* Rosso:
Die (für den Moment behobene)
Regierungskrise in Italien und ihre Nachwehen haben die Großrazzia vom
12.Februar 2007 in Padua, Mailand und Turin gegen kommunistische Gewerkschafter
und Aktivisten der von linken Jugendlichen besetzten und in Selbstverwaltung
betriebenen Centri Sociali
(Sozialen Zentren) bereits wieder aus den Schlagzeilen verdrängt. Für die Linke
gibt es allerdings keinen Grund sich dieser Schnelllebigkeit der bürgerlichen
Medienwelt anzuschließen, denn gegen keinen der Beschuldigten wurden die
Vorwürfe bislang zurückgezogen und keiner der 15 Festgenommenen wieder auf
freien Fuß gesetzt. Ebenso wenig wurden die Suspendierungen der
Gewerkschaftsmitgliedschaften bzw. Ausschlüsse durch die obrigkeitshörigen
Führungen der CGIL und ihrer Einzelgewerkschaften rückgängig gemacht. Im
Gegenteil, einen Monat nach der Razzia wurde bekannt, dass die „Abteilung
für Allgemeine Ermittlungen und Spezialoperationen“ (DIGOS), also die
ermittelnde Anti-Terror-Polizei eine Liste mit weiteren 15 Namen von „Verdächtigen“
besitzt, die bislang noch verschont wurden.
Wie ernst diese Geschichte auch
hierzulande genommen wird, zeigt die Tatsache, dass ihr die „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ am 15.2.2007 einen
dreispaltigen Artikel von der Größe einer Din
A4-Seite auf der Titelseite ihres Wirtschaftsteils (!) widmete. Überschrift: „In
Italien leben Arbeitsmarktreformer gefährlich“. Sodann verkündet die FAZ:
„In Italien kann es lebensgefährlich
sein, sich einen Namen als Fachmann für Arbeitsrecht zu machen und dann auch
noch für Reformen zu plädieren. Eine Razzia und 15 Verhaftungen von
mutmaßlichen Terroristen in Norditalien brachte an den
Tag, dass wieder einmal ein Attentat auf einen Reformer des Arbeitsmarktes
geplant war. Die Terroristen hatten den 57 Jahre alten Pietro Ichino im Visier, einen Professor
für Arbeitsrecht an der staatlichen Universität in Mailand, daneben
profilierter Leitartikelschreiber der Zeitung ‚Corriere della
Sera’. Ichino, der seine Karriere 1969 als
Gewerkschaftsfunktionär in der kommunistischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL
begonnen hatte, war während der vergangenen Monate von Gewerkschaftern und
linken Vertretern der italienischen Regierungen scharf kritisiert worden.
Zunächst in einem Kommentar, nun auch in einem Buch („Die Nichtstuer“) fordert Ichino, all jene Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zu
entlassen, die nachweislich nicht arbeiten. Als ehemaliger kommunistischer
Abgeordneter und ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär hat sich Ichino mit solchen Forderungen, aber auch mit profunden
Erklärungen über den Nutzen eines liberalisierten Arbeitsmarktes, den
besonderen Zorn ehemaliger Weggefährten zugezogen. Dass er damit zur
Zielscheibe der Terroristen wurde, war einkalkuliert. ‚Wenn man an dieser
Stelle aufgibt, haben die Terroristen ja ihr Ziel erreicht’, kommentiert Ichino nun seine Lage.“
Zu den inhaltlichen Positionen Ichinos heißt es
weiter: „Pietro Ichino, der nun als Meinungsführer
in der italienischen Öffentlichkeit das gefährliche Erbe von Biagi angetreten hat, kritisiert seinerseits die
Vorgehensweise der extremen Linken, die - entsprechend traditioneller
kommunistischer Taktik - manche Diskussionen gar nicht erst entstehen lassen
wollten. Während Ichino sagt, dass ein rigides
Arbeitsrecht Pfründe für Parasiten und eine Benachteiligung von Schwachen
darstelle, wollen seine Kritiker die Diskussion mit Schlagworten wie ‚soziale
Schlächterei’ von vorneherein zum Verstummen bringen. Daraus entstand
schließlich der Nährboden für diejenigen, die nun mit Pistolenkugeln für
Schweigen sorgen wollten.“
Zutreffend ist, dass Pietro Ichino in Italien derzeit der führende neoliberale
Stimmungsmacher ist. Sehr fraglich bleibt allerdings inwieweit tatsächlich eine
Organisation von „Terroristen“ existierte, die ihm ans Leder wollte. Als
Beleg dafür dient bislang – neben der entschiedenen Ablehnung seiner Attacken
gegen gewerkschaftliche und soziale Errungenschaften – einzig ein abgehörtes
Gespräch zweier Festgenommener, in dem Einer dem Anderen im Rahmen einer
Diskussion über Ichinos Ansichten erzählt: „Ich habe
mir mal angeguckt, wie der so wohnt. Der hat gar keinen Polizeischutz.“ (Obendrein
eine falsche Beobachtung !)
Sicher ist hingegen, dass gegenwärtig
in Italien kommunistische Gewerkschafter und Betriebsräte sowie Aktivisten der Centri Sociali „gefährlich
leben“. Das zeigt diese Razzia ebenso wie die Propaganda der bürgerlichen
Massenmedien drum herum. Daher als notwendiger Beitrag zur Gegeninformation im
Folgenden die Stellungnahme des „Umfelds“ der Betroffenen.
Veröffentlicht wurde es am 14.2.2007 auf dem Internetportal „Il
Pane e le Rose“ (www.pane-rose.it)
aus Padua, das der Linksabspaltung von Rifondazione Comunista, d.h. dem PCL von Marco Ferrando
& Genossen, nahe steht.
Wir sind Kommunisten und keine Terroristen!
Am Montag den 12.Februar
2007 wurden auf Anordnung der Staatsanwältin Boccassini
von der Mailänder Staatsanwaltschaft in Norditalien circa 80 Durchsuchungen
gegen Genossen unterschiedlicher politischer Realitäten durchgeführt, die mit
15 Festnahmen endeten. Die wichtigsten Anklagepunkte sind der Artikel 306
Strafgesetzbuch, d.h. „Bewaffnete Bande“ und der berühmte Artikel 270 b)
„Subversive Vereinigung zum Zwecke des Terrorismus“. Im Morgengrauen des
12.Februar drangen die so genannten „Ordnungskräfte“ (in einigen Fällen mit
Unterstützung der NOCS <Anm.1>) mit Pistolen, Maschinenpistolen und
Blendgasgranaten bewaffnet in ca. 15 Wohnungen von Genossen ein. Die Polizei
brach Türen und Fenster auf, stellte die Wohnungen auf den Kopf und
beschlagnahmte jede Art von Material (Computer, Mobiltelefone, Autos, Papiere,
Fotos und einiges andere). Im größten Teil der Fälle wurden auch die
Arbeitsplätze und die Wohnungen einiger Eltern durchsucht. Alle Genoss(inn)en, darunter schwangere Frauen und alte Menschen,
wurden ins Polizeipräsidium gebracht, wo sie stundenlang auf das Anfertigen von
Protokollen mitsamt erkennungsdienstlicher Erfassung, inklusive Aufnahme von
Fahndungsfotos sowie Abnahme von Fingerabdrücken, warten mussten.
Diese, vom Innenminister
Amato geleitete und ad hoc von der Regierung Prodi
orchestrierte, beachtliche Repressionsaktion findet nicht zufällig nach der
Verabschiedung eines kriminellen Haushaltsgesetzes statt und vor der
Demonstration gegen den Ausbau der Militärbasis <in Vicenza> sowie vor dem anstehenden Angriff auf die Renten und
zwar gegen diejenigen, die an den Arbeitsplätzen, vor Ort, auf den Straßen, in
den Schulen und Universitäten eine Politik der Denunzierung und der
Organisation gegen die falschen Freunde der Werktätigen und gegen den
imperialistischen Krieg praktizieren.
Der wahre Terrorist sind
diejenigen, die die Bomben auf die Bevölkerungen des ehemaligen Jugoslawiens
geworfen haben und die heute von Afghanistan bis zum Irak ausbeuten und
unterdrücken!
In dieser Phase der Krise
ist es für die Padroni <Unternehmer / Chefs> und ihre würdigen Repräsentanten wichtiger denn je
jedem Organisationsherd zuvorzukommen, der in der Lage ist, den Massen konkrete
Antworten zu geben und für eine sozialistische Gesellschaft ohne Ausbeutung und
ohne Klassen zu kämpfen. Ein Großteil der Verhafteten gehört in ihren Betrieben
der Arbeiteravantgarde an und engagiert sich tagtäglich gegen die
Unternehmerarroganz, die tödlichen Arbeitsunfälle, die prekäre Beschäftigung
und den unaufhörlichen Arbeitsplatzverlust. Die Führungen von CGIL, CISL und
UIL (dieselben, die im FIAT-Hauptwerk in Turin-Mirafiori
ausgepfiffen wurden) haben keine Zeit verloren, um die Suspendierung dieser
Genoss(inn)en von der gewerkschaftlichen Organisation
zu fordern und sich mit der „großartigen“ Leistung der Polizei zu
solidarisieren. Das Ganze gewürzt mit einer Pressekampagne im perfekten Stil
von „Knall das Ungeheuer auf die Titelseite!“, um dazu beizutragen um
diese Genoss(inn)en und ihre Treffpunkte herum
verbrannte Erde zu schaffen.
Das ist eine präventive
Operation, die darauf abzielt die Genoss(inn)en
solange wie möglich in Untersuchungs- und Isolationshaft zu halten. Übrigens
wurden in den letzten Monaten Dutzende kommunistischer und anarchistischer
Genoss(inn)en im Rahmen verschiedener
Ermittlungsverfahren verhaftet und befinden sich gegenwärtig unter verschärfter
Bewachung, was bis hinunter zum harten Knastparagraphen 41b) geht.
Dies ist keine Demonstration
der Stärke der Bourgeoisie, sondern im Gegenteil ihrer politischen Schwäche.
Der Schwäche gegenüber einer Bewegung, die sich gegen den Bau der neuen
Todesbasen in Italien entwickelt. Das Ziel dieser zahllosen
Ermittlungsverfahren ist es, eine Verbindung zwischen den Forderungen der
Massen nach Gerechtigkeit und einer revolutionären politischen Perspektive zu
verhindern. Angesichts des x’ten und äußerst
schwerwiegenden Versuches diesen Teil der revolutionären Bewegung zu isolieren,
indem man sie in Gute und Böse unterteilt, ist die einzig mögliche und
notwendige Antwort die Klassensolidarität. Wir appellieren an die einzelnen
Genossen(inn)en, an die ehrlichen Antiimperialisten,
an die bewussten Werktätigen und an die italienische Klassenbewegung um die
verhafteten und mit Ermittlungsverfahren überzogenen Genoss(inn)en
herum zusammenzurücken und in jeder Form Solidarität zu zeigen, um diese x’te Provokation scheitern zu lassen und den
Isolationsversuch an den Absender zurückzuschicken. Ab morgen wird der Sitz der
Associazione Nicola Pasian
in der Piazzetta Toselli <in Padua> jeden Abend geöffnet sein, um ständig aktuelle
Informationen über den Fortgang der Prozesse zu liefern.
Der
wahre Terrorismus ist der Bau von Kriegsbasen!
Wir sind
Kommunisten und keine Terroristen!
Freiheit
für die Genoss(inn)en!
Dienstag, den 13.Februar
2007
Dokumentationszentrum Comandante
Giacca
Besetztes Volkszentrum (CPO) Gramigna
Filmforum-Gruppe „Resistente Filme“
Alle Genossinnen und Genossen der
Verhafteten
Quelle: primomaggio1945@yahoo.com
Anmerkung 1:
Der Zentrale Operative
Sicherheitskern (NOCS) ist eine Eliteeinheit der italienischen
Staatspolizei (PS) zum Zwecke der „Terrorbekämpfung“, vergleichbar der
deutschen GSG 9. Ihre Ursprünge gehen auf das Jahr 1974 zurück als sie zur
Bekämpfung vor allem der linken Stadtguerillagruppen Rote Brigaden (BR), Prima Linea (Vorderste Front) und NAP (Bewaffnete Proletarische
Kerne) geschaffen wurden. Seit 1986 zählt auch der Schutz ausländischer
Staatsgäste und die Bewachung von „Risikopersonen“, d.h. gefährdeter „Very Important Persons“,
zu ihren Aufgaben.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller
Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der
gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der
Verantwortung des Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de