Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach der Vorstellung der „MarxistInnen
Winterthur“ (in Form eines Interviews aus „der Funke“; siehe http://antifa.unihannover.tripod.com/Marxisten_Winterthur_2005.htm
bzw. http://www.derfunke.at/hpneu/
23.6.2005) und des „Mouvement pour le Socialisme“ sowie einem Überblick über
die Entwicklung in der Genfer Linken hier nun der 4.Teil unserer Reihe über die
radikale Linke in der Schweiz. In Form eines Interviews stellt sich die erst im
Dezember 2004 gegründete „Gruppe Eiszeit“ (Website: http://www.eiszeit.tk/) vor. Das Interview entnahmen
wir der von der Partei der Arbeit – PdA – herausgegebenen Wochenzeitung „vorwärts“
vom 2.9.2005.
Zieht man eine erste Bilanz, dann fällt
auf, dass in den letzten knapp drei Jahren, unabhängig voneinander, in der
eidgenössischen radikalen Linken eine Reihe von Gruppen und Organisationen
entstanden sind, die allesamt den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital
als zentral betrachten und in der Arbeiterklasse bzw. den Lohnabhängigen das
entscheidende Subjekt für die Aufhebung des Kapitalismus sehen, ohne deshalb
ansonsten mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen. Auch wenn der
Neoliberalismus in der Schweiz noch nicht soweit ist, wie in Großbritannien,
Frankreich, Italien oder der BRD, so ist sie doch längst keine „Insel der
Glückseligen“ mehr.
„Ohne Analyse keine Praxis“
rtp. -- Die seit einem Jahr
existierende Gruppe Eiszeit versucht mit Veranstaltungen zu Theorieansätzen der
linksradikalen Geschichte eine eigene Analyse zu entwickeln und
Auseinandersetzungen anzustoßen. Ein Gespräch.
Ihr legt sehr Wert auf
theoretische Auseinandersetzung. Wieso?
„Wir wollen, dass Theorie
und Praxis nicht auseinander gerissen werden. Es geht um die Frage, welche
Praxis in der heutigen Zeit möglich und sinnvoll sein kann. Bei vielen Gruppen
der radikalen Linken hat man das Gefühl, es werde eine Praxis gepflegt, deren
theoretische Grundlagen nicht mehr überprüft werden oder ganz fehlen. Ohne
Analyse gibt es aber auch keine Praxis, die das bestehende System dort trifft,
wo es wirklich weh tut.“
Bis jetzt seid Ihr bloß
durch Veranstaltungen in Erscheinung getreten…
„Zum einen ist das nicht
ganz richtig: Wir waren Teil des revolutionären 1.Mai-Aktionsbündnis in Zürich.
Zum anderen sehen wir Veranstaltungen auch als Teil einer Praxis. Es ist eine
Form, wie man radikale Inhalte vermitteln kann. Um das geht’s ja. Auch eine
Demo macht man nicht um der Demo willen. Es geht letztlich darum, Inhalte zu
vermitteln und öffentlich wahrnehmbar zu sein.“
Stehen wir als Linke an
einem Punkt, wo man die Theorie wieder neu formulieren muss?
„Man muss die eigenen
theoretischen Grundlagen ganz grundsätzlich immer wieder neu überdenken. Seit
zwei, drei Jahren erleben wir zudem, wie sich die Anti-Globalisierungs-Bewegung
auflöst. Am Rande dieser Bewegung gab und gibt es interessante Gruppen und
Einzelpersonen, die sich nach revolutionären Ansätzen umsehen. Ich glaube, dass
es ein Bedürfnis ist, eine Auseinandersetzung zu führen. Seit ich mich erinnern
kann, hat es in der Schweiz selten eine Diskussion zwischen den verschiedenen
radikalen Gruppen gegeben.“
Wie seht Ihr denn den
aktuellen Zustand der radikalen Linken?
„Die radikale Linke ist
unglaublich zerstritten…“
…und wer gehört dazu?
„Eigentlich ist ‚radikale
Linke’ ein sehr schwammiger Begriff. Man kann da von der PdA über einen Teil
der HausbesetzerInnen bis zum <Revolutionären> Aufbau alle dazu zählen.
Dann muss man aber anfangen zu differenzieren und die einzelnen Positionen
anzuschauen. Mehr als das Label interessieren uns die Inhalte. Genau darüber
führen die einzelnen Gruppen aber kaum Auseinandersetzungen miteinander. Das
ist ein Zustand, der darauf schließen lässt, dass sich viele Leute in ihren
Positionen eingerichtet haben. Wir glauben, dies ist ein Punkt, weshalb die
radikale Linke im Moment sehr schwach ist.“
Ist sie so schwach oder
ist sie einfach nicht handlungsfähig? Ich glaube, so schwach wie sie sich gibt,
ist sie nicht. Was ihr fehlt, sind die Auseinandersetzung und die gemeinsamen
Bezüge, auf die sie sich einlässt. Das Problem ist, dass sie selber nicht mehr
glaubt, dass sie wahrnehmbar sein kann.
„Man muss versuchen, eine
subversive Praxis zu entwickeln. Also nicht nur die negativen Entwicklungen zu
bremsen, sondern vorwärts zu gehen und grundlegend aus dieser Perspektive
heraus zu handeln.“
Wo seht Ihr denn die
Stärken und Schwächen der radikalen Linken?
„Ein Problem ist, dass sich
ein Grossteil der radikalen Linken auf gegenkulturelle Sachen beschränkt und
die Bruchstellen, die es in der kapitalistischen Gesellschaft gibt, nicht
wahrnimmt. Gerade im Bezug auf die Arbeiterklasse. Wir sind eine marxistische
Gruppe. Aus dieser Perspektive ist klar, dass der Antagonismus zwischen Kapital
und Arbeit zentral ist und dass wir uns auf diesen beziehen und auch hier zu
intervenieren versuchen. Es ist ein zentraler Fehler, dass sich viele Leute
nicht damit auseinandersetzen, sondern es sich in ihren gegenkulturellen
Nischen gemütlich machen.
Wenn man einen kollektiven
Prozess sucht, den Kapitalismus analysiert und in der Analyse feststellt, dass
der Kapitalismus ganz grundlegend beschissen ist für die Menschen – für einige
mehr, für andere weniger –, dann kann man sich nicht mehr so einfach zurückziehen.
Deshalb ist es wichtig, dass man sich theoretisch auseinandersetzt und nicht
nur einfach gegen das besonders Schlimme anrennt.“
EISZEIT STELLT MORGEN;
SAMSTAG <3.9.2005> DIE BÜCHER „FORCES OF LABOR“ UND „DEN HIMMEL
STÜRMEN, EINE THEORIEGESCHICHTE DES OPERAISMUS“ VOR, MIT DISKUSSION (20
UHR, VOLKSHAUS ZÜRICH, AM HELVETIAPLATZ): IM HERBST IST EIN LESEZYKLUS ZU
RADIKALE THEORIE GEPLANT: INFOS UNTER www.eiszeit.tk
Vorbemerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover