* Rosso:

 

Am Dienstag, den 23. Januar 2007, organisierte die libanesische Oppositionsfront aus Amal, Hisbollah, der libanesischen KP, der größten Christenpartei FPC, linken sunnitischen und linken drusischen Gruppen und Organisationen sowie den Gewerkschaften des Landes einen ganztägigen Generalstreik gegen die pro-imperialistische, neoliberale und hochgradig korrupte Sinora-Regierung, die Umfragen zufolge zwar nur noch 42% der Bevölkerung hinter sich hat (die Opposition knapp 58%), sich aber sowohl der Unterstützung der G7-Mächte als auch Israels, Saudi-Arabiens und ähnlich ”fortschrittlicher” und ”vorbildlicher” Staaten erfreut. Der Generalstreik war organisatorisch unbestritten ein Erfolg, wurde aber dennoch vor seinem geplanten Ende ”ausgesetzt”, da es zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen kam, bei denen laut der ”Frankfurter Allgemeinen Zeitung” vom 25.1.2007 ”fünf Personen getötet und mindestens 133 verletzt worden sind”. Zwei Tage später kamen bei gewaltsamen Zusammenstößen vor allem auf dem Campus der Amerikanischen Universität in Beirut mindestens 4 Menschen ums Leben und 200 wurden verletzt als insbesondere Schläger der rechtsradikalen Falangisten (den sog. ”Forces Libanes” des psychopathischen Massenmörders Samir Geagea), die der Sinora-Regierung und der sog. ”Front der Reformer” angehören und deren zweitstärkste Kraft darstellen, das Universitätsgelände unter ihre Kontrolle bringen wollten. Drei der Toten waren Hisbollah-Mitglieder (SZ 27.1.2007).

 

Der Generalstreik hat deutlicher denn je gezeigt, dass es im Libanon nicht um die ”Errichtung eines islamischen Gottesstaates”, wie von den antideutschen Anhängern des Kolonialismus und ”äquidistanten” Zeitgeistsurfern gern behauptet wird, sondern um eine politische und Klassenauseinandersetzung geht, die (mit Ausnahme der Schiiten, die im wesentlichen die ”Unterschicht” repräsentieren) quer zu den Religionen verläuft und bei der die Frage lautet: ‚Imperialistisches Marionettenregime + Neoliberalismus – Ja oder Nein‘.

 

Zur Lage nach dem ”suspendierten” Generalstreik (und noch vor den blutigen Kämpfen auf dem Campus der American University) befragte die linke italienische Tageszeitung ”il manifesto” den schiitischen Intellektuellen und Hisbollah-Vertreter Ibrahim Moussawi. Das Interview erschien am 24.1.2007.

 

Interview:

 

”Eine Regierung für die nationale Einheit”

 

”Die USA wollen uns ihr Mandat aufzwingen.” Es spricht der Hisbollah-Exponent Moussawi.

 

Stefano Chiarini

 

Als Schriftsteller, Journalist und Hisbollah-Exponent verbirgt Ibrahim Moussawi seine Zufriedenheit über den Streik und die Breite der Protestbewegung gegen die von den USA, Frankreich und Saudi-Arabien, aber auch von den anderen europäischen Regierungen unterstützte Siniora-Regierung nicht. “Der Generalstreik hat das Land lahm gelegt” – sagt er – “und stellt einen großen Sieg der Oppositionsbewegung, ihrer Einheit und im Allgemeinen derjenigen dar, die die Absicht haben die durch eine Destabilisierung ‚Made in USA‘ bedrohte Souveränität und Stabilität des Libanon zu verteidigen. Einer im wesentlichen friedlichen Massenbewegung, die seit dem 1.Dezember vor dem Regierungssitz gelagert hat, um auf zivile Weise eine Exekutive der Nationalen Einheit zu fordern, in der alle Religionsgemeinschaften und die wichtigsten politischen Kräfte ebenbürtig vertreten und nicht gezwungen sind – wie es der Fall war – über direkt aus Washington kommende Gesetze und Vorschläge abzustimmen, ohne auch nur darüber diskutieren zu können.”

 

Welche Probleme liegen dem Kräftemessen der letzten Tage zugrunde?

 

“Die Minister der Opposition (Schiiten und ein Christ; Anm.d.Red.) haben die Regierung im November 2006 verlassen, weil der Ministerpräsident die vereinbarte Agenda nicht eingehalten hat und fortfuhr, Entscheidungen in Absprache mit Washington und nicht mit unseren Ministern zu treffen. Diese Tendenz, den Widerstand auszugrenzen und die US-Agenda für den Mittleren Osten umzusetzen, wurde nach dem Krieg mit Israel immer stärker, bis sie nicht mehr hinnehmbar war. An diesem Punkt sind unsere Minister zurückgetreten. Der Ministerpräsident hat jedoch weiterhin Entscheidungen von großer Bedeutung getroffen, wie die über das internationale Tribunal zum Mord an Hariri oder bezüglich der wirtschaftspolitischen Maßnahmen gegen die Krise – trotzdem er mittlerweile verfassungswidrig handelt und sich in der Minderheit befindet.”

 

Eure Lösung für die Krise?

 

“Eine Regierung der Nationalen Einheit mit allen Religionsgemeinschaften und mit der größten christlich-maronitischen Partei, die sich in der Opposition befindet, d.h. der von General Aoun <Free Patriotic Current – FPC>. Eine Regierung, die die Souveränität des Libanon verteidigen kann.”

 

Gab es in den letzten 40 Tagen irgendwelche ernsthaften Vermittlungsversuche?

 

“Sicher. Was uns anbelangt, so haben wir den Vermittlungsvorschlag der Arabischen Liga unterstützt, aber Fouad Siniora, der von den USA und von jenen Regierungen unterstützt wird, die glauben, sie könnten den Libanon ohne den Beitrag aller seiner Bestandteile stabilisieren, hat keine Vermittlung akzeptiert.”

 

Es gibt Leute, die von einem möglichen neuen Bürgerkrieg sprechen...

 

“Das würde ich nicht sagen. Was uns anbelangt, wird der Protest weiterhin friedlich sein. In jedem Fall haben im Libanon die wichtigsten politischen Kräfte, die einen Bürgerkrieg führen könnten, keinerlei Absicht dies zu tun und diejenigen, die ihn – vom Ausland unterstützt – wollen, sind zum Glück nicht in der Lage dazu. Und dann ist der wichtigste Aspekt des Protestes gerade sein Konfessionen übergreifender Charakter, obwohl die USA – hier wie im gesamten Mittleren Osten (da braucht man sich nur den Irak anzuschauen) – versuchen die Völker zu spalten und eine Religionsgemeinschaft gegen die andere aufzuwiegeln.”

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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