* Rosso:
Der konsequenteste und kohärenteste
Teil des verbliebenen linken Flügels von Rifondazione
Comunista (PRC) ist zugleich der kleinste. Die an
Alan Woods und (dem kürzlich verstorbenen) Ted Grant orientierte und auf „Langzeit-Entrismus“ setzende Gruppe um die Zeitschrift „Falce Martello“ (Hammer &
Sichel), Schwesterorganisation des „Funke“ in Österreich, erhielt bei
der Urabstimmung vor dem letzten Parteitag die Unterstützung von 1,6% der rund
95.000 Mitglieder von Rifondazione. In der
Jugendorganisation des PRC – den Giovani Comunisti (GC, 35.000 Mitglieder) – ist ihr Einfluss etwas
stärker. Dort kam sie im Vorfeld der letzten Nationalen Konferenz der GC Mitte
September 2006 auf 7,1% der Stimmen. In einem Grundsatzartikel für „Falce Martello“ Nr.
197 vom 15.11.2006 legt einer der beiden Köpfe dieser
Strömung – Claudio Bellotti – ihre Einschätzung der
Lage sowie die daraus folgende Strategie und Taktik dar. Wir entnahmen den Text
der Homepage http://www.marxismo.net/
Die
Linke und die Regierung Prodi
Ziele und Methoden unseres Kampfes im PRC
Claudio
Bellotti
Der Weg von Rifondazione Comunista in die
Regierung Prodi fordert von uns eine erneute,
sorgfältige Untersuchung der Rolle der Partei und unseres Kampfes. Die Monate,
die seit dem Amtsantritt der Regierung Prodi
vergangen sind, bieten uns eindeutige Hinweise, Fakten und Ereignisse, die
allen vor Augen sind und unser Ausgangspunkt sein müssen.
Das Erste, was ins Auge
springt, ist die Schwierigkeit des PRC auf den Gebieten, auf denen wir in den
vergangenen Jahren unsere Kämpfe geführt haben, ernsthafte Ergebnisse zu
erzielen. Das Haushaltsgesetz, über das in diesen Wochen diskutiert wird, ist
voller Geschenke an die Unternehmen (die, wie selbst Finanzminister <und Ex-EZB-Direktor> Padoa Schioppa
sagt, die Hauptnutznießer sind). Die Angriffe auf die Schule und die
Universität rufen die Opposition von Lehrern, Schülern und Studenten hervor.
Den Regionen und Kommunen werden die Mittel gekürzt, aber die Gelder für die
Privatschulen sind unantastbar, während die Militärausgaben beträchtlich erhöht
werden.
Der Aspekt, der uns am
nachdenklichsten machen muss, ist allerdings, dass es bislang keinem der vom
PRC geführten Kämpfe gelungen ist, den Widerstand der übrigen Mitte-Links-Union
zu überwinden. In Sachen Afghanistan-Mission haben wir uns nicht durchgesetzt.
Vom Kampf gegen die Prekarität ist nicht die Rede.
Die Regierung bleibt fest in der sozialpartnerschaftlichen Politik der „guten
Flexibilität“ verankert, mit der <Linksdemokraten (DS)-Generalsekretär> Fassino und
Arbeitsminister Damiano <ebenfalls Ex-PCI
und jetzt DS> hausieren gehen. Was
die Wirtschaftspolitik anbelangt wurde der Vorschlag den Umfang des
Haushaltsmanövers zu halbieren und es auf zwei Jahren zu verteilen, abgelehnt.
Das vom <PRC-Sozialminister>
Ferrero erlassene Dekret gegen Zwangsräumungen (das durchaus kein
entscheidendes Dekret war und sich darauf beschränkte die gravierendsten
Notlagen zu beseitigen) wurde im Senat abgeschmettert. In punkto Immigration
gehen nicht einmal die kleinsten Vorschläge durch, wie der der Legalisierung
jener Immigranten, die bereits in Italien arbeiten und die eine
Aufenthaltserlaubnis beantragt hatten, aber außerhalb der vom Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz <der Regierung Berlusconi> festgelegten Quoten blieben.
Das sind keine Meinungen.
Das ist die harte Realität. Und die Regionalwahlen in Molise sind insbesondere
für den PRC ein Grund zur Besorgnis, da er seinen <einzigen> 2001 gewählten Abgeordneten im Regionalrat verliert
und nur auf 4.442 Stimmen kommt – verglichen mit 10.000 Stimmen bei den
Parlamentswahlen <im
April 2006> sowie 6.640 Stimmen bei
den letzten Regionalwahlen.
Diese Fakten sollten alle
Militanten der Partei zu einer ernsthaften Reflektion veranlassen.
Der Zustand der Bewegung
Unser erstes Gebot muss es
sein, von der Realität auszugehen, so wie sie ist und nicht wie wir sie uns
wünschen würden. Ein Teil des PRC hat versucht dieses Grundprinzip zu
ignorieren und hat als „Lösung“ vorgeschlagen, mit der Partei zu
brechen. Es hat bekanntlich ein paar Abspaltungen von ehemaligen Angehörigen
des Leitantrags von Progetto Comunista <auf dem letzten PRC-Parteitag> gegeben. Infolge dieser Abspaltungen finden
verschiedene Versuche statt eine „neue, wirklich kommunistische Partei“
zu gründen, die sich gegen die Regierung Prodi wehrt.
Dazu stoßen verschiedene Gruppierungen, einige Centri
sociali <von linken Jugendlichen in besetzten Häusern oder
Fabriken geschaffene Soziale Zentren>,
Teile der nicht CGIL-CISL-UIL angehörenden Gewerkschaften etc., die eine
ähnliche Perspektive verfolgen.
Das diesem kleinen Archipel
von Kräften (so heterogen und von heftigen internen Konflikten durchzogen er
auch ist) gemeinsame, inspirierende Gedankengut ist es die Massen gegen die
Regierung auf die Straße zu bringen.
Diese Strategie
konkretisiert sich in diversen Demonstrationen: Am 29.September 2006 gegen die Prekarität, am 30.September gegen die Militärmissionen usw.
Was ins Auge springt ist, dass die Beteiligung an diesen Mobilisierungen
zwischen einigen Hundert und einigen tausend Leuten schwankt (die
Multiplikationen der Zahlen, die in den offiziellen Erklärungen erscheinen,
einmal weggelassen).
Wir reden hier von Zahlen,
die ein ganz geringer Bruchteil der Demonstrationen sind, die wir in den Jahren
der Regierung Berlusconi erlebt haben. Es wäre gut, sich zu fragen, warum das
so ist.
Die Millionen Arbeiter (lavoratori) und Jugendlichen, die gegen den Krieg,
für den <Kündigungsschutz-> Artikel 18 und bei den Generalstreiks auf die Straße
gegangen waren, sind weder verschwunden noch befriedet und auch nicht
befriedigt. Und dennoch müssen wir den Tatsachen ins Gesicht sehen: Die
Regierung Prodi kann sich, dank der Deckung, die sie
von der Linksparteien und von den Gewerkschaftsführungen erhält, einer gewissen
Autorität unter den Werktätigen erfreuen. Man kann mit Sicherheit nicht sagen,
dass die Begeisterung überbordet, im Gegenteil. Aber es wäre der Gipfel des
Infantilismus die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass die wichtigsten
Sektoren der Regierung Zeit geben, um zu sehen, was sie tut. Der Appell, gegen
die Regierung auf die Straße zu gehen, findet aus zwei simplen Gründen keinen
Widerhall. Erstens: Es ist ganz klar, dass die Regierung nicht aufgrund von
derart marginalen Mobilisierungen stürzen kann, mal ganz abgesehen davon, ob
die inhaltlichen Plattformen, auf deren Grundlage sie gestartet werden, korrekt
sind oder nicht. Zweitens: Es ist keine glaubwürdige Alternative zu erkennen.
Wenn die Regierung morgen stürzt, können nur zwei Dinge geschehen: Entweder
wird eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet oder die Rechte kommt an die
Macht. Keine dieser beiden Alternativen kann auf die Arbeiter irgendeine
Anziehungskraft ausüben. Sie können in keiner Weise davon ausgehen, dass diese
Ergebnisse bessere Bedingungen für die Verteidigung ihrer Rechte oder für das
Führen offensiver Kämpfe schaffen.
Aus diesem Grund verfügen
derartige Initiativen über keinerlei ernsthafte Expansionsfähigkeit. Sie
richten sich fast ausschließlich an diejenigen, die bereits überzeugt sind. Die
Genossen, die sich auf diesen Weg begeben haben, werden sehr bald merken, dass
sie heiser werden, wenn sie mit voller Kraft „Nieder mit der Regierung!“
in die Wüste rufen. Aus dieser Strategie kann keine „wirkliche
Kommunistische Partei“ entstehen, sondern nur hundert und eine Vielfalt an
Gruppen, die sich untereinander bekriegen – mit der unvermeidlichen
Begleiterscheinung von Polemiken, Spaltungen und Exkommunizierungen, die die
besten Aktivisten nur abstoßen können.
Die Perspektiven der Regierung Prodi
Die Tatsache, dass die
vielfältigen Demonstrationen nicht mehr zu sehen sind, hat einen Teil der
Aktivisten zu vollkommen falschen Schlussfolgerungen verleitet. Mehr oder
weniger offen theoretisieren viele darüber, dass die Mitte-Linke in
Zusammenarbeit mit der CGIL den Klassenkampf für lange Zeit „narkotisieren“
könne.
Diese Schlussfolgerung ist
vollkommen falsch. Die Widersprüche manifestieren sich nicht nur in Form von
Streiks, Demonstrationen und Straßenkämpfen. Eine Reihe von Ursachen kommen – wie wir sagten – zusammen und reduzieren den
Aktivismus auf diesem Gebiet. Andererseits ist die Vorstellung, dass die
Arbeiter immer auf den Barrikaden seien, um zu kämpfen, nichts als eine
Karikatur. Die Massen kämpfen nur dann, wenn sie von den Umständen dazu
gezwungen sind und vor allem wenn sie keine andere, mögliche Alternative dazu
sehen. Jetzt, nach fünf Jahren Berlusconi räumen sie dieser Regierung einen
gewissen Spielraum ein.
Die Widersprüche, die
Erwartungen, die Hoffnungen und die Wut, die den Zyklus von Kämpfen der
vergangenen Jahre nährten, bleiben aber bestehen. Sie sind nicht verschwunden.
Eine der Formen, in denen sie sich unvermeidlich manifestieren werden, wird die
Debatte und werden die Spaltungen sein, die in allen linken Organisationen
sowie in den Gewerkschaften, die heute Prodi
unterstützen, unvermeidlich auftreten werden.
Die Regierung Prodi geht einem unvermeidlichen Scheitern entgegen. Die
Widersprüche des italienischen Kapitalismus erlauben es nicht, eine wirkliche
Reformpolitik zu betreiben, die glaubwürdige Antworten auf die Erwartungen und
die Bedürfnisse von Millionen Arbeitern geben kann. Die Wende, die Millionen
bei den Wahlen versucht haben, wird es nicht geben. Dies bedeutet, dass an
einem bestimmten Punkt, der nicht weit entfernt sein muss, die Arbeiter zu dem
Schluss gelangen, dass die Vertreibung Berlusconis durch die Stimmabgabe nicht
ausreichend war. Ein Teil kann der Desillusionierung verfallen oder den
demagogischen Sirenengesängen der Rechten und sogar der extremen Rechten Gehör
schenken, die Mehrheit aber kann sich das Ziel setzen, direkt zu intervenieren,
um „sich Gehör zu verschaffen“, um der Hegemonie der bürgerlichen
Positionen innerhalb der Regierung entgegen zu treten.
