* Rosso:

 

Zwar hat die EU Ende März 2007 beschlossen, ihr Embargo gegen die Palästinenser zu lockern, nachdem es ihr nicht gelang, die Hamas zum Kniefall zu zwingen oder aus der Regierung der Autonomiebehörde zu putschen bzw. das durch saudische Vermittlung erreichte sog. „Mekka-Abkommen“ über die Bildung einer palästinensischen „Regierung der Nationalen Einheit“ zu verhindern. Doch die Kontakte sollen sich auf die nicht der Hamas angehörenden Minister und den Präsidenten Mahmud Abbas (alias „Abu Mazen; Al-Fatah) beschränken. Ministerpräsident Ismail Hanija (Hamas) bleibt vorerst – zumindest offiziell – ein „Unberührbarer“, sozusagen ein politisch „Leprakranker“. In einem Interview für den „Corriere della Sera“ (das „Zentralorgan“ der italienischen Bourgeoisie) vom 21.3.2007 zeigt er sich darüber allerdings wenig bekümmert. Zugleich werden erstmals deutliche Fraktionierungen innerhalb der Hamas erkennbar, an denen zumindest die EU vor und hinter den Kulissen sicherlich weiter arbeiten wird.

 

 

MITTLERER OSTEN – DAS INTERVIEW:

 

Der Chef der neuen palästinensischen Regierung der Nationalen Einheit

 

Hanija: „Das europäische Embargo wird beendet. Viele Minister sind bereit sich mit mir zu treffen“

 

Der Ministerpräsident: „Der Staatssekretär Craxi hat mit mir telefoniert. Italien ist für das Ende der Blockade.“

 

Von unserem Korrespondenten

 

GAZA – Bis vor wenigen Tagen war der schmucklose Raum im Erdgeschoss der Eingang und der Wartesaal für alle, die den Ministerpräsidenten um Hilfe bitten wollten. Jetzt sind die Arbeiter am Werk: Blauer Teppichboden, Wappen an den Wänden und die palästinensische Fahne. Hier will sich Ismail Hanija für den offiziellen Händedruck mit den ausländischen Gästen den Fotografen präsentieren. Der Ministerpräsident scheint davon überzeugt, dass die europäischen Diplomaten, nach mehr als einjährigem politischem und Wirtschaftsembargo, nach Gaza kommen, um mit ihm zu sprechen. Das zeigt die frische Farbe und sein, vom islamischen Bart umgebenes, Lächeln. „Am Montag habe ich mich mit dem stellvertretenden norwegischen Außenminister getroffen und den Anruf Eures Staatssekretärs Vittorio Craxi erhalten. Zwei sehr wichtige Signale. Wir betrachten die Kontakte zu den Italienern als einen großen Schritt in Richtung der Beendigung des internationalen Belagerungszustandes. Außenminister Massimo D’Alema war auf dem Weg nach Washington, so dass ich Craxi gefragt habe, ob Italien der amerikanischen Administration eine Botschaft überbringen könne: Diese Regierung ist am Dialog mit den Vereinigten Staaten und mit Europa interessiert. Amerika sollte auf das halb volle Glas schauen und nicht auf den leeren Teil. Craxi hat mir versichert, dass er die Beendigung des Embargos unterstützt.“

 

Komplett in Blau gekleidet und mit grauem Hemd trägt Hanija (44 Jahre) die einfache Mode des Mannes, den im Flüchtlingslager Shati weiterhin alle Abu Abed nennen. Er ist der Nachbar, der bereit ist den Strom seines Generators zu verteilen oder an Hochzeiten und Beerdigungen teilzunehmen. Ein Image, das ihn zum populärsten  palästinensischen Politiker gemacht hat (22% gegenüber 19% für den Präsidenten Abu Mazen in einer jüngst durchgeführten Umfrage).

 

Die Extremisten innerhalb der Hamas haben die Regierung der nationalen Einheit attackiert und der nicht wieder in die Regierung berufene ehemalige Innenminister Said Siam droht: „Kein Führer der Bewegung wird Israel jemals anerkennen. Wir werden unsere Werte nicht verraten.“ Während des Interviews, dem ersten, seit er mit dem neuen Mandat sein Amt erneut angetreten hat, wiederholt Hanija, dass er im Namen der Regierung spricht und nicht der fundamentalistischen Organisation, zu deren Köpfen er gehört. In seinen Antworten verweist er mehrmals auf die am 8.Februar in Mekka zwischen den Fraktionen vereinbarte politische Plattform. Einer Übereinkunft, die nach monatelangen Verhandlungen (und militärischen Auseinandersetzungen) mit der Fatah erreicht wurde. Das Dokument spricht nicht, wie von der internationalen Gemeinschaft gefordert, von der Anerkennung des jüdischen Staates, sondern nur von der „Respektierung“ der in der Vergangenheit von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterzeichneten Abkommen.

 

Die Europäische Union bekräftigt ihre Position und ihre Forderungen. Haben Sie oder Präsident Abu Mazen Zusicherungen erhalten, dass das Embargo ausgesetzt wird?

 

„Es gibt bedeutende Signale. Frankreich hat Außenminister Ziad Abu Amr eingeladen und wir haben Informationen, dass einige europäische Außenminister bereit sind, in den Gaza-Streifen zu kommen, um sich mit mir und mit anderen Ministern zu treffen.“

 

Von welchen Ländern?

 

„Es ist noch zu früh, um das öffentlich zu verkünden.“

 

Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice hat erklärt: „In seiner Rede hat Hanija das Recht auf Widerstand in allen seinen Formen erwähnt. Das klingt nicht sehr gut.“

 

„Der Widerstand wird auch in unserer Plattform erwähnt und zwar als legitim und von den internationalen Konventionen garantiert. Wir befinden uns weiterhin unter Besatzung und haben das Recht, uns zu schützen und zu verteidigen bis die Besetzung unseres Landes beendet wird. Wir sind daran interessiert die Waffenruhe auch auf Cisjordanien auszudehnen. Gleichzeitig muss jedwede Aggression gestoppt werden. Der Ball liegt jetzt im israelischen Feld.“

 

Sie sprechen davon die Waffenruhe auszudehnen, am Montag hat allerdings ein Heckenschütze vom Gaza-Streifen aus geschossen und einen Arbeiter auf israelischem Territorium verletzt. Die Hamas hat sich zu der Aktion bekannt und das war das erste Mal seit dem Beginn der Waffenruhe.

 

„Als Regierung verfügen wir nicht über Informationen oder Details diesen Angriff betreffend.“

 

Der amerikanische Konsul in Jerusalem, Jacob Walles, hat sich mit dem palästinensischen Finanzminister Salam Fayed, einem Unabhängigen <genauer gesagt einem ehemaligen Weltbank-Funktionär und Führer der rechtsliberalen Liste „Dritter Weg“>, getroffen.

 

„Washington muss sich mit allen Ministern treffen, weil dies die Regierung des palästinensischen Volkes ist. Wir sind nicht gegen die Öffnung von Kanälen zu Einigen, aber wir lehnen eine Leitlinie ab, die Unterschiede zwischen den Ministern macht.“

 

Worüber haben Sie bei der ersten Regierungssitzung am Sonntag diskutiert?

 

„Wir haben vereinbart, dass es wichtig ist sich auf die Innere Sicherheit zu konzentrieren (90 Tote von Dezember 2006 bis Februar 2007 bei den Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen; Anm.d.Red.). Wir haben den Innenminister aufgefordert einen Plan vorzulegen, der dieser Situation entgegentritt. Auch die anderen Minister bereiten ein Aktionsprogramm für die ersten 100 Tage vor.“

 

Die Hamas hat die Ernennung von Mohammed Dahlan zu Abu Mazens Nationalem Sicherheitsberater sehr hart kritisiert. Es hat nicht den Anschein, dass in allen Punkten eine Einheit mit der Fatah gefunden wurde.

 

„Der Präsident hat mir versichert, dass die Ernennung nicht offiziell erfolgt ist. Darüber finden derzeit Gespräche statt… Ich werde diese Frage mit Abu Mazen im direkten Gespräch diskutieren. Wir werden jeden kontroversen Punkt mit Hilfe des Dialogs angehen.“

 

Ist die Hamas bereit dem Präsidenten bei Verhandlungen mit Israel freie Hand zu lassen?

 

„Wie wir in der gemeinsamen Plattform beschlossen haben, hat Abu Mazen die politische Verantwortung für die Verhandlungen. Jedes Abkommen wird durch das Votum des Parlaments ratifiziert oder einem Volksentscheid unterzogen werden müssen, an dem sich alle Palästinenser beteiligen, auch die Flüchtlinge im Exil.“

 

Seid Ihr bereit eine endgültige Übereinkunft zu akzeptieren?

 

„Das Programm definiert sehr klar und deutlich unsere Ziele: Wir wollen einen unabhängigen und souveränen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 gründen, mit Jerusalem als Hauptstadt und darüber hinaus das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge sowie die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen. Das sind unsere Forderungen. Der Punkt ist: Ist Israel dazu bereit?“

 

Betrachten Sie die Initiative der Arabischen Liga als eine Basis für Verhandlungen?

 

„Es sind die Israelis, die Probleme mit dem Vorschlag der arabischen Brüder haben, nicht die Palästinenser.“

 

Anfang März hatte der Bildungsminister entschieden ein Kinderbuch mit volkstümlichen Erzählungen aus den Schulen zurückzuziehen und zu verbrennen, weil man der Auffassung war, dass es die islamischen Prinzipien verletze. Diese Entscheidung wurde nach Protesten aufgehoben. Ein Teil der palästinensischen Gesellschaft fürchtet allerdings, dass die Hamas fundamentalistische Gesetze durchsetzen will.

 

„Es gibt keine Angst wegen der Entscheidungen der Hamas. Das sind verzerrte Darstellungen. Wir stützten uns auf die palästinensische Kultur und die palästinensischen Traditionen und in jenem Buch gibt es Passagen, die für unsere Moral inakzeptabel sind. Wir sind nicht gegen alle Erzählungen.“

 

Davide Frattini

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügung in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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