Hartz IV und der neue Arbeitsdienst


Mit Hartz IV wird eine traditionelle Spaltung der Lohnersatzleistungen weitgehend aufgehoben: Die zwischen Sozialhilfe und Ansprüchen aus der Arbeitslosenversicherung. Endlich kommen alle Erwerbslosen in den „Genuss“ der repressiven Instrumente, die bislang im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) formuliert waren. Spätestens seit dem Gewerkschaftstag im September 04 findet auch der DGB die Aufhebung der Trennung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe ganz toll. Zur Erinnerung: Das war der Gewerkschaftstag, der den Spitzenfunktionären wieder neue Hoffnung gab, für eine Diskussion der sozialen Frage auch mal mit dem Kanzler frühstücken zu dürfen. Seitdem erklärt beispielsweise der ver.di-Bezirk Hannover die Forderung der Montagsdemonstrationen „Weg mit Hartz IV“ für falsch, weil das ALG II doch an sich eine sinnvolle Erfindung sei.


Zu den repressiven Instrumenten gehören an herausragender Stelle Zwangsumzug und Zwangsarbeit. In der Sozialhilfe war die jeweilige Praxis in den Kommunen unterschiedlich und direkter Ausdruck der politischen Haltung zur eigenen Armutsbevölkerung. Bei den Zwangsumzügen dürfte der 1.7.05 noch spannend werden. Dann endet die Übergangsfrist, innerhalb der noch die volle Miete übernommen werden muss. Spätestens ab Juli können die Kommunen also statt der tatsächliche Miete die Pauschalwerte aus den Wohngeldtabellen festsetzen – auch, wenn es billigere Wohnungen nicht gibt. Ein bequemes Sparschwein für klamme kommunale Kassen.


Anders als bei der Sozialhilfe wird Zwangsarbeit nur noch über die Angebotsseite durch die Kommunen beeinflusst – also darüber, wie viele eigene „Arbeitsgelegenheiten“ die Kommune jeweils schafft. Trotzdem wird die Betroffenheit der Erwerbslosen regional unterschiedlich ausfallen. Berüchtigt ist bereits der Landkreis Uckermark. Dort wurden zuerst alle Langzeitarbeitslosen zum Umzug in billigere Wohnungen aufgefordert und dort wurde zuerst die Ausdehnung der Zwangsarbeit auf gewerbliche Betriebe gefordert. Aber auch Städte wie Dortmund sind bereits hip. Hier will SPD-Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer rund 4000 Zwangsarbeitsstellen für die Gestaltung eines Stadtparks schaffen. Eine Größenordnung, die es durchaus mit den Infrastrukturprojekten des Reichsarbeitsdienstes – etwa dem hannöverschen Maschsee – aufnehmen kann.


Wichtigste Träger des neuen Arbeitsdienstes der rot-grünen Bundesregierung bleiben allerdings die Nutznießer des bisherigen zweiten Arbeitsmarktes. An erster Stelle die paritätischen Wohlfahrtsverbände und nachgeordnet auch all die kuscheligen Vereine der Alternativszene, die ihr eigenes Überleben und das ihrer Mitglieder bislang über BSHG- oder ABM-Stellen organisiert haben.

Bei den Professionellen begann die Diskussion bereits im Oktober. Die Diakonie gab eine Grundsatzerklärung gegen 1€-„Arbeitsgelegenheiten“ heraus, während die Caritas gleichzeitig begann, ihre ehrenamtlichen MitarbeiterInnen durch „freiwillige“ 1€-Arbeit zu ersetzen. Die AWO setzte gleich auf eine Offensive und unterstützte die Zwangsarbeit ohne wenn und aber. Sie erlebte deshalb in Berlin und Nürnberg die ersten Go-ins der Erwerbslosen. Mittlerweile erfüllt der Wegfall des zweiten Arbeitsmarktes allerdings im Bereich der Verbände verstärkt seinen Zweck. Auch die Träger der hannoverschen Arbeitslosenberatungsstellen (ASG, Arbeitslosenzentrum) beschäftigen bereits Erwerblose in Zwangsarbeit. Eine letzte Grenze liegt dort, wo über Verträge zwischen Maßnahmeträgern und Behörden qualifiziertes Personal gefordert wird – etwa in pädagogischen Wohnheimen. Hier kann die Arbeitsverwaltung solches Personal noch nicht ausreichend liefern.


