Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Brüsseler Demonstration gegen Neoliberalismus und Krieg am 19.März 2005, zu der
belgische Studentengruppen, der EGB und die Antiglobalisierungsbewegung mit
zwei unterschiedlichen Aufrufen mobilisiert hatten, wurde letztendlich von den
EGB-Gewerkschaften und ihren Bürokratien sowie dem Thema Bolkestein-Richtlinie
beherrscht. Ein weiteres Zeichen für die massive Krise der No global-Bewegung.
Einige Tage nach der Demonstration interviewte die von Rifondazione Comunista
herausgegebene linke italienische Tageszeitung „Liberazione“ für die
Ausgabe vom 25.3.2005 den Sprecher von Attac Italia, Marco Bersani, zum
Ergebnis des EU-Gipfels, der weiteren Entwicklung der Bolkestein-Direktive und
den Perspektiven der Bewegung. Attac Italia ist zwar einerseits deutlich
kleiner als Attac Deutschland, aber auch etwas radikaler. (Die Mitgliederzahl von
attac Italia stagniert seit Januar 2000 bei offiziell 2.000 Mitgliedern – BRD:
offiziell 6.000. weltweit: offiziell 90.000 attac’is in 50 Ländern) So war
Bersani zusammen mit Piero Bernocchi (Cobas), Luca Casarini (Disobbedienti) und
Salvatore Cannavò („Liberazione“, Rifondazione und 4.Internationale) einer der
vier Autoren, die im Januar 2004 dem von Rifondazione-Parteichef Fausto Bertinotti, mit Blick auf die
angestrebte Regierungsbeteiligung, verkündeten Gewaltfreiheitsdogma mit einem
offenen Brief widersprachen. Ihre Entgegnung trug den Titel „Gegenüber der
gewalttätigen Macht reicht es uns nicht, uns als gewaltfrei zu bezeichnen“ und
findet sich in deutscher Übersetzung unter http://antifa.unihannover.tripod.com/Viererbande.html.
Marco Bersani ist also eher dem linken Flügel der italienischen
Anti-Globalisierungs-Bewegung zuzurechnen.
Interview
mit Marco Bersani von Attac Italia:
„Bolkestein?
Die Mobilisierung muss fortgesetzt werden.“ „Die Beteiligung der
osteuropäischen Länder war außerordentlich.“
Die nächsten Termine zwischen Prag und Bukarest
Was das Ergebnis des
Brüsseler EU-Gipfels anbelangt, ist das wichtigste Resultat, dass die
Schwierigkeiten der Bolkestein-Richtlinie zum ersten Mal schwarz auf weiß
niedergeschrieben wurden. Im wesentlichen hat der Europäische Rat eingestanden,
dass die Bolkestein-Richtlinie anfängt, nicht mehr auf soziale Zustimmung zu
treffen. Der andere in Brüssel verzeichnete Erfolg ist, dass die große
Mobilisierung der Gewerkschaften und der Bewegungen in jenen Regierungen
Widersprüche hervorgerufen hat, die bis vor wenigen Monaten davon überzeugt
waren, dass die Richtlinie in Ordnung sei. Die Stellungnahmen, die daraufhin
abgegeben wurden, bilden einen Nebelschleier. In Wahrheit geht die europäische
Kommission keinerlei formale Verpflichtung ein, die Richtlinie umzuschreiben.
Barroso sagt, dass sich das Europaparlament mit den Bedenken der öffentlichen
Meinung befassen müsse.
Mir scheint, das war
alles in allem ein positiver Verlauf…
„Es beginnt eine
Überarbeitungsphase, sicher. Aber Vorsicht! Die verabschiedeten Änderungen
gehen nicht automatisch in den endgültigen Text ein. Die Kommission kann sich
vorbehalten, sie aufzunehmen oder auch nicht. Meiner Ansicht nach sind die in
den letzten Tagen abgegebenen Erklärungen ad hoc geschehen, um den Bedenken der
französischen Regierung entgegen zu
kommen, die über das, was derzeit in Frankreich geschieht, wo die Umfragen vom
Sieg des Nein beim Referendum über die Europäische Verfassung sprechen, sehr
beunruhigt ist. Die EU-Kommission wartet den Wechsel der Präsidentschaft der
Union ab. Wenn die an Großbritannien übergeht, das unter den Regierungen
diejenige ist, die am vehementesten für die Bolkestein-Richtlinie eintritt,
wird die Auseinandersetzung härter werden. Praktisch sind sie dabei, die
Situation einzufrieren, um alles auf diesen Punkt zu konzentrieren.“
Das Einfrieren ist jedoch
ein Resultat, das auch dank der Mobilisierung erzielt wurde, oder nicht?
„Ich glaube, dass die Bewegungen
und die Gewerkschaften die Tatsache, dass die Bolkestein-Richtlinie in
Schwierigkeiten steckt, mit Zufriedenheit zur Kenntnis nehmen können, die
Wachsamkeit allerdings nicht reduzieren sollten. Eines der Ergebnisse des von
der GUE <Europaparlamentsfraktion
der Europäischen Vereinigten Linken>
organisierten Seminars ist die größere Aufmerksamkeit auf die Länder
Osteuropas. Aus dem Osten sind positive Signale zu verzeichnen und seit <der Demo am 19.3.2005 in> Brüssel ist die Blockade endlich aufgehoben. Die
Idee besteht darin, Aktionen direkt in den Ländern Osteuropas zu starten.
Bereits beim nächsten Termin in Prag (dem Vorbereitungstreffen für das
Europäische Sozialforums) werden wir versuchen, ein spezielles Treffen der Bewegungen
Ost- und Westeuropas zur Bolkestein-Richtlinie zu organisieren.“
Glaubst Du, dass die
europäische Gewerkschaftsbewegung die aus Brüssel kommende Botschaft begriffen
hat?
„Beim Europäischen Gewerkschaftsbund
ist ein Fortschritt festzustellen. Sowohl was die Art anbelangt, wie die
Demonstration am Anfang organisiert wurde als auch was die anfänglichen
Positionen des EGB angeht. Am Anfang stand eine sehr viel schüchternere
Position. Meines Erachtens hatte die Bewegung, auch wenn sie verschiedene
europäische Sozialforen organisiert hat, immer Mühe, an Europa als Kampfterrain
zu denken. Brüssel war der erste große Schritt in diese Richtung.
Wirtschaftsliberalismus / Freihandel und Krieg zum Beispiel werden nicht mehr
getrennt betrachtet.“
Die Richtlinie hatte den
Effekt, Europa direkt ins Herz des Wirtschaftsliberalismus / Freihandels zu
befördern…
„Die Bolkestein-Richtlinie
hat uns direkt ins Herz des Neoliberalismus befördert. Sie berührt verschiedene
soziale Subjekte: von den Arbeitenden bis zu den lokalen Institutionen. Sie hat
daher die Möglichkeiten für einen umfassenden Konflikt geschaffen. Es ist als
wäre sie ein allgemeines Paradigma des Neoliberalismus.“
<Das
Interview führte:> Fabio Sebastiani
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover