* Rosso:
Ihre Befürchtung, dass die
landesweite Anti-Prekaritäts-Demo am 4.November in
Rom zu einer „sozialpartnerschaftlichen“
Veranstaltung verkommt, hatte der verbliebene linksradikale Teil der
italienischen Disobbedienti (Ungehorsamen), deren
bekanntester Vertreter der Venezianer Luca Casarini
ist, bereits seit Anfang Oktober lautstark bekundet und mit dem Ausstieg aus
dem Bündnis gedroht. Eine Drohung, die sie dann auch wahr machten. Wenngleich
auch die sozialpartnerschaftlichsten Kräfte, wie die
CGIL-Branchengewerkschaften FP und FLC aus dem Bündnis ausstiegen und zur
Nicht-Beteiligung aufriefen, weil sie nach Erscheinen des Cobas-Flugblattes
zu der Demo Angst bekamen, diese könnte zu radikal werden und (wie die Confederazione Cobas) womöglich
gar den Rücktritt von Arbeitsminister Damiano fordern.
Die Disobbedienti hingegen wurden am Vorabend der
Demonstration auf ganz andere Art aktiv, wie der folgende Bericht aus der
linken Tageszeitung „il manifesto“
vom 4.11.2006 dokumentiert.
Antiglobalisierer gegen Reformer
Casarinis
Disobbedienti unterbrechen die Veranstaltung von Treu
und Damiano zum Thema Arbeit.
Antonio
Sciotto
Sie waren
als Touristen verkleidet und stellten sich hinter das Schild mit der Aufschrift
„Precarytour“. Eine Gruppe von 60 Disobbedienti des Netzwerks Invisibles
Workers of the World,
unterbrachen – angeführt von Luca Casarini – den
von den Reformern der Mitte-Links-Union (Linksdemokraten-Mehrheit und <dem christdemokratisch-liberalen
Zusammenschluss>
Margerite) im Palazzo Ducale von Venedig
organisierten Konvent zur „Zukunft der Arbeit“. Die Gruppe habe sich zum
Zeitpunkt des Buffets Zugang zum Palazzo verschafft, „als die Aufsicht
weniger aufmerksam war“, wie Casarini berichtet. „Wir
haben gefordert“ – erklärt der Leader der Disobbedienti
– „den Konvent in eine Versammlung zu verwandeln und es den prekär
Beschäftigten zu ermöglichen mit den geladenen Gästen zu reden. Die Organisatoren
weigerten sich und forderten die Intervention der Polizei, die dann in
Anti-Aufruhr-Montur erschienen ist. Es war die Intervention des Bürgermeisters Massimo
Cacciari, die einen Polizeieinsatz verhinderte,
während die Kongressteilnehmer ins nahe gelegene Ca’ Farsetti
umzogen, d.h. ins Rathaus, um ihre Veranstaltung fortzusetzen.“ Die
Demonstranten haben den Palazzo Ducale dann
verlassen.
Protagonisten
des venezianischen Konvents sind der Arbeitsminister Cesare Damiano <von
den Linksdemokraten (DS) und ehemals führender Gewerkschaftsrechter in der
CGIL> sowie der
Präsident des Senatsausschusses für Arbeit, Tiziano
Treu, <ein „linker“ Christdemokrat, ehemaliger
Arbeitsminister und ex-Chefideologe des christlichen
Gewerkschaftsbundes CISL>. Das ist die Denkfabrik des Olivenbaum-Bündnisses über die Zukunft der Arbeit.
Auf den Schildern der Antiglobalisierer stand „Stoppt das gegen die Prekären gerichtete
Haushaltsgesetz!“ und „Minister Damiano
Schande!“ „Ich bin in Frieden hierher gekommen, um eine friedliche und
demokratische Diskussion zu führen“, erklärte Damiano
denjenigen, die ihn nach einem Kommentar zu der Aktion der Disobbedienti
fragten. „Sie sind in der Pause gekommen und wurden doch angehört. Sie
wollten nicht wieder gehen, deshalb sind wir dann gegangen“, fügte Treu
hinzu.
Casarini erklärt das Eindringen in den Konvent mit dem Willen „das
Schaufenster, das ausstaffiert worden war, um Rezepte zu präsentieren, die das
Problem der Prekarität nicht lösen, zunichte zu
machen“. „Es gibt im Haushaltsgesetz keine Antworten, weil den so
genannten ‚schwachen Gruppen’ nur wenige Euro gegeben und den
Scheinselbständigen höhere Belastungen in der Sozialversicherung aufgehalst
werden. Außerdem gibt es keine Antworten bezüglich der prekären Migranten, die Gefangene der Sammelllager
(CPT) bleiben, d.h. regelrechter Administrativgefängnisse, die auch diese
Regierung nicht schließen will.“
Casarini
ist der gesamten Regierung gegenüber sehr polemisch, auch gegenüber dem „radikalen“
Flügel, der heute auf die Straße geht, um an der Demonstration „Stoppt die Prekarität jetzt!“ teilzunehmen. „Wir haben
beschlossen, an der Demo in Rom nicht teilzunehmen, weil die Organisatoren sich
nach Kräften bemühen, zu betonen, dass sie nicht gegen das Haushaltsgesetz und
nicht gegen die Regierung gerichtet ist und wir damit nicht einverstanden
sind.“
Die Disobbedienti kündigen hingegen an, dass sie bei
dem, von den Basisgewerkschaften (RdB-CUB und Cobas) ausgerufenen „sozialen Streik“ am 17.November
präsent sein werden, „weil man dort nicht zwischen ‚Radikalen’ und
‚Reformern’ der Mitte-Links-Union unterscheidet, sondern gegen die Regierung
und das Haushaltsgesetz auf die Straße geht und Schluß!
Und gegen die gesamte Regierung. Wir sind auch gegen den PdCI,
die Grünen und Rifondazione, weil sie für den
Haushalt und die Afghanistan-Mission gestimmt haben und die CPT beibehalten.“
Aber bedeutet, „gegen“ die Regierung zu sein, dass man sich wünscht, sie
zu stürzen? „Wenn sie ihre Politik ändert, dann nicht. Ansonsten ist es
besser, wenn sie stürzt“, erklärt Casarini, auch
wenn er klarstellt, dass er gewählt und sich eine „andere Politik“
erwartet hat, „was zumindest im Wahlkampf Stand der Dinge war“.
Wie sieht
der Forderungskatalog der No globals aus? „Wir
glauben nicht, dass sich unbefristete Arbeitsverhältnisse auf der Grundlage des
fordistischen Modells für alle durchsetzen lassen,
wie es diejenigen fordern, die für ‚Stoppt die Prekarität
jetzt!’ auf die Straße gehen. Es bedarf vielmehr des Sozialen Einkommens.“ <In den hiesigen Sprachgebrauch übersetzt: eines
Sozialen Grundeinkommens.>
Aber ist
das nicht der Vorschlag der Reformer in der Mitte-Links-Union, die statt
unbefristeter Arbeitsverhältnisse für alle eher soziale Abfederungen anbieten? „Nein.
Sie reden von wenigen Euro. Wir fordern Investitionen in den Sozialen Lohn,
wozu Gelder umgeleitet werden müssen, die heute für Waffen ausgegeben werden
oder um die Kosten der Politik zu erhöhen / zu schmieren.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht für ein
Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des
Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der
Übersetzungsarbeit beider Gruppen übernommen hatte. Nach Auflösung der Antifa Uni (nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006; siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
erscheinen die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen
Texte erfolgen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des
Gewerkschaftsforums Hannover.
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