* Rosso:
Der linke Flügel der größten Partei
der so genannten „radikalen Linken“ Italiens – Rifondazione
Comunista (PRC) –, die bei den Wahlen im April
2006 zur Abgeordnetenkammer gut 2,2 Millionen Stimmen (5,84%) erhielt und zum
Senat sogar gut 2,5 Millionen Stimmen (7,4%), repräsentierte auf dem letzten
Parteitag 40% der nominell 95.000 PRC-Mitglieder.
Nach der Abspaltung der „Progetto Comunista“-Strömung (Mitgliederanteil: 6,5%)
im April und Mai 2006 aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung besteht die
Parteilinke nunmehr noch aus drei Fraktionen: der der PCI-Tradition
verpflichteten Strömung Essere Comunisti / „l’Ernesto“
(26,4%), der zum Großteil mit der „offiziellen“ IV.Internationale
verbändelten, stark bewegungsorienierten
Sinistra Critica
/ „ERRE“ (6,5%) sowie der von Alan Woods und Ted Grant inspirierten,
auf Langzeit-Entrismus und eine starke Verankerung in
der Arbeiterklasse setzenden, trotzkistischen „Falce
Martello“-Gruppe (1,7%).
Doch insbesondere die größte Fraktion
der Parteilinken „Essere Comunisti“
(Kommunisten sein) um die Zeitschrift „l’Ernesto“
weist selbst erhebliche interne Differenzen auf, wie bereits im Vorspann zu den
beiden Interviews ihres Koordinators Claudio Grassi zur
Regierungskrise erwähnt wurde. Ein Vertreter der linken Fraktion dieser
Strömung ist Gianluigi Pegolo. Sein Redebeitrag
auf der Sitzung der Nationalen Leitung Rifondaziones
zur Regierungskrise am 23.2.2007 wurde auf www.lernesto.it veröffentlicht. Pegolo (geboren am 20.4.1954 in Treviso) ist studierter
Architekt, arbeitet allerdings als Lehrer und ist „Landtags“-Abgeordneter von Rifondazione Comunista im
Regionalrat von Friaul-Julisch Venetien. Er zählte in
der Leitung des PRC zu den sehr Wenigen, die dem (mittlerweile erfolgten)
Parteiausschluss des regierungskritischen, „dissidenten“
Senators Franco Turigliatto (Sinistra
Critica) ihre Stimme verweigerten.
Nationale Leitung des PRC – 23. Februar 2007
– Diskussionsbeitrag von Gianluigi Pegolo
Die Situation, in der wir
uns befinden, ist zweifellos gravierend. Und das nicht nur aufgrund der
Konsequenzen, die mit der Regierungskrise verbunden sind, sondern auch aufgrund
der Angriffe auf unsere Partei vonseiten einiger Informationsorgane, die versuchen
den Eindruck einer Partei von Extremisten zu erwecken, die Verantwortung für
den Sturz der Regierung Prodi trägt.
In dieser Hinsicht war die
vom Genossen Turigliatto getroffene Entscheidung
objektiv gravierend und hat sie die Partei in Schwierigkeiten gebracht, weil
sie das Alibi für diese Offensive gegen uns bot. Nachdem dies gesagt ist,
sollten wir, glaube ich, vorsichtiger sein, was die daraus zu ziehenden
Konsequenzen anbelangt. Ich komme hier an den Punkt, der mir in unserer
Diskussion zentral zu sein scheint und das ist der mögliche Ausschluss des
Genossen Turigliatto aus der Partei. Ich denke nicht,
dass die Entscheidung über die zu ergreifende Disziplinarmaßnahme zum
Gegenstand unserer Diskussion werden sollte. Bis zum Beweis des Gegenteils
bleiben die Disziplinarmaßnahmen Sache der Schiedsgerichtes (Collegio di garanzia)
und nicht der Parteiführung.
Jedenfalls spüre – seit dem
Augenblick, wo diese Sitzung der Leitung zum Ort des Sich Auslassens über die
Disziplinarmaßnahmen geworden ist – auch ich die Pflicht, mich dazu zu äußern,
weil ich denke, dass in dieser schwierigen Lage alle ihre Verantwortung
übernehmen müssen. Ich sage daher gleich, dass ich mich denjenigen, die den
Ausschluss des Genossen Turigliatto fordern, nicht
anschließen werde. Erstens weil ich der Meinung bin, dass der von dem Genossen
eingereichte „wirkliche und nicht fingierte“ Rücktritt vom Amt des
Senators mehr als ausreichend ist. Zweitens weil ich nicht glaube, dass der
Ausschluss der Partei nützt. Ich befürchte sogar, dass wir bei einer derartigen
Maßnahme in der öffentlichen Meinung am Ende die These stützen werden, der
zufolge die Verantwortung für den Sturz der Regierung „ausschließlich“
oder „in erster Linie“ unserer Partei angelastet wird.
