* Rosso:
Eine gute, kritische und zuweilen
ironische Darstellung und Einschätzung der Debatte auf der Tagung des
Nationalen Politischen Komitees (CPN) des Partito
della Rifondazione Comunista – Partei der Kommunistischen Neu/be/gründung – PRC) am 14.
und 15.Oktober 2006 liefert der folgende Artikel von Francesco Ricci. Er
erschien am 21.10.2006 auf der
Homepage der PRC-Linksabspaltung Progetto
Comunista – Rifondare l’Opposizione dei Lavoratori (Kommunistisches Projekt – Die
Arbeiterpopposition neu begründen – PC ROL, www.progettocomunista.org).
Ricci (39), der bis zur Abspaltung
Ende April 2006 dem CPN 15 Jahre lang angehörte und zuletzt auch Mitglied der
Nationalen Leitung von Rifondazione war, richtet die
Scheinwerfer treffsicher auf die wunden Punkte der frisch gebackenen Regierungspartei,
die in der Berichterstattung des Parteiorgans „Liberazione“,
aber zumeist auch in der unabhängigen linken Tageszeitung „il manifesto“ unter den Tisch gekehrt werden.
Innerhalb von Rifondazione:
Die Mausefalle
Worüber in den Vorständen des PRC diskutiert
wird
Francesco
Ricci
Seit mehr als 50 Jahren, bei
Regen und bei Sonnenschein, im Frieden wie im Krieg, in guten wie in schlechten
Zeiten steht bei einem Londoner Theater jeden Tag „Die Mausefalle“ auf
dem Programm, ein Theaterstück der Krimi-Autorin Agatha Christie. Jeden
heiligen Tag streifen sich die Akteure die Bühnenkostüme über und sagen ihren
Text auf. Acht Personen in einem durch den Schneesturm von der Außenwelt
abgeschnittenen Haus. Unter ihnen der Mörder.
Auf ein ähnliches Zeitziel
scheinen auch die führenden Vertreter der drei Minderheiten des PRC
hinzuarbeiten: <Die
Gruppen um die Zeitschriften> „l’Ernesto“, „ERRE“ / Sinistra
Critica und „Falce Martello“. Unermüdlich fahren sie seit 15 Jahren zu
jeder Sitzung des Nationalen Politischen Komitees (CPN), um dort ihre
Leitanträge zu präsentieren. Jedes Mal bekommen sie dieselben Stimmen (oder ein
paar weniger). Genau wie die Akteure des St. Martin’s
Theatre scheinen sie vollkommen gleichgültig gegenüber dem, was draußen
passiert; gleichgültig gegenüber der neuen Situation, die durch den Eintritt Rifondaziones in die Regierung entstanden ist. Der einzige
Unterschied (die Qualität der Inszenierung einmal beiseite gelassen) besteht
darin, dass das zahlende Publikum anstatt zuzunehmen immer weniger wird.
So hat sich das „kleine
Parlament“ des PRC am vergangenen Wochenende in Rom versammelt und die
Komödie wurde aufgeführt wie es Tradition ist. Es fehlte nur der übliche
dreistündige Bericht von Bertinotti. Im Übrigen hat
ein jeder – ohne Überraschung – seinen Text rezitiert.
Während draußen die
Regierung, deren integraler Bestandteil Rifondazione
ist (ein Detail, das <den
Koordinatoren der „l’Ernesto“- und der „ERRE“-Fraktion> Grassi und Cannavò zu entgehen scheint), den ökonomischen Krieg in der
Heimat gegen die Arbeiter und den militärischen Krieg im Ausland für neue
koloniale Knospen vorbereitet; während jene Regierung Prodi,
aufgrund der simplen Ankündigung der gravierenden Politik, die sie mit der
Verabschiedung des Haushalts zu betreiben gedenkt, in den Umfragen abstürzt;
während all diese Dinge geschehen, präsentieren Giordano, Gianni, Burgio, Malabarba und der Rest
der Gesellschaft ihre Anträge, sticheln gegeneinander, warten den Sonntag ab
und stimmen dann jeder für seinen Leitantrag. Die Mehrheit ist Mehrheit, die
Minderheiten sind Minderheiten, der Vorhang kann fallen. Bis zur nächsten
Vorstellung.
