Antifa-AG der Uni Hannover:
Die österreichische marxistische Zeitschrift „der funke“ veröffentlichte am 23.6.2005 auf ihrer Internetseite (www.derfunke.at)
das folgende Interview mit der Schweizer „Gruppe MarxistInnen
Winterthur“ zur politischen und gewerkschaftlichen Situation in der Schweiz und
der Entwicklung der Linken. Da zu diesem Thema in der BRD wenig bekannt ist,
die Schweizer Linke in jüngerer Zeit aber zumindest einmal einen nicht
unwesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der radikalen Linken in Deutschland
hatte (nach den Züricher Krawallen auf die Entwicklung der autonomen Bewegung)
hier ein Beitrag, um diesen „weißen Fleck“ auf der Landkarte etwas zu füllen:
Interview mit den MarxistInnen Winterthur
In der
österreichischen Linken hört man wahrscheinlich nur ein Mal jährlich etwas von
der linken Szene in der Schweiz: die alljährlichen Proteste gegen den WEF-Gipfel in Davos. Wir haben Mitglieder der Gruppe MarxistInnen Winterthur getroffen und die Schweiz als alles
andere als ruhiges Land kennen gelernt.
Die Schweiz hat mit dem Rechtsruck bei
den Nationalratswahlen 1999 und 2003 ein eher negatives internationales
Medienecho erhalten. Wie seht Ihr die momentanen Entwicklungen in der Schweiz?
“Was wir in den letzten zwei oder drei Jahren in der Schweiz sehen, ist eine
starke Polarisierung. Das heißt, der rechteste Flügel in der parlamentarischen
Politik, die SVP (Schweizer Volkspartei), hat zwar wirklich massive
Wähleranteile dazu gewonnen, aber genauso auch die SPS (Sozialdemokratische
Partei Schweiz). Gemeinsam mit den Grünen und der <ehemals
kommunistischen> PDA
(Partei der Arbeit) bilden die Sozialdemokraten ein linkes Bündnis mit ca. 1/3
der Stimmen, die SVP hat auch ein Drittel. Das restliche Drittel sind
bürgerliche Mitteparteien (CVP -Christliche Volkspartei - und FDP - Freie
Demokratische Partei), die sich immer entweder links oder rechts einordnen.
Diese Mitteparteien haben bei den Wahlen im Herbst 2003 massiv verloren und
sind seither in einer tiefen programmatischen Krise. Durch den Wahlausgang
konnte die SVP einen der 7 Bundesräte, welche die Regierung bilden, gewinnen
und wir haben nun eine rechts-konservative Mehrheit in der Regierung.“
Wir bemerken weltweit eine tiefe Krise
des Kapitalismus mit all ihren Auswüchsen, wie Arbeitslosigkeit, Kürzungen im
Sozial- und Gesundheitssektor usw.! Die Attacken des Kapitals machen da keinen
Bogen rund um die Schweiz – Gibt es Widerstand dagegen?
“Das können wir ganz klar bejahen. In der Schweiz hat es seit Ende 2003 so
viele Streiks gegeben wie in einer sehr langen Periode zuvor nicht mehr.
Stellvertretend kann man hier 2 Streiks nennen, welche die Schweiz in Aufruhr
versetzten. Einerseits den Arbeitskampf der Maler- und GipserInnen
in der Frage um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mit der Einführung der
Frühpensionierung mit 62 Jahren. Von Seiten der Arbeitgeber wurden die
Verhandlungen blockiert und so kündigten die Maler- und GipserInnen
im Februar 2004 den alten GAV auf, um den Weg für einen neuen GAV mit besseren
Bedingungen freizumachen. Zuerst wurden 2 Warnstreiks abgehalten, die nichts
einbrachten und in weiterer Folge wurden 2 nationale Streiktage ausgerufen, wo
zum Teil sehr militante Aktionsformen angewandt wurden. Zum Beispiel wurden bei
Demonstrationen Polizeireihen durchbrochen und Arbeitgeberhäuser fielen
Farbbeutelattacken zum Opfer. Die Streiks brachten aber keine Ergebnisse und
die Beschäftigten waren bis vor 1 ½ Monaten vertragslos.
Im April 2005 einigte sich die Verhandlungsdelegation auf einen neuen GAV, der
bis auf kleine Veränderungen identisch mit dem alten ist – d.h. keine
Frühpensionierung mit 62. Trotzdem war dieser Streik mit Hunderten ArbeiterInnen der quantitativ größte Arbeitskampf der
letzten 2 Jahre.
Zweitens ist der Arbeitskampf bei Allpack AG im
Kanton Aargau zu nennen. Allpack ist eine
Verpackungsfirma, die ca. 25 ArbeiterInnen
beschäftigt, wobei mehr als die Hälfte Immigrantinnen sind. Von Seiten des
Unternehmers wurde per Brief allen Beschäftigten die Abschaffung des 13.
Monatslohnes, die Erhöhung der Wochenstundenanzahl von 40 auf 41, die Kürzung
des Mutterschaftsurlaubes von 16 auf 8 Wochen und einige andere Grauslichkeiten
mitgeteilt. Aus diesen Verschlechterungen hätte ein Lohnverlust von 12-15%
resultiert. Die ArbeiterInnen traten sofort in den
Streik und wurden ausnahmslos vom Chef des Unternehmens fristlos gekündigt.
Diese streikten jedoch weiter und richteten Streikposten ein, um die vom Chef
angestellten StreikbrecherInnen von der Fabrik
fernzuhalten. Das führte zur Einmischung des bürgerlichen Staates mittels
Repression die Streikposten zu entfernen – das alles mit der Begründung:
Verstoß gegen das Recht auf Arbeit und Nötigung gegenüber StreikbrecherInnen.
Diese gewalttätige Polizeiaktion forderte 3 Verletzte. Der Streik ging 10 Tage
bis die Gewerkschaft am letzten Tag Verhandlungen mit dem Resultat führte, dass
ein Gesamtarbeitsvertrag ausverhandelt wird, in
dieser Zeit aber keine Kampfmaßnahmen ergriffen werden sollten. Darüber hinaus
blieben die Kündigungen aufrecht und eine mickrige Lohnabfindung von 3
Monatsgehältern wurde von der Gewerkschaft „erkämpft“. Die Gewerkschaft übte
dabei großen Druck auf die Beschäftigten aus, dieses Verhandlungsergebnis
anzunehmen. Von Tag zu Tag häuften sich die Solidaritätserklärungen, einer Demonstrationen als Antwort auf die polizeiliche
Räumung der Streikposten schlossen sich rund 500 Leute an, doch der Streik
endete im Ganzen als Niederlage.
Aber die Streiks in den letzten 2 Jahren zeigen, dass sich etwas bewegt in der ArbeiterInnenschaft und dass wieder Kampfmittel wie Streiks
entdeckt werden. Die Krise des Kapitalismus, die sich in allen Ländern
verschärft, macht eben auch vor der Schweiz nicht halt und Angriffe gegen die ArbeiterInnen werden auch weiterhin stattfinden.“
Aus der Schweiz hört man immer wieder
von einer Vielzahl linker Jugendlicher, die sich im Kreis der
Antiglobalisierungsbewegung bei diversen Anti-WEF-Aktionen
scharen. Wie steht es aus Eurer Sicht um die linke Jugendbewegung in der
Schweiz?
„Zur Antiglobalisierungsbewegung ist zu sagen, dass sie auch in der Schweiz
ihren Zenith überschritten hat und auf dem absteigenden Ast ist. Auch die
Mobilisierungen zum heurigen WEF-Gipfel haben viel
weniger Menschen angelockt wie in den vergangenen Jahren. Zum Großteil ist das
auch auf die Repression der Polizei und die damit zusammenhängende Angst
zurückzuführen. Aber Jugendliche, die sich auf die Bewegungen in der ArbeiterInnenschaft, den Streiks usw. orientieren, gibt es
noch fast keine.“
In den
1980er Jahren war Winterthur neben Zürich der Brennpunkt der radikalen linken
Jugendbewegung. Wie war das damals?
“ Wichtig in diesem Zusammenhang ist zu erkennen, dass es damals eine starke
Radikalisierung der gesamten Jugendbewegung gegeben hat. Winterthur war damals
politisch sehr rechts orientiert, es gab Bürgerwehren und de facto keine
autonome Jugendkultur zu dieser Zeit. Nur langsam entstand eine
linksorientierte Jugendbewegung, die ihre Einflüsse durchaus auch aus Zürich
hatte. Die Repression seitens der Polizei gegen die Jugend wurde immer härter,
die Aktionsformen der Linken wurden immer militanter bis hin zu Sprengstoff-
und Brandanschlägen, bei denen aber kein Personenschaden zu beklagen war. Der
Höhepunkt war ein Brandanschlag auf das Haus eines ehemaligen Bundesrats.
Dieser war der letzte einer Reihe von Brandanschlägen innerhalb weniger Wochen
und es folgten Verhaftungswellen und Hausdurchsuchungen. Es wurden insgesamt 30
Personen verhaftet, in Isolationshaft gesteckt, sie durften über eine Woche
keinen Anwalt sehen und nach 30 Tagen erhängte sich eine Person in der Haft.
Schlussendlich konnten nur 2 Personen verurteilt werden, aber die
Jugendbewegung war damit gestorben. Bis Anfang der 90er Jahre gab es praktisch
kein Lebenszeichen und die politische Jugend war damit politisch und
gesellschaftlich isoliert.“
Welche Lehren habt Ihr als linke
Jugendgruppe in Winterthur daraus gezogen?
„Die Repression ist in letzter Zeit in Winterthur wieder massiv gestiegen, vor
allem durch die neue Jugendbewegung, die unter anderem durch die Proteste gegen
den Irakkrieg kurzfristig stark gewachsen ist. Daher achten wir darauf, dass
wir dem Repressionsapparat nicht zu viel in die Hände spielen und uns deshalb
recht „unsichtbar“ organisieren. Zweitens müssen wir aufpassen, dass die
militanten Aktionsformen, die ja wünschenswert sind, nicht eine gewisse
Qualität übersteigen. Diese Frage ist recht schwierig zu beantworten. Wir
möchten einerseits nicht in eine opportunistische Position abrutschen und
unsere revolutionäre marxistische Politik verwässern, andererseits müssen wir
gegen eine selbst verursachende Isolierung durch zu militante Aktionsformen
kämpfen. Bis jetzt konnten wir noch keine große Kontaktaufnahme zur ArbeiterInnenschaft erzielen und konzentrierten uns eher
auf die Jugendbewegung, wir überlegen uns aber zur Zeit,
wie wir diesen Schritt in die Wege leiten können. Dabei ist erwähnenswert, dass
die Gründung einer marxistischen Gruppe in Winterthur in der Jugendbewegung
damals einiges an Skepsis mit sich brachte, da wir ja einer ganz anderen
Organisierungsform als die Autonomen folgen. Aber mittlerweile bewährt sich das
sehr gut.“
Das
heißt, wir können der Zukunft einer marxistischen
Gruppe in Winterthur optimistisch entgegenschauen?
“Auf jeden Fall.“
Eine Broschüre über Streiks in der Schweiz und international, zusammengestellt
von den MarxistInnen Winterthur, kann bei uns
bestellt werden. Schreib an: der.funke@jugendkaempft.com
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