* Rosso:

 

Für seine Anhänger ist der Kolonialstaat Israel die „Modelldemokratie im Mittleren Osten“, wenn nicht sogar – für die Damen und Herren „Antideutschen“„der halbe Weg zum Kommunismus“. Eine „Demokratie mit Vorbildcharakter“, die den Genuss der, ohnehin begrenzten, bürgerlichen Rechte allerdings weitgehend auf den jüdischen Bevölkerungsteil beschränkt. Den Nicht-Juden und insbesondere den nach den Massenvertreibungen übrig gebliebenen Palästinenser beschert die israelische Demokratie vor allem Diskriminierung, Repressalien und ein Leben als Bürger zweiter Klasse. Dagegen hat sich schon vor Jahren Widerstand der arabischen Bewohner des zionistischen Staates formiert, der zum Teil blutig unterdrückt wurde. Beim schlimmsten Massaker der jüngeren Vergangenheit erschossen israelische Grenzpolizisten am 2.Oktober 2000 in Nazareth 13 arabische Israelis, die gegen ihre unerträglichen Lebensbedingungen demonstriert hatten. Die Zahl der Verwundeten ging in die Hunderte. Ein sehr lesenswerter Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu diesem Ereignis und seinen Hintergründen findet sich unter http://zeus.zeit.de/text/2000/43/200043_palaestina.xml. Bei Pogromen militanter Zionisten ist es fast schon Tradition, dass die Polizei nur dann eingreift, wenn sich palästinensische Gegenwehr entwickelt und die Angreifer in Schwierigkeiten geraten. Als ein Beispiel von vielen sei hier auf den Angriff eines rassistischen Mobs von 500 jüdischen Israelis verwiesen, der Mitte Oktober 2000 in Tel Aviv drei arabische Wohnhäuser zerstörte, ohne dass die „Ordnungshüter“ in irgendeiner Weise eingriffen (siehe „Arbeiterpolitik“ Nr. 4/2000 vom 6.12.2000, S.4;  http://www.arbeiterpolitik.de/Zeitungen/PDF/2000/Arpo-4-5-00.pdf).

Zu den aktuellen Formen des palästinensischen Widerstandes gegen diese Behandlung innerhalb des Kernstaates Israel (d.h. in den Grenzen von 1967) zählt der Entwurf des „Rechtshilfezentrums für arabische Minderheitenrechte in Israel“ Adalah (http://www.adalah.org/eng/index.php) für eine tatsächlich demokratische, weil multiethnische und antizionistische Verfassung. Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto veröffentlichte am 2.3.2007 ein Interview mit dem Rechtsanwalt Marwan Dalal, einem der führenden Köpfe von Adalah (Arabisch für: „Gerechtigkeit“).

 

Der Führer von Adalah: Mit der von den in Israel lebenden Palästinensern vorgeschlagenen Verfassung fordern wir Rechte für die Inlandsflüchtlinge, Zweisprachigkeit und Demokratie

 

„Wir werden für einen Staat kämpfen, der ein Staat aller seiner Bürger ist“

 

Michele Giorgio – Jerusalem

 

Nach monatelanger Arbeit hat ein Expertenteam von Adalah, dem Rechtshilfezentrum für die palästinensischen Bürger Israels den Entwurf einer „Demokratischen Verfassung“ verbreitet, die darauf ausgerichtet ist eine Situation vollständiger Gleichberechtigung zwischen den jüdischen und den arabischen Bürgern des Staates Israel zu schaffen. Das Dokument fordert de facto, auch wenn es nicht ausdrücklich von der Schaffung eines binationalen Staates spricht (einem politischen Projekt, das unter den in Israel lebenden Palästinensern eine breite Unterstützung findet), dass sich Israel von einem „jüdischen Staat“ in einen „demokratischen Staat“ für alle seine Bürger verwandelt. „Die Frage, die sich die politische Führung dieses Landes in Zukunft stellen muss, lautet nicht: ‚Wer ist Jude?’, wie es bis heute der Fall war, sondern: ‚Wer ist Staatsbürger?’“, erklärt Marwan Dalal, einer der Experten, die an dem Entwurf der „Demokratischen Verfassung“ beteiligt waren. Wir erreichten Dalal gestern telefonisch in Shefa’amr in Galiläa.

 

Ihr Verfassungsvorschlag sieht im Wesentlichen eine entscheidende Wende für Israel vor und nicht nur für die palästinensische Minderheit.

