* Rosso:
Am Sonntag, den 26.November 2006
erlitt Oppositionsführer und Großkapitalist Silvio Berlusconi (70) bei einer
Rede auf einem Kongress in Montecatini einen Schwächeanfall und musste für
einige Tage ins Krankenhaus. Die Spekulationen über seinen Gesundheitszustand
überschlugen sich und beherrschten mehrere Tage lang die innenpolitischen
Schlagzeilen in Italien. Der Veteran der italienischen radikalen Linken und
Mitbegründer sowie amtierende Vorsitzende des Verwaltungsrates der unabhängigen
linken Tageszeitung “il manifesto”, Valentino Parlato,
widmete “Berlusca” und seiner nach wie vor großen Bedeutung für die
regierende Mitte-Linke am 28.11.2006 einen Leitartikel, der zu
einem überraschenden Urteil gelangt.
Editorial:
Gott schütze Berlusconi!
Valentino Parlato
Am Sonntag ist Berlusconi in
Montecatini “auf der Bühne zusammengesackt”. Ein schnell überwundenes
Malheur.
Am Tag darauf, also gestern,
am Montag, widmeten alle großen Zeitungen vom “Corrriere della Sera”
über “la Repubblica” bis “La Stampa” und auch “l’Unità”
dem Malheur und der Figur des Kavaliers und auch seiner Behandlung Seiten über
Seiten. Angesichts von so viel pathetischer Anteilnahme ist man versucht zu
sagen: “Gott schütze Berlusconi !” Es gab auch
Botschaften von Prodi und den Führern der Mitte-Links-Union.
Sind wir an dem Punkt, wo es
obligatorisch ist zu sagen: “Gott schütze Berlusconi” ? Sind wir an dem Punkt, wo wir
diesen Appell starten, wenn Berlusconi (der am Leben und gesund ist) politisch
am Ende ist? Leider kann die Antwort nicht anders als Ja lauten. Ohne
Berlusconi ist es ein Schlamassel. Wenn Berlusconi seinen Schwächeanfall nicht
überlebt hätte, wäre das für die Mitte-Links-Union ein Desaster gewesen. Ihr
Bindemittel hätte sich aufgelöst und alle ihre Bestandteile (große wie kleine)
wüssten nicht mehr, welchen Weg sie einschlagen, was sie vorschlagen, mit wem
sie regieren und vor allem für was sie regieren sollen.
Im <rechten> Lager des (so genannten) Hauses der Freiheiten (Casa
delle Libertà – CDL) wäre es allerdings nicht anders gewesen. Alle
hätten sich befreit gefühlt, ohne aber zu wissen, wohin sie gehen sollen. Könnt
Ihr Euch die Rauferei zwischen <dem rechten Christdemokraten> Casini, <Alleanza
Nazionale-Chef> Fini und auch <dem anderen führenden rechten
Christdemokraten und verhinderten EU-Kommissar> Buttiglione sowie dem kranken <Führer der rechtspopulistischen Lega
Nord> Bossi vorstellen?
Aber kommen wir zur
Mitte-Links-Union zurück, die – auch wenn sie uns näher steht – bei uns keine Lust
auf Intimität aufkommen lässt, zum Abendessen zu gehen und uns zu fragen: Warum
würde diese so genannte Union ohne das Schreckgespenst Berlusconi zu Bruch
gehen? Meine, zweifellos provokative Antwort (aber alle aus der Union werden so
tun als hätten sie sie nicht gehört) lautet, dass die Mitte-Links-Union, da sie
über keine starke Idee verfügt und aus rivalisierenden Komponenten besteht (und
mit Rivalitäten innerhalb jeder einzelnen Komponente) allein in Berlusconi den
Grund für ihr Zusammensein findet, wenngleich für ein sehr streitsüchtiges. Ich
denke an die Vergangenheit, an den Antifaschismus und an die Resistenza <den Widerstand>. Wenn sich unter jenen Umständen die Einheit
zwischen den antifaschistischen Kräften nur auf die Angst vor Mussolini
gegründet hätte und auf kein anderes politisches Ziel einer Veränderung, wenn
es so gewesen wäre, dann hätte die Angst vor dem lebenden Mussolini die
Antifaschisten wahrscheinlich blockiert. Glücklicherweise war dem nicht so und
es gibt die Verfassung, die besagt “die Republik gründet sich auf die
Arbeit” und nicht auf den Hass auf oder die Angst vor Mussolini.
Genau betrachtet ist die
Bedeutung, die dem “Malheur” gegeben wurde, sehr bemerkenswert. Wir
stehen vor einem Fall von Parasitismus: die Mitte-Links-Union ist ein Parasit
Berlusconis und lebt von der Angst vor einer Rückkehr Berlusconis. Der Mann
könnte, auch wenn er besiegt ist und auch er nur über sehr wenige Ideen verfügt
und mit vielen internen Streitereien zu kämpfen hat, könnte es schaffen und
wäre für die Union ein weiteres Unglück und gleichzeitig eine Ermutigung.
Der Punkt ist – denke ich,
der ich mich zusammen mit “il manifesto” (vielleicht täusche ich mich)
für einen Kämpfer halte, der keiner Armee angehört –, dass man aufhören müsste
sich auf die Furcht vor einer Rückkehr Berlusconis zu stützen. Man müsste den
Mut und die Kraft haben, Berlusconi zu streichen und zu sagen, was man wirklich
tun muss, um unser Land aus dem gegenwärtigen korrupten Sumpf herauszuholen. Es
wäre ein Zeichen für Autonomie, aufzuhören, sich an die Angst vor Berlusconi zu
klammern. Eine Angst, die (wie es häufig der Fall ist) dazu veranlasst den
Gegner zu imitieren. Erinnert sich noch jemand an “Graecia capta” und
das was folgt <Anm.1> ?
Anmerkung 1:
Valentino Parlato spielt hier auf die
lateinische Redewendung “Graecia capta ferum victorem cepit” an.
Wörtlich übersetzt bedeutet es: Das (von den Römern) eroberte Griechenland
eroberte den grausamen Sieger. Die Fortsetzung der Redewendung lautet: “et
artes intulit agresti Latio” – ...und die Künste führten ins bäuerliche
Latium.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und
Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG
der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der
Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat.
Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006
aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de