* Rosso:
Die Negierung
des Klassencharakters des deutschen Faschismus als präventiver Konterrevolution
gegen die Arbeiterbewegung und seine Reduzierung auf den industrialisierten Massenmord
an den europäischen Juden, die militante Verteidigung des Kolonialstaates
Israel (auch als Vorposten des Imperialismus im Mittleren Osten) und die
Instrumentalisierung des Faschismus als Rechtfertigung für jedes neue Kriegs-
und Kolonialabenteuer des sog. „Freien
Westens“ (Jugoslawien, Irak, Afghanistan…) ist heute ein zentraler Pfeiler
der bürgerlichen Ideologie. Weshalb die sog. „Antideutschen“ und „Antinationalen“
in Wirklichkeit die Deutschesten der Deutschen und in der neuen, heimeligen Mitte
der Gesellschaft zuhause sind. Gegen dieses ideologische Tabu zu verstoßen und
auch nur verbal gegen die israelische Besatzungspolitik in Palästina zu
protestieren, bringt inzwischen selbst wesentliche Teile der bürgerlichen
Gesellschaft in Schwierigkeiten, wie jüngst einige katholische Bischöfe zu
ihrem eigenen Erstaunen erfahren mussten und schnell wieder zurück ruderten. Der
“Deutschlandfunk” brachte dazu am 9.3.2007 ein Interview
mit Evelyn Hecht-Galinski, der Tochter des ehemaligen
Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, die eine scharfe
Kritikerin der Besatzungspolitik und der Hexenjagd gegen ihre Kritiker ist.
Anlässlich des Streits um Äußerungen einiger katholischer
Bischöfe zu den Zuständen in den Palästinensergebieten hat Evelyn Hecht-Galinski
ihre scharfe Kritik am Zentralrat der Juden in Deutschland erneuert. Der
Zentralrat habe sich "wieder mal als Sprachrohr der israelischen
Regierung" betätigt und bezeichne "jüdische Kritiker als jüdische
Antisemiten". Die Tochter des ehemaligen Zentralratspräsidenten Heinz
Galinski bedauere es, dass Kardinal Lehmann "diese sehr moderaten
Äußerungen zum Teil zurückgenommen" habe.
Doris Simon: Nur langsam beruhigt sich die
Auseinandersetzung um Äußerungen einiger katholischer Bischöfe zu den Zuständen
in den Palästinensergebieten. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Kardinal
Lehmann hat inzwischen erklärt, er halte die Kritik der Bischöfe Hanke und Mixa für nicht angemessen. Sie hatten während einer
Israelreise der Bischofskonferenz die Situation in Ramallah
mit dem Warschauer Ghetto verglichen beziehungsweise sich an Rassismus erinnert
gefühlt. Demagogie und Antisemitismus warf darauf hin der israelische
Botschafter beiden vor. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte
empört. Evelyn Hecht-Galinski arbeitet aktiv mit bei den Europäischen Juden für
einen gerechten Frieden, die engagieren sich für einen Ausgleich mit den
Palästinensern. Frau Hecht-Galinski ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Evelyn Hecht-Galinski: Guten Morgen Frau Simon!
Simon: Frau Hecht-Galinski, überrascht Sie die
Schärfe der Auseinandersetzung?
Hecht-Galinski: Die überrascht mich und überrascht
mich nicht, weil vom Zentralrat bin ich nichts anderes gewöhnt. Er hat sich
wieder mal als Sprachrohr der israelischen Regierung betätigt und hat sich an
die israelische Botschaft heran gehängt und bezeichnet Kritiker als
Antisemiten, jüdische Kritiker als jüdische Antisemiten oder jüdische
Selbsthasser oder Juden, die in der Identitätskrise stecken. Das bin ich
gewöhnt, und ich auch keine Einzelmeinung mehr, wie das immer hingestellt wird
vom Zentralrat. Ich bedauere es nur sehr, dass die, wie Sie schon vorher
anmoderiert haben, dass die Bischöfe beziehungsweise Kardinal Lehmann schon
wieder diese Äußerungen, diese sehr moderaten Äußerungen zum Teil
zurückgenommen haben oder sich entschuldigt haben.