Die Dialoge sind nicht
sorgfältig ausgearbeitet. Alle Bertinotti-Anhänger,
die sich zu Wort meldeten, wiederholten (siehe die Zusammenfassungen in „Liberazione“) denselben Spruch: „Sicher, das ist
nicht unser Haushaltsgesetz, aber mit einem Kampf um Änderungen <im Detail> kann es verbessert werden.“ Was? Das ist nicht Euer
Haushaltsgesetz? Aber ist Rifondazione denn nicht die
zahlenmäßig drittstärkste Kraft dieser Regierung? Diese Phrase ist vollkommen
abwegig (darauf weisen wir im Hinblick auf eine erneute Aufführung hin), wenn
man sie Paolo Ferrero verkünden lässt, der auf der Bühne die Kleider des
Ministers für Soziale Solidarität trägt. Solange bis Rina
Gagliardi kommt, die Deus ex machina
(unerwartete Retterin in der Not), mit ihrer gewohnten linguistischen
Phantasie: Die Regierung Prodi „ist eine Regierung
des Kampfes und des Kompromisses“. Wirklich bemerkenswert: Nicht einmal die
Unterstützer der Volksfrontregierungen der 30er Jahre (obwohl sie inmitten der
Barrikaden entstanden, wenn auch mit dem Ziel die Revolution zu zügeln) haben
jemals daran gedacht eine bürgerliche Regierung als „Regierung des Kampfes“
zu bezeichnen. Chapeau! (Hut ab!)
Die führenden Leute von „l’Ernesto“ empfahlen, nachdem sie eine richtige Sache
gesagt und immer wiederholt haben und zwar, dass dieser Haushalt „in einer
Kontinuität mit denen der Mitte-Linken der 90er Jahre“ steht, im
Unterschied dazu, dass sich der PRC „für eine harte Auseinandersetzung im
Land und im Parlament rüstet (…), um ein akzeptables Gesamtergebnis zu
erzielen“. Man müsse, schrieben sie in ihrem Leitantrag, „die Exekutive
zu einer wirkungsvollen politischen Initiative und zu einer starken sozialen
Mobilisierung drängen, um das Gewicht der Einschnitte zu verringern und
insbesondere, um die abscheulichsten Maßnahmen zu beseitigen“. Da fragt man
sich: Aber hat man sie darüber informiert, dass der PRC eine Regierungs- und
keine Oppositionspartei ist?
Da der besondere
Unterschied, der diese „kritische“ Position auszeichnet, nicht deutlich
zu Tage tritt, versteiften sich die führenden Vertreter der größten parteiinternen
Minderheit dann darauf eine angebliche, offene (das war bei <Wirtschaftsstaatssekretär und
Alt-68er> Alfonso Gianni der Fall) oder
versteckte Absicht Bertinottis zu denunzieren, den
PRC in der Europäischen Linken aufzulösen, das „kommunistisch“ sowie den
Hammer und die Sichel aufzugeben. Ein Name und eine Fahne, die sie hingegen zu
verteidigen beabsichtigen und zwar ungeachtet des offenkundigen Widerspruchs
zwischen jenen Symbolen und dem was Rifondazione in
der Konsequenz dessen ist, was sie außerhalb des Komödienstadls CPN tut.
Der andere „kritische
Bereich“ – „ERRE“ – beurteilte die Regierung und Rifondaziones
Horizont noch negativer. Die Regierung (so heißt es in dem vorgelegten
Leitantrag) „bewegt sich in den Koordinaten, die in der Außenpolitik vom Multilateralismus der Somalia- und Kosovo-Missionen
entworfen wurde sowie innerhalb des Maastrichter Wirtschaftsliberalismus.“
Dem stimmen wir zu. Und Rifondazione? „ERRE“
zufolge „läuft sie so Gefahr den Sinn ihrer Identität und Geschichte zu
verlieren“. Ah, das ist also nur… eine Gefahr! Um diese zu bannen, müsse Rifondazione „ihre Regierungsbeteiligung erneut
überdenken“ wenn es nicht gelingt, den Haushalt zu verbessern. Von daher
die Notwendigkeit „eines außerordentlichen Parteitages“. Und was macht Sinistra Critica
auf diesem Parteitag? Mit Sicherheit wird sie keine Spaltung betreiben, wie Cannavò von der Bühne des CPN aus wiederholte. Und was
dann? Ganz klar einen langfristigen Kampf führen, für den sich
dieser Bereich mit einer neuen Assoziation innerhalb des PRC ausgestattet hat,
die in den vergangenen Tagen auf einer nationalen Versammlung gegründet wurde.
<Die
eigentliche Gründung fand dann allerdings erst am 27./28.Januar 2007 in Rom statt.
Mit, eigenen Angaben zufolge, angeblich „500 anwesenden Aktivisten“.