Auch die Gewerkschaften sahen sich zu „Eckpunkten“ genötigt. Während früher der zweite Arbeitsmarkt als Verdrängung des Ersten beargwöhnt wurde, wird er nun als Alternative zur Zwangsarbeit hofiert. In der Reihe „Informationen zur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik“ erschien die DGB-Broschüre „Öffentlich geförderte Beschäftigung mit oder ohne Arbeitnehmerrechte“. Darin empfiehlt der DGB die weiterhin mögliche ABM unter Beschäftigungsgesellschaften oder „Arbeitnehmerüberlassung“ als Alternative zur 1€-Zwangsarbeit. In gewisser Weise zu Recht. Der summierte „Lohn“ für Zwangsarbeit erreicht nicht einmal das Niveau des britischen Mindestlohnes von 1350€. Mal ganz abgesehen von der Frage, ob Menschen ihre Grundsicherung erst erarbeiten müssen. Ein „Ja“ gehört hier eindeutig zur Ideologie des Sozialdarwinismus, wird aber auch vom DGB gepflegt. In einer Auflistung möglicher und befürworteter Anwendungen für die 1€- „Arbeitsgelegenheiten“ nennt der Gewerkschaftsbund beispielsweise „bei begründeten Zweifeln an der Arbeitswilligkeit“. Mit der bürgerlichen Arbeitsideologie und ihren rechtspopulistischen Varianten hat der DGB nach wie vor keine Probleme. Die Statements der Funktionäre – einschließlich Bsirske oder Engelen-Kefer – bleiben in diesem Rahmen „normal“. Es ist bereits besonders „links“, wenn die Gewerkschaften auffordern, die Kriterien der Zwangsarbeit („Zusätzlichkeit“, „öffentliches Interesse“ für jeden einzelnen „Job“), bei jeder „Arbeitsgelegenheit“ peinlich genau zu prüfen und möglichst bürokratische Hürden aufzutürmen.


Da ist die Lobby des Kapitals etwas weiter. Hier hat der Minimallohn der Zwangsarbeit und die zusätzlichen Gelder aus Nürnberg deutlich Begehrlichkeit geweckt. Es kann deshalb niemand in Erstaunen versetzen, wenn nach dem Landkreis Uckermark inzwischen auch die Landesregierungen von Sachsen-Anhalt und Hamburg oder der DIHT eine Öffnung für gewerbliche Betriebe fordern. Schließlich ist es der Sinn aller Hartz-Reformen, die Kapitalrendite zu erhöhen und jenes Lohnniveau zu senken, dass der DGB nicht zu verteidigen gedenkt.


Die deutsche Linke bleibt bislang in einer gewachsenen Schizophrenie gefangen. Seit mehr als zwanzig Jahren professionalisiert sie eine Nischenökonomie, in der vorrangig akademisch gebildete Arbeitskräfte ihre Widersprüche zum kapitalistischen Normalfall abmildern können. Dabei schaffen sie mal mehr, mal weniger politisch sinnvolle Projekte, die sich irgendwie von irgendwo finanzieren – ohne die bürgerliche Gesellschaft über die kulturelle Ebene hinaus anzukratzen. In dieser Alternativszene gibt es durchaus Versuche, die moralische Schere zu öffnen. Das Berliner „Sozialforum in Gründung“, die Hamburger „Sozialpolitische Opposition“ oder die Erklärung Göttinger Vereine (Frauenprojekte, Jugendzentren, Geschichtswerkstatt und andere Initiativen) versuchen die eigenen Reihen auf Linie zu bringen – dokumentiert bei labournet – und sind hier Beispiele für Versuche, einen Boykott möglicher Träger gegen die 1€-Zwangsarbeit zu organisieren. An die materielle Basis jenseits der Moral geht allerdings kaum jemand. Diese materielle Basis taucht erst auf, wenn wir die Projekte direkt konfrontieren. „Wer soll bei uns den Abwasch machen?“ klagt etwa das freie Radioprojekt „flora“ in Hannover, wenn wir nach dem Grund der vier Zwangsarbeitsstellen fragen.


Über die konkreten Erfahrungen mit „flora“ berichten wir an anderer Stelle ausführlicher. Die Argumentationsmuster sind sicher allgemeiner anzutreffen. Zum einen das Argument: BSHG-Stellen gibt es nicht mehr und ehrenamtlich können wir die Arbeit nicht bewältigen. Zum anderen der Verweis auf vermeintlich Freiwillige, die in den Projekten die bessere Alternative gegenüber dem drohenden Einsatz im Altersheim sehen. Schamhaft verschwiegen wird selbstverständlich, dass Erwerbslose - anders als bei BSHG-Stellen – nun neben ihrer Arbeitskraft auch noch eine satte zusätzliche Förderung bis zu 380€ pro Person für die Projekte mitbringen. Die Bundesagentur für Arbeit wird damit zum Ersatz für die sozial- und kulturpolitischen Fördergelder, die überall gestrichen werden.


Eine Strategie, die hier die Profiteure aufs Korn nimmt und sie aus der Funktion für den neuen Arbeitsdienst herausbrechen will, hat eine Schwäche: Sie organisiert nicht die Betroffenen; sie versucht den Widerstand an den Trägern der Zwangsmaßnahmen – und damit auf einer moralischen statt einer materialistischen Basis – zu orientieren. Allerdings gibt es bei den Versuchen, die Betroffenen zum Widerstand zu organisieren in den letzten zwei Jahren zumindest in Hannover keine nennenswerten Erfolge. Außerdem funktioniert das System der Zwangsarbeit durchaus entscheidend über die Anbieter. Der Angriff auf diese ist deshalb in jedem Fall richtig, Ob freies Radio oder Frauenprojekte – die Linke wird lernen müssen, zwischen den positiven Inhalten der Szeneprojekte und den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Arbeit geleistet wird, zu unterscheiden. Das ist die gute Nachricht von Hartz IV.

Antifa-AG der Uni Hannover