Die Bedeutung des 4.November
Dies scheint uns die
vorherrschende Bedeutung der nationalen Manifestation vom 4.November 2006 gegen
die Prekarität zu sein. Wenn diese Demonstration eine
sehr viel größere Beteiligung aufwies als die oben genannten, so glauben wir,
dass dies zu einem Großteil der Tatsache geschuldet ist, dass die Vorstellung,
Druck auf die Regierung auszuüben, die linken Kräfte und die CGIL unter Druck
zu setzen, um wirkliche Veränderungen zu erreichen, einem bedeutenden Teil der
Linken glaubwürdig erschien.
Illusorische Hoffnungen? Zu
einem Großteil ja. Erwartungen, die enttäuscht werden müssen? Sicherlich. Aber
wir glauben, dass unser Platz innerhalb dieses Bewusstwerdungsprozesses ist, so
mühselig er auch sein mag. Die Stellungnahmen der „erleuchteten Avantgarden“, von denen es hunderte gibt und die zum
tausendsten Mal sagen, dass Prodi ein Bourgeois ist
und dass der PRC dabei ist die Erwartungen seiner Basis zu verraten, um dann
guten Gewissens schlafen zu gehen, interessieren uns nicht und bringen uns vor
allem der Lösung unserer Probleme keinen Millimeter näher.
Die Teilnahme der Linksdemokraten
(DS), der Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI)
und von Rifondazione, die allesamt der Regierung
angehören, sowie die Unterstützung des Funktionärskörpers der CGIL hat
bezüglich ihrer Zukunft ganz präzise Konsequenzen, weil sie impliziert, dass
man bei einer beachtlichen Mobilisierung sich nicht darauf beschränken kann,
weiterzumachen als ob nichts wäre, wie es Berlusconi hingegen tun konnte (auch
dank der Bremserrolle, die die Führungen der Linken spielten, die alles taten,
was möglich war, um den Kämpfen einen überwiegend demonstrativen Charakter zu
geben und sich einer Zielsetzung, die Rechte durch die Kämpfe auf der Straße zu
verjagen, verweigerten).
Die Bourgeoisie ist sich
dieser Situation wohl bewusst. Wenn sich die Unternehmerorgane darüber
beklagen, dass der Haushalt „von „Prodi, Bertinotti und Epifani“
verfasst wurde, tun sie das nicht, weil sie wirklich denken, dass die Regierung
„die Reichen weinen“ lässt, sondern weil sie sich der Schwäche bewusst
sind, die einer Regierung innewohnt, die wenn sie z.B. ohne die Unterstützung
der CGIL da stände in der Gefahr schweben würde, binnen weniger Tage gestürzt
zu werden.
Deshalb tun sie alles, um
jedes Reformvorhaben zunichte zu machen, auch die kleinsten, auch diejenigen,
die als solche der Bourgeoisie keine wirklichen Probleme bereiten würden. Weil
sie ihren politischen Effekt fürchten, weil sie befürchten, dass – wenn die
Hoffnungen auf eine Veränderungen bestätigt werden – die Dämme vor einer Welle
von Forderungen in der ganzen Gesellschaft (von den Prekären bis zu den
Immigranten, von den Obdachlosen bis zu den Schülern und Studenten) brechen.
Deshalb reden die Zeitungen jeden Tag von den verschiedenen parlamentarischen
Manövern zum Entwurf hypothetischer neuer Mehrheiten zur Änderung des
Wahlgesetzes, zum Klarmachen des Rettungsbootes für den Fall, dass die
Regierung Prodi sich als nicht vertrauenswürdig oder
als zu zögerlich bei der Erfüllung der Forderungen der Herrschaften erweisen
wollte.
