Antifa-AG
der Uni Hannover:
Jahre-, um nicht zu sagen jahrzehntelang
waren die palästinensische Hamas genau wie die libanesische Hisbollah und
ähnliche Organisationen für die bürgerlichen Medien und den Großteil der
deutschen Linken „Radikalislamisten“, „Fanatiker“
oder einfach „Irre“. Während George W. Bush sie noch immer schlicht, wie er nun
mal ist, die „bad guys“ nennt, firmieren sie in
führenden bürgerlichen Zeitungen mittlerweile sehr viel unreligiöser als „die
Radikalen“, die mit anderen „Radikalen“ (wie z.B. der marxistischen PFLP)
Gespräche zur Regierungsbildung führen und partout keine umfassende Unterwerfungserklärung
abgeben wollen. Dieser Wechsel bei der Etikettierung ist keineswegs zufällig
und auch nicht allein durch den Wahlerfolg der Hamas bei den Parlamentswahlen
am 25.Januar 2006 zu erklären. Viel eher als der Großteil der Linken (oder derer,
die sich dafür halten) haben „FAZ“, „SZ“ & Co. erkannt, was Hamas und
Hisbollah seit langem betonen, dass sie in erster Linie „nationale
Befreiungsbewegungen“ bzw. „antiimperialistische und antikoloniale
Widerstandsorganisationen“ seien. Kleinbürgerlich-antiimperialistische
Organisationen, wie wir präzisieren würden. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte
bereits in einer sehr interessanten Reportage am 13.4.2005 darauf hingewiesen,
dass einer der wichtigsten Hisbollah-Funktionäre im Südlibanon (Abu Tass) ein
gläubiger Christ sei und die lieb gewonnenen Vorurteile bezüglich der Hisbollah
nicht so ganz stimmten (siehe http://antifa.unihannover.tripod.com/Hisbollah-Reportage_SZ.htm).
Ein weiterer Beleg dafür ist der laizistische Professor für internationale
Beziehungen an der Bir Zeit-Universität und ehemalige,
Fatah-nahe Kultusminister, Ziad
Abu Amr, der auf der Hamas-Liste ins
palästinensische Parlament gewählt wurde und den die Hamas gern zum
Außenminister machen würde. Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ veröffentlichte am 5.2.2006 das
folgende Interview mit ihm:
PALÄSTINA:
„Nationale Einheit, um die Isolation
zu durchbrechen“
Der ehemalige Minister Abu Amr: Hamas ist bereit der Fatah das Außen- und das
Innenministerium abzutreten.
MICHELE GIORGIO – aus Gaza
Nach Beratungen mit König Abdallah von Jordanien und dem ägyptischen Präsidenten
Hosni Mubarak begann der palästinensische Präsident Abu Mazen
gestern Abend in Gaza-Stadt Gespräche mit der Delegation der islamischen
Bewegung zur Bildung der neuen palästinensischen Regierung. Zur künftigen
Exekutive interviewten wir den Akademiker Ziad Abu Amr, einen auf der Hamas-Liste gewählten unabhängigen
Laizisten, der von vielen Seiten als künftiger palästinensischer Außenminister
genannt wird. Als Dozent für internationale Beziehungen an der Bir Zeit-Universität (in Cisjordanien) war Abu Amr 2003
Kultusminister in der von Abu Mazen geführten
Regierung.
Professor Abu Amr, Ihre Kandidatur auf der Hamas-Liste hat viele
überrascht. Sie sind ein Laizist und haben in der Vergangenheit ihre Sympathien
für Al Fatah nicht verhehlt. Was hat Sie zu dieser Verlagerung in Richtung der
islamischen Bewegung veranlasst?
„Keine ideologischen,
sondern politische Beweggründe. Ich habe seit langem auf die Notwendigkeit
eines grundlegenden Kurswechsels der Regierung und – allgemeiner – einer
Erneuerung der palästinensischen Politik hingewiesen. Und als mir die
Hamas-Führer die Kandidatur vorschlugen, habe ich sofort eingewilligt. Ich habe
das getan, weil sie mit mir über konkrete Dinge gesprochen haben, über ein Ende
der Misswirtschaft, ein Ende der Korruption, die vernünftige Verwendung der Mittel
bzw. das, was die Palästinenser heute brauchen. Zwischen der Hamas und mir gibt
es Differenzen in verschiedenen Fragen, wie den Verhandlungen und der Lösung
des Konfliktes mit Israel. Die islamistischen Führer
haben nicht von mir verlangt, meine Ansichten zu ändern, sondern nur, mich an
der Erneuerung der palästinensischen Politik zu beteiligen.“
Sie waren in den letzten
Tagen – mit Blick auf die von Präsident Abu Mazen
begonnenen Konsultationen zur Bildung der neuen Regierung – Initiator von
Gesprächen zwischen Al Fatah und der Hamas. Auf welches Ziel steuern beide
Seiten zu?
„Die Hamas-Delegation wird
ihre Bereitschaft bekräftigen, eine Regierung mit Al Fatah zu bilden und wenn
notwendig, auf wichtige Ministerien verzichten (z.B. auf das Außen- und das
Innenministerium), um zu einem Kompromiss zu gelangen. Nach vielen Rissen gibt
es das Bedürfnis nach einer Regierung der nationalen Einheit, die den Effekt
hätte, die inneren Spannungen zu verringern und es ermöglichen würde, im
gegenseitigen Einvernehmen zu arbeiten. Gleichzeitig würde eine
Koalitionsregierung ein beruhigendes Signal an die Weltöffentlichkeit senden,
die – wenn auch grundlos – über den Wahlsieg der Hamas besorgt ist. Ich hoffe,
dass Al Fatah ihre internen Konflikte beendet und sich an der neuen Exekutive
beteiligt. In einem Punkt gibt es jedoch keine Unsicherheiten: Der
Ministerpräsident wird von der Hamas sein, d.h. von der Partei, die die Wahlen
gewonnen hat.“
Werden Sie der
Außenminister der neuen Regierung sein?
„Es ist verfrüht über
Ministerämter zu sprechen. Gewiss besteht die Möglichkeit meiner Ernennung,
aber die Konsultationen haben gerade erst begonnen und außerdem können auch
andere palästinensische Vertreter dieses Amt gut ausfüllen. (Es wird auch vom
gegenwärtigen Außenminister Nasser Kidwa gesprochen; Anm.d.Red.)“
Viele Seiten sprechen von
einem Machtkampf zwischen einem Präsidenten von der Fatah mit moderaten
Ansichten und einem Ministerpräsidenten von der Hamas mit unnachgiebigeren
Positionen, speziell in Bezug auf Israel. Ist das ein realer Konflikt?
„Ich würde eher sagen, dass
er unwahrscheinlich ist. Das Statut legt Rolle und Vorrechte der
institutionellen Organe fest und dann werden beide Seiten bevor es zur
Regierungsbildung kommt, Gespräche führen, die auch dazu dienen, diesen
Machtkampf zu vermeiden. Einige Sicherheitsdienste unterstehen z.B. direkt dem
Präsidenten, andere dem Ministerpräsidenten und deshalb wird es keine Polemiken
und Auseinandersetzungen geben, wie viele behaupten.“
Sie haben die Besorgnis
der internationalen Gemeinschaft als unbegründet bezeichnet. Die Vereinigten
Staaten und Europa denken allerdings ernsthaft über die Möglichkeiten nach,
ihre jährlichen Finanzhilfen für die Palästinensische Autonomiebehörde um
Hunderte von Millionen Dollar zu kürzen / zu streichen, wenn die Hamas die
Regierung übernimmt.
„Ich wünsche mir, dass USA
und EU die Bereitstellung von Haushaltsmitteln, die für unsere Bevölkerung
wesentlich sind, fortsetzen. Die Palästinenser haben demokratische Wahlen abgehalten,
die ein Modell für den gesamten Mittleren Osten darstellen. Sie müssen von der
internationalen Gemeinschaft belohnt und nicht bestraft werden. Was die Hamas
anbelangt, kann der Westen ihre Entwicklung in moderatem Sinne nicht
ignorieren. Seit ungefähr einem Jahr hält sie die Waffenruhe mit Israel ein und
hat, indem sie akzeptierte, sich an der Autonomiebehörde zu beteiligen, de
facto begonnen den jüdischen Staat indirekt anzuerkennen. Diese Entwicklungen
müssen durch den Dialog ermutigt werden.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover