* Rosso:
Die von den etablierten
imperialistischen Mächten USA und EU freudig begrüßte (und hinter den Kulissen
kräftig geförderte) Ausrufung von Neuwahlen durch ihren Statthalter in
Palästina, den Fatah-Chef Mahmud Abbas („Abu Mazen“),
hat bei der Hamas naheliegenderweise zu scharfen
Reaktionen geführt, wie auch das Interview des „Corriere della Sera“ (faktisch das Zentralorgan der
italienischen Bourgeoisie) vom 18.12.2006 mit dem Chef des Politbüros
der Hamas, Khaled Maschal, zeigt.
„Wir von Hamas werden die Wahl
boykottieren. Al-Fatah sucht den Bürgerkrieg“
Der Exilführer Maschal: „Regierung der
Nationalen Einheit und Rückkehr der Flüchtlinge.“
VON UNSEREM
KORRESPONDENTEN
DAMASKUS – „Absolutes
Nein zu den vorgezogenen palästinensischen Neuwahlen und Nein zur Anerkennung
Israels.“ Ein mehr als eineinhalb Stunden langes Interview gestern Morgen
in seinem Büro im Herzen der syrischen Hauptstadt, um mit dem wichtigsten
Hamas-Führer die Fixpunkte ihrer Regierung in den Palästinensergebieten zu
klären. Khaled Maschal spricht darüber, während seine
Mitarbeiter per Telefon aus Gaza anrufen, um über die letzten bewaffneten
Zusammenstöße mit der Fatah von Abu Mazen zu
berichten. Das Interview wird einen Moment lang unterbrochen, um mit dem jemenitischen
Präsidenten Ali Abdallah Saleh zu kommunizieren. „Gut,
gut, das Wichtige ist der ganzen Welt gegenüber zu wiederholen, dass die
vorgezogenen Neuwahlen illegal sind. Al-Fatah
versucht mit Arroganz einen Staatstreich durchzuführen“, ruft er aus. In
einem weiteren Telefonat geht er länger auf die Schuld von Abu Mazen und seines rechten Arms für die Polizeikräfte, Mahmud
Dahlan, ein, den er beschuldigt, „ein Provokateur“
zu sein. „Dahlan erhöht gegenwärtig die Spannung.
Er will die Fitna“, sagt er und benutzt den
religiösen Begriff, der Aufruhr / Aufstand oder auch den Bürgerkrieg unter den
Muslimen bedeutet. Töne von Mauer gegen Mauer also. „Wenn der Bürgerkrieg
wirklich ausbrechen sollte, wäre das gewiss nicht unsere Schuld. Die Hamas tut
alles, um ihn zu verhindern“, wiederholt er mehrere Male.
Und wären Sie nicht,
gerade um den Bürgerkrieg zu verhindern, bereit die Wahlen zu akzeptieren?
„Unmöglich. Das wäre ein
Schachzug, der die gesamte Rechtmäßigkeit des palästinensischen
Regierungssystems in Frage stellen würde. Abu Mazen
hat nicht das Recht das Parlament aufzulösen. Unsere Verfassung sieht das nicht
vor. Sein Diktat zu akzeptieren, würde bedeuten dem Willen der Mehrheit und der
Legitimität unseres Wahlsystems zu widersprechen. Am 25. Januar 2006 hat die
Hamas bei den Wahlen, bei denen es zu keinerlei Manipulationen kam, mit
deutlicher Mehrheit gewonnen. Al-Fatah hat verloren
und muss nun das Verdikt des Volkes akzeptieren. Andernfalls gleiten wir ins
Chaos ab. De facto versucht Abu Mazen einen Putsch
gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Das werden wir nicht dulden.“
Die Alternative?
„Den Dialog für die Suche
nach einem politischen Kompromiss und die Bildung einer Regierung der
Nationalen Einheit fortsetzen. Für die Hamas ist es bereits ein bedeutendes
Zugeständnis die Teilung der Regierung mit der Fatah zu akzeptieren. Wir
verfügen über die Parlamentssitze, um es allein zu machen.“
Abu Mazen
hat mit aller Deutlichkeit gesagt, dass die Option der Einheitskoalition
gescheitert ist.