Hier liegt der Widerspruch,
an dem wir ansetzen müssen. Wir waren und sind gegen die Politik Prodis und seiner Koalition. Wir haben jede Mobilisierung,
die sich das Ziel setzte den negativen Auswirkungen seiner / ihrer Politik
entgegen zu treten, unterstützt und werden das auch weiterhin tun. Das werden
wir am 17.November am Aktionstag der Schulen und Universitäten tun. Unser Ziel
ist allerdings nicht nur, zu betonen, dass wir damit nichts zu tun haben, zu
erklären, dass wir damit nicht einverstanden sind und eine weiße Weste haben.
Unser Ziel ist es nicht, dass einige mehr oder weniger große Avantgarden mit Prodi brechen, sondern dass die gesamte Arbeiterbewegung
mit Prodi bricht, dass die Linke und vor allem der
PRC ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zurückgewinnen und dass sich die
Arbeiter die CGIL wieder aneignen, damit sie die notwendigen Kämpfe mit
Kohärenz führt.
Die Debatte im PRC
Es handelt sich nicht um
eine Utopie. Über eine Tatsache sollte man nachdenken: Alle Linksparteien
weisen Spaltungslinien auf. Die DS gehen in eine Debatte über die Bildung der
Demokratischen Partei <zusammen
mit den linken Christdemokraten und Liberalen der Margerite>, die sie zerreißen könnte. Der PdCI
hat <bereits> eine Spaltung erlebt. Rifondazione
ist <erst> nach einer heißen Debatte, die auf allen Ebenen der
Partei geführt wurde und durchaus nicht zu Ende ist, Mitglied der
Mitte-Links-Union geworden. Diese Spaltungslinien sind nicht zufällig. Sie sind
ein Zeichen für den Widerspruch zwischen den Erwartungen an die
Mitte-Links-Union und ihrem realen Handeln als Regierung.
In der CGIL werden die
Spaltungen noch deutlicher sein. Die FIOM wurde von der Mehrheit hart
kritisiert, weil sie Demo am 4.November in Rom <mit-> organisiert
hat. Das ist aber erst der Anfang: Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die
Arbeiter, Prodi oder Epifani
zuliebe, eine neue Gegenreform bei den Renten oder die Verwüstung dessen, was
vom Tarifvertragssystem noch übrig ist, stillschweigend akzeptieren, ohne auch
nur den Mund aufzumachen? Es ist klar, dass es so nicht laufen kann. Entweder
beschließt die Führung der CGIL selbst sich diesen Projekten in den Weg zu
stellen oder es wird sich an einem bestimmten Punkt unvermeidlich eine
Opposition von unten bilden, ausgehend von den kämpferischsten <spezifisch italienischen
Vertrauensleuteversammlungen bzw. „Betriebsräten“> RSU’en, Ortskartellen und
Branchengewerkschaften.
So qualvoll und kompliziert
das auch sein mag, die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der
Arbeiterbewegung und dieser Regierung ist unvermeidlich vorgezeichnet: Von den
Hoffnungen zur Kritik, von der mehr oder weniger vertrauensseligen Erwartung zu
einem neuen Protagonismus, von der Delegierung des
Kampfes zur Verteidigung unserer Interessen. Dieser Prozess kann, aufgrund
vieler Faktoren, mehr oder weniger schnell vor sich gehen. Aber dies wird die
Richtung sein.
Von diesem Standpunkt aus
bekommt die parteiinterne Debatte innerhalb von Rifondazione
Comunista eine strategische Bedeutung. Auf dem
Parteitag 2005 unterstützten mehr als 40% der Mitglieder die verschiedenen
Leitanträge der Opposition. Heute, über ein Jahr nach jenem Parteitag, sieht
das Bild erheblich anders aus: Wie gesagt, hat sich ein Großteil des ehemaligen
Leitantrags 3 von der Partei abgespalten. Der größte der Oppositionsbereiche <die traditionskommunistischen Essere Comunisti um
die Zeitschrift> „l’Ernesto“, der 2005 auf eine Unterstützung von ca. 26%
kam, macht heute eine wirkliche und wahrhaftige Phase der politischen
Zersetzung durch. Ein Teil hat mit diesem Bereich gebrochen und sich der
Mehrheitsströmung angeschlossen. Ein anderer Teil, zu dem auch <der Koordinator dieser Fraktion
und frisch gebackene Senator> Claudio
Grassi angehört, hat eindeutig immer mehr die Neigung
ein System des ruhigen Lebens innerhalb der Partei zu suchen und dämpft seine
Kritik, während andere Genossen die Möglichkeit eines Abkommens mit der
Parteimehrheit ablehnen und eine radikalere Opposition betreiben möchten.
Dieser Prozess erfasst die Partei auf lokaler Ebene in großem Ausmaß.
Insbesondere in Regionen wie Sardinien und Kalabrien, wo „l’Ernesto“ auf eine besonders starke Unterstützung
zählen konnte, kann man die Übertritte von Aktivisten dieses Bereiches zur
Mehrheit nicht zählen.
Es ist vielleicht nicht
abwegig, daran zu erinnern, was wir diesbezüglich vor einigen Monaten
schrieben: „Aus dem PRC auszutreten, ist ein großer Fehler, eine
Entscheidung, die einer Partei, die in den kommenden Jahren unvermeidlich harte
Debatten erleben wird, aktive Kräfte entzieht. Dies umso mehr als die
Perspektivkrise auch die übrigen parteiinternen Minderheiten im PRC – „l’Ernesto“ und „ERRE“ – erfasst. Beide befinden sich
nämlich in einer stark widersprüchlichen Situation. Sie werden (angesichts
ihrer Vertretung in den Parlamentsfraktionen) unvermeidlich aufgefordert werden
die Entscheidungen der Mitte-Links-Union mit zu tragen, vor allem aber werden
sie durch ein grundlegendes Problem in Schwierigkeiten gebracht: Da der
Parteitag und auch die Wahlen nunmehr seit langem vorüber sind, ist es nicht
mehr der Moment für taktische Unterscheidungen oder allgemeine Proklamationen.
Die auf dem Parteitag von Venedig beschlossene Linie verfügt nicht nur über
eine Mehrheit, sondern sie ist voll wirksam. Man kann sie akzeptieren und
vielleicht versuchen diese oder jene Schattierung zu beeinflussen oder man kann
ihr entgegen treten – wie wir der Meinung sind, dass man es tun muss – und eine
Alternative vorschlagen. Halbheiten verurteilen zur Gefahr der politischen
Konfusion und der organisatorischen Ausfransung.“ („Falce
Martello“ Nr. 192, April 2006)
Hier fügen wir nur hinzu,
dass die Krise, die innerhalb von „Ernesto“ aufbricht, eine positive Kehrseite
haben kann, wenn sie es ermöglicht, dass die aktivsten und kämpferischsten
Kräfte hervortreten, von denen es in jenem Bereich eine ganze Menge gibt, und
sich von der Vormundschaft einer Führung befreien, innerhalb derer der
Institutionalismus stets die Vorherrschaft besaß.
Die sehr optimistische
Perspektive dieser Bereiche, die der Ansicht sind, dass sie dadurch, dass ihre
Repräsentanten im Parlament vertreten sind, die Linie der Partei beeinflussen
könnten, hat sich als falsch erwiesen und die Konditionierten sind sie selbst. Die
„Rebellion“ bei der Abstimmung über Afghanistan legte sich unter dem
Druck der Vertrauensabstimmung wieder. In Sachen Libanon unterstützt „l’Ernesto“ die Militärmission, während Cannavò von Sinistra Critica <“Kritische Linke“, d.h. der Strömung um die Zeitschrift „ERRE“ und im wesentlichen die
italienische Sektion des Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale> sich darauf beschränkte, den Saal zu verlassen. Nun
stellt sich dasselbe Problem beim Haushalt erneut: Cannavò
erklärt heute, dass er ihm, so wie er ist, nicht zustimmen würde. Was aber
geschieht im entscheidenden Moment und vor allem im Senat, wo die Mehrheit der
Mitte-Links-Union bekanntermaßen äußerst knapp ist?
