* Rosso:
Die Pleite im Senat, bei der die
italienische Mitte-Links-Regierung am 21.Februar 2007 für das außenpolitische
Strategiepapier, mit dem sie die Großdemonstration gegen den Ausbau der
US-Basis in Vicenza vier Tage zuvor (real ca. 10.000
Teilnehmer) konterkarieren wollte, trotz massiven Drucks nicht die absolute
Mehrheit erhielt, führte zum Rücktritt von Ministerpräsident Prodi. Verantwortlich gemacht für diese Bauchlandung werden
insbesondere die beiden abtrünnigen kommunistischen Senatoren Fernando Rossi
(ehemals PdCI) und Franco Turigliatto
(Rifondazione Comunista –
PRC; am 1.3.2007 ausgeschlossen worden), die der in dem Papier bekräftigten
imperialistischen Kriegs- und Kolonialpolitik ihre Stimme verweigerten. Damit
wurden sie umgehend zum Sündenbock der Mitte-Links-Union und der
Parteiführungen von PdCI und PRC. In Wirklichkeit ist
der Dissens sehr viel weiter verbreitet, wie die „Neue Zürcher Zeitung“
am 22.2.2007 richtig feststellte:
„Die Gruppe derer, denen Prodis aussenpolitischer Seiltanz
zu wenig nach links neigt, umfasst mehr Mitglieder als die zwei Senatoren, die
am Mittwoch aus der Reihe tanzten. Sie besteht zum einen aus Parlamentariern,
deren Basis weniger an einem politischen Programm interessiert ist, dafür aber
an bestimmten konkreten Anliegen – wie eben dem Verzicht auf den Stützpunkt von
Vicenza. Zum andern besteht es aus jenen, die nach
alter kommunistischer Lehre ein Engagement an der Seite der USA als Teilnahme
an einer imperialistischen Unternehmung sehen. Doch Sympathie für die USA ist
heutzutage über diese Kreise hinaus dünn gesät. Das zeigte sich allein schon an
der Mühe, die Prodi hatte, sich gegen den Vorwurf der
Servilität gegenüber Washington zu verteidigen.“
… und der Probleme der
Parteiführungen von PdCI und Rifondazione,
die ihr gesamtes politisches Kapital auf Prodi
gesetzt und mit ihren hochtrabenden reformistischen Hoffnungen binnen weniger
Monate Schiffbruch erlitten haben. Sich dieser bitteren Erkenntnis zu stellen,
überfordert sie allerdings bei weitem. Hieße es doch, auch die bei nächster
Gelegenheit anstehende Vertreibung aus dem Olymp der Posten und Pöstchen sowie
der (weitgehend eingebildeten) eigenen „Wichtigkeit“ zu akzeptieren. Außerdem
sind der PRC und noch weniger seine Rechtsabspaltung PdCI
politisch auf eine solche Situation vorbereitet. Während für die „Partei der
Italienischen Kommunisten“ (PdCI) das Mitregieren
um jeden Preis schon immer an erster Stelle stand (siehe die faktische
Unterstützung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien als Teil der Regierung D’Alema 1998/1999) hat Rifondazione
Comunistas Parteispitze unter dem eloquenten Fausto Bertinotti jahrelang aus der außerparlamentarischen
Opposition heraus genau darauf hingearbeitet und der Regierungsbeteiligung seit
2004 alles andere geopfert. Daher stellt sich die Frage, wie viel Gehör der
Appell des ehemaligen COBAS-Kaders bei Alfa Romeo Mailand-Arese und bis vor wenigen Monaten PRC-Fraktionsvorsitzenden im Senat, Gigi Malabarba bei der Parteispitze finden wird. Malabarba ist, genau wie Turigliatto,
einer der Köpfe der parteilinken Strömung „Sinistra
Critica“ (Kritische Linke; http://www.sinistracritica.org) an, die 6,5% der 95.000 PRC-Mitglieder
repräsentiert, sich um die Zeitschrift „ERRE“ gruppiert und zum Großteil
der „offiziellen“ IV.Internationale angehört. Das
Interview mit dem alles andere als radikalen Gigi Malabarba
erschien in der unabhängigen, linken Tageszeitung „il manifesto“ vom 23.2.2007.
Gigi Malabarba
verteidigt Turigliattos Entscheidung und attackiert
das Sekretariat: „Bei den Linksdemokraten (DS) gibt es mehr Demokratie!“
„Wir können es nicht so machen wie der PdCI `98!“
Matteo Bartocci
„Ich bedaure nur, dass
die Regierung nicht aufgrund einer Mobilisierung von links gestürzt ist,
sondern infolge einer ganz und gar parlamentsinternen Krise.“ Gigi Malabraba, ehemaliger
Senator von „Sinistra Critica“,
der „trotzkistischen“ Minderheit des PRC, sitzt in seinem Büro und geht
die E-Mails nach dem Rücktritt seines Genossen Franco Turigliatto
durch. „Dieses Votum“ – erklärt er – „ergibt sich aus dem Scheitern der
Hypothese, dass man die Regierung von links beeinflussen könne und aus dem
Eingeständnis, dass die Welle der Bewegungen, nicht mit jener grundlegenden
Veränderung der Linken zusammentraf, die wir uns gewünscht haben.“
Sind die
Mitte-Links-Union und ihre Regierung gescheitert?