„Das ist schlecht, weil es
die einzige Alternative ist. Wir sind uns sicher, dass wir gewinnen würden,
wenn es wieder an die Urnen ginge. Wir verfügen aber auch über Belege dafür,
dass die Fatah-Aktivisten alles tun werden, um die Ergebnisse mit Unterstützung
der Amerikaner, Israels und der ausländischen Kräfte, die entschlossen sind den
Willen der palästinensischen Bevölkerung zu verletzen, zu ihren Gunsten zu verfälschen.
In jedem Fall werden wir verhindern, dass es zur Wahl kommt.“
Haben Sie nicht den
Eindruck, dass es sich um eine ähnliche Situation handelt wie die
Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Islamischen Heilsfront (FIS)
1992 in Algerien. Mit der Gefahr in dieselben schrecklichen Gewalttaten
abzugleiten, die darauf folgten?
„Ja, das Szenario ist mit
Algerien vergleichbar. Auch wenn wir in unserem Fall verhindern werden, dass
die Fatah ein innerpalästinensisches Blutbad verursachen kann.“
Ist es dafür nicht zu
spät? In den letzten Stunden nimmt die Gewalt zu.
„Es gibt bewaffnete Gruppen,
die mit der Fatah verbunden sind und von den Amerikanern gesteuert werden, die
zum internen Chaos drängen.“
Die italienische Regierung
arbeitet daran den Friedensprozess neu zu lancieren. Romano Prodi
setzt, genau wie ein Großteil der internationalen Gemeinschaft, auf Abu Mazen. Könnte die Hamas nicht die Möglichkeit einer
Anerkennung Israels andeuten, um Gehör zu finden?
„Wir sind zu einer Hudna bereit, zu
einer Waffenruhe von 10 Jahren Dauer mit Israel. Während dieses Zeitraums wird
in den 1967 besetzten Gebieten ein palästinensischer Staat gegründet. Dann wird
es Sache der kommenden Generationen sein, über ihre Zukunft zu entscheiden. Was
Abu Mazen anbelangt: Habt Ihr noch nicht begriffen,
dass der nicht zählt. Nicht als er die Nummer 2 von Arafat war und nicht als er
2005 Ministerpräsident war. Warum sollte er nun von Europa unterstützt werden?
Erinnert Euch! Der einzige Weg zum Frieden führt über die Hamas.“
Also schließt Ihr die
Anerkennung Israels in Zukunft nicht aus?
„Das habe ich nicht gesagt.
Arafat hatte Israel seit 1988 anerkannt und das hat nichts gebracht. Wie auch
immer, es gibt viele Staaten auf der Welt, die miteinander koexistieren,
ohne sich anzuerkennen, zum Beispiel China und Taiwan.“
Versetzen Sie sich in die
Lage der Israelis! Ihr wollt Euren Staat, sagt jedoch, dass das gesamte
Palästina islamische Erde ist und besteht auf dem Rückkehrrecht der
Flüchtlinge. Warum sollten sie das akzeptieren?
„De facto verhandeln die
Israelis – mit Hilfe der ägyptischen Vermittlung – insgeheim bereits mit uns
über die Freilassung ihres Soldaten und über die Feuerpause. Die religiöse
islamische Dimension existiert. Ich mache mir im Moment allerdings mehr Sorgen
um meine Leute und gewiss nicht um die Israelis. Für uns ist zentral, dass die
circa 5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge, die im Ausland leben, in ihre
Häuser zurückkehren können.“
Sind Sie sich darüber im
Klaren, dass die Ankunft von 5 Millionen Palästinensern das Verschwinden
Israels verursachen würde?
„Nein, warum? Es wäre ein
anderer Staat, ein demokratischer, der auch die arabischen Rechte respektiert.
Aber es ist besser jetzt eine Übereinkunft zu erzielen. Weil die neuen
arabischen Generationen unnachgiebiger sein werden und Israel dann keinen
Gesprächspartner mehr finden wird.“
Wie beurteilen Sie den
italienischen Vorschlag internationale Beobachter nach Gaza zu entsenden?
„Als nutzlos. Beobachter
werden an den Grenzen zwischen den Staaten gebraucht. Wir sind noch ein
besetztes Volk.“
Vorbemerkung
und Übersetzung aus dem Italienischen: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de