Neonazis gewinnen Parlamentsmandate.
Bei den Kommunalwahlen in den sechs Bundesländern Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Sachsen, den Wahlen zum Thüringer Landtag und zum europäischen Parlament errangen Neonazis erstmals großflächig Parlamentsmandate.

Obwohl sie in ihrer Propaganda, ihrem großen Vorbild NSDAP nacheifernd, die parlamentarische Demokratie verhöhnen, feiern die Neonazis nun ihre Mandatsgewinne. Schließlich hat die Wahl zum europäischen Parlament und dem thüringischen Landtag ihnen für die nächsten fünf Jahre staatliche Zuwendungen beschert, die in Millionenhöhe liegen und bei den kommenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2006 für antisemitische, rassistische und völkische Propaganda eingesetzt werden können.


Die NPD erreichte bundesweit insgesamt 71 kommunale Mandate, davon 44 im CDU-regierten Sachsen. Im folgenden die Ergebnisse der stärksten neofaschistischen Parteien nach Bundesländern geordnet.


In Baden-Württemberg konnten sich "Die Republikaner" (REP) trotz leichter Verluste behaupten. In der Landeshauptstadt Stuttgart zogen die REP mit etwas über 4% der Stimmen und zwei Mandaten in das Kommunalparlament ein. Neben dem Parteivorsitzenden Dr. Rolf Schlierer wird der bisherige Mandatsträger Dieter Lieberwirth in Stuttgarts Stadtparlament sitzen. In Heilbronn behielten die REP den Fraktionsstatus bei einem Ergebnis von rund 8%. In Villingen- Schwenningen erreichte die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" 6,1% der Stimmen.
In Mecklenburg-Vorpommern zog die NPD, die nicht überall kandidierte, in die Kreistage von Ludwigslust (2 Sitze), Müritz (1 Sitz), und Ostvorpommern (2 Sitze) sowie in den Stadtrat von Anklam (1 Sitz), Ludwiglust (1 Sitz) und von Stralsund (2 Sitze) ein.


In Rheinland-Pfalz gewannen "Die Republikaner" überall dort Mandate, wo sie auch angetreten waren. Auffällig sind die Ergebnisse in der Landeshauptstadt Mainz mit 7,3% (4 Sitze), in den kreisfreien Städten Pirmasens mit 10,2% (5 Sitze) und Ludwigshafen mit 8,7% (5 Sitze). In Speyer erreichten die REP 5% (2 Sitze), in Idar-Oberstein 3,1% (1 Sitz), Bad Dürkheim 5,4% (2 Sitze), Germersheim 8,6% (3 Sitze), Schifferstadt 5% (2 Sitze), Frankenthal 4,7% (2 Sitze). In den Kreistagen von Bad Dürkheim, Germersheim und Rheinland-Pfalz sind die REP jeweils mit 2 Sitzen vertreten. Bis auf wenige Ausnahmen konnten die REP in Rheinland-Pfalz Zugewinne für sich verbuchen.


Im Saarland erzielte die NPD einige spektakuläre Wahlerfolge. In der Industriestadt Völklingen, wo der Landesvorsitzende Peter Marx antrat, übersprangen die Neonazis die Fünf-Prozent-Hürde deutlich mit 9,6% (5 Sitze). Marx drohte nach diesem Erfolg für die Landtagswahlen in September mit der Möglichkeit, die NPD mit einer offenen Liste kandidieren zu lassen. Bei der Stadtratswahl hatten ehemalige Funktionäre des "Bund Freier Bürger" und der REP auf vorderen Plätzen der NPD-Liste kandidiert.


Bei den Wahlen zum Stadtverband und zum Stadtrat Saarbrücken konnte die NPD jeweils 4,4%, im Bezirksrat Halberg 5,8% (1 Sitz) erreichen. In der Völklinger Innenstadt lag die NPD bei bis zu über 26% der Stimmen. In Sachsen-Anhalt gelang der NPD in Halle und Quedlinburg der Einzug in das Kommunalparlament mit 1,8% bzw. 2,8% und jeweils 1 Sitz. Außerdem werden die Neonazis künftig in den Kreistagen vom Burgenlandkreis (2 Sitze) und von Aschersleben- Staßfurt (1 Sitz) vertreten sein. In Sachsen-Anhalt trat die NPD nur vereinzelt an.


Im CDU-regierten Freistaat Sachsen schossen die Neonazis den Vogel ab. In Dresden schaffte das von der NPD dominierte "Nationale Bündnis", das sich im Wesentlichen aus ehemaligen Funktionären der REP, aus "Deutsche Volksunion" (DVU)- und "Deutsche Partei" (DP)-Kadern sowie Mitgliedern der Vertriebenenorganisation "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO) zusammensetzt, mit etwas über vier Prozent den Einzug in den Stadtrat. Künftig werden die NPD-ler Holger Apfel und Hartmut Krien und der frühere Kreisvorsitzende der Republikaner, Wolfgang Schwarz dem Stadtrat von Dresden angehören. Allerdings war das Wahlbündnis in Chemnitz aus Republikanern, der "Deutschen Sozialen Union" (DSU), der NPD und der DP mit 10,3% und 5 Sitzen wesentlich erfolgreicher. Der Republikaner und Burschenschafter Martin Kohlmann war bislang alleine im Chemnitzer Stadtrat. Er wurde überregional bekannt, als er unter der Regie von Christoph Schlingensief im Zürcher Schauspielhaus bei einer Hamlet-Aufführung, einem sogenannten Aussteiger-Projekt, zusammen mit anderen Rechtsradikalen auf der Bühne stand. Er zeichnete u.a. für einen rassistischen Flyer der REP verantwortlich, der zu den Wahlen am 13. Juni 2004 bundesweit verteilt wurde.