Simon: Moderat, finden Sie den Vergleich mit dem
Warschauer Ghetto moderat?
Hecht-Galinski: Ich kann diese Vergleiche so nicht
nachvollziehen, weil, wenn man morgens in Jad Vaschem war, diese Ausrottung des europäischen Judentums
gesehen hat, die leider nicht mehr rückgängig zu machen ist, und dann in die
besetzten Gebiete fährt, dieses Elend sieht, diese Mauer, die sich durch
palästinensische Gebiete zieht, diese unrechtmäßige Besatzung, dann muss man
von einem Riesenghetto beziehungsweise Riesenfreiluftgefängnis sprechen, das
die israelische Regierung in den besetzten Gebieten einrichtet.
Simon: Aber muss es immer gleich der Vergleich mit
dem Holocaust sein?
Hecht-Galinski: Es ist nicht der Vergleich mit dem
Holocaust. Ghetto ist heute ein gebräuchlicher Begriff, das betrifft die
Vorstädte, das betrifft amerikanische Ghettos, das ist ein normaler Begriff.
Simon: Was sagen Sie denn dazu, der Vergleich mit
dem Holocaust war antisemitisch, demagogisch, so der Vorwurf zum Beispiel der
israelischen Botschaft, auch des Zentralrates?
Hecht-Galinski: Ja, ich sagte ja schon, das ist
die gängige Wortwahl, um Kritiker mundtot zu machen.
Simon: Könnte das nicht auch ein grober Klotz auf
einem groben Keil sein?
Hecht-Galinski: Ich fand den groben Keil von den
Bischöfen überhaupt nicht grob. Im Gegenteil: Ich fand ihn, wie gesagt, sehr
moderat. Die Bischöfe haben endlich mal ein paar Worte ausgesprochen.
Normalerweise hört man ja gar nichts mehr. Die deutsche Politik ist hinter den
israelischen Medien verschwunden. Die deutsche mediale Berichterstattung zeigt
das Elend auch nicht mehr genug, und deswegen muss ich sagen, bedauere ich es
noch mal sehr, dass es jetzt schon wieder einen Rückzieher gegeben hat.
Simon: Der israelische Botschafter in Deutschland
hat ja ausdrücklich gesagt, Kritik an Israel sei legitim, es käme auf die
Wortwahl und die richtigen historischen Zusammenhänge an.
Hecht-Galinski: Ja, sicherlich. Das ist immer die gängige Meinung und die gängigen Aussprüche.
Sobald aber Kritik geäußert wird, wird diese Kritik sofort mit
Antisemitismusvorwürfen gleichgesetzt, und dadurch werden die Politiker auch
mundtot gemacht. Sehen Sie, damals nach dem Streubombeneinsatz ist die Frau
Wieczorek-Zeul angegriffen worden. Sie hören heute nichts mehr. Es ist alles
verschwunden. Jedes kritische Wort wird sofort im Keim erstickt.
Simon: Ist das typisch aus Ihrer Sicht für
Deutschland oder gilt das auch für anderer Länder?
Hecht-Galinski: Das gilt auch für andere Länder.
Überall wo, ich muss es leider sagen, wie Tony Judt
das auch schon festgestellt hat, die jüdisch-israelische Lobby mit ihrem
Netzwerken am Arbeiten ist, das zieht sich heute über die ganze Welt, und dank
Amerika ist die Macht so groß geworden, dass wir als europäische Juden für
einen gerechten Frieden zwar eine Minderheit sind, aber immer stärker werden in
der ganzen Welt. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe mir das Lebensmotto
meines Vaters zu Eigen gemacht: Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem
Unrecht zu schweigen.
Simon: Ihr Vater, das muss man vielleicht noch mal
erwähnen, war Heinz Galinski, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden
in Deutschland. Und wenn Sie von Ihrer Organisation Europäische Juden für einen
gerechten Frieden sprechen, und Sie sagen schon, Sie sind in der Minderheit,
wie fühlen Sie sich denn innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland?