Was nicht stimmt. Wie
bereits gesagt wurde, besteht die politische Neuheit in der Inexistenz
einer Mehrheit im Senat. Und diese Situation ist meiner Ansicht nach nicht
einfach das Ergebnis des Ausgangs der Parlamentswahlen (mit jenem Abstand von
gerade mal 25.000 Stimmen zwischen Mitte-Links-Union und <Berlusconis Wahlbündnis> Haus der Freiheiten – CdL – bei der Wahl zum Senat),
sondern auch das Ergebnis des Verschleißes, den die Regierung in den letzten
Monaten erlebt hat, mitsamt dem offensichtlichen Verlust an Zustimmung. Wenn
Senatoren auf Lebenszeit von der Unterstützung der Regierungsmehrheit zu
abgeschiedenen Positionen oder gleich zu einer oppositionellen Haltung
überwechseln, so liegt das mit Sicherheit an der Offensive der starken Mächte <Großkapital, Zentralbank,
Bürokratie, Vatikan…> aber auch an
der Wahrnehmung der zunehmenden Schwäche der Exekutive, die ihrerseits von
einer wachsenden Unzufriedenheit der Wählerschaft hervorgerufen wird.
Jetzt, in einem so
schwierigen Moment, angesichts der Perspektive möglicher Neuwahlen, bei denen
die Mitte-Linke mit Sicherheit eine schwere Niederlage erleiden würde oder –
noch schlimmer – angesichts der Gefahr der Bildung einer institutionellen
Regierung, wird die Unterstützung für eine zweite Regierung Prodi
de facto zur Pflicht. Dies kann allerdings nicht bedeuten – wie ich hingegen
aus vielen Redebeiträgen heraushöre – dass diese Entscheidung durch eine
substanzielle Würdigung dessen diktiert sein müsse, was die Regierung bislang
getan hat.
Auch ich habe die Rede von D’Alema <Linksdemokraten (DS)> über
die Außenpolitik gehört. Es stimmt, dass es darin auch interessante
Anspielungen gab. Die grundsätzliche Tatsache ist allerdings, dass es auf die
Forderungen der Bewohner von Vicenza und der
Friedensbewegung vonseiten der Regierung keine positive Antwort gab. Bei einer
genauen Betrachtung bleibt die Kluft zwischen den Erwartungen der Massen und
den konkreten Antworten der Regierung also auch in der Außenpolitik sehr groß. Um
von der Sozialpolitik gar nicht zu reden. Wir dürfen heute, auf der Welle der
Notwendigkeit einer Unterstützung Prodis bei der
Bildung einer neuen Regierung, nicht vergessen, dass nach der Verabschiedung
des Haushaltes die Zustimmung der Wähler eingebrochen ist.
Außerdem bin ich davon
überzeugt, dass die jetzt beginnende Phase voller Gefahren für unsere Partei
ist. Nicht nur der politische Rahmen wird immer instabiler werden, mitsamt der
Gefahr, dass es in einem nicht vorhersehbaren zeitlichen Rahmen zu einer
erneuten Regierungskrise kommt, sondern es besteht auch die sehr konkrete
Möglichkeit, dass die Regierung einen schweren Drall ins Moderate bekommt. Es
stimmt – wie der Genosse Giordano sagt – dass Prodis
12 Punkte im Programm enthalten waren und dass wir uns in jedem Fall darum
bemühen müssen, Einfluss auf ihre Umsetzung zu nehmen. Es ist allerdings nicht
legitim die Situation als im wesentlichen neutral zu
betrachten. Der Inhalt jener 12 Punkte, die mit ihrer Auswahl festgelegten
Prioritäten und die enorme Vollmacht, die Prodi
ausgestellt wurde, sorgen dafür, dass jene Plattform einen schwerwiegenden
Rückschritt bedeuten, ein sehr starkes Element künftiger Konditionierung in
moderatem Sinne.
Man muss die Situation zur
Kenntnis nehmen und über die begangenen Fehler nachdenken. Der Genosse Ferrero <Sozialminister in der Regierung Prodi> hat die
Richtigkeit des Parteitagsbeschlusses reklamiert, insoweit dieser auf die
essentielle Bedeutung der Beziehung zwischen Regierungspolitik und
Massenbewegung hinwies. In Wahrheit ist das nicht wirklich so. Der
Parteitagsbeschluss ging von einigen anspruchsvolleren Hypothesen aus. Er
betrachtete nämlich die Mitte-Links-Koalition als ein Subjekt, das für den sozialen
Konflikt ausreichend durchlässig wäre und betrachtete die Bewegungen auch als
potentielle Unterstützer einer linksalternativen Option. Die Wirklichkeit sieht
ganz anders aus. Die Mitte-Links-Union hat sich, was ihr
politisch-programmatisches Profil anbelangt, durch eine beachtliche
Undurchlässigkeit für die sozialen Forderungen ausgezeichnet und die Bewegungen
haben sich nicht nur nicht mit der Stärke entwickelt, die man sich gewünscht
hatte, sondern sie neigen, aufgrund der auf sie selbst durch die einzelnen
politischen Regierungsparteien ausgeübten Konditionierung, auch dazu sich zu
spalten.
Man muss also eine
substanzielle Berichtigung der Linie durchführen. Erstens muss eine Verbindung
zur gesellschaftlichen Aktion wiederhergestellt werden. Diesbezüglich
engagieren wir uns viel zu wenig. Unser Engagement ist fast ausschließlich auf
institutioneller Ebene konzentriert. Unsere Fähigkeit zur Einflussnahme
befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt. Zweitens muss um uns herum ein
starkes System politischer und sozialer Bündnisse geschaffen werden, um dem
Schlag einer möglichen und wahrscheinlichen Wende ins Moderate standzuhalten.
Wenn wir unsere Perspektive nicht konsequent geltend machen, könnte sie in
einer langsamen und unerbittlichen Marginalisierung bestehen.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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