* Rosso:
Im Irak läuft es nicht gut für den
US-Imperialismus. Das gesteht mittlerweile selbst George W. Bush ein. Mehr als
3.000 gefallene GI’s, eine außer Kontrolle geratene
innenpolitische Situation, um nicht zu sagen ein verdeckter Bürgerkrieg
zwischen Sunniten und Schiiten, der den USA mehr schadet als nutzt, weil er
ihren Nimbus als wichtigste Ordnungsmacht der neuen Weltordnung massiv in Frage
stellt und eine von ihnen eingesetzte Marionettenregierung mit
Ministerpräsident Maliki, die sich zunehmend von den
Strippen befreit und sich Washingtons gegenwärtigem Feind Nr.1 – dem Iran –
zuwendet, in Sachen Irak nach wie vor renitente und auf eine eigenständige
Politik setzende europäische Mächte (wie die BRD, Frankreich, Spanien und
Italien), die von den Schwierigkeiten der imperialistischen Supermacht
profitieren wollen... Das verstärkt die Abkehr vom Unilateralismus
und den relativen Niedergang der USA eher als dass es ihnen bei der Festlegung
der globalen Kräfteverhältnisse und der Kontrolle der Erdölregion Persischer Golf
Pluspunkte verschafft.
Weshalb Bush in seiner
Fernsehansprache am 11. Januar 2007 die Entsendung weiterer 21.500 Soldaten in
den Irak und eine “neue Strategie” ankündigte, deren Motto nun “Säubern,
Sichern, Aufbauen” lauten soll. Wie “neu” diese Strategie
tatsächlich ist, sei einmal dahingestellt. Viel ändern
an den gegenwärtigen Schwierigkeiten der Hauptbesatzungsmacht wird sie wohl
kaum und auch innenpolitisch verschafft sie Bush junior keine Luft. Eine kurz
nach seiner Rede für die “Washington Post” und den Fernsehsender “ABC”
durchgeführte Umfrage in den USA ergab, dass 61% der US-Bevölkerung gegen seine
Irak-Politik sind (52% sogar “entschieden dagegen”), während 36% sie unterstützen
(„il manifesto“ 13.1.2007).
Auch die Kommentare lassen an
Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Der Leitartikel der traditionell
pro-atlantischen “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” vom
13.1.2007 trägt den Titel “Letzte Chance im Irak” und beginnt mit
den – angesichts von Saddams kurz zuvor erfolgter Hinrichtung am Galgen –
makabren Worten: “Präsident George W: Bush hat sich selbst die Galgenfrist
gesetzt: Bis November sollen die irakischen Sicherheitskräfte die Verantwortung
in allen 18 Provinzen des Landes übernommen haben. Das ist ein ehrgeiziges,
fast utopisches Ziel: In zehn kurzen Monaten müsste gelingen, was zuvor in fast
vier langen Jahren nicht vollbracht werden konnte.” Wie das Urteil am Ende
wahrscheinlich lauten wird, lässt die FAZ durchblicken als sie darauf verweist,
“was eine deutliche Mehrheit in Europa, im Nahen Osten und jetzt auch in
Amerika seit langem glaubt: dass der Krieg im Irak mit militärischen Mitteln
nicht mehr zu gewinnen ist und dass es nur noch darum gehen kann, die Folgen
der unvermeidlichen Niederlage zu begrenzen.”
Bushs neueste Ideen nennt das
Zentralorgan der deutschen Bourgeoisie einige Seiten weiter gleich in der
Überschrift eines Vierspalters den “gefährlichsten außenpolitischen Pfusch
seit Vietnam” und zitiert damit den republikanischen (!) Senator Chuck
Hagel aus Nebraska.
Angesichts solcher
Auflösungserscheinungen an der “inneren Front” stellt sich unwillkürlich
die Frage: Was macht eigentlich die Anti-Kriegs-Bewegung in den USA und kann
sie heute möglicherweise eine ähnlich positive Rolle spielen wie beim
Vietnam-Krieg Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre? Die linke, bewegungs-orientierte
italienische Tageszeitung “il manifesto”
brachte am 12.1.2007 das folgende Interview mit der Koordinatorin
des US-amerikanischen Friedensbündnisses “United for
Peace and Justice”,
Leslie Cagan.
“Kein Vertrauen
in die US-Politiker. Werden wir gegen den Krieg aktiv!”
Es spricht Leslie Cagan, Koordinatorin und
Leiterin von “United for
Peace and Justice”, ein
Bündnis, das 1.500 pazifistische Organisationen in Amerika vereint.
“Die Entscheidung von
Präsident Bush die Eskalation weiter voranzutreiben und weitere 20.000 Soldaten
in den Irak zu entsenden, ist skandalös und eines neuen Doktor Seltsam <Stanley Kubrick: “Wie ich lernte
die Bombe zu lieben“> würdig. Er
und sein Clan haben mit voller Absicht beschlossen die klare Meinungsbekundung
des amerikanischen Volkes zu ignorieren, das sich bei den letzten Wahlen am 7.
November vergangenen Jahres mit seinem Votum gegen den Krieg ausgesprochen und
den sofortigen Abzug gefordert hat. De facto kündigt die Strategie der
Intensivierung die Ausweitung der Angriffe auf Syrien und den Iran an. Der Protest
weitet sich aus und in 46 Bundesstaaten werden 500 Demonstrationen mit einem
einzigen Slogan stattfinden: ‚America says No to the war.‘” Mit
diesen harten Worten der Anklage beginnt das Interview von Leslie Cagan für “il manifesto”.
Leslie Cagan ist Koordinatorin und Leiterin von 1.500
pazifistischen Organisationen der USA, die sich in dem Bündnis “United for Peace and Justice”
zusammengeschlossen haben und sich gegen den Einmarsch und die amerikanische
Besetzung des Irak und Afghanistans wehren.
Welche Bedeutung hat eine
Entscheidung wie die von Bush, die jeden diplomatischen Weg ausschließt?
“Eine derartige Entscheidung
hat nichts Rationales und signalisiert ein diabolisches Beharren auf dem
Fehler, nur um nicht einzugestehen, dass in der gesamten Region des Mittleren
Ostens eine zum Scheitern verurteilte Strategie verfolgt wurde. Wobei er selbst
die Führer seiner eigenen Partei und die Ansicht von Generälen wie Casey und Abizaid ignoriert, die
einen Strategiewechsel in der Kriegführung empfahlen.“
In welcher Weise können
die Pazifisten selbst Druck auf den Kongress ausüben, in dem die Demokraten die
Mehrheit haben, damit er sich der Eskalation widersetzt und den Abzug erzwingt?
“Wir haben nicht mehr die Absicht auf die Entscheidungen der Politiker zu
warten und setzen keine sehr großen Hoffnungen in die nächsten Initiativen der
Demokraten im Kongress. Dies ist vielmehr der geeignete Moment, um den
Anti-Kriegs-Mobilisierungen im ganzen Land die größtmögliche Aufmerksamkeit zu
verschaffen. Während der letzten Wahlen im November haben 72% der Bevölkerung
in vielen Bundesstaaten in dem Referendum, das den sofortigen Abzug der Truppen
aus dem Irak forderte, mit Ja gestimmt. Bereits 300 Stadt- und Gemeinderäte
haben Resolutionen, die das Ende des Krieges forderten, einstimmig ratifiziert.
Für den 27. Januar wurde in Washington eine Großdemonstration gegen die
Eskalation und für den sofortigen Abzug angesetzt. Das wird eine der vielen
Möglichkeiten sein, mit denen wir die demokratische Mehrheit im Kongress dazu
auffordern werden den Willen der Mehrheit des amerikanischen Volkes zu
respektieren.“
Welchen Einfluss kann die
Resolution des Senators Ted Kennedy im Kongress haben, die für jede
Truppenentsendungen betreffende Entscheidung eine Debatte im
Kongress verlangt?
„Der Kennedy-Vorschlag, der
auch einen symbolischen Wert innerhalb der Führung der Demokraten besitzt, wird
dann große Bedeutung haben, wenn es gelingt, ihn zum Gegenstand der
Kongressdebatte zu machen. Weil es dort eine echte Auseinandersetzung über den
amerikanischen Krieg und die Besetzung des Irak nie gegeben hat. Diese
Diskussion würde auf der Verfassungsebene den ersten institutionellen Konflikt
zwischen der legislativen und der exekutiven Macht darstellen. Aber sind die
Demokraten wirklich zu einem sofortigen Rückzug aus dem Irak entschlossen? Die
Erklärungen ‚gegen die aktuelle
politische Führung des Irak-Krieges’ zu sein, einmal beiseite gelassen,
scheint die Mehrheit der Demokratischen Partei im Moment nicht bereit zu sein
der Forderung nach einer Erhöhung der zusätzlichen Kriegsausgaben eine Abfuhr
zu erteilen. Die von Kennedy vorgeschlagene Resolution würde dazu dienen
Missverständnisse und Illusionen zu beseitigen, die von der Mehrheit der
Demokraten in der öffentlichen Meinung geweckt wurden und sie wäre nützlich, um
endlich die ‚Exit Strategy’
aus dem Krieg zu verdeutlichen.“
Die unter der
Johnson-Administration 1968 betriebene Eskalation des Vietnam-Krieges wurde
während der Präsidentschaft von Nixon 1970 gestoppt und das erst als der
Kongress beschloss keine weiteren Militärausgaben für die Fortsetzung des
Krieges zu genehmigen. Könnte es passieren, dass die Demokraten heute dasselbe
tun?
„Sicherlich. Das ist ihr
verfassungsmäßiges Vorrecht. Man muss abwarten, ob sie auf diese jüngste
Provokation reagieren und vom verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen die
Bereitstellung aller Gelder zu blockieren.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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