* Rosso:
Die gezielte Ermordung des pro-imperialistischen
libanesischen Industrieministers und Juniorchefs der von seinem Vater Amin
Gemayel geführten Fraktion der rechtsradikalen Falange-Partei, Pierre
Gemayel (34) am 21.November 2006 wurde sofort Syrien und dem Iran
angelastet und diente den Regierungen und den wichtigsten Medien der USA und
der EU dazu den Druck auf diese beiden Länder noch weiter zu erhöhen. Als getreuer
Staatsdiener der EU-Führungsmacht Deutschland erweist sich dabei einmal mehr
der bekannte Berliner Oberstaatsanwalt und ehemalige UN-Sonderermittler Detlev
Mehlis, der bis vor kurzem den Mord an dem
pro-imperialistischen und pro-saudischen Milliardär und ehemaligen
libanesischen Ministerpräsidenten Hariri im Februar 2005 „untersuchte“. Er „sieht
im Fall Gemayel dieselben pro-syrischen Kräfte am Werk wie schon beim Mord an
Hariri. ‚Auffällig sind der Zeitpunkt, da der Sicherheitsrat das Tribunal
befürwortet, und das Vorgehen: nämlich wie schon im Fall Hariri ein sorgfältig
geplantes ’professionelles’ Attentat - wenn auch mit anderen Mitteln. Auch
diesmal ist das Opfer eine dezidiert anti-syrische Persönlichkeit, die überdies
der demokratisch gewählten Regierung angehört’. Mehlis
wertet deshalb den Mord an Gemayel auch als Anschlag auf das Tribunal und auf
die UN.“ (SZ 22.11.2006)
Beispielhaft für das auf recht
tönernen Füßen stehende, dafür aber um so lautstärker verbreitete Konstrukt der
bürgerlichen Presse hierzulande ist die „Süddeutsche Zeitung“,
die am 22.11.06 unter der Überschrift „Warnschuss für die Vereinten
Nationen“ ihren angeblichen „Tatsachenbericht“ mit den Worten beginnt: „Es
bedurfte keines Bekennerschreibens. Der Mord an
Minister Pierre Gemayel sprach
für sich. Wenige Stunden, bevor der UN-Sicherheitsrat in New York ein
internationales Tribunal zur Aufklärung des Mordes an dem anti-syrischen
Politiker Rafik al-Hariri
im Februar 2005 befürwortete, starb Gemayel im Kugelhagel - wieder war ein
anti-syrischer Politiker tot, diesmal sogar ein Regierungsmitglied.“ Um
dann gegen Ende selbst einzugestehen: „Es ist freilich nicht ausgeschlossen,
dass anti-syrische Kräfte selbst oder womöglich sogar ein ausländischer
Geheimdienst wie CIA oder Mossad hinter dem neuesten
Attentat stecken. Diese könnten damit bezwecken, das ohnehin schon unter
Verdacht stehende und weltweit isolierte Syrien noch weiter zu schwächen. Mehlis jedoch findet diese Variante nicht gerade naheliegend.“
Die unabhängige linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“
brachte ebenfalls am 22.11.2006 ein Interview mit der Nr.2 der
größten Partei der maronitischen Christen im Libanon
FPM, Issam Abou Jamra, der die Dinge aus einer etwas anderen Optik als Mehlis betrachtet:
„Das ist gegen die Opposition gerichtet,
die eine Einheitsregierung fordert“
Interview mit Issam
Abou Jamra, der rechten
Hand von Aoun und führendes Mitglied des Free Patriotic Movement, der
christlichen und nationalistischen Partei, die wichtigster Verbündeter der
Hisbollah ist.
Mauro
Caterina
Der
Mord an dem Minister Pierre Gemayel ist wie ein Felsbrocken auf das politische
Leben des Libanon eingestürzt. Vor allem in einem Moment wie dem gegenwärtigen,
in dem die Parteien der Regierungsmehrheit und die Oppositionsparteien, nach
der Weigerung der Regierung Siniora und der Front des
„14.März“ (bestehend aus der <sunnitischen und pro-saudischen> Bewegung Hariris, dem Drusenführer
Walid Jumblatt und der christlich-maronitischen
Rechten von Gemayel und Geagea) eine Regierung der
Nationalen Einheit (mit einem stärkeren Gewicht der schiitischen Komponente aus
Hisbollah und Amal und dem Eintritt der patriotischen
Bewegung des maronitischen Generals Michel Aoun in die Exekutive) zu akzeptieren oder vorgezogene
Neuwahlen abzuhalten, kurz vor der frontalen Auseinandersetzung stehen.
Und es
ist gerade der Free Patriotic Movement
von Aoun, der aufgerufen ist dazu Stellung zu
beziehen, weil es sich um eine christliche Partei handelt (wenn auch eine
laizistisch und national inspirierte) und weil Aoun –
im Unterschied zu Gemayel – heute der wichtigste politische Verbündete der
Hisbollah ist. Zu diesem Zweck kontaktierten wir Issam
Abou Jamra (Nummer 2 des
FPM und rechte Hand von Aoun).
Mister
Jamra, Saad Hariri gab die
Nachricht vom Tode Pierre Gemayels bekannt, wobei er sagte, dass „die Serie der Morde begonnen hat“ und
Syrien implizit beschuldigte, Auftraggeber des Mordes zu sein…
„Natürlich
waren wir über das, was mit Pierre Gemayel geschehen ist, schockiert. Wir
versuchen noch den Grund dafür zu begreifen. Wir verurteilen diesen Mord mit
Nachdruck und fordern, dass die Regierung alle Mittel ergreift und mit
Nachdruck darauf hinarbeitet, damit diejenigen, die diesen Mord begangen haben
und ihre Auftraggeber ausfindig gemacht werden. Sicher, ich weiß, was Hariri
diesbezüglich gesagt hat. Es ist aber noch zu früh um Schlussfolgerungen daraus
ziehen. Ich könnte auf seine Worte antworten und sagen, dass es ebenso gut die
Syrer gewesen sein können wie die Israelis. Niemand ist gegenwärtig und auf der
Grundlage der Informationen, die wir haben, in der Lage begründete Vermutungen
anzustellen. In jedem Fall hat General Aoun die
Befürchtung geäußert, dass das Ziel des Attentates gerade darin liegt für
Unruhe zwischen den Christen zu sorgen und deshalb fordern wir alle Libanesen
auf, wachsam zu bleiben und sich nicht in einen Aufruhr hineinziehen zu
lassen.“
Pierre
Gemayel war ein maronitischer Christ genau wie Aoun. Wird das innerhalb der Partei etwas verändern?
„Schauen
Sie, wir sind erschüttert und können es <noch gar> nicht glauben und das ist nicht der Moment für übereilte
Entscheidungen.“
Wird
all das Auswirkungen auf Euer Verhältnis zur Hisbollah haben?
„Das
glaube ich nicht. Wir werden weiterhin unsere politischen Beziehungen zur Amal und zur Hisbollah unterhalten. Die Großdemonstration
zusammen mit der Hisbollah und den anderen Oppositionsparteien ist bestätigt
worden. Wir müssen gemeinsam das Datum festlegen, an dem sie stattfinden soll.“
Wer
könnte Ihrer Meinung nach von der Ermordung Gemayel profitieren?
„Mit
Sicherheit derjenige, der das gegenwärtige politische Panorama des Libanon
destabilisieren will. Mit Sicherheit wird die Opposition, die eine Regierung
der Nationalen Einheit fordert und bereit ist dafür zu mobilisieren, keinen
Vorteil davon haben.“
Denken
Sie, dass wirklich die Gefahr besteht, dass der Libanon wieder durch präzise ausgeführte
Morde und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgemeinschaften
mit Blut befleckt wird?
„Ja,
ich bin sehr beunruhigt. Zuerst die politischen Spannungen der vergangenen
Wochen und jetzt die Tötung von Gemayel. Die Situation ist sehr gravierend,
aber ich würde noch nicht von einer unumkehrbaren Krise sprechen. Jetzt liegt
es an allen politischen Kräften dieses Landes verantwortungsbewusst die Bremse
zu ziehen, um das Schlimmste zu verhindern.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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