Antifa-AG der Uni Hannover:
Wie bereits bei anderen
Gelegenheiten mehrmals von uns angemerkt, entspricht die libanesische Hisbollah
in der Realität den in der deutschen Linken (und damit meinen wir nicht die pro-imperialistischen
Hilfstruppen, die sich Antideutsche nennen) lieb gewonnenen Vorurteilen von
einer „mittelalterlich-fanatisch-islamistisch-fundamentalistisch
Terrororganisation“ nicht. Es handelt sich bei ihr eher um eine anti-imperialistische
Organisation mit einer kleinbürgerlich-subproletarischen Massenbasis und starken
linkspopulistischen Zügen, die seit Jahren eng mit der libanesischen und der
palästinensischen Linken kooperiert. Nach mehreren Beiträgen in der liberalen „Neuen
Zürcher Zeitung“ bestätigt dies nun – zähneknirschend – auch eine längere Reportage in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 13.4.2005,
die ebenfalls keiner „ultralinken“ Tendenzen verdächtig ist und die wir hier
dokumentieren. Weitere interessante Artikel aus der „SZ“ finden sich auf ihrer
Homepage unter http://www.sueddeutsche.de/
Hisbollah:
Chamäleon auf
blutdurchtränkter Bühne
Mal ist sie Terror-Truppe, mal
religiöse Partei, mal Wohlfahrtsverein: Die Hisbollah ist wandelbar. Die 20 000
Gottes-Kämpfer entscheiden längst nicht mehr nur über Krieg und Frieden im
Libanon.
Von Tomas Avenarius
An der Tür des
Gotteskriegers empfängt der Herr im Himmel: „Jesus, bitte schütze diesen Ort.“
Unter dem geschwungenen Schriftzug schreitet Gottes Sohn durch einen
Zypressenhain – ein frommes Bild an der Tür eines ebenso frommen Mannes.
Der in Öl gemalte Jesus
würde jede oberbayerische Dorfkirche zieren. Aber auch De Gaulle Abu Tass
selbst erinnert mehr an einen Sonntags-Kirchgänger als an das Bild vom
blutlüsternen Muslim-Terroristen.
Er trägt kein grünes „Allah-Akbar“-Band um den Kopf, er hat keinen
Sprengstoffgürtel um die Hüften geschnallt, er träumt nicht von den 99
Jungfrauen an der Paradies-Pforte. Abu Tass steht einfach da, sehr
unspektakulär, sehr zivil.
Davidoff in
libanesischer Dorfidylle
Der Straßenanzug
Stangenware, die schwarzen Schuhe blank geputzt. Auffällig an ihm sind
allenfalls die Zigaretten von Davidoff: Ein halbwegs wohlhabender
Kleinunternehmer und Familienvater in einem Dorf im Südlibanon.
Abu Tass ist ein
Hisbollah-Mann. Einer von den „schlimmen Kerlen, die wir in ihren Löchern
ausräuchern und fertig machen werden“, wie US-Präsident George W. Bush gedroht
hat. Ein Dschihad-Terrorist also. Nur: Abu Tass
schlägt beim Beten das Kreuz. Wie Bush.
Abu Tass ist kein Muslim, er
ist Christ. In seinem Wohnzimmer allerdings steht – anders als bei Bush – ein
Foto von Scheich Hassan Nasrallah. Der schiitisch-islamische Geistliche
Nasrallah ist auch einer von „den schlimmen Kerlen“.
Einer der Führer der
schlimmen Kerle sogar. Um genau zu sein: Er ist der Chef der Hisbullah, der „Partei Gottes“. Auf dem Foto küsst der
große Nasrallah den kleinen Abu Tass auf die Wange: Die „Partei Gottes“
vergisst ihre Helden nicht.
Werkzeuge der Folterer
Weil er am Untergrundkrieg
gegen die israelischen Besatzer im Südlibanon teilnahm, saß Abu Tass lange im
Gefängnis. Einzelhaft, Demütigungen, Folter.
Ausgeführt von den
libanesischen Parteigängern der Israelis. Von den „Verrätern“, wie es im
Hisbollah-Jargon heißt. Entlang der Straßen im Südlibanon stehen Schilder, die
den Weg zu den touristischen Sehenswürdigkeiten weisen.
Ein Schild führt zum „Gefängnis
Khiam“. Das ist heute ein Museum, eingerichtet von
der Hisbollah. Dort saß Abu Tass, dort finden sich die Gerätschaften, mit denen
Gefangene wie er gequält wurden. Transformatoren für Elektroschocks. Aus
fingerdicken Stromkabeln geflochtene Ruten.
Eine Isolationszelle, ein
Meter lang, ein Meter hoch, ein Meter breit. „Weil ich Christ bin, haben sie
mich etwas härter rangenommen“, sagt Abu Tass. „Aber
spielt es eine Rolle, ob ich Christ bin oder Muslim? Es geht um die Befreiung
von israelischer Besatzung.“ Abu Tass setzt sich an den Wohnzimmertisch, die
Davidoff verglimmt zwischen den Fingern.
Er sagt: „Ich bin bei
Hisbollah, aber ich war kein Kämpfer.“ Diejenigen, die seine Geschichte kennen,
sagen, Abu Tass sei ein Hisbollah-Agent gewesen. Einer, der als Christ Zugang
hatte zu den Dörfern der christlichen Kollaborateure, die mit den Israelis
zusammenarbeiteten.
Kein ganz unwichtiger Mann
offenbar im brutalen Kleinkrieg der Hisbollah gegen die nicht minder brutalen
Israelis. Abu Tass selbst sagt nur: „Heute kümmere ich mich für die Hisbollah
um soziale Fragen.“
Der Christ Abu Tass in den
Reihen der libanesischen Fundamentalisten-Partei – er ist ein Sonderfall. Nur
wenige Christen kämpfen mit der schiitischen „Partei Gottes“ gegen die
Israelis. Aber die Begegnung mit Abu Tass zeigt, dass die Hisbollah mit den
rasch aufgeklebten „Islam-Terror“-Etiketten nicht
erfasst wird.
Bewusster Verzicht auf
Terror
Die Hisbollah sei in weiten
Teilen etwas ganz anderes als eine Terrorgruppe, schreibt die amerikanische
Expertin Judith Palmer-Harik. Sie definiert Terror
als Gewalt gegen Unschuldige und Unbeteiligte, sie unterscheidet Terror vom
Widerstand gegen eine Besatzungsmacht. Palmer kommt zu dem Schluss, dass „die
Hisbollah-Führer bewusst auf Terrorismus als Mittel zum Ende der Besatzung
verzichten“.
Nur: wenn die Hisbollah
keine klassische „Terror-Organisation“ ist, was ist sie dann? Ein politisches
Chamäleon, das steht fest. Zwar ist die „Partei Gottes“ eine
islamisch-fundamentalistische Kaderpartei, hierarchisch organisiert und in
ideologisch gehärteten Stahlbeton gegossen wie einst Lenins KP. Doch die
Hisbollah ist fähig, sich jederzeit an Umstände und Umgebung anzupassen.
Mal ist sie eine
Organisation libanesischer Widerstandskämpfer, die als einzige Araber-Armee die
als unschlagbar geltenden israelischen Soldaten besiegt hat. Dann ist sie eine
religiöse Partei, die mit ihren Sozialprogrammen ganze Landesteile am Leben
erhält und ein Dutzend gewählter Abgeordneter im Parlament sitzen hat.
Unbestreitbar sei die
Hisbollah aber auch eine beinharte Terror-Truppe, schreibt die Expertin Palmer.
Die Partei Gottes könne zumindest ihre Verwicklung in einzelne frühere
Attentate gegen jüdische Zivilisten weltweit und fern der
israelisch-libanesischen Grenze nicht glaubhaft widerlegen.
Libanesische Partei,
von Ayatollahs finanziert
Fakt aber ist, dass der
Hisbollah kein einziger Terroranschlag in Israel nachgewiesen wurde. Was aber
noch wichtiger ist: Die Hisbollah ist eine libanesische Partei, die von den
Ayatollahs in Iran finanziert und von den ebenso israel-feindlichen
Syrern bewaffnet wird: Mit ihren 20000 Untergrundkämpfern entscheidet die
Hisbollah damit nicht nur über Krieg und Frieden im Libanon.
Sie trägt auch bei zur
Instabilität in Nahost. Sie bringt die radikale Anti-Israel-Politik
Teherans mit ihren Untergrundkämpfern direkt an die israelische Grenze.
Eine kompromisslose
Palästina-Politik, das scheint jenseits aller Pragmatik der eigentliche Kern
der Hisbollah-Ideologie zu sein: „Auch wenn der Libanon einen Friedensvertrag
hätte mit Israel, könnten wir Israel nicht trauen“, sagt Mustafa al-Hadschi Ali.
Er sitzt im 18-köpfigen
Hisbollah-Politbüro, einem der obersten Führungsorgane. Al-Hadschi Alis
Argumentation ist in sich schlüssig entlang der Linie: Kein Frieden mit Israel,
solange es keinen gerechten Frieden für die Palästinenser gibt. Womit sich das
Chamäleon Hisbollah von einer libanesischen Partei in eine
quasi-palästinensische verwandeln würde.
All diese sich schwer zusammenfügenden
Einzelteile ergeben kein überzeugendes Ganzes: Das Polit-Chamäleon Hisbollah
wechselt die Farbe nach Belieben. Wer die „Partei Gottes“ besser verstehen
will, sollte daher in den Südlibanon reisen: Der Süden ist Hisbollah-Land.
Entlang der Straßen hängen
Hisbollah-Flaggen, stehen Hisbollah-Sammelbüchsen für soziale Werke. Überall
Gedenktafeln für die „Märtyrer“, ihre Namen und Porträts sind auf Plakate
gemalt: Die Hisbollah vergisst ihre Helden nicht.
Einer dieser 1300 „Märtyrer“
ist der jüngste Sohn des Bauern Mohammed Husseini. Der Alte sitzt vor seinem
Haus und sagt: „Die Israelis bleiben unsere Feinde. Sie wollen unser Land und
unser Wasser.“
Husseini ist über 80, ihm
zittert das Teeglas in der Hand, er hat längst keinen Zahn mehr im Mund. „Der
Tod ist schrecklich“, sagt er. „Aber ich bin froh, dass mein Sohn als Märtyrer
gestorben ist.“ Husseini sagt das nicht, weil er von der Hisbollah eine
Entschädigung bekommen hat für den getöteten Sohn. Er sagt es, weil er es
glaubt.
Der Südlibanon ist eines der
abgekämpftesten Schlachtfelder des Nahost-Konfliktes.
Die grünen Hügel und die schneebedeckten Berge wurden von der israelischen
Armee seit den siebziger Jahren immer wieder besetzt.
Erst, um den im Libanon
untergekommenen palästinensischen Guerilleros Einhalt zu gebieten. Später, um
die libanesischen Hisbollah-Kommandos mit ihren Katjuscha-Raketen von Israels
Grenze fern zu halten.
Blutdurchtränkte Bühne war
der Süden auch im Bürgerkrieg: Damals zerfleischten sich die
Religionsgemeinschaften der Christen, Drusen und der schiitischen und
sunnitischen Muslime gegenseitig. Israelis und Palästinenser mischten ebenfalls
mit. Einzelne Christen-Fraktionen verbündeten sich mit den israelischen
Besatzern.
Sie fanden ihre Gegner in
den Schiiten im Süden. Die im jahrelangen Kleinkrieg verfeuerten Bomben und
Granaten der Israelis fielen auf die schiitischen und die christlichen Dörfer
des Südlibanon.
Was erklärt, weshalb die
meisten Libanesen – ob Christen, Drusen oder Muslime – in den gefallenen
Hisbollah-Kämpfern zuallererst heldenhafte Befreier vom israelischen Joch
sehen.
Denn das Land verlassen
haben Israels Panzer wegen der Hisbollah; die Regierung in Jerusalem konnte
ihren Bürgern nicht erklären, weshalb weiter Soldaten verbluten sollten in der
„Sicherheitszone“ jenseits der Grenze.
Nur noch die Schebaa-Farmen halten die Israelis heute besetzt, einen 15
Quadratkilometer großen Streifen Land am Dreiländereck zwischen dem Libanon,
Syrien und Israel.
Ab und an schießen die
Hisbollah-Kämpfer Raketen hinüber, bomben israelische Jets. „Der Krieg an der
Grenze ist nur noch Routine“, sagt ein Hisbollah-Kenner. „Die letzte echte
Hisbollah-Militäroperation liegt Jahre zurück.“
Dieser Pro-Forma-Krieg
kommt beiden Seiten zupass: Für die Israelis sind die Schebaa-Farmen
Trumpfkarte in zukünftigen Friedensverhandlungen mit den Libanesen. Und für die
Hisbollah sind sie das Mittel, mit geringem Einsatz das Image der
Widerstandsarmee am Leben zu erhalten.
Neuerdings aber gerät die
siegesgewohnte Hisbollah an einer ganz anderen Front unter Druck: Die Syrer,
neben den Iranern Schutzmacht der „Partei Gottes“, müssen ihre Soldaten
abziehen aus dem Libanon. Damaskus hatte dem international orchestrierten Druck
der USA und Frankreichs nichts mehr entgegen zu setzen. Damit könnte sich die
politische Nahost-Topographie verändern.
Und während in der
Hauptstadt Beirut die pro-syrische Regierung und die demokratisch-orientierte
Opposition um die Macht rangeln, wird schon die Entwaffnung der Hisbollah
gefordert. Ohne Waffen aber wäre die Hisbollah keine Widerstandsarmee mehr. Sie
wäre eine ganz normale islamische Partei.
Und De Gaulle kam zum
Tee
„Die Hisbollah kann auch
ohne ihre Waffen leben. Sie hat jahrelang sehr erfolgreich investiert in die
Menschen.“ Für den Beiruter Politologen Ahmed Nizar Hamzeh ist klar, dass die Sozialarbeit der Hisbollah sich
auszahlt. Krankenhäuser und Schulen, die Versorgung des verarmten Süd-Beiruts
mit Trinkwasser, die Witwenrenten für die Frauen der „Märtyrer“ – „das schlägt
sich nieder in Wählerstimmen“.
Im Jahr 2003 habe die
Hisbollah 5,5 Millionen Dollar für Schulen, Bildungsprogramme und
Stadtteilarbeit ausgeschüttet. Die libanesische Regierung renovierte in dieser
Zeit lieber das Stadtzentrum von Beirut: Dort finden sich Armani-Boutiquen und
teure Restaurants.
Für Bildung stellte der
Staat 2003 gerade einmal eine Million Dollar bereit. „Die Hisbollah lebt zwar
vom Widerstands-Image“, sagt Hamzeh. „Aber ihre Kraft
kommt nicht allein aus dem bewaffneten Arm. Sie ist zugleich eine lokale, eine
nationale und eine regional-nahöstliche Kraft.“
"Partei
Gottes"
Außerdem muss die „Partei
Gottes“ ihre Raketen und Kalaschnikows nicht unbedingt endgültig abgeben. Die
Hisbollah-Führung hat bereits erklärt, sie könne sich ihre Kämpfer als
Reservisten-Armee für die schwachbrüstigen libanesischen Streitkräfte
vorstellen.
So wird die „Partei Gottes“
wohl weiter Staat im Staate bleiben und ein wichtiger Spieler der
Nahost-Politik dazu–mit oder ohne Waffen, und mit
oder ohne die Anwesenheit der Syrer im Libanon.
"Wir kennen
unsere gemeinsame Geschichte"
Der Hisbollah-Mann De Gaulle
Abu-Tass aber ist gegen eine Entwaffnung: „Wenn wir keine Waffen mehr haben,
können die Israelis mit dem Libanon machen, was sie wollen. Wir kennen Israel,
wir kennen unsere gemeinsame Geschichte.“
Will heißen: Auch intern
wäre es für die „Partei Gottes“ nicht ganz einfach, die Gewehre in den Schrank
zu hängen. Wie De Gaulle Abu Tass übrigens zu seinem seltsamen Vornamen kam? Im
Zweiten Weltkrieg zog Charles de Gaulle durch den Libanon. Abu Tass’ Großvater
bewirtete den General.
Tief beeindruckt von dem
großen Franzosen beschloss er, dass sein erster Enkel dessen Namen tragen
sollte. Der christliche Hisbollah-Mann Abu Tass wird den Namen wohl als Ehre
empfinden. Schließlich war Charles de Gaulle mehr als ein französischer
Präsident. Er war der Kommandant einer Befreiungsarmee.
(SZ vom 13.4.2005)