Antifa-AG
der Uni Hannover:
Im Rahmen einer Reihe von Interviews und
Kommentaren israelischer Linker zur Spaltung des regierenden Likud-Blocks durch
den Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Ariel
Sharon und dessen Gründung einer eigenen Partei fragte die unabhängige
linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ auch
den Koordinator des Israelischen Komitees gegen die Häuserzerstörungen (ICAHD),
Jeff Halper, nach seiner Einschätzung der Situation.
Jeff Halper (56) ist Professor für Anthropologie an
der Ben Gurion Universität in Negev und gehörte 1997
zu den Mitbegründern des Komitees. Auch wenn wir seine linkssozialdemokratische
Überzeugung und seine Hoffnungen in den neu gewählten Chef der Arbeitspartei (Avoda), Amir Peretz, der sich in
einer Urabstimmung unter den Mitgliedern knapp gegen den bisherigen
Parteivorsitzenden Shimon Peres durchsetzen konnte (der Sharon dann in dessen
neuen Verein folgte), nicht teilen, halten wir insbesondere seine Einschätzung
der israelischen Besatzungspolitik, der Wirtschaftslage und der Intentionen
Ariel Sharons für sehr treffend und verbreitenswert. Auch deshalb, weil die
sog. „Anti-Deutschen“ und andere rechte oder pseudo-linke Kreise hierzulande
die israelische Linke aller Couleur totschweigen bzw. mit Kontaktsperre belegen
möchten.
Eine nüchterne und ernüchternde
Darstellung der Rolle, die Peretz in der
Vergangenheit als Politiker (auch in Am Echad / Ein
Volk und als Gewerkschaftsführer gespielt hat, liefert übrigens der Artikel „Die
Demontage der Histadrut“ des Gewerkschaftslinken Dani
Ben Simhon vom Workers Advice Center (WAC), online unter: http://antifa.unihannover.tripod.com/Histadrut-Demontage.htm
Die englischsprachige Website des
Israeli Committee Against
House Demolitions (ICAHD) findet sich unter: http://www.icahd.org/eng/
Das Interview mit Jeff Halper erschien in „il manifesto“
vom 26.11.2005.
Interview:
„Von Tel Aviv nur einseitiges
Vorgehen“
Dem Aktivisten Jeff Halper zufolge will Sharon der Palästinensischen
Autonomiebehörde nur einen Mini-Staat überlassen.
MICHELANGELO COCCO – Jerusalem
Seit neuen Jahren ist Jeff Halper mit der Überwachung der Zerstörung palästinensischer
Häuser durch die israelische Armee beschäftigt (inklusive derjenigen der
Familien von Selbstmordattentätern) und mit der Denunzierung dieser, der Genfer
Konvention über die Behandlung der Bevölkerungen besetzter Gebiete
widersprechenden Praxis. Mit Hilfe der Spenden, die sie von der von ihm
geleiteten Organisation (ICAHD, Israelisches Komitee gegen Häuserzerstörungen) bekamen
haben die Betroffenen 19 auf demselben Grund und Boden, auf dem diese standen, wieder
aufgebaut. 12 davon wurden jedoch von den Militärs erneut abgerissen.
Ist Peretz
wirklich eine Hoffnung für diejenigen, die (wie Sie) seit Jahren für einen
gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern kämpfen?
„Er ist ohne Frage der am
weitesten links stehende Politiker, den Israel jemals gehabt hat, weil es sich
um einen Sohn der Arbeiterklasse handelt. Er ist pazifistischer als <der 1995 von einem israelischen
Rechtsradikalen ermordete Avoda-Ministerpräsident> Rabin und ehrlich gegen die militärische Besetzung Cisjordaniens. Wenn die Arbeitspartei <Avoda> ihn jedoch vor den Wahlen ‚kastriert’, hat sie keine
Hoffnung, zu gewinnen. Wenn sie ihn hingegen mit seiner politischen Agenda ins
Rennen gehen lassen, wird es einen großen Zuwachs an Parlamentssitzen für die
Linke geben. Was nicht bedeutet, dass große Chancen bestehen, dass ihm der
Präsident der Republik die Bildung der neuen Regierung anvertraut.“
Welches Ziel verfolgt
hingegen Sharon mit der Gründung seiner neuen Partei?
