Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Der neben der Opposition gegen den Irak-Krieg wichtigste politische Kampf der italienischen Linken in der ersten Jahreshälfte 2003 drehte sich um das von Rifondazione Comunista, den linken Basisgewerkschaften der Cobas, CUB etc., dem linken Flügel des größten Gewerkschaftsbundes CGIL, den centri sociali, einem Teil des linken Flügels der Linksdemokraten (DS) u.a. initiierten Referendum zur Ausweitung des Kündigungsschutzartikels 18 auf alle Beschäftigten. (Bisher gilt er nur in Betrieben mit mindestens 15 Beschäftigten.) In der Endphase schlossen sich neben anderen auch die CGIL und die landesweite linke Kulturdachorganisationen ARCI dem Unterstützerkreis an.


Der Kampf um die Ausdehnung des Artikel 18 ist zum einen die Fortführung der Massenproteste und Generalstreiks seit März 2002 zur Verteidigung des alten Art. 18, der von der Berlusconi-Regierung mit Unterstützung der rechteren Gewerkschaftsbünde CISL und UIL ausgehöhlt wurde und er ist zum anderen der Versuch über die bloße Verteidigung des Status quo hinauszugehen. Mit diesem offensiven Ansatz gelang es zumindest eine solche Idee breit zu lancieren und zugleich den mit der Mobilisierung für den alten Art. 18 begonnenen Versuch des damaligen CGIL-Generalsekretärs, heutigen DS-Linken und angehenden Kandidaten für das Bürgermeisteramt von Bologna, Sergio Cofferati, zu entlarven darüber Prestige zu gewinnen und eine Neuauflage der klassischen Sozialdemokratie zu versuchen.


Der Erfolg in der Sache blieb dem Referendum freilich verwehrt. Zwar sprachen sich bei der Abstimmung am 15. und 16.6.2003 87,4% der Abstimmenden für die Ausweitung des Kündigungsschutzes aus, doch lag die Beteiligung landesweit nur bei 25,7%. Damit wurde das vorgeschriebene Quorum von 50% + 1 Stimme weit verfehlt und das Referendum somit ungültig. Eine Tatsache, die nicht nur ein Beleg für die auch in Italien nur sporadisch “überwundene” soziale Passivität und die ungebrochene Dominanz der Kapitallogik auch in den Köpfen der Mehrheit der Lohnabhängigen ist, sondern auch ein Erfolg der Großen Koalition aus der DS-Mehrheit, den klassisch-rechten Parteien (Forza Italia, Alleanza Nazionale, CCD-CDU, Lega Nord etc.), Berlusconis Privatsendern und der Confindustria, die nach Kräften die Stimmenthaltung gefördert und gefordert hatten. (“Spitzenreiter” in Sachen Beteiligung waren dann auch schon die ehemals roten Regionen Toskana und Emilia Romagna mit 32,8% und 30,8%.)


Aufgrund der massiven Attacken der Pro-Israel-Fraktion an der Uni Hannover gegen die Antifa-AG, denen sich der amtierende Juso/PDS-AStA teilweise anschloß, kommen wir leider erst jetzt dazu Übersetzungen einiger der wichtigsten Dokumente der italienischen Linken aus diesem Kampf vorzulegen. Aufgrund seiner Bedeutung haben sie unseres Erachtens aber nichts an Aktualität verloren. Deshalb hier das umfangreiche Interview das Rifondazione Comunista-Sekretär Fausto Bertinotti der parteieigenen Tageszeitung “Liberazione” für die Ausgabe vom 13.5.2003 dazu gab:



Fausto Bertinotti erwidert auf Sergio Cofferati: Seine Entscheidung für die Stimmenthaltung <beim Referendum über die Ausweitung des Kündigungsschutzartikels 18> widerspricht den großen Hoffnungen der Großdemonstration zur Verteidigung des Artikels 18 am 23.März 2002.


“Das Ja ist die einzig wirkliche Kritik am Wirtschaftsliberalismus”


"Die Position, die Sergio Cofferati eingenommen hat, bestätigt das, was ich seit einiger Zeit denke und das ist, daß das Referendum über den Artikel 18 ein wirklich programmatisches Unterscheidungsmerkmal ist. Es ist klar, daß mein Urteil sehr kritisch und daß meine politische Distanz <zu Cofferatis Positionen> sehr groß ist. Zugleich bemerke ich aber auch und vor allem das Erfordernis einer echten, um den Kern der Sache geführten Diskussion."


Fausto Bertinottis Erwiderung auf die Entscheidung des ehemaligen CGIL-Sekretärs (“Am 15.Juni gehe ich nicht wählen”, hat er gestern der <kleinen linkssozialdemokratischen Tageszeitung> “l’Unità” und <der großen linksliberalen Tageszeitung> “la Repubblica” gegenüber erklärt.) ist daher, wie man einstmals sagte, ruhig und entschieden. Eher äußert der Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC) eine betrübte Generalpolemik gegenüber dem Olivenbaum-Bündnis: Vor Monaten, im Verlauf des Treffens mit dem PRC erklärte sich die Mitte-Linke feierlich bereit das Referendum – unabhängig von der Abstimmungsentscheidung – als Fakt an sich und als positive Gelegenheit zur Ausübung von Demokratie aufzuwerten. <Der Olivenbaum-Spitzenkandidat> Rutelli gab eine in diesem Sinne sehr deutliche Erklärung ab. “Leider ist diese Möglichkeit mittlerweile kompromittiert”, merkt Bertinotti an. Was die Dinge anbelangt, die Cofferati sagt, wäre es gut die Frage beiseite zu lassen, wer hier wen spaltet. “Gerade Cofferati hat dieselbe Behandlung erfahren als er im vergangenen Jahr gegen den Pakt für Italien <d.h. dem italienischen Gegenstück zum “Bündnis für Arbeit” in Deutschland> opponiert hat. Damals sind alle möglichen Anschuldigungen gegen ihn erhoben worden, den Bruch zwischen den Gewerkschaften zu begünstigen und sogar zu wollen. Es gibt immer jemanden, der – wenn Du einen Vorschlag machst oder eine Initiative ergreifst – bereit ist, Dich zu beschuldigen, die Front zu spalten. Das ist eine etwas zu simple Erwiderung, wie selbst Sergio zugeben müßte. Oder nicht ?”


Unabhängig von allem, hat Dich die Erklärung des Präsidenten von <dem politisch-kulturellen Zusammenschluss um das Monatsmagazin der DS-Linken> “Aprile” erstaunt ?


“Nein, leider hat es mich nicht erstaunt. In diesen letzten 1 ½ Jahren hat Cofferati sicherlich außerordentliche Dinge getan: Er hat die CGIL mit Nachdruck gegen den Krieg positioniert und so zu einer innovativen Option des Olivenbaum-Bündnisses beigetragen. Er hat den Artikel 18 zum Paradigma einer umfassenderen Auseinandersetzung zwischen den Rechten der Werktätigen und den gemeinen Gründen der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen gemacht. Dieser Letztere war ein Kampf, der – das darf nicht vergessen werden – am 23.März 2002 drei Millionen Menschen auf die Straße gebracht hat. Auf diesem seinem mutigen Weg sind allerdings zwei Fragen von entscheidender Bedeutung niemals zur Diskussion gestellt worden.”


Welche ?


“Einerseits die programmatische Anlage der Mitte-Linken, die auch in den Augenblicken der intensivsten sozialen Mobilisierung von Cofferati in ihren substantiellen Koordinaten beibehalten worden ist. Andererseits das Mehrheitswahlrecht. Auch dieses wurde als positiver und unumkehrbarer Mechanismus akzeptiert.”


Aber was ist der Zusammenhang zwischen diesen Entscheidungen und der Stimmenthaltung beim Referendum ?


“Meines Erachtens besteht da ein ziemlich zwingender Zusammenhang. Beginnen wir bei dem vielleicht weniger offensichtlichen: Dem Mehrheitswahlrecht im Unterschied zum Verhältniswahlrecht (bei dem die Durchlässigkeit des politischen Systems per Definition sehr viel höher ist). Es läßt weniger von den Bewegungen oder den öffentlichen Meinungen durchdringen. Die Mehrheit, die die Wahlen gewonnen hat, kann in jeder einzelnen Frage die ‚Vollmacht‘, die sie für die Bildung der Regierung erhalten hat, also die Anzahl ihrer Parlamentssitze zur Geltung bringen. Das passiert auch dann, wenn diese Mehrheit nicht über eine Massenzustimmung verfügt oder sich im Volk sogar in der Minderheit befindet, wie man das beim Krieg erlebt hat. Deshalb hat ein Instrument wie das Referendum faktisch eine kritische Funktion gegen die Übermacht des Systems. Und es wird zu einem Gegenmittel gegen die Diktatur der Mehrheit. Es ist für die Opposition unter einem Mehrheitswahlrecht die einzige Möglichkeit “Gesetze zu erlassen”. Was hingegen den Kern des Problems anbelangt, so habe ich bei Cofferati keinen wirklichen Bruch mit dem sozio-ökonomischen Ansatz des Olivenbaum-Bündnisses (von der Lohnpolitik bis zur öffentlichen Intervention in die Wirtschaft) gesehen. Gerade von diesem Bruch sind hingegen die Initiatoren des Referendums ausgegangen. Was ist die Referendumsfrage in bezug auf den Artikel 18 anderes als der zusammengefaßte Überdruß über die reale Situation der Flexibilität, Prekarität und Zersplitterung, die der Arbeit aufgezwungen wurde ? Als der erste Stein einer kritischen Antwort zugunsten der Rekonstruktion einer Arbeitermacht, die auf unveräußerlichen und individuell nutzbaren Rechten basiert.”


Ich versuche zusammenzufassen: Cofferati – und die Mitte-Linke – gehen zum Referendum auf Distanz, weil sie eine wirklich kritische Revision ihrer allgemeinen Strategie nicht in Angriff nehmen können oder wollen. Diese Position gerät jedoch in Widerspruch zu einem großen Teil des “linken Volkes” und zu den Bewegungen, die im Olivenbaum-Bündnis bislang ihren politischen Bezugspunkt oder Horizont gesehen haben. Liege ich damit falsch ?


“Du liegst nicht falsch. Trotz dieser wiederholten Aufrufe, es scheitern zu lassen, behält das Referendum einige Siegchancen. Seine Stärke liegt genau im Gegensatz zu dem, was die Führer der Linksdemokraten (DS) und des Olivenbaum-Bündnisses sagen: in seinen Inhalten, jenen expliziten und sozusagen direkten und jenen, die es – als Basis eines neuen Oppositionsprogrammes und seiner <neuen> linken Identität – nach sich zieht.”


Welches ist die einfache Idee, die dem zugrunde liegt, d.h. welches ist der “Hebel” dieser möglichen Rekonstruktion ?


“Jeden einzelnen Werktätigen mit einem Gepäck an Rechten auszustatten, das er überall hin mitnehmen kann, wo er hingeht oder hinzieht. Eine Art von Ausstattung, die niemand (kein padrone und keine äußere Macht) infrage stellen kann. Die so (und nicht in dem ausweichenden und deklamatorischen Sinne, in dem sie oftmals gesehen wurden) verstandenen Arbeitsrechte gehören zur gegenwärtigen sozialen und Klassenzusammensetzung wie der Lohn zum Fordismus der 60er Jahre gehörte. Übrigens, die Referendumsfrage zum Artikel 18 stellt sich als eine nicht zufällige Vermittlung zwischen ‚politischer Vernunft‘ und ethischer Vernunft dar. In diesem Sinne ist sie wirklich das Kind der Bewegung. Sie hätte nicht vorgeschlagen werden können, wenn es nicht die Phase der Bewegungen gegeben hätte. Es genügt die Liste der Subjekte durchzugehen, die es initiiert haben und die sich ihm (von der CGIL bis zur ARCI) angeschlossen haben, um eine Art von ‚Plan‘ mit den Grenzen der Bewegung zu bekommen.”


Warum sprichst Du von “ethischer Vernunft” ?


“Ich denke da an die wichtigste Motivation des Referendums: diejenige das Thema der unteilbaren Würde des Arbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, die deshalb als solche konkret auf Alle ausgedehnt werden muß. So wie der Arbeitsmarkt heute funktioniert, kann diese Forderung nur von denjenigen vorgebracht werden, die eine Arbeit haben. Das bedeutet durchaus nicht – wie die Verleumder des Referendums sagen – daß die mögliche Ausdehnung des Artikels 18 die weniger Garantierten (wie die atypisch und prekär Beschäftigten, die Scheinselbständigen usw.) davon ausschließt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Es stärkt den Kampf all derjenigen enorm, die heute ohne Rechte dastehen. Genauso wie es den Artikel 18 insgesamt verteidigt. Wenn es nicht so wäre, wäre es nicht zu begreifen, warum sich in allen Umfragen Arbeitslose sowie Schüler und Studenten (zusammen mit Facharbeitern und Lehrern) als die überzeugtesten Unterstützer des Referendums erweisen.”


Und die “politische Vernunft”, d.h. die Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf die das Referendum anspielt ? Laut Cofferati (aber nicht nur) würde der Sieg des Ja zu einem Debakel der kleinen und sehr kleinen Unternehmen führen...


“Das ist eine echte propagandistische Dummheit. Diese Gleichsetzung von Kleinunternehmen und Handwerk ist nicht nur unbegründet, sondern bringt die Handwerker in Schwierigkeiten. Wenn wir versuchen darüber nachzudenken, warum es in Italien die Krise des Großunternehmens gibt und warum die staatliche Industrie (und mit ihr die wissenschaftliche Forschung) abgebaut wurde, müssen wir feststellen, daß weder das Eine noch das Andere noch notwendig sind. Sie sind in einem ganz und gar auf hohe Flexibilität und niedrige Löhne aufgebauten kapitalistischen Modell nicht mehr dienlich. So neigt im Kleinunternehmen, das oftmals ein zentraler Ort für die Innovationskapazität und die Beziehung zur territorialen Umgebung war, die Tendenz zur Bewältigung der ‚ökonomischen‘ Konkurrenz über die Verringerung der Arbeitskosten dazu sich zu bestätigen. In der Praxis wird eine Dezentralisierung der Produktion verwirklicht, die die Lohnsituation stark verschlechtert und diese Verschlechterung für alle Produktionsentscheidungen zur Bedingung macht. Es wird notwendig einen Damm dagegen zu errichten: eine neue soziale Rigidität, die in der Lage ist die industrielle Entwicklung in eine andere Richtung zu treiben und die gegenwärtigen Tendenzen der Gesetzgebung umzukehren. (Siehe den separaten Metalltarifvertrag <den die Branchengewerkschaften der rechteren Bünde CISL und UIL jüngst im zweiten Jahr hintereinander gegen die größte Metallergewerkschaft FIOM-CGIL abschlossen>, der eine Vorform der Beseitigung des nationalen Tarifvertrages und die vollständige Individualisierung des Arbeitsverhältnisses darstellt.) Die von der Regierung eingesetzte Kommission arbeitet bereits in diese Richtung. Aber welche Waffe haben wir bei einem Parlament mit Mitte-Rechts-Mehrheit zur Verfügung, um ein anderes Gesetz durchzusetzen, wenn nicht das Referendum ? Und wie schaffen wir es, uns vom Neoliberalismus zu befreien, wenn wir keinen vom Unternehmen und vom Markt autonomen Standpunkt wiederherstellen, der in den letzten 20 Jahren in fortschreitendem Maße verloren gegangen ist ? Das Referendum ist auch dies: Eine Schwelle festzulegen, über die die Forderungen der Konkurrenzfähigkeit nicht hinwegkommen. Wo es die Arbeit ist, die das diktiert, was Claudio Napoleoni ‚interne Bindung‘ nannte. Sie sagen uns: Aber warum wollt Ihr die Rückkehr <eines Entlassenen> an seinen Arbeitsplatz und nicht die finanzielle Entschädigung ? Das ist dieselbe Logik mit der sich die Arbeiterbewegung viele Jahre lang die Gesundheit in Geld hat ‚auszahlen‘ lassen. Dann – 1968/69 – kam die Ablehnung <der Vorstellung> auf, aus der Gesundheit eine Tauschware unter anderen zu machen. Eine ähnlich Rolle kommt heute dem Artikel 18 zu: Einen weiteren Teil der eigenen Arbeitsintegrität ‚der Geldform zu entziehen‘ <im Original: “zu entmonetarisieren”> und so auf eine andere ökonomische Logik hinzuweisen.”


Eine letzte Frage: Cofferati und das Olivenbaum-Bündnis bekräftigen gerade in diesen Tagen die zentrale Rolle ihres Kampfes gegen die Mitte-Rechte. Warum nehmen sie nicht die außerordentliche Gelegenheit wahr, die das Referendum bietet ? Warum scheinen sie kurioserweise <der Gelegenheit gegenüber> gleichgültig, Berlusconi auf diesem Wege, wie auch immer, einen Schlag zu versetzen ?


“Aus demselben Grund, der uns strategisch trennt. Auf die Frage, ob man den Neoliberalismus von innen heraus verbessern kann oder ob er hingegen durch eine in radikaler Weise alternative Politik besiegt werden muß, wählt das Olivenbaum-Bündnis die erste Variante. Für die Mitte-Linke und für Cofferati muß Berlusconi daher auf dem Gebiet des Regimes, das er sich vorstellt und nicht in bezug auf die konkreten wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen, die er vorhat, bekämpft werden. Das ist die alte These von der ‚Pathologie‘, von der man sich befreien müsse...”


Als würde man sagen: Sie wollen die Rechten bekämpfen, aber sie nicht besiegen bzw. die Rechte bekämpfen und nicht ihre Politik.



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover