* Rosso:
Auch wenn USA und EU mit ihrem
Frontalangriff gegen die Hamas-geführte
palästinensische Regierung nicht erfolgreich waren und die Erpressung “Entweder
Kniefall vor der Kolonialmacht Israel, Verzicht auf den bewaffneten Widerstand
gegen die Besatzung und Anerkennung aller von der PLO (gegen den Widerstand der
Linken) abgeschlossenen Nepp-Abkommen mit Israel oder Boykott + Embargo”
nicht zum gewünschten Ergebnis führte, dürfen sich die Strategen in Washington,
Brüssel, Paris, Berlin etc. über einen Teilerfolg freuen: Zumindest haben sie
mit ihrer Politik der Belagerung und des Aushungerns, auch dank des
zeitgleichen Diebstahls, pardon der “Einbehaltung” palästinensischer
Zolleinnahmen in Höhe von mehr als 600 Millionen Dollar durch Israel zu einer
massiven Spaltung innerhalb der Hamas beigetragen, die ihrer Politik ohne Frage
förderlich sein wird. Eine erhebliche Rolle kam dabei auch Saudi-Arabien (als
Vermittler des “Mekka-Abkommens”) und Syrien zu, das auf reelle
Verhandlungen mit den USA hoffend, seine Politik spürbar “gemäßigt” hat
und entsprechenden Druck auf Hamas, Hisbollah, die palästinensische Linke und
die Guerilla im Irak ausübt.
Gleichzeitig vollzieht die Hamas eine
Entwicklung nach, die auch viele andere islamistische
Bewegungen bereits absolviert haben: Die Verwandlung von einer wortradikalen
populistischen Bewegung hin zu einer relativ moderaten, absolut
systemimmanenten, parlamentarischen Kraft. Wobei die Hamas, aufgrund der
materiellen Bedingungen (israelische Kolonialherrschaft, noch nicht erreichte
Nationalstaatsbildung, täglicher Besatzungsterror und ständige imperialistische
Einmischung) anders als die islamistischen Bewegungen
in Ägypten, Algerien, Tunesien etc. heute zur Durchführung der
bürgerlich-demokratischen Revolution “verdammt” ist. Etwas, das über den
Sturz von Präsidialdiktaturen wie in Ägypten oder (Halb-)Feudalregimen
wie in Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrein etc. hinausgeht.
Inwieweit sie dieser historischen Aufgabe – anders als die Fatah – gerecht
werden kann, wird sich in naher Zukunft zeigen. Eine Entscheidung der
Palästina-Frage rückt offenkundig näher.
Die entstandene politische
Gesamtsituation mit der saudischen Führungsrolle bei der “Friedenslösung”
und der Übertragung des palästinensischen Verhandlungsmandats an den Fatah-Chef
und “Mann des Westens” Mahmud Abbas (alias “Abu Mazen”)
lässt allerdings erwarten, dass es dabei wiederum nicht zu einer umfassenden
und gerechten Lösung (inklusive des Flüchtlingsproblems) kommen, sondern Israel
eine ganze Reihe höchst unerfreulicher Zugeständnisse gemacht werden wird. Kurz
gesagt: Es zeichnet sich ein weiterer fauler Kompromiss und ein zumindest
teilweiser Ausverkauf palästinensischer Interessen ab, der dann sicherlich zu
einer definitiven Spaltung der Hamas und zu einem Erstarken des Islamischen Dschihad und wahrscheinlich auch des konsequenten Teils der
palästinensischen Linken (PFLP) führen wird. (Und möglicherweise auch zu
einzelnen Aktionen von Al Qaida-Zellen in den
palästinensischen Territorien.)
Wie die Lage innerhalb der
Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas) derzeit aussieht, schildert der
Palästina-Korrespondent der linken italienischen Tageszeitung “il manifesto”,
Michele Giorgio, in der Ausgabe vom 25.3.2007.
Palästina in Flammen:
Die Regierung der Einheit spaltet Hamas
Ein Teil der Führung greift Hanija und Meshal wegen der Übereinkunft
mit Abu Mazen hart an. “Die Bewegung ist dabei
ihre Prinzipien aufzugeben und wird für die Entscheidung, mit der Fatah
zusammen zu regieren, teuer bezahlen.”
Die Polemiken innerhalb der
Hamas lassen eine Woche nach der Bildung der ersten palästinensischen Regierung
der Nationalen Einheit nicht nach. Polemiken, die am 8.Februar begannen als der
(in Damaskus im Exil lebende) Chef des Politbüros der islamischen Bewegung, Khaled
Meshal, Ministerpräsident Ismail Hanija und Präsident Abu Mazen
in Mekka die Übereinkommen unterzeichneten, die zur Bildung der amtierenden
Exekutive führten. “Hamas geht einer ernsten Spaltung entgegen”,
berichten Hamas-Quellen. “Einige Führungsmitglieder wiederholen weiterhin,
dass die Bewegung für die Entscheidung, mit der Fatah zusammen zu regieren,
einen hohen Preis bezahlen wird.”
Zu den wichtigsten
Mitgliedern der Opposition gehören der ehemalige Innenminister Said Siam
und der ehemalige Außenminister Mahmud Zahar,
die der Ansicht sind, dass die Hamas Abu Mazen
zu viele Zugeständnisse gemacht hat und privat auch Hanija
und Meshal kritisierten. Die Auseinandersetzung hat
politische und ideologische Grundlagen. Siam und Zahar
sind – so sagen sie in Gaza – davon überzeugt, dass die “Hamas dabei ist
ihre Prinzipien aufzugeben, genauso wie es die Fatah tat als sie die Osloer
Abkommen mit Israel unterzeichnete” und hätten auch klargemacht, dass sie
sich der Auflösung der “Exekutivstreitmacht”, d.h. der im vergangenen
Jahr in Gaza als Gegengewicht zu den Abu Mazen-treuen
Sicherheitskräften gebildeten Miliz widersetzen werden. Beim Protest gegen das,
was sie als die Rückkehr der Hamas zur Rolle eines “Ablegers” der
Bewegung der Moslembrüder und ihre Umwandlung in eine Partei, die immer mehr
Regierungspartei und immer weniger Kampfpartei ist, bezeichnen, zählen Siam und
Zahar auch auf die Unzufriedenheit, die im Iz al-Din al-Qassam, dem bewaffneten Arm der Organisation,
herrscht.
Meshal und Hanija weisen
die Vorwürfe zurück und wiederholen, dass die Entscheidung die Übereinkommen
von Mekka zu akzeptieren, nichts anderes als das Ergebnis der Demokratie war,
die die Beschlüsse der Hamas von der Basis bis zur Spitze regelt. Genau wie es
in der Vergangenheit der Fall war als die islamische Bewegung beschloss sich an
den Parlamentswahlen vom Januar 2006 zu beteiligen. In Gaza gibt es viele, die
diese Version bestätigen, zugleich weiß man allerdings wenig über das
Entscheidungssystem der Hamas, die doch seit über einem Jahr in den Besetzten Gebieten
an der Regierung ist. Die palästinensischen Islamisten
beschränken sich darauf zu sagen, dass die strategischen Entscheidungen von der
Führung im Exil, in Cisjordanien und in Gaza
einstimmig getroffen werden. Alles andere sei nur aus Sicherheitsgründen
geheim, erklärt der ehemalige Minister Atef
Odwan, weil Israel die Bewegung enthaupten
könnte, wie es 2004 mit der Ermordung des geistigen Führers Ahmed Yassin und seiner rechten Hand Abdel Aziz Rantisi geschah. Odwan fügt hinzu, dass die Hamas-Aktivisten ihre lokalen
Leitungsmitglieder in vier “Sektoren” in periodischen Abständen wählten:
in Gaza, in Cisjordanien, in den Gefängnissen und im
Exil. Die Gewählten wählten ihrerseits – immer in Form einer Abstimmung – die
Mitglieder des Schura-Rates (vergleichbar einem
Zentralkomitee), der aufgerufen ist die von den Führern in den Besetzten
Gebieten, vom Chef des Politbüros Meshal und
von seinem Stellvertreter Musa Abu Marzuq
getroffenen Entscheidungen zu bestätigen.
Detaillierter fallen die
Erklärungen von Yahya Musa aus, dem
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Hamas im palästinensischen
Gesetzgebenden Rat. “Jede Frage wird von der Basis diskutiert und in den
Diskussionen wird die Meinung jeder Strömung berücksichtigt. In jedem Fall hat
die Hamas, auch wenn sie Teil einer internationalen islamischen Bewegung ist,
ihre eigene Ideologie und ihre eigene politische Linie und muss die Bedingungen
berücksichtigen, unter denen sie agiert”, sagte Musa, wobei er es vermied,
Einzelheiten zum internen Abstimmungsprozess, zu den Lokalitäten und den Büros
zu verraten, wo sich die Aktivisten und die Funktionäre versammeln. “Die
Einstimmigkeit ist das Ziel der internen Debatte. Wenn allerdings zum Beispiel
aus den Gefängnissen ein gegenteiliger Beschluss zu dem der drei anderen
Sektoren eintrifft, dann entscheidet die Mehrheit.” Der ehemalige Minister Odwan behauptet, in einer indirekten Erwiderung auf Siam
und Zahar, dass das Abkommen von Mekka ein
klassisches Beispiel für den internen Entscheidungsprozess sei: Der Schura-Rat habe die minimalen und maximalen Grenzen der
Hamas-Forderungen festgelegt und die Führer hätten sich innerhalb dessen
gehalten.
Der palästinensische
Islamismus-Experte Ibrahim Abu Hija behauptet jedoch,
dass die geographischen Trennungen und die durch die israelische Besatzung
verursachten Schwierigkeiten die Debatte innerhalb der Hamas behinderten und
die Führer dazu drängen, eigenständiger zu sein und damit Entscheidungen zu
treffen, die in einigen Fällen von der Basis nicht voll geteilt werden.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Hervorhebungen: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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