„Der Ministerpräsident ist
am Ende seiner politischen Laufbahn angelangt und hat die Absicht das Ziel, dem
er sein ganzes Leben gewidmet hat, d.h. ein Israel in den größtmöglichen
Grenzen, die die wichtigsten Siedlungsblöcke umfassen, zu erreichen. Er strebt
danach als der Mann in die Geschichte einzugehen, der die endgültige Grenze
festgelegt und dafür gesorgt hat, dass die Palästinenser einen aus Bantustans bestehenden Mini-Staat akzeptieren. Seine neue
Partei hat ihm die Möglichkeit gegeben, sich von allen seinen Gegnern im Likud
zu befreien, von der gesamten Rechten, die nicht so denkt wie er.“
Die Palästinenser
scheinen den Waffenstillstand einzuhalten. Gibt es Spielraum für den Neubeginn
von Verhandlungen?
„Israel wird nur über die
mit der Sicherheit zusammenhängenden Probleme verhandeln und dabei die
‚Zerstörung der terroristischen Infrastrukturen’ fordern. Was den Rest angeht,
werden wir seitens des jüdischen Staates nur ein einseitiges Vorgehen erleben.
Sharon braucht Zeit, um die Arbeit zu beenden, die er vor 40 Jahren begonnen
hat. Die Mauer vervollständigen und den Palästinensern den Mini-Staat
zuweisen.“
Die Wirtschaftskrise der
letzten Monate scheint Israel nicht geschwächt zu haben…
„In Wirklichkeit ist die
israelische Wirtschaft solide. Hier finden 12% der weltweiten Waffenproduktion
statt. Wir haben eine sehr starke High-Tech-Branche und auch der Tourismus ist
dabei, sich sehr rasch zu erholen. Ich glaube, dass wir bereits aus einer Krise
heraus sind, die mehr durch Netanyahus ultraliberale
Reformen verursacht wurde als durch die Besetzung Palästinas.“
Wohin bewegt sich die
israelische Zivilgesellschaft?
„Die Israelis schauen immer
auf die Sicherheit. 60-70% wollen weder die Kolonien noch ein Groß-Israel; die
Mauer allerdings schon. Die Idee der Trennung von den Palästinensern gefällt
ihnen.“
Bezüglich des einseitigen
Vorgehens Israels spricht man immer öfter von „Apartheid“. Halten Sie
den Gebrauch dieses Begriffes für angemessen?
„Ja, absolut. In Israel gibt
es Apartheid, weil es hier nicht nur eine Politik der Diskriminierung gibt.
Hier ist man dabei die strukturelle Herrschaft des israelischen Volkes über das
palästinensische zu organisieren, wobei das Letztere gezwungen sein wird, in
einem System der Abhängigkeit vom jüdischen Staat zu leben. In Afrikaans
bedeutet ‚Apartheid’ trennen und das ist genau das, was hier geschieht.
Wobei die totale Herrschaft einer Gesellschaft über die andere hinzukommt.“
Aber, schlafen die
Pazifisten?
„Das Problem unserer
Friedensbewegung ist, dass sie aus einer Ansammlung von Aktivisten ohne
Strategie besteht. Andererseits fehlt auch eine palästinensische Führung, mit
der man sich auseinandersetzen könnte. Welche strategische Vorstellung hat die
palästinensische Führung heute? Ich z.B. glaube, dass die Zwei-Staaten-Lösung
überholt ist, bekomme aber andererseits keinerlei Hinweis <in dieser Hinsicht>. Das sind die Gründe, warum sich die
Friedensbewegung auflöst, ohne dass es gelingt, irgendeine klare Linie zu
verfolgen.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover