* Rosso:

 

Der Unilateralismus der Bush-Administration und der Neokonservativen in den USA ist auf ganzer Linie gescheitert. Der Misserfolg dieser Auffassung von imperialistischer Außenpolitik beschränkt sich nicht nur auf den Irak (was gravierend genug wäre). Auch in Afghanistan, in Nordkorea, im Libanon, in Palästina, in Nepal und anderswo ist der Versuch – im Bündnis mit einer  jeweiligen “Koalition der Willigen” als Hilfstruppe – eine neue Weltordnung unter absoluter Hegemonie der USA zu diktieren und darüber zu bestimmen, welche Kräfte die jeweiligen Länder mit welcher Politik regieren sollen, fehlgeschlagen. Darüber hinaus schwimmen dem US-Imperialismus selbst in seinem so genannten “Hinterhof” Lateinamerika massiv die Felle weg. Der weitere Aufstieg Chinas zur Weltmacht konnte nicht nur nicht verhindert, sondern auch kaum behindert werden. Die Spaltung der EU an der Irak-Frage ist weitgehend überwunden und wird sich in diesem Ausmaß kaum wiederholen lassen. Russland hat seine tiefe Krise überwunden und spielt (nicht nur dank des vorteilhaften Ölpreises) auf der internationalen Bühne eine eigenständige und überraschend selbstbewusste Rolle. Indien ist als aufstrebende Macht nicht mehr zu übergehen und selbst die bislang so braven, gefolgschaftstreuen, weil politisch instabilen, halbfeudalen Ölstaaten am Persischen Golf setzen sich zunehmend von Bush & Konsorten ab.

 

Politisch überraschte die Führungsmacht des Golf-Kooperationsrates (GCC), Saudi-Arabien, Ende März die US-Regierung mit seiner öffentlichen Kritik an der “illegalen Besetzung” des Irak, der in Washington “Verärgerung” über diesen Akt der Undankbarkeit hervorrief. Doch es gibt auch eine ökonomische Seite dieses Strebens der Ölscheichs nach Eigenständigkeit, wie das folgenden Interview mit dem Gouverneur der Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate, Sultan Nasser Al Suwaidi, über die Schaffung einer Währungsunion nach europäischem Vorbild im Jahr 2010 zeigt. Ein weiterer Schritt hin zu einer tatsächlich neuen (nämlich multilateralen) Weltordnung und (angesichts der Entwicklung in Europa und den sich intensivierenden Bestrebungen in Lateinamerika) eine Bestätigung der These, dass wir uns in der Epoche der Herausbildung bürgerlicher Kontinental- und Subkontinentalstaaten befinden. Eine Tendenz, die die Befreiung von alter und neuer Kolonialherrschaft, d.h. die bürgerliche Revolution und Nationalstaatsbildung zum Beispiel in Palästina (aber auch in Kurdistan, der West-Sahara, Puerto Rico, Bosnien-Herzegowina etc.), nicht nur nicht überflüssig macht, sondern sich auf vielfältige Weise mit dieser verbindet. Dies beweist z.B. die saudische Vermittlung des “Mekka-Abkommens” über die neue palästinensische “Regierung der Nationalen Einheit” und der saudische Friedensvorschlag an Israel (der im Namen der arabischen Staaten erfolgte !).

 

In einem politischen Hintergrundartikel mit dem Titel “Krisenmanager Riad”, der sich ebenfalls in der FAZ vom 23.3.2007 findet, zitiert der Autor Rainer Hermann diesbezüglich den saudischen Professor für Politologie, Muhammed al Zulfa, ein Mitglied der “Beratenden Versammlung” des Feudalregimes. Dabei werden auch die innerarabischen Widersprüche und Rivalitäten deutlich, auch wenn sein patriotischer Optimismus etwas mit ihm durchgeht und die neoliberale Behauptung der Ideologiefreiheit aus unseren Breiten bereits bestens bekannt ist: “Über Jahrhunderte seien die Araber der Arabischen Halbinsel den großen Ländern Ägypten, Syrien und dem Irak gefolgt. Das ändere sich jetzt. Ägypten und Syrien seien Geiseln ihrer Ideologien und Opfer ihrer Geschichte geworden; der Irak werde lange brauchen, um auf die Bühne zurückzukehren. Die alten arabischen Mächte wollten immer Palästina befreien, scheiterten aber mit diesem Slogan. Heute seien die Saudis stark genug, um sich diesem Einfluss zu entziehen. Nicht länger seien sie Beduinen der Wüste, sondern verfügten über viel Geld und auch den Willen, sich keiner Ideologie mehr zu unterwerfen.

Zulfa vergleicht das Verhältnis zwischen dem alten und neuen Arabien mit der Hassliebe zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Stolz ist der Politikprofessor darauf, dass über Saudi-Arabien die Regionalpolitik wieder eine arabische Identität erhalte. Denn Ägypten sehe sich auch in der Tradition der Pharaonen, der Irak in der Mesopotamiens und Syrien – über seine libanesischen Häfen – in der der Phönizier. ‚Wir sind aber nichts anderes als Araber‘, sagt der Saudi.”

 

Das Interview mit Nasser Al Suwaidi erschien in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (www.faz.net) vom 23.3.2007.

 

Sultan Nasser Al Suwaidi, Gouverneur der Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate, über die geplante Einheitswährung

 

“Ein Binnenmarkt von 600 Milliarden Dollar”

 

Die sechs Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) wollen 2010 eine Einheitswährung einführen. Die Integration auf der Arabischen Halbinsel gewinnt damit an Tiefe. 1981 hatten Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrein, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman den GCC gegründet. Erste Etappen waren eine Freihandelszone und eine Zollunion. Nasser Al Suwaidi, Gouverneur der Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate, sieht die Währung als Anker für die Region.

 

Herr Al Suwaidi, kommt die geplante Währungsunion pünktlich im Jahr 2010?

 

Persönlich glaube ich es, und technisch ist es möglich, bis 2010 die Infrastruktur für die Währungsunion herzustellen. Meinungsverschiedenheiten bestehen zu ihrer Form: Soll sie umfassend sein wie in dem Euro-Raum, nur eine mittlere Version oder nur eine einfache? Beim nächsten Treffen der GCC-Zentralbankgouverneure werden wir Anfang April über die Form der Währungsunion diskutieren, die wir wollen und 2010 auch beginnen können.“

 

Oman hat allerdings Einwände vorgebracht.

 

„Aber lediglich zur umfassenden, zur komplizierten Form der Währungsunion. Eine umfassende Währungsunion brauchen wir nicht, vielmehr eine mittlere oder einfache. Ich glaube also nicht, dass wir uns für eine solche kompliziertere Version entscheiden werden.“

 

Auf was würden Sie damit verzichten?

 

„Wir eliminierten die Notwendigkeit für eine gemeinsame Zentralbank. Auch die Europäische Zentralbank entwirft ja lediglich die Geldpolitik. Unser ursprünglicher Vorschlag war eine gemeinsame Zentralbank, die die Geldpolitik entwerfen und umsetzen soll. Selbst die Europäische Zentralbank setzt ihre Geldpolitik ja nicht selbst um, sondern überlässt das den nationalen Zentralbanken.“

 

Ist eine gemeinsame Geldpolitik ohne eine gemeinsame Zentralbank überhaupt möglich?

 

„Ja. Zusammen werden wir eine gemeinsame Geldpolitik entwerfen. Die Umsetzung erfolgt dann getrennt. 2003 hatten sich alle GCC-Staaten verpflichtet, ihre Währungen an den Dollar zu binden. Auch Kuwait gab die Bindung an einen Währungskorb auf. Fluktuationen der einzelnen Währungen gibt es daher nicht. Fünf Währungen sind fest an den Dollar gebunden. Dem kuwaitischen Dinar haben wir zunächst eine Bandbreite für Fluktuationen von jeweils 3,5% nach oben und nach unten zugestanden.“

 

Was gewinnen Sie vom Übergang von einer gemeinsamen Währung – dem Dollar – zu einer Einheitswährung?

