* Rosso:
Die Entführung der linken
italienischen Journalistin Giuliana Sgrena (57) am 4.Februar 2005 in Bagdad (von wo sie für „il
manifesto“ und „Die Zeit“ berichtete)
sorgte weltweit für Schlagzeilen und führte in Italien zu einer breiten
Solidaritätswelle und zu einem Wiederaufflammen der Anti-Kriegs-Bewegung. (Am
19.2.2005 gingen aus diesem Anlass in Rom – real – 25 bis 30.000 Menschen auf
die Straße.) Nicht weniger Aufsehen erregend und politisch brisant war das
Verhalten der US-Truppen unmittelbar nach ihrer Freilassung: Das Auto mit dem
sie am 4.März zum Bagdader Flughafen gebracht wurde, wurde an einem Checkpoint
von amerikanischen Besatzungssoldaten beschossen. Dabei wurde der
Geheimdienstoffizier Calipari (SISMI), der ihre
Befreiung ausgehandelt hatte, durch einen Kopfschuss getötet und Giuliana Sgrena selbst an der
Schulter verletzt. Vorsatz und eine Verwicklung des obersten US-Befehlstabes in
Bagdad konnten nie ganz ausgeschlossen werden.
In einem Kommentar für die linke und
bewegungsorientierte italienische Tageszeitung „il manifesto“
vom 31.12.2006 setzt sich Giuliana Sgrena mit der Hinrichtung Saddam Husseins am 30.Dezember
2006, ihren Hintergründen und Auswirkungen auseinander. Dabei kannte sie das „Amateurvideo“,
das die Umstände dieser von den USA überwachten und von George Bush junior als „Meilenstein“
bejubelten Lynchaktion umfassend bekannt machte, noch nicht.
(Neben sehr viel richtiger Kritik an
diesem „Meilenstein“ und der US-Politik insgesamt zeigt ihr positiver
Bezug auf das UN-Siegertribunal gegen Milosevic allerdings auch die
grundsätzliche Systemimmanenz ihres Denkens auf. Eine tatsächlich „kommunistische
Tageszeitung“ sollte sich da etwas antagonistischer verhalten.)
Erwachen im Inferno
Giuliana
Sgrena
Das sind die von den Medien
verbreiteten Bilder von der Hinrichtung Saddams: Der ehemalige irakische Rais <arabisch: Führer> mit der Schlinge um den Hals und dann eingewickelt in ein Leichentuch.
Der Beweis für seinen Tod. Er wurde herumgezeigt wie eine Trophäe, allerdings
nicht bis zum letzten Moment. Aus Furcht oder aus Schamgefühl? Und wie hätte
man es tun können? Angesichts des Schreckens der Welt schlief der einzige
Leader weltweit, der für das Erhängen und sein Urheber war.
Schwer sich vorzustellen, dass er ruhig schlief. Ist es möglich, dass Bush die
Alpträume durch seine Träume vom Ruhm vertreiben konnte? Die sich bisher als
inhaltsleer erwiesen haben? Das Erwachen wird den Präsidenten wieder in die
Tragödie des Irak befördern.
Bush hat die Hinrichtung
Saddams als einen Meilenstein bei der Schaffung der Demokratie bezeichnet.
Welcher Demokratie? Der der Besatzung, der von Abu Ghraib,
der täglichen Massaker, der Illegalität, der Entführungen, der Vergewaltigungen
und der Ehrendelikte? Oder der Demokratie des Prozesses gegen Saddam Hussein?
Der jeden Mindeststandard des internationalen Rechts verletzte. Warum wollte
man kein internationales Tribunal wie für Milosevic?
Die Vereinigten Staaten
wollten über das Schicksal des „Feindes“
entscheiden noch bevor sie ihren Sieg über die Iraker proklamieren können und
ihn vor allem beseitigen bevor er die Komplizenschaft der alten Freunde und
Unterstützer (in erster Linie der Amerikaner) aufdecken konnte. Durch die
Hinrichtung hat man verhindert, dass Saddam für alle seine Verbrechen der
Prozess gemacht wurde. Die Strafe ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern nur
eine Racheaktion (vendetta), die die
schlimmsten Gefühle entfacht.
Paradoxerweise zeigte
angesichts des Todes der ehemalige Diktator den einzigen Akt der Nüchternheit
als er die Iraker aufrief die Einheit zu wahren, die er mit Gewalt durchgesetzt
hatte und die andere nun ebenfalls mit Gewalt zerstören. Die Opfer sind stets
Iraker. Um Saddam (wegen des Todes von 143 Schiiten) an den Galgen zu bringen,
wurden circa 600.000 Iraker getötet. Im Namen welcher Gerechtigkeit?
Der irakische Ministerpräsident
Maliki hat das Todesurteil mit der beruhigenden Gewissheit unterzeichnet, in der Komödie, die
die Schiiten von einem grausamen Unterdrücker und die iranischen Verbündeten
von einem schrecklichen Feind befreit, eine Rolle zu spielen. Vor allem aber bietet
es den Anhängern des Krieges und dem Präsidenten Bush, dessen Abtreten von der
Bühne näher rückt und der weniger neiderträchtig dastehen will, den Anschein
eines Sieges. Mittlerweile glauben in den USA aber immer weniger Leute daran,
dass der Krieg die richtige Entscheidung war. Den schlimmsten Effekt wird es
allerdings im Irak geben. Während die Schiiten feierten, empfanden die Kurden
einen bitteren Beigeschmack, weil sie keine Gerechtigkeit erlangten und die
Sunniten werden (ob sie nun Freunde von Saddam sind oder nicht) ihren Krieg
gegen die Besatzung intensivieren. Die Terroristen werden – durch soviel Horror
noch mehr legitimiert – den Rest erledigen. Das Aufhängen Saddams kann aus
einem Diktator einen Märtyrer machen. Für jenen Widerstand, der noch keinen
Leader gefunden hat, kann Saddam zu einem unauslöschlichen Symbol werden. Wer
kann, jetzt wo er tot ist und keine Gräueltaten mehr verüben kann, einen Mythos
brechen? Und nicht nur das. Die am ersten Tag des Aid
al Adha (Opferfestes), das eines der heiligsten
Feste des Islam ist, während dessen alle Waffen niedergelegt werden, vollzogene
Hinrichtung verleiht dem Tod des ehemaligen Rais
einen starken symbolischen Wert. Der Tod Saddams, der für die Iraker
mittlerweile die Vergangenheit repräsentierte, wird ihn – anstatt ihn aus der
Erinnerung zu löschen – auf die politische Bühne zurückbringen und dem
Widerstand und der Gewalt einen neuen Impuls geben. Und Bush wird immer
einsamer sein.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de