 

„Wir brauchen eine historische Wende, eine umfassende Veränderung, die eine volle Gleichberechtigung von Juden und Arabern in Israel verwirklicht, den Privilegien für immer ein Ende setzt, die die jüdische Mehrheit 60 Jahre lang genossen hat, und die Diskriminierungen beendet, unter denen die Araber dagegen leiden. Dieses Projekt zu verwirklichen würde bedeuten, auch auf dem Weg zum Frieden und zur Koexistenz zwischen Arabern und Juden einen entscheidenden Schritt voranzukommen und das nicht nur in Israel.“

 

Der Augenblick, den Sie gewählt haben, scheint für den Beginn einer ernsthaften innenpolitischen Diskussion über Themen, die vielen jüdischen Israelis als ein Versuch erscheinen, das zu zerstören, was sie als den „demokratischen Charakter“ des jüdischen Staates bezeichnen, wenig günstig. Ohne zu vergessen, dass sich in den letzten Jahren die Aufrufe der israelischen Rechten für die Ausweisung eines erheblichen Teils der arabischen Bürger vervielfacht haben, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Lieberman <von der rechtsradikalen Vaterlandspartei (Yisrael Beitenu)> an der Spitze.

 

„Das was die Palästinenser in Israel, d.h. die arabischen Israelis, den jüdischen Bürgern seit langem zu erklären versuchen ist, dass ein Staat, der sich selbst als ‚jüdisch’ definiert, nicht vollständig demokratisch sein kann. Die Diskriminierung derjenigen, die nicht jüdisch sind, ist vorgezeichnet, passiert automatisch in politischer und ökonomischer Hinsicht. Übrigens besagen die Gesetze ganz klar, dass sie den Juden Vorteile und Privilegien garantieren, die dem Rest der nicht-jüdischen Bevölkerung hingegen nicht zugesichert werden. Ich weiß sehr gut, dass für viele, ja für fast alle jüdischen Israelis das Prinzip des ‚jüdischen Staates’ unverzichtbar ist – zumindest vorerst. Aber wir haben die Pflicht eine andere und bessere Zukunft für dieses Land zu entwerfen.“

 

Ghaleb Majadele, der erste in Israel zum Minister ernannte Araber, hat gesagt, dass die in Israel lebenden Palästinenser ohne eine bessere Integration und ein Ende der Diskriminierungen eine „Zeitbombe“ bleiben, die explodieren und in wenigen Jahren zu einer Intifada im Inland führen könnte.

 

„Die in Israel lebenden Palästinenser sind keine Zeitbombe. Diese Bezeichnung ist nicht akzeptabel. Sie sind Staatsbürger, die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung fordern und sollten nicht als eine Bedrohung betrachtet werden, nur weil sie ihre sakrosanten Rechte einfordern, die von den Verfassungen vieler demokratischer Länder garantiert werden. In jedem Fall ist die Integration, von der Majadele (der es akzeptiert hat, sich neben Lieberman zu setzen) spricht, sicher nicht unser Ziel. Wir haben stattdessen einen Verfassungsentwurf erarbeitet, der sich auf internationale Resolutionen, Konventionen und Gesetze gründet und sich das Beste der Grundgesetze der vollendetsten Demokratien zum Vorbild nimmt. Wir haben nicht an das kleinere Übel bzw. an den Kompromiss gedacht, sondern an die Verwirklichung eines Rechtsstaates auf diesem Boden.“

 

Welche Punkte sind Ihres Erachtens für Ihre „Demokratische Verfassung“ am charakteristischsten?

 

„Die Punkte, die von einem multiethnischen und zweisprachigen Staat sprechen, in dem diejenigen, die unter Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten, wie der Konfiszierung des Landbesitzes der Araber (in den ersten Jahren nach der Gründung Israels; Anm.d.Red.) gelitten haben, endlich ihre Stimme erheben können, ohne Angst haben zu müssen. Einen Staat, in dem zum Beispiel die Rechte der im Inland Umgesiedelten anerkannt werden.“

 

Das sind Punkte, die in der arabischen Minderheit eine breite Zustimmung finden, die aber dennoch nicht die Unterstützung der jüdischen Israelis haben, mit Ausnahme einer sehr geringen Minderheit. Fürchten Sie nicht, dass Ihr Verfassungsentwurf Gefahr läuft ein Stück Papier zu bleiben, das niemals ernsthaft geprüft wird?

 

„Wir haben die Zustimmung einiger jüdischer Intellektueller und Universitätsdozenten erhalten und das bestärkt uns. Gleichzeitig wissen wir, dass die jüdische Bevölkerung diese Initiative nicht teilt. Aber wir arbeiten langfristig, in der Überzeugung, dass die Zukunft von Juden und Arabern in Israel über die Schaffung eines Staates für alle seine Bürger verläuft.“

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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