Das Problem muss an der
Wurzel gepackt werden: Die parlamentarische Vertretung hat dann Sinn, wenn sie
mit einer politischen Perspektive verbunden ist und dieser untergeordnet wird.
Wenn man diese grundlegende These aus dem Blick verliert, landet man am Ende
unvermeidlich bei einer reinen Imagelogik, für die die Frage nicht mehr lautet,
wie das parlamentarische Terrain für einen politischen Kampf genutzt werden
kann, sondern wie man „die Reputation“ eines Abgeordneten oder eines
Senators „retten“ kann. Es ist daher
nicht erstaunlich, dass auch innerhalb des Bereiches von Sinistra
Critica eine sehr konfuse Debatte über die
Zukunft des PRC und der eigenen Komponente entwickelt hat. Man spricht vom „Ende
des Zyklus der kommunistischen Neu/be/gründung“ (rifondazione comunista) und vom „Beginn
eines Zyklus der Neuzusammensetzung einer Regierungslinken“, von
Perspektiven der „Neuzusammensetzung der klassenbewussten Linken“ und
von der Schaffung einer Assoziation, die „innerhalb und außerhalb des PRC“
sein sollte. Doppeldeutige Formulierungen, die in jede Richtung gezogen werden
können und die insbesondere unter den jüngeren Genossen Verwirrung stiften.
Unsere Aufgabe muss eine
andere sein. Die Kräfte, die sich in unserem Kampf auf und vor dem Parteitag
wieder erkennen (und die seit damals bedeutend gewachsen sind) würden zu nichts
dienen, wenn sie in einem rein propagandistischen oder Image-Kampf gefangen
wären oder wenn sie in einer sinnlosen Debatte eingesetzt würden, ob man im PRC
bleiben oder ihn verlassen soll. Als ob die historischen Prozesse vom Willen
dieser oder jener kleinen Gruppe abhingen. Die Zukunft des PRC wird sich im
Klassenkampf entscheiden, beim unvermeidlichen Aufbrechen gigantischer
Widersprüche, die diese Regierung anhäuft und die sich in erster Linie über
ihrer Linken entladen werden.
Dies ist die Perspektive,
dies ist das Szenario, in das wir uns anschicken zu intervenieren. Wir werden
nicht erlauben, dass die Sprachrohre der herrschenden Versessenheit aufs Mitregieren
(governismo) uns in irgendein Indianerreservat
sperren und noch weniger werden wir uns selbst in ein solches einsperren. Wir
haben ein Gespür für das Maß und wissen, dass unser Einfluss noch begrenzt ist.
Das sollte uns allerdings nicht zu einer oberflächlichen / verkürzten oder nur
auf das Bekenntnis setzenden Vorstellung von unseren Aufgaben verleiten. Die marxistische
Tendenz im PRC besitzt nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie sich das
Ziel setzt, morgen zur Mehrheit und zur führenden Kraft in der Partei und in
der Arbeiterbewegung zu werden. Wir haben bis jetzt unsere Fähigkeit zur
Intervention sowohl in die politische Debatte als auch im praktischen Kampf, in
der täglichen Aufbauarbeit in den Betrieben, unter den Schülern und Studenten,
unter den Immigranten und in den Stadtteilen gezeigt. Auf der Höhe der
Aufgaben, die uns von der organisatorischen und strategischen Krise der
kommunistischen Neu/begründung (rifondazione
comunista) gestellt werden, werden wir nur dann
sein, wenn wir eintauchen in den Fluss, der entsteht.
15.11.2006
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern: * Rosso
Der Name * Rosso steht
für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und
des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil
der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober
2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html)
werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung
unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen
Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des
Gewerkschaftsforums.
Hinweise, Kritik, Lob oder Anfragen
wegen Referaten zur politischen und sozialen Entwicklung in Italien (oder in
Palästina) ab jetzt mit einer Mail an: negroamaro@mymail.ch oder gewerkschaftsforum-H@web.de