Real dürften es (den Fotos zufolge) eher 150 gewesen sein.>
Ein weiterer Parteitag! In
einer Partei, die sich fest in der Hand der Bertinotti-Führung
befindet (wie selbst die führenden Exponenten von „ERRE“ beklagen) und durch den Regen an Regierungssesseln gestärkt
ist. In einer Partei, in der die lokalen Parteizirkel nicht mehr existieren,
weil die Aktiven nicht mehr so recht wissen, wie sie reale politische Arbeit
für eine Partei „der Regierung und des Kampfes“ betreiben sollen, die
eine Regierung „des Kampfes und des
Kompromisses“ unterstützt.
Derselbe triste Horizont
eines langfristigen Kampfes verbindet „Falce
Martello“ mit den anderen Minderheiten. Claudio Bellotti, der führende Kopf dieses Bereiches, beklagte,
dass innerhalb von Rifondazione die Vorstellung
vorherrsche, dass die Änderungsanträge zum Haushaltsgesetz „in einem mit der Regierung abgestimmten Rahmen“ gesetzt werden
sollten.
Irgendjemand möge ihn bitte
darüber in Kenntnis setzen, dass die Partei, deren Minderheit er angehört, in
die Regierung eingetreten ist. Dies ist das Nationale Politische Komitee (CPN)
von Rifondazione und darüber wurde am vergangenen
Wochenende diskutiert. Während sich die Fraktionen des PRC darüber
auseinandersetzten, wie der Haushalt zu verbessern sei, wuchs er außerhalb des CPN-Theaters weiter. Ferrero und der PRC wollten das
Haushaltsmanöver auf zwei Jahre „verteilen“ und einen Gesamtumfang von
25 Milliarden Euro durchsetzen. Jetzt kriegen sie es in einem Jahr und mit
einem Gesamtumfang von 40 Milliarden Euro. Und vor allem mit einem Ansatz (den
wir in anderen Artikeln auf unserer Internetseite und in unserer Zeitung
analysiert haben), der mit Sicherheit nicht durch „Verbesserungen“
transformiert werden kann – seien sie nun „abgestimmt“ oder „erkämpft“.
In diesem Haushalt sind gigantische
Erhöhungen der Militärausgaben vorgesehen. (Das hat Cannavò
in einem in „Liberazione“-Artikel,
den wir dokumentierten, denunziert.) Vorgesehen ist das Geld für Bomber,
Jagdflugzeuge und Flugzeugträger – notwendige Waffen für die kommenden „Friedens“-Missionen
in Gebieten mit Erdölvorkommen. Das aber, lieber Cannavò,
ist kein Fehler, der korrigiert werden kann. Das ist der Haushalt einer
Regierung eines imperialistischen Landes! Ein Haushalt, der aus einem einfachen
Grund nicht verbesserbar ist. Einem Grund, der einer wachsenden Zahl von
Proletariern, die dafür aufkommen müssen, jeden Tag deutlicher wird: Die
Interessen entgegen gesetzter Klassen der Padroni
(Unternehmer, Chefs) und der Lavoratori
(Arbeiter, Werktätigen) lassen sich nicht versöhnen. Dieses allgemeine Gesetz
der Klassengesellschaft, dass heute von Padoa Schioppas Haushalt klar und deutlich wiedergegeben wird,
bleibt für die Grassi und die Cannavò
leider unbegreiflich. Obwohl sie seit Jahrzehnten in demselben Theater und in
immer demselben Stück auf der politischen Bühne stehen, haben sie noch immer
nicht kapiert, wer der Mörder dieser ihrer Mausefalle ist.
Den Militanten von Rifondazione – denjenigen der Mehrheit und der Minderheit –
die noch abwarten, um zu begreifen, was geschieht und was zu tun ist, sagen
wir: Schaut Euch an, was im CPN Eurer Partei diskutiert wird, lest die Berichte
über diese Tagungen, hört was Euch an, was Eure Führer sagen, wie sie
abstimmen, was sie tun, welche Regierung sie unterstützen. Und dann fragt Euch,
ob es nicht besser wäre (wie es bereits viele Militante des PRC getan haben),
aufzuhören dieser zusammenhanglosen / ordinären Komödie, die nicht einmal den
Preis der Eintrittskarte wert ist, weiterhin passiv beizuwohnen. Ob es nicht
auch für Euch besser wäre aus dem PRC auszutreten und – gemeinsam mit uns –
wieder einen echten, nicht rezitierten politischen Kampf zu
beginnen, um eine echte und keine gespielte kommunistische Partei
aufzubauen. Also eine Partei, die den Kampf gegen den Haushalt der Padroni und gegen ihre Regierung organisiert.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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