Hecht-Galinski: Ich fühle mich in der Hinsicht
nicht mehr dazugehörig zu der normalen Mehrheit, weil diese Mehrheit also
absolut nur die israelische Politik unterstützt, und ich bin deutsche Jüdin und
möchte nicht missbraucht werden für - das habe ich schon mal gesagt - eine
israelische Politik, die auf keinem Boden des Rechts und auf keinem
demokratischen Verständnis mehr steht.
Simon: Ihre Kritiker werfen Ihnen Selbsthass vor.
Hecht-Galinski: Ja, ich sage ja gerade, das ist
ein gängiger Begriff in jüdischen Beschimpfungen. Da kann ich also wirklich nur
müde darüber lächeln.
Simon: Was für Auswirkungen wird denn die scharfe
Kritik jetzt an der Kritik der Bischöfe sowohl aus Deutschland vom Zentralrat
als auch aus Israel haben? Im April reist ja eine hochkarätige Delegation der
Evangelischen Kirche Deutschland nach Israel.
Hecht-Galinski: Ja, das wird wohl die Auswirkung
haben, dass die Evangelische Kirche sich gar nicht mehr zu Wort melden wird
beziehungsweise eine Tourismusreise unternehmen wird und die schönen
israelischen Gebiete sieht und wahrscheinlich nichts mehr sagen wird. Und ich
finde sogar, es besteht eine Fürsorgepflicht für die Christen, die sich so
einsetzen, die unter schwersten Bedingungen nach Israel fahren, um dann in die
besetzten Gebiete zu kommen, was ja eigentlich verboten ist, um den
Palästinensern dort zu helfen oder den zwei Prozent noch verbliebenen Christen,
und die zwei Prozent von 20 Prozent ehemalig verbliebenen Christen, die sind
nicht wegen der Moslems gegangen, im Gegenteil, die hoffen sehr, dass die
Christen noch bleiben, sondern die sind wegen der israelischen Schikanen
gegangen.
Simon: Das heißt, Sie gehen letztlich davon aus,
dass die ganze Auseinandersetzung jetzt Israel und allen Menschen, die dort
leben, eher schadet als nutzt?
Hecht-Galinski: Ja, selbstverständlich. Im
Endeffekt wird diese ganze israelische Politik auch dem Staat Israel nur
schaden, auch wenn das heute noch nicht so gesehen wird von vielen Leuten. Aber
es kann nur in ein absolutes Unglück führen, was dort passiert, weil man kann
nicht ewig ein ganzes Volk unterdrücken und sich wirklich - ich muss diese
Vergleiche wagen -, wir haben ja gerade erlebt, was im Zweiten Weltkrieg
passiert ist und was heute passiert. Das kann man nicht einfach beschönigen,
und man muss schon gewisse Vergleiche ziehen, leider muss man sagen, auch wenn
das in Deutschland nicht politisch korrekt ist.
Simon: Und da gibt es keine Tabus für Sie?
Hecht-Galinski: Es gibt in der Hinsicht keine
Tabus. Wissen Sie, wenn jüdische Siedler Gegner als Nazis bezeichnen, sich also
auch mit dem Holocaust bedienen, dann kann ich sagen, es gibt, wenn Sie
israelische Medien lesen, es gibt überhaupt gar kein Tabuthema mehr. Das wird
zwar immer so dargestellt, aber gerade Deutschland hat die Verpflichtung, nicht
in dieser Freundschaftsfalle zu enden und zu landen, sondern den Mund
aufzumachen. Und das vermisse ich völlig, weil die deutsche Politik
beziehungsweise die Regierung, egal welche Partei, sich immer voll auf die
israelische Seite stellt, kritiklos.
Simon: Die Debatte um bischöfliche Ghettoworte,
das war Evelyn Hecht-Galinski, Mitglied der Europäischen Juden für einen
gerechten Frieden.
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/602717/
Vorbemerkung: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
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Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de