* Rosso:
Von der Bourgeoisie und vom
politischen Establishment als Ihresgleichen anerkannt zu werden und die
kapitalistische Politik „mitgestalten“ und mitexekutieren zu dürfen, ist
für Sozialdemokraten aller Couleur das Größte überhaupt, wie Gregor Gysi schon
vor langer Zeit freimütig eingestand. Da bildet auch die PDS-Schwesterpartei in
Italien – Rifondazione Comunista
(PRC) – aller manchmal etwas radikaleren und romantischeren Rhetorik zum
Trotz keine Ausnahme, wie sich in den letzten zwei Jahren beim Fittmachen für
die „Regierungsverantwortung“ und in der Regierungspraxis seit Anfang
Mai 2006 gezeigt hat. Doch kaum ist man auf den gut gepolsterten Sesseln der
(imperialistischen) Macht angekommen und darf sich endlich richtig wichtig
fühlen, da wollen einen böse Zeitgenossen auch schon wieder aus dem Paradies
vertreiben. In Italien sind dies insbesondere der einflussreiche
Industriellenverband Confindustria und die noch mit
Berlusconi verbundene, aber wechselwillige rechtschristdemokratische UDC von
Pier Ferdinando Casini.
Was Rifondazions
neuer Parteichef Franco Giordano (im Wesentlichen ein Statthalter für
den ins dritthöchste Staatsamt aufgestiegenen Fausto Bertinotti)
zu solch schändlichen Machenschaften meint und welche strategischen
Vorstellungen er bezüglich der „Kommunistischen Neu/be/gründung“ hat, dass verriet er in einem langen
Interview für die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 26.10.2006 deren
Chefredakteur Gabriele Polo.
Interview:
„Entweder wir oder die Abenteuer der Confindustria“
Franco Giordano warnt Prodi: „Wenn er Montezemolo
weiterhin Gehör schenkt, kann der PRC nicht mehr mitmachen.“
Der Sekretär von Rifondazione:
Unsere Beteiligung an der Regierung hat dafür gesorgt die Schäden zu begrenzen
und etwas zu erreichen. Der Haushalt ist besser als der Jahreswirtschaftsplan
(DPEF). Jetzt wollen wir aber die „Phase 2“ diktieren. Der
wichtigste Instabilitätsfaktor für die Regierung ist die Demokratische Partei.
Ein zentristisches Abenteuer wäre für die Linksdemokraten (DS), aber auch für
die <christdemokratisch-liberale> Margerite eine explosive
Angelegenheit. Jetzt fordern wir sichere Ressourcen für die Schule, die
Universität und den Öffentlichen Dienst sowie die Abschaffung der Kostenselbstbeteiligung.
Gabriele Polo
„Das ist ein harter
Schlag.“ Das Interview mit Franco
Giordano ist kaum beendet als die Nachricht von der Ablehnung des Dekrets im
Parlament eintrifft, das die Zwangsräumungen hätte stoppen sollen. Die
Regierung ist im Senat untergegangen und der Sekretär von Rifondazione
Comunista kassiert den Schlag gerade bei einem Thema,
dass seiner Partei am Herzen liegt. Eine negative Nachricht an sich, aber auch
für die politische Situation, in die sie sich einfügt. Die Regierung bekommt
beim Haushalt Herzflimmern und am Horizont zeichnet sich erneut übermächtig auf
den Flügeln der Achse Confindustria–„Corriere della Sera“ das Gespenst der Mitte ab. Und Rifondazione riskiert viel, weil sie alles auf das Binom Prodi-Piazza gesetzt hat: In der Regierung bleiben,
um eine institutionelle Wende gegenüber der wirtschaftsliberalen Berlusconi-Ära
herbeizuführen und gleichzeitig in den „Bewegungen“ dabei sein, um Druck
auf den Palazzo auszuüben. Trotz der schlechten Nachrichten und einer
beunruhigenden politischen Lage ist Giordano überzeugt, nicht in die Ecke
gedrängt worden zu sein. Im Gegenteil !
Rifondazione steht unter Druck: Die Confindustria
fordert, dass die Regierung die Brücken nach links abbricht und in der
Mitte-Links-Union gibt es Viele, die auf sie hören. Und doch wart Ihr beim
Haushalt, der wirklich keine Proklamation der Sowjets ist und den Unternehmen „ein
bisschen was“ gegeben hat, mehr als verständnisvoll. Wie erklärst Du diese
Situation?
„Weil wir beim Übergang vom
Jahreswirtschaftsplan (DPEF) zum Haushaltsgesetz eine Rolle gespielt, die Schäden
eingedämmt und sichtbare Dinge erreicht haben. Auch wenn das nicht alles ist,
was wir möchten. Die Attacke der Confindustria zielt
darauf ab eine Kreditlinie für die nachfolgenden Verabredungen zu erreichen: bei der
Auseinandersetzung um die Renten, die aufgrund der Rentenfonds in ihrem
direkten Interesse liegt, und der Auseinandersetzung um die so genannte
Konkurrenzfähigkeit, wo sie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten fordern, das
heißt mehr Prekarität der Beschäftigung.“
Was werdet Ihr in Bezug
auf die angekündigte neuerliche Rentenreform tun?
„Wir werden eindeutig sein.
Im Programm der Mitte-Links-Union steht geschrieben, dass man nicht mehr über
eine Rentenreform sprechen müsse. Von daher das Versprechen: Wenn jemand daran
denkt eine allgemeine Erhöhung des Renteneintrittsalters zu fordern, werden wir
Nein sagen. Wir sind gegen die Absenkung der Koeffizienten, die dazu dienen die
Rentenleistungen zu bestimmen. Im Gegenteil, man müsste bei der Anhebung der
Mindestrenten beginnen, weil der Durchschnitt der INPS-Renten
bei 337 Euro liegt.“
Wenn das der Kern ist,
ist klar, dass darum eine politische Auseinandersetzung stattfinden wird, die
dahin tendiert Euch auszuschließen. War es nicht so, dass Ihr `98 deswegen die
Unterstützung der Regierung beendet habt? Werden sie Euch heute wegjagen?
„Mir scheint, dass eine
zentristische <d.h.
in die Neue Mitte zielende>
Perspektive ein bisschen abenteuerlich ist. Schwer zu glauben, dass sie sich
verwirklichen lässt. Sie wäre vor allem für die Linksdemokraten (DS) und auch
für die Margerite eine explosive Angelegenheit. Was absurd ist, ist die
Tatsache, dass die Confindustria zum ersten Mal in
der Geschichte einen klaren politischen Vorschlag präsentiert, der um den
Standpunkt des Unternehmens kreist, und seine institutionelle Umsetzung
fordert. Das ist ein abenteuerliches und noch unreifes Szenario. Es wird
allerdings als Peitsche benutzt, um die Sozialpolitik zu beeinflussen und das
Programm der Mitte-Links-Union beiseite zu schieben. Zur Verteidigung ist ein
Aufschwung der sozialen Konfliktbereitschaft notwendig. Die Demonstration am
4.November gegen die Prekarität ist in dieser Sache,
aber auch für die politische Gesamtsituation entscheidend und dafür im Rahmen
dessen den Forderungen der Bewegung Geltung zu verschaffen. In diesem Fall
gegen die Prekarität.“
Und doch scheinen die
Parteien mehr auf ihre neuen Konstellationen zu achten – bei der Demokratischen
Partei und dem, was bei Euch mit der Europäischen Linkspartei passiert. Ist es
nicht dieser soziale Autismus und die zentrale Rolle der politischen
Ränkespiele, die eine Regierung, die von einer derart heterogenen Koalition
unterstützt wird, am Ende zur Implosion bringen werden?
„Der wichtigste
Instabilitätsfaktor für die Regierung ist die Bildung der Demokratischen
Partei, weil ihr Wesen Gegenstand permanenter Spannung ist. Dieses Vorhaben bringt
ein amerikanisches Gesellschaftsmodell mit sich, das die politische
Subjektivität der sozialen Organisationen (in erster Linie der Gewerkschaften)
reduziert, etwas das die Eigentümlichkeit des Falls Italien ausmacht. Eine
derartige Operation (die die Hypothese der Demokratischen Partei in Sachen
Regierung zerquetscht) bricht mit dem Schema, das die Mitte-Links-Union und ihr
Programm geschaffen hat. Und der Erste, der darunter leidet, wäre gerade die
soziale, kulturelle und politische Basis der DS. Dieser Diskurs gilt nicht für
die Europäische Linkspartei, weil ihre Schaffung nicht mit Blick auf die
Regierungspraxis betrieben wird. Im Gegenteil, sie ist vollständig autonom
davon.“
Was aber wollt Ihr ab
jetzt tun, um das Programm der Mitte-Links-Union wieder aufzugreifen, das Eurer
Beteiligung an der Regierung zugrunde liegt? Wie sieht Eure Phase 2 ab dem Haushaltsgesetz aus?
„Die Logik des Steuerkeils
in Frage stellen, der uns in der Sache nicht behagt. Druck machen, um mehr Geld
für die Schule und die Universität sowie sichere Mittel für den Tarifvertrag
des Öffentlichen Dienstes zu erreichen, die Kostenselbstbeteiligung abschaffen
und die prekäre in feste Beschäftigung umwandeln. Wenn man allerdings weiterhin
der Confindustria Gehör schenkt, können wir nicht
mehr mitmachen. Wenn überhaupt, dann sollten wir eine Umverteilung der
Einkommen vornehmen, indem wir durch neue Steuersätze dafür sorgen, dass
abhängig Beschäftigte mit einem Einkommen von unter 45.000 Euro im Jahr etwas
mehr verdienen.“
Und in Sachen
Afghanistan, dem anderen Problem der Zeit nach Verabschiedung des Haushalts?
„Auf der internationalen
Ebene hat diese Regierung einige Zeichen der Diskontinuität mit der vorherigen
gezeigt – angefangen bei der Libanon-Mission. Daraus muss man Rückschlüsse
ziehen und darauf abzielen den Palästinensern einen Staat zu geben und dabei Europa
mitzunehmen. Was Afghanistan anbelangt, wo ein Krieg stattfindet, müssen wir
unsere Truppen zurückziehen. Ich weiß, dass es innerhalb der Regierung
unterschiedliche Ansichten gibt. Deshalb will ich die Frage nicht zu einer
Prinzipienfrage machen, sondern pragmatisch angehen: Bleiben wir mit der
zivilen Zusammenarbeit in Afghanistan (gestützt auf umfangreichere
Finanzmittel) und ziehen wir die Truppen ab, die nur zur Beteiligung an einem
Krieg dienen.“
Kommen wir zur
Innenpolitik. Du scheinst mehr über den Druck der Confindustria
in der Sache besorgt als über seine Verwandlung in eine neue Mehrheit. So als
sei die Orientierung auf die Neue Mitte weit weg. Täusche ich mich da?
„Nein, Du täuschst Dich
nicht. Ich mache mir Sorgen über den Druck von außen, weil ich fürchte, dass
jemand (die Confindustria in wirtschaftlichen Fragen
und die Kirche in Bezug auf die Bürgerrechte) in Ermangelung eines gemäßigten
Programms, dieses den Kräften der Neuen Mitte von außen liefert. Weil die
Kräfte der Neuen Mitte es heute allein nicht hinbekommen und immer auf der
Suche nach Legitimationsformen sind.“
Kommen wir zu Rifondazione: Lauft Ihr nicht Gefahr durch Eure
Regierungsbeteiligung den Preis dafür zu zahlen? Siehst Du
Auflösungserscheinungen / Anzeichen für eine zunehmende Kluft in der Partei und
bei Eurer Wählerschaft?
„Ich habe den Eindruck, dass
unsere Beteiligung an der Regierung dazu gedient hat – darauf bestehe ich – die
möglichen Schäden zu begrenzen, angefangen bei dem, was der
Jahreswirtschaftsplan (DPEF) – eins zu eins in den Haushalt übersetzt –
bedeutet hätte. Nun geht es für uns darum dieser Regierung eine soziale Identität
und ein <entsprechendes> Profil zu verleihen und dafür werden die ersten
Monate des kommenden Jahres entscheidend sein. Das ist unsere Herausforderung.
Wir werden uns allerdings nicht in die Ecke drängen lassen – weder durch das
Syndrom der ‚befreundeten Regierung’ noch durch das der ‚feindlichen
Regierung’. Für uns ist die Regierung ein Mittel und kein Zweck. Danach
werden wir eine Kulturrevolution versuchen, um eine neue Form der Politik ins
Leben zu rufen, ausgehend von der lokalen Verankerung und der konkreten Praxis
der alternativen Linken. Das ist – auch in der Methode – das Gegenteil dessen,
wie versucht wird die Demokratische Partei zu schaffen.“
Was bedeutet aber
(innerhalb dieser Konstruktion) Kommunistische Partei – wenn auch eine neu
begründete?
„Die zentrale Rolle der
Eroberung der Macht ist überwunden worden. Die Betonung liegt auf den sozialen
Transformationen. Der Antikapitalismus muss dabei die Achse sein. Der große
Wert der Gleichheit wird durch das Thema der Differenz ergänzt und darf niemals
vom Wert der Freiheit, der Befreiung von den Knechtschaften getrennt werden. Wir
nennen uns Kommunisten ausgehend von der Kritik der Erfahrung des realen
Sozialismus und in der Überprüfung / Sicherung der antikapitalistischen
Transformation.“
Das lässt sich leichter
aus der Opposition als aus der Regierung heraus machen…
„Wir versuchen von der Besessenheit
von der Regierung wegzukommen, die es innerhalb und außerhalb dieser gibt.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de