Bei der Kreistagswahl in der Sächsischen Schweiz erhielt die NPD 9,1% (5 Sitze), im Muldentalkreis 5,8% (3 Sitze), im Landkreis Meißen-Radebeul 5,1% (3 Sitze), im Landkreis Freiberg 3% (1 Sitz) und im Landkreis Chemnitz-Land 1,7% (1 Sitz). Bei der Stadtratswahl in Meißen schaffte die NPD 9,6% (2 Sitze), in Annaberg 9% (2 Sitze), in Wurzen 11,8% (3 Sitze), in Riesa 9% (2 Sitze), in Freiberg 5,3% (2 Sitze), in Trebsen 11,7% (1 Sitz), in Sebnitz 13,2% (2 Sitze). Bei den Gemeinderatswahlen in Großrückertswalde erzielte die NPD 15,6% (2 Sitze), bei den Ortsratswahlen in Ostrau 18,8% (1 Sitz). Die höchsten NPD-Stimmenanteile gab es bei den Stadtratswahlen in Königstein mit 21,1% (3 Sitze) und bei der Gemeinderatswahl in Reinhardtsdorf- Schöna mit 25,4% (2 Sitze).


Bei der Direktwahl des Bürgermeisters im hessischen Schlüchtern erreichte der Kandidat der REP Frank Marhauer (46) mit 16,2% das drittbeste Ergebnis, wobei er im Ortsteil Kessenbach 40% der Stimmen erhielt.

Warum gewinnen die Neonazis Stimmen?


Als Gründe für die Erfolge der Neonazis werden in den Medien insbesondere die niedrige Wahlbeteiligung als Folge einer Parteien- und Politikverdrossenheit genannt. Zutreffend an der Argumentation ist der nicht zu widerlegende Fakt, dass die Hälfte der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Neben der Parteienverdrossenheit muss auch die Ablehnung der augenblicklichen Politik des Sozialabbaus und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Unten nach Oben erwähnt werden. Eine Alternative zu dieser Politik bietet keine parlamentarische Partei. Selbst die sich als Wahlsiegerin feiernde PDS verliert dort WählerInnen, wo sie sich in der Regierungsverantwortung an der "Reformpolitik" beteiligt. Der höhere prozentuale Gewinn bei den Wahlen mag dann auch die Folge der geringen Wahlbeteiligung sein, der Gewinn an absoluten Stimmen zeigt aber, dass die Neonazis an Zustimmung in der Bundesrepublik dazu gewonnen haben. Die Annahme, dass der Protest gegen die herrschende Politik automatisch nach links tendiere, war schon in der Weimarer Republik falsch. Die Sieger der letzten Wahlen sind die Unionsparteien. Stimmenverluste der beiden großen Volksparteien kamen in erster Linie den Parteien zugute, die sozialpolitisch ein stärkeres neoliberales Profil aufweisen, vor allem den Grünen und der FDP.


Hinzu kommt, dass die höchsten Erfolge der Neonazis in CDU regierten Bundesländern erreicht wurden, in denen bekanntermaßen die staatlichen Mittel für antirassistische und antifaschistische Projekte zusammengestrichen wurden. Bei den Landtagswahlen in Thüringen konnten die Neonazis nicht ganz das Niveau der Stimmen bei der Europawahl erreichen; "Die Republikaner" bekamen hier 2,0% (Europawahl: 2,2) und die NPD 1,5% (Europawahl: 1,7). Beide Parteien haben allerdings gegenüber der letzten Landtagswahl ihre Ergebnisse erhöht. Die Differenz der Ergebnisse zwischen Landtags- und Europawahl in Thüringen und zwischen Kommunal- und Europawahl in Sachsen legt die Interpretation nahe, dass die Europawahl vor allem als Protestwahl zu verstehen ist. Wahlen zu Landes- und Kommunalparlamenten zeigen an, dass Neonazis in einigen Regionen und Kommunen z.B. in Sachsen, sich möglicherweise als ernst zu nehmende politische Kraft zu etablieren und das Potenzial der seit vielen Jahren von der Wissenschaft festgestellten Wählerschaft mit geschlossenem rechtsextremen Weltbild zu mobilisieren beginnen.

Militante Neonazis als brave Demokraten?


Unter den neonazistischen MandatsträgerInnen sind etliche Personen anzutreffen, die Kontakte zu der militanten Neonaziszene haben oder selbst als militant anzