* Rosso:
Zu den Hintergründen der seit Wochen
andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas um die
Kontrolle des Gaza-Streifens, aber auch der West Bank, bei denen bisher mehr
als 100 Menschen getötet wurden und etliche hundert verletzt wurden (darunter
auch viele unbeteiligte Zivilisten, die “zwischen die Linien” gerieten)
brachte die unabhängige, linke italienische Tageszeitung “il manifesto” am 28.1.2007 ein
Interview mit Ghassan Khatib,
das nach der am 8.Februar 2007 unter saudischer Vermittlung in Mekka erzielten
Übereinkunft von Fatah und Hamas über die Bildung einer „Regierung der Nationalen Einheit“ fast noch aktueller ist als
zuvor. Wobei man Khatibs recht handzahme Position
gegenüber USA und EU nicht unbedingt teilen muss.
Zur Person: Der
1954 in Nablus (West Bank) geborene Ghassan Khatib (verheiratet
und Vater dreier Kinder) ist Direktor des Jerusalem
Media and Communication Center (JMCC) und
Führungsmitglied der Palästinensischen Volkspartei (PPP), d.h. der nach 1989
zivilgesellschaftlich gewendeten ehemaligen KP. Wegen gewaltfreien Widerstandes
gegen die zionistische Besatzung saß er von 1974-77 in israelischer Haft. 1991
Mitglied der palästinensischen Delegation bei der Madrider Nahost-Konferenz und
von 1991-93 an den bilateralen Verhandlungen in Washington beteiligt. Von 2002 –
Februar 2005 Arbeitsminister der
Autonomiebehörde, dann als Planungsminister vorgesehen. Er galt seinerzeit als „Mitstreiter“
des heutigen Präsidenten der Behörde, Mahmud Abbas, im Kampf gegen den „unflexiblen“
Yasser Arafat, was seinen Äußerungen bis heute anzumerken ist. Erwähnen sollte
man auch, dass Khatib zusammen mit dem ehemaligen Mossad-Offizier Yossi Alpher (Leiter des Jaffee
Center for Strategic Studies der Universität Tel Aviv und nicht unbedingt
ein Linker), das auf „strategische Studien“ zum Palästina-Konflikt
spezialisierte, binationale, englischsprachige
Online-Wochenmagazin „Bitterlemons“ (www.bitterlemons.org) betreibt.
Interview:
“Der
Konflikt ist dem Kollaps der Autonomiebehörde geschuldet”
Nach Ansicht des in den Besetzten
Gebieten lebenden Analysten Ghassan Khatib wird eine mögliche Exekutive der nationalen Einheit
den internen Kämpfen in Palästina kein Ende setzen. “Mit einer neuen
Regierung wird die interne Konfliktbereitschaft nicht aufhören, sondern
weitergehen, wenn auch mit niedrigerer Intensität.”
“Die Probleme sind sehr
viel größer als die Differenzen bezüglich der Bildung einer Regierung der
Nationalen Einheit.” Der angesehene
politische Analyst der Besetzten Gebiete, Ghassan Khatib, warnt davor die Bildung einer neuen Exekutive, der
Vertreter der Hamas, der Fatah und der anderen politischen Kräfte angehören,
für die Lösung zu halten, die dem inner-palästinensischen Konflikt ein Ende
setzt.
Die Bildung der Regierung
der Nationalen Einheit könnte also nicht das Ende des Tunnels bedeuten, in den
die Palästinenser geraten sind.
“Das Problem, vor dem wir
stehen, ist enorm und betrifft nicht nur die Differenzen über das
Regierungsprogramm, die Anerkennung Israels durch die Hamas und auch nicht die
Kontrolle dieses oder jenes Ministeriums. Der interne Konflikt ist auch das
Produkt des Kollapses unserer Institutionen, der Spaltungen innerhalb der
Gesellschaft und eines immer weiter verbreiteten Verfalls. Neben den, jetzt
immer heftigeren und provokativeren Aktionen, die die verschiedenen daran
beteiligten militärischen Kräfte unternehmen, gibt es auch die Aktionen von
Gruppen und Organisationen, die nicht notwendigerweise die Anweisungen
politischer Führungen befolgen. Selbst die Kriminalität spielt – über den
Waffenhandel – eine große Rolle. Es handelt sich um ein immer einträglicheres
Geschäft. Es ist eine Gesamtheit von lokalen und internationalen Faktoren, die
in die innerpalästinensische Situation eingreifen und sie verkomplizieren. Wie
zum Beispiel die Ablehnung der Regierung der Nationalen Einheit durch Israel
und die Vereinigten Staaten sowie der Druck, den sie auf <Fatah-Chef und
Autonomiebehörden-Präsident Mahmud Abbas alias> Abu Mazen ausüben. Aus
diesem Grunde fürchte ich, dass die interne Konfliktbereitschaft auch nach
Bildung einer neuen Exekutive nicht aufhören, sondern weitergehen wird, wenn
auch mit niedrigerer Intensität.”
Präsident Abu Mazen vertritt die Ansicht, dass die Palästinenser nur
durch die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit in der Lage sein
werden die Aufhebung des Finanzembargos zu erreichen, dass in Kraft ist seit
die Hamas vor einem Jahr die Wahlen gewann. Sonst werde es, hat er Mitte
Dezember verkündet, einen neuen Urnengang geben.
“Das muss sich erst noch zeigen.
Niemand kann uns die Aufhebung der Isolation garantieren. Aber lassen wir
diesen Punkt einmal beiseite und stellen wir uns eine Frage. Gibt es wirklich
ein Finanzembargo gegen die Palästinenser? Wenn wir eine Bestandsaufnahme
machen, entdecken wir, dass sowohl die westlichen Länder als auch die arabischen
2006 mehr Mittel bereitgestellt haben als in den Jahren zuvor. Und mit Hilfe
verschiedener Mechanismen hat ein beträchtlicher Teil dieser Gelder seinen
Bestimmungsort erreicht. Die Wahrheit ist, dass – wenn es sich um ein Embargo
handelt – dieses partiell ist und wir hingegen hervorheben müssen, dass das
wahre Problem, das Zehntausende öffentlich Bedienstete direkt betrifft, die
Beschlagnahmung mehrerer hundert Millionen Dollar durch Israel ist. Gelder, die
der palästinensischen Autonomiebehörde zustehen (und aus der erhobenen
Mehrwertsteuer sowie den Zollgebühren stammen, die an den Grenzübergängen fällig
werden). Es ist Israel, das die Finanzkrise der Autonomiebehörde geschaffen
hat, nicht die Kürzung der internationalen Mittel, die jedem Fall bereits
vorher in die Finanzierung von Projekten und Infrastruktur-Maßnahmen flossen.
Vergessen wir nicht, dass die Europäische Union periodisch via Abu Mazen Mittel für die Gehälter von Tausenden Arbeitern mit
einem sehr niedrigen Einkommen überweist.”
Dennoch hinderten der
internationale Druck, der Boykott und der Geldmangel die Hamas daran zu
regieren. Ich glaube diesbezüglich bestehen keine großen Zweifel.
“Die Tatsache, dass der
Druck einen Teil der Aktivitäten der Hamas-Regierung gelähmt hat, ist
unbestreitbar. Dabei muss man allerdings auch die Unerfahrenheit sehen, die die
islamische Bewegung in dieser sehr komplexen Situation gezeigt hat. Es ist
nicht nur die Schuld der internationalen Erpressung, wenn die Hamas gescheitert
ist. Nehmen wir zum Beispiel die Frage der Bezahlung der Gehälter der in den
Ministerien und den öffentlichen Strukturen Beschäftigten: Israel hat die
Gelder blockiert. Es stimmt aber auch, dass die Regierung im letzten Jahr
einige Millionen Dollar an Mehrwertsteuer kassiert hat, die in Gaza und in Cisjordanien erhoben wurden, ohne die Dutzenden Millionen
Dollar zu vergessen, die die Hamas-Minister über den Grenzübergang Rafah nach Gaza hineinbringen konnten. Die Regierung hat
jedoch beschlossen diese Gelder nicht zur Bezahlung der Gehälter zu verwenden
und zwar aus dem einfachen Grund, weil ein beträchtlicher Teil der öffentlich
Bediensteten Sympathisanten von Al-Fatah sind. Ich
fürchte, dass sie es vorzogen von der Hamas kontrollierte Teile der Verwaltung
zu bevorzugen.”
Sie haben die vielen
Verantwortlichkeiten dargestellt, die sich hinter der palästinensischen Krise
verbergen. Die Lage bleibt besorgniserregend und Abu Mazen
könnte die Spannungen noch vergrößern, wenn er die vorgezogenen Neuwahlen
anberaumt, die er im Dezember angedroht hat.
“Je mehr Zeit vergeht desto
mehr bin ich jedenfalls der Überzeugung, dass Abu Mazen
nicht in der Lage ist die Wahlen anzusetzen. Je mehr das Chaos zunimmt desto
weniger bestimmend werden seine Intentionen. Bei der Bürgerkriegssituation, die
wir in Gaza haben und der zunehmenden Spannung in Cisjordanien
sehe ich nicht wie die Zentrale Wahlkommission die Wahl organisieren könnte.”
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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