* Rosso:

 

Angesichts der sich am Rande eines Bürgerkrieges bewegenden Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas gerät leicht aus dem Blickfeld, dass es neben den beiden großen palästinensischen Kräften noch zahlreiche kleinere gibt, die aber keineswegs unbedeutend sind. Dazu zählen auch der heute linksliberale bis linksalternative ehemalige KP-Kader Mustafa Barghuti und seine Organisation Al Mubadara. Zur angespannten Lage in den Palästinensergebieten brachte die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto am 19.12.2006 das folgende Interview mit ihm.

 

Zur Person: Der Arzt Mustafa Barghuti (ein Cousin des in Israel inhaftierten Fatah-Sekretärs für das Westjordanland und Vertreter des linken Fatah-Flügels, Marwan Barghuti), ist der bevorzugte Palästinenservertreter der Antiglobalisierungsbewegung, wie u.a. beim ESF in London im Oktober 2004 nicht zu übersehen war. Er kommt ursprünglich aus der palästinensischen KP, die sich jetzt Palästinensische Volkspartei (PPP) nennt, hat am Aufbau eines Basisgesundheitswesens mitgewirkt und vertritt heute linksliberale bzw. alternativ-zivilgesellschaftliche Positionen. Bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung lehnt er ab, auch wenn er ihn als völkerrechtlich legitim anerkennt. Zusammen mit der von ihm gegründeten Partei Al Mubadara (Demokratische Initiative) orientiert er stattdessen auf gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Er wendet sich gegen die Osloer Abkommen von 1993, gehört allerdings zugleich zu den Initiatoren der sog. “Genfer Abkommen“ von Vertretern der israelischen und der palästinensischen „Zivilgesellschaften“, die weitere erhebliche Zugeständnisse der Palästinenser beinhalten, inklusive eines demilitarisierten Status (in Koexistenz mit einem weiterhin hochgerüsteten Israel!).

Bei der Wahl des neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomiebhörde am 9.Januar 2005 kam Barghuti (unterstützt auch von der linksradikalen PFLP und bei Verzicht der Hamas auf eine eigene Kandidatur) überraschend auf den zweiten Platz. Nach dem Sieger Mahmud Abbas / „Abu Mazen von Al-Fatah (der dem amtlichen Endergebnis zufolge 501.448 Stimmen / 62,5% erhielt) erhielt Mustafa Barghuti 156.227 Stimmen  (19,5%). Dritter wurde mit großem Abstand Taysir Khaled von der linkssozialdemokratischen DFLP (26.848 Stimmen = 3,35%). Die Wahlbeteiligung betrug 62% bezogen auf die 1,12 Millionen registrierten Wähler. Geschätzt wird, dass 1,5 Millionen Palästinenser wahlberechtigt gewesen wären. Bei den Parlamentswahlen vom 25.1.2006 landete Al Mubadara (unter dem Namen „Unabhängiges Palästina“) hingegen mit 2,5% der Stimmen nur auf dem 5.Platz. Einer der beiden damit errungenen Abgeordnetensitze geht an Mustafa Barghuti.

 

„Ausländischer Druck gegen das Abkommen. Diese Krise kommt von außen“

 

Es spricht Mustafa Barghuti. Der Führer der progressiven Partei Mubadara beklagt Einmischungsversuche: „Zwischen Fatah und Hamas war alles bereit. Dann hat jemand aus dem Ausland die Übereinkunft blockiert.“

 

Michele Giorgio – aus Gaza

 

Mustafa Barghuti macht da nicht mit. „Ein Bürgerkrieg wäre absurd. Unser Volk hat ihn nach so vielen Jahrzehnten des Leidens und der Enttäuschungen nicht verdient“, sagt er in entschiedenem Tonfall und beklagt den „ausländischen Druck“ , der seiner Aussage nach das Abkommen über eine palästinensische Regierung der nationalen Einheit verhindert habe. Der progressive Abgeordnete und Führer der „Nationalen Initiative“ (Al Mubadara), der vor zwei Jahren Abu Mazen bei den Präsidentschaftswahlen herausgefordert hatte (er erhielt ca. 20% der Stimmen), war in den letzten Monaten in den langen Verhandlungen, die zur Bildung der neuen palästinensischen Exekutive hätte führen sollen, bei der Hamas und Al-Fatah am selben Tisch sitzen sollten, einer der wichtigsten Vermittler. Dann als das Abkommen greifbar nahe schien, ging irgendetwas schief. „Es ist aber immer noch möglich die neue Regierung mit allen palästinensischen Kräften zu bilden. Das ist der Weg, den wir verfolgen müssen, um zu verhindern, dass wir das Spiel derjenigen spielen, die gerade auf unsere internen Trennungslinien setzen.“ Gestern erreichten wir Barghuti telefonisch.

 

Sie sprechen von ausländischem Druck, der die beiden wichtigsten Parteien Hamas und Al-Fatah daran gehindert habe die Übereinkunft über die neue Regierung abzuschließen. Auf was beziehen Sie sich dabei?

 

„In den letzten Monaten habe ich einen Großteil meiner Zeit damit verbracht wie ein Kreisel zwischen Gaza, Cisjordanien, Syrien und anderen Ländern hin und herzureisen – zu dem einzigen Zweck dazu beizutragen die Differenzen zu verringern und eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Und doch kann ich versichern, dass das Abkommen fertig war. Beide Seiten hatten praktisch in allen Punkten eine Übereinkunft gefunden. Dann kam es zu sehr starkem ausländischem Druck, der die Palästinenser daran gehindert hat, ihre Gegensätze zu beenden und eine gemeinsame Plattform zu finden.“

 

Können Sie sich präziser ausdrücken? Auf wen beziehen sie sich, wenn Sie von ausländischem Druck sprechen?

 

„Ich kann nicht präziser werden und Namen nennen, weil ich der palästinensischen Sache damit einen schweren Schaden zufügen würde. Ich füge nur hinzu, dass beide Seiten (Hamas und Abu Mazen; Anm.d.Red.) diesem Druck ausgesetzt waren, der natürlich aus unterschiedlichen Richtungen kam. Am Ende haben sie zu einem Abkommen, dass dazu bestimmt war einen Großteil der innerpalästinensischen Probleme zu lösen, aus und vorbei gesagt.“

 

Es wurde gesagt, das das Abkommen über die neue Regierung aufgrund des Disputes zwischen Abu Mazen und der Hamas über die Anerkennung Israels gescheitert sei. Bestätigen Sie das?

 

„Das stimmt nicht. Ich habe an den Verhandlungen teilgenommen und versichere, dass die Anerkennung Israels nicht der Grund für das Scheitern der Gespräche war. Die Hamas hatte nämlich akzeptiert, dass dem Programm der neuen Exekutive das (von den palästinensischen politischen Gefangenen in den israelischen Gefängnissen verfasste; Anm.d.Red.) Dokument der Nationalen Versöhnung zugrunde liegen sollte, das eine Art indirekter, eher vager Anerkennung des jüdischen Staates vorsieht. Das ist eine Formulierung, die es der islamischen Bewegung erlaubt der Regierung anzugehören, ohne in Widerspruch zu ihrer Ideologie zu geraten. Die Verhandlungen machten also regelmäßige Fortschritte, um dann plötzlich ohne irgendeinen schwerwiegenden Gegensatz abzubrechen. Beide Seiten sagten, dass sie über die Zusammensetzung der Ministerliste keine Übereinstimmung erzielten, aber das ist nur ein Vorwand, weil der wahre Grund eng mit dem ausländischen Druck verbunden ist.“

 

Keine Probleme über die Namen der Minister und doch ist bekannt, dass die Hamas keine Technokraten, sondern politische Vertreter in der neuen Exekutive haben und darüber hinaus den Posten des Ministerpräsidenten und des Finanzministers behalten will.

 

„Ich wiederhole, die Namen der Minister sind niemals ein Problem gewesen. Am Ende wäre eine Übereinkunft ohne besondere Traumata erreicht worden. Das Nein zum Abschluss des Abkommens kam aus dem Ausland und hatte eine große Wirkung auf die Entscheidungen, die Hamas und der Präsident Abu Mazen getroffen haben.“

 

Aber, kann noch eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet werden?

 

„Sicher, das ist immer möglich. Vorausgesetzt, dass der Dialog an dem Punkt wieder aufgenommen wird, an dem er unterbrochen wurde. Sonst könnte man wertvolle Zeit verlieren, wovon voll und ganz diejenigen profitieren würden, die das Feuer der internen Gegensätze anfachen und einen palästinensischen Bürgerkrieg wollen. Außerdem ist notwendig, dass unsere politischen Führer, insbesondere diejenigen der beiden wichtigsten Fraktionen, sich nicht mehr dem ausländischen Druck beugen, sondern nur an das nationale palästinensische Interesse denken.“   

 

 

 

Vorbemerkung und Übersetzung aus dem Italienischen:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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