 

„Erstens wollen wir langfristig einen Binnenmarkt schaffen. Dieser wird ein Bruttoinlandsprodukt von 600 Milliarden Dollar oder mehr haben. Dann operieren unsere Unternehmen ohne Beschränkungen und Transaktionskosten für Währungen in allen Mitgliedsstaaten. Die bestehenden ‚Blue chip’-Unternehmen werden wachsen, kleinere werden entstehen. Zweitens wollen wir den Rahmen für einen freien Kapitalverkehr schaffen. Drittens wird die Einheitswährung die Schaffung von Arbeitsplätzen für die junge Bevölkerung der GCC-Staaten begünstigen. Das wird auch dem Jemen helfen. Der Jemen wird Teil dieser Union sein – langfristig und vielleicht schon mittelfristig. Zu einigen Politikbereichen wird der Jemen bereits hinzugezogen, nicht aber zur Bankenregulierung, wo er weit zurückliegt. In allen GCC-Staaten benützen wir die modernsten Banktechnologien, etwa mit der Möglichkeit, über Mobilfunkgeräte zu zahlen.“

 

Ist eine Währungsunion sinnvoll, wenn die meisten Volkswirtschaften vom Erdöl abhängig sind?

 

„Unsere Volkswirtschaften sind diversifiziert. Allein in den Vereinigten Arabischen Emiraten summieren sich die Branchen außerhalb von Öl und Gas auf 100 Milliarden Dollar. Sie wachsen jedes Jahr <um> 10 bis 20 Prozent. An der Spitze liegen die verarbeitende Industrie, der Tourismus und die Finanzbranche.“

 

Ist aber nicht die Integration zwischen den Volkswirtschaften gering?

 

„Die Vereinigten Arabischen Emirate importieren rund 4 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes von anderen GCC-Staaten, von Japan 5 Prozent. Was nahe an Japan liegt, muss bedeutend sein. Auch wird der Handel unter den GCC-Staaten als Folge der Einheitswährung und des Binnenmarktes zunehmen, was den Nachbarstaaten zugute kommt.“

 

Was wird sich nach der Einführung der Einheitswährung ändern?

 

„Für andere Währungen in der Region wird sie der Anker. Auch werden wir in der Lage sein, den Wechselkurs unserer Währung freizugeben. Bei unserer Geldpolitik werden wir dann nicht mehr von einem anderen Land abhängig sein. Wir werden dann besser die Überhitzungen und Abkühlungen in unserer Volkswirtschaft kontrollieren.“

 

Wird sich die Bindung an den Dollar lockern?

 

„Natürlich wollen wir einige Jahre nach dem Start der Währungsunion von allen anderen Währungen unabhängig sein, und unsere Währung sollte frei floaten.“

 

Heute müssen Sie in Ihrer Zinspolitik aber noch der FED folgen.

 

„Um den Wechselkurs zu halten, muss man gleiche Zinsen haben. Sonst entsteht Arbitrage. Die Bindung an den Dollar hat uns jedoch viel geholfen. Von Jahr zu Jahr haben wir hohe Wachstumsraten.“

 

Sind die amerikanischen Zinsen nicht zu hoch für die Bedürfnisse der GCC-Staaten?

 

„Für die Sparer nicht, für die Kreditnehmer schon. In einer sich entwickelnden Wirtschaft besteht eine große Nachfrage nach Finanzierungen. Heute wünschten wir uns aber Zinsen, die nicht so hoch sind wie in den Vereinigten Staaten.“

 

Welche Rolle spielt der Euro in den GCC-Staaten?

 

„Die Zentralbanken der GCC-Staaten halten in ihren Währungsreserven ausreichend Euro, teilweise ist dessen Anteil an den Währungsreserven höher als der Anteil der Euro-Länder im GCC-Außenhandel. Der Anteil des Euro an den Währungsreserven der GCC-Staaten reicht von 3 bis 30 Prozent. Die Entscheidung über den Euro-Anteil ist mehr eine Investitions- als eine strategische Entscheidung. Wir haben Überschüsse in der Leistungsbilanz und müssen diese anlegen. Die großen Investitionsbehörden, die die Überschüsse anlegen, investieren mehr als die Zentralbanken in den Euro.“

 

Das Gespräch führte Rainer Hermann.

 

 

 

Vorbemerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:   * Rosso

 

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied der Antifa-AG der Uni Hannover und des Gewerkschaftsforums Hannover, das bereits in der Vergangenheit den Großteil der Übersetzungsarbeit beider Gruppen geleistet hat. Nachdem sich die Antifa Uni nach mehr als 17jährigem Bestehen Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/Aktuell.html) werden die explizit politischen Übersetzungen von nun an in individueller Verantwortung unter diesem Logo veröffentlicht. Die Übersetzungen der gewerkschaftsbezogenen Texte erscheinen ab sofort nur noch im Namen und in der Verantwortung des Gewerkschaftsforums.

 

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