„Das Olivenbaum-Bündnis <aus den sozialdemokratischen Linksdemokraten
(DS) und der christdemokratisch-liberalen Margerite> dachte, es sei quasi allein ausreichend. Das
Ergebnis ist aber, dass es ihnen nicht gelingt, ihre Politik zu machen und wir
unsere. In dieser Situation hätte Prodi versuchen
können, in der Gesellschaft das <an Unterstützung> zu gewinnen, über das er im Senat zahlenmäßig nicht verfügt: Einen
größeren Einklang mit dem lebendigen und lebenswichtigen Teil dieses Landes,
ausgehend von den Themen ‚Frieden’ und ‚Ökonomie’.“
Jetzt werdet Ihr
allerdings als die Verantwortlichen für ein „neues
`98“ bezeichnet, als Verräter Eurer Genossen und Urheber der Rückkehr der
Rechten. War es das wert?
„Mit demjenigen zu hadern,
der sich nicht an der Abstimmung beteiligt hat, ist falsch. Im Senat gab es
keine Mehrheit. Die Regierung hatte den Grund bereits erreicht und mit der
Offensive in Afghanistan wäre es auch für Rifondazione
schlimm geworden. Wie kann man einen Krieg akzeptieren, den wir immer
kritisiert haben? Ich sehe in den Zeitungen und in der Partei eine Lynchaktion
gegen Turigliatto und die kritische Linke, aber die
Mehrheit muss anerkennen, dass ihr Projekt gescheitert ist.“
Was kann passieren, wenn Prodi stürzt?
„Mir scheint, dass wir dabei
sind uns so zu verhalten wie der PdCI `98 als er sich
mit <dem rechten
Christdemokraten> Cossiga und der <ebensolchen> UDR verbündete, um die Regierung D’Alema
ins Leben zu rufen. Heute wäre es mit Follini und den
anderen ehemaligen Vertretern der Democrazia Cristiana (DC) dasselbe. Eine in
der Mitte angesiedelte Politik zu verfolgen, wäre für uns allerdings das
Schlimmste. Das Ende unserer Identität. Es tut mir wirklich sehr leid, weil es
außerhalb dieser Partei auf der Linken nicht besonders viel gibt. Bertinotti hat es auf dem Parteitag klar gesagt: Es gibt
keine Alternativen zur Regierung der Mitte-Links-Union. Jetzt haben wir keinen
Ausweg mehr und der PRC hat sich vollständig in eine Regierungslinke
verwandelt. In den Zeitungen ist nicht die Rede davon, aber die ganze Partei
ist entleert. Auch vor Ort steht alles still und sind wir nur noch in den
Institutionen aktiv. In der Mitte-Links-Union verankert, werden wir ihr
Schicksal teilen: Entweder durch einen langsamen Verschleiß oder durch die
Implosion. Das Problem ist jedoch ein anderes: Wäre der PRC heute in der Lage
sich zu reaktivieren, wie er es 2001 getan hat?“
Zeigt das Vicenza nicht?
„Das weiß ich nicht. Die
Fotos von Genua zu betrachten ist sehr viel aussagekräftiger. In Vicenza waren wir am Ende des Demozuges, in den
Institutionen, unter den Parlamentariern. Man befürchtete sogar Pfiffe <gegen Rifondazione>. Auf jedem Bild des G8-Treffens sieht man dagegen,
dass die Fahnen von Rifondazione überall entlang des
Demozuges waren. Dort waren wir – gemeinsam mit vielen Anderen – Protagonisten.“
Für Turigliatto
und für <den PRC-Abgeordneten> Cannavò zeichnet sich der Parteiausschluss
ab. Hältst Du das für eine gerechtfertigte Maßnahme?
„Turigliatto
aus der Fraktion auszuschließen, ist verständlich. Aber ich möchte nicht, dass
die Parteimitglieder unseres Bereiches bestraft werden. Die Aktivisten sind
nicht verantwortlich für einen Parlamentarier. Ich weiß natürlich sehr gut,
dass es Bertinotti <Anm. 1>
nicht mehr da ist und an der Regierung zu sein, ist was anderes. So etwas ist
jedoch undenkbar. Demnächst gibt es die Organisationskonferenz und was machst
Du da? Schließt Du diejenigen aus, die nicht so denken, wie Du? Wir sind doch
nicht mit der Parteikasse durchgebrannt. Bei den Linksdemokraten (DS) gibt es
mehr Demokratie. <Der
DS-Linke und ehemalige Arbeitsminister>
Salvi ist gegen die Demokratische Partei und dennoch
Präsident der Kommission und niemand würde auf den Gedanken kommen, ihn aus der
Partei zu jagen. Die Kritik am Stalinismus und der politische Pluralismus waren
von Anfang an das Gute am PRC. Die Tatsache, dass dies heute zur Diskussion
steht, ist der Beweis dafür, dass die Regierung dabei ist uns völlig zu
entarten.“
Anmerkung 1:
Fausto Bertinotti (66, geboren in Sesto
San Giovanni bei Mailand, studierter Ingenieur, hauptamtlicher
Gewerkschaftsfunktionär der CGIL und lange Kopf ihres linken Flügels) war von
Januar 1994 bis April 2007 Generalsekretär von Rifondazione
Comunista (PRC) und bekleidet seitdem das Amt des
Präsidenten der italienischen Abgeordnetenkammer, d.h. das dritthöchste
Staatsamt der G8-Macht Italien! Nebenbei ist er noch Präsident der Europäischen
Linkspartei, der auch die deutsche PDS, der französische PCF, die spanische Izquierda Unida usw. angehören.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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