrollierten
Lynchmob am 30.Dezember 2006 schlug weltweit hohe Wellen. Nicht nur wegen der
Form, sondern auch aufgrund der politischen Hintergedanken der
US-Administration und ihrer irakischen Kollaborateure sowie der Auswirkungen
auf die weitere Entwicklung des Irak.
Die,
heute den in Italien regierenden Linksdemokraten (DS) gehörende, ehemalige PCI-Tageszeitung “l’Unità”
brachte am 2.1.2007 dazu das folgende Interview mit Professor Nabil el Fattah, (ehemaliger
Direktor des Zentrums für Strategische Studien von Al-Ahram
und nach wie vor einer der renommiertesten außenpolitischen Analytiker
Ägyptens).
Nabil El Fattah:
“Das Aufhängen? Ein Geschenk der USA an den Iran”
“Die Tötung Saddam
Husseins kennzeichnet den Anfang vom Ende eines einheitlichen irakischen
Staates. Das Aufhängen des ehemaligen Rais
<arabisch:
Führers> ebnet nicht nur einer
neuen Welle der Gewalt den Weg, sondern auch der ethnischen Aufteilung des
Staates. Das Aufhängen Saddams markiert einen Point of No Return in der Auseinandersetzung
zwischen Sunniten und Schiiten. Und vielleicht nicht nur im Irak.” Der das
behauptet ist der ehemalige Direktor des Zentrums für Strategische Studien von Al-Ahram (Kairo), Nabil el- Fattah, der zu den angesehensten
arabischen Analytikern des radikalen Islams zählt. “Auf der Ebene der
regionalen Kräfteverhältnisse” – stellt el Fattah
fest – “besteht kein Zweifel daran, dass die Eliminierung Saddam Husseins
ein Punkt zugunsten des Iran und eine Ohrfeige für Saudi Arabien ist. Riad
könnte damit reagieren, dass es den sunnitischen irakischen Widerstand mit Geld
und Waffen unterstützt. Mit Sicherheit wird die Exekution dazu beitragen die
Gewalt im Mittleren Osten auszuweiten und diese gepeinigte Region weiter zu
destabilisieren.”
Was bedeutete das
Erhängen Saddams Ihrer Ansicht nach für den Irak?
“Ich würde sagen ohne Frage
eine – vielleicht die eklatanteste – Episode des Bürgerkrieges, der dabei ist
das Land zu kennzeichnen. Ich würde weder von Gerechtigkeit noch von Rache
sprechen. Andererseits ist es in einem Bürgerkrieg unmöglich, eine Spur von
Gerechtigkeit zu finden.”
“Es wurde für
Gerechtigkeit gesorgt”, so
hat George W. Bush behauptet. Wie interpretieren Sie diese Behauptung vom arabischen
und islamischen Standpunkt aus?
“Schauen Sie, die
Vereinigten Staaten sollten sich fragen, warum sich der Iran genauso innig über
das Aufhängen Saddams gefreut hat. Sie sollten sich einige Fragen stellen und
über das ‚Meisterstück‘ einer Kriegsstrategie nachdenken, die eine neue
Phase der Demokratie im Irak hätte einleiten, Al Qaida
einen tödlichen Schlag versetzen, den Schurkenstaat Iran isolieren und die
gemäßigten arabischen Führer stärken sollen...”
Und stattdessen?
“Die Realität haben alle vor
Augen: der Irak befindet sich voll im Bürgerkrieg; das Al Qaida
genannte terroristische Netzwerk hat sich in alle vier Ecken des Planeten
ausgedehnt, bleibt allerdings im irakischen ‚Schützengraben‘ gut
verwurzelt. Teheran ist der Bezugspunkt der schiitischen Macht im Irak, der
Hamas in Palästina, der Hisbollah im Libanon und die gemäßigten arabischen
Führer fühlen sich von einem Fundamentalismus eingekreist, der von der Missgunst
gegenüber dem Westen genährt wird, die von Tag zu Tag wächst.”
Wenn der Iran der Sieger
ist, wer ist dann das Land in der arabischen Welt, das von den Rückwirkungen
der Hinrichtung Saddams am meisten zu befürchten hat?
“Viele denken da an
Jordanien und Ägypten, den beiden Führungsnationen der so genannten gemäßigten arabischen
Front. Ich würde im Moment allerdings vor allem nach Saudi-Arabien schauen. In
einer arabischen und islamischen Welt, die sich von Symbolen ernährt, ist die
Tatsache, dass Saddam am Tag des Aid el Kebir <Opferfestes> – des “Großen
Festes” für die Moslems – aufgehängt wurde, bereits eine Herausforderung an
das Land, das Hüterin der islamischen Orthodoxie ist. Aber das ist nicht alles.
Riad interpretiert die Eliminierung Saddams als die Einweihung einer
schiitischen Macht im Irak, die mittlerweile als Satellit des Iran gesehen
wird...”
Und wozu kann diese
Überzeugung in der Praxis führen?
“Zur entschiedensten
Unterstützung Saudi-Arabiens für die Gruppen des sunnitischen Widerstandes im
Irak. Einer Unterstützung, die den im Irak stattfindenden Bürgerkrieg am Ende
weiter anheizen wird.”
Wie interpretieren Sie
die Reaktion Israels auf die Exekution Saddams?
“Jenseits der
Höflichkeitsfloskeln über das Verschwinden eines ‚Todfeindes‘, des
Tyrannen, der 1991 mit seinen Raketen Tel Aviv ins Visier nahm, habe ich den
Eindruck, dass das vorherrschende Kennzeichen die Besorgnis ist. Ein politisch
begründetes Gefühl, weil den Regierenden in Israel nicht entgeht, dass es heute
Israels Feind Nummer 1 ist, der aus dem Tod Saddams Kapital schlägt: das heißt der
Iran. Eine Sorge, die mit dem Bewusstsein wächst, dass es nur ein Gebiet gibt,
in dem die schiitisch-sunnitische Auseinandersetzung dazu tendiert wieder
beigelegt zu werden, wie die Allianz zwischen der sunnitischen Hamas und der
schiitischen Hisbollah zeigt. Und dieses Gebiet ist Palästina und der
bewaffnete Kampf gegen den gemeinsamen ‚zionistischen Feind‘. Ein
bewaffneter Kampf, der heute auf eine neuen ‚Märtyrer‘ zählen kann:
Saddam Hussein.”
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de