Während er sich im Gespräch mit der bürgerlichen Presse
auf die Einschätzung und Verurteilung des Polizeieinsatzes und der Absichten
der Berlusconi-Regierung in Genua konzentrierte (siehe die nebenstehende Übersetzung
des Interviews in “la Repubblica”), versucht sich der Sekretär der größten
und wichtigsten, tatsächlich links zu nennenden Organisation in Italien,
Fausto Bertinotti von Rifondazione Comunista (PRC), im Interview mit der
unabhängigen links-sozialistischen Tageszeitung “il manifesto”
vom 22.7.2001 mehr an einer Kurzanalyse der Bewegung nach Genua -
einer Bewegung, in der Rifondazione eine tragende Rolle spielt:
Fausto Bertinotti:
“Etwas Neues”
Es spricht der Sekretär des PRC: “Die Tragödie
und die Auseinandersetzungen können eine gigantische Tatsache nicht
verbergen: Eine Generation setzt sich in Bewegung und reagiert auf die Mischung
aus externer Gewalt und Polizeiangriffen.”
Cosimo Rossi
“Die ganze enorme Tragödie des getöteten Jugendlichen und die
schwerwiegenden Umstände der Demonstration können meiner Meinung
nach eine gigantische Tatsache nicht verbergen: Wir stehen der echten Geburt
einer Bewegung gegenüber.” Der Sekretär von Rifondazione Comunista
(PRC), Fausto Bertinotti, sieht in der von den Demonstranten gegebenen Antwort,
in der “Verbannung jeder Form von Gewalt”, die Stärke “einer neuen Generation”,
die <in die Geschichte> einbricht. “Das bedeutet, daß diese Bewegung
im Kopf und im Bauch eine Anlage zur Bestätigung des eigenen Protagonismus
hat”, fährt Bertinotti fort, “die auch gegenüber der abgekaterten,
verrückten Neigung am Tag nach einer Tötung herrscht”.
Einer in gewisser Weise angekündigten Tragödie, die - jenseits
der direkten Verantwortlichkeiten - das Bewußtsein aller nicht unberührt
lassen kann...
“Diese Tragödie bleibt die beherrschende Tatsache. Die Abfolge der
Verantwortlichkeiten <dafür> bewegt sich meiner Meinung nach in
dieser Reihenfolge: 1. Die exponentiell fortschreitende Verrammelung und
Militarisierung der Stadt und zwar soweit, daß Genua in ein Labyrinth
vorgeschriebener Pfade verwandelt wurde. Der treibende Grund dafür ist
die Idee des G8-Treffens selbst: Die zivile und politische Enteignung der
Stadt; die militärischen Hände über der Stadt, um eine Armee
der Macht zu verteidigen. Das 2. Element ist ein Verhalten der Ordnungskräfte,
das vollständig darauf ausgerichtet ist, die Bewegung zu treffen und
zwar so sehr, daß sie den gewalttätigen und außerhalb der
Bewegung stehenden Splitter, der eindeutig gestaltet und identifizierbar
und durch die ganze Stadt gelaufen ist, freie Bahn gewährt. 3. Der Gebrauch
von Schußwaffen, deren Verbannung das GSF ausdrücklich gefordert
hatte.”
Aber kann man wirklich sagen, daß der schwarze Block ein externer
Splitter ist ?
“Das kann man nicht sagen, das muß man sagen. Mir zeigt sich das Gegenteil:
Das Genoa Social Forum setzt sich aus 700 Vereinigungen zusammen, die sich
einen gemeinsamen Nenner gegeben haben. Es ist ein externer Splitter, weil
die Bewegung ihn ausgeschlossen hat.”
Obgleich die Auseinandersetzungen den Tag der großen Bündnisdemonstration
gekennzeichnet haben...
“Aber die Reaktion jener 2 - 300 000 Leute, die kontinuierlich von den Linien
der Gewalt und den objektiven Provokationen dieser Gruppe sowie dem systematischen
Angriff der Polizei betroffen waren, ist meines Erachtens eine außerordentliche
gewesen. Das ist der Eintritt einer neuen Generation, eine enorme politische
und kulturelle Tatsache. Und meines Erachtens muß deutlich gesagt werden,
daß die einzige Sache, die man aus dem konkreten Verhalten der Ordnungskräfte
in allen diesen Tagen schließen kann, die ist, daß es die Bewegung
war, die getroffen werden sollte. Daher muß ich sagen, daß einerseits
die Bewegung ihre ganze kritische und gewaltfreie Fähigkeit zeigt und
andererseits die Macht zeigt, daß sie die Bewegung nicht tolerieren
will. Sie versucht sie zu zersetzen, zu schlagen und Brüche zu provozieren.”
Aber die Diskussion, die sich fortschreitend um die Grenzlinien, um die
Symboliken herumgeschraubt hat, hat in zweiter Linie auch die Inhalte und
die Werte der Mobilisierung rübergebracht.
“Damit bin ich nicht einverstanden. Ich bin gerade davon überzeugt,
daß wir vor einem Event stehen. Und die Events müssen mit einer
interpretierenden Logik dekodiert werden - nicht so als ob man einer normalen
Demonstration gegenüberstehen würde, mit einer <Forderungs->
Plattform, bei der man auf die Dichte schaut. Diese Diskussion ist überflügelt
worden. Der Event muß nach einem anderen Maßstab beurteilt werden.
Der grundlegende Maßstab ist Metasprache: Eine Generation setzt sich
in Bewegung. Heute sind 80% jünger als 30 und in gewisser Weise hat
man das <auch kurz zuvor schon> beim Streik der Metallarbeiter gesehen.
Das was heute passiert, ist gerade der Ruck, der durch eine Generation geht.
Und diese Generation ist im Protest gegen die Repression, G8, Globalisierung
und Regierung nicht spaltbar. Weil alle diese Seiten des Prismas in einer
Bewegung assimiliert sind, die als fundamentale Ursache den Grund ihrer Existenz
hat.”
Genügt das ?
“Natürlich weiß diese Bewegung, daß sie ein inhaltliches
Problem hat. Deshalb z.B. nutzt sie Porto Alegre. Weil sie eine Bewegung ist,
die das Symbol auch als Vertretung benutzt. Sie hat das Symbol als Übersetzung
des eigenen Wachstums genutzt. Nicht nur wegen des extrem zeitgemäßen
Charakters des symbolischen Kampfes. Aber in diesem Fall spielt es überdies
sozusagen eine Vertretungsrolle für das, was in Sachen Programm, Kontinuität,
Kampfformen und Artikulierung <bisher> nicht ausgereift ist.”
Dennoch sind die Mobilisierungen ein Instrument und nicht das Ende. Es
bedarf einer Beziehung zwischen Kampf und <Forderungs-> Plattform, um
nicht in der Schwammigkeit zu enden...
“Es ist wie der Traum in Jung, der in gewisser Weise noch ein Projekt und
noch schlecht definiert ist: Er antizipiert ein Projekt, das noch nicht in
der Lage ist, ausgearbeitet zu werden. Er ist die Fähigkeit zur Ankündigung.”
Von was ? Von morgen ?
“In der Tat geschehen Dinge: Agnoletto <der offizielle Sprecher des Genua
Sozial Forums> hat angekündigt, daß das GSF sich als <italienweites>
Sozial-Forum konstituieren wird. Diese Bewegung der Bewegungen schafft sich
also, wie alle starken Bewegungen, ihre Institutionen. Wie kann man nicht
sehen, daß dieses Mosaik sich programmatische Linien gibt ? Ich
sage nicht, daß das ausreicht. Im Gegenteil ! Ich denke, daß
diese Bewegung den Kräften der alternativen Linken (den einzigen, die
mit ihr sprechen können) ein gigantisches Problem stellt. Und das ist
das Problem der Reform der politischen Subjekte der alternativen Linken und
der sozialen Linken - den Auftritt dieser Generation auf der Bühne der
organisierten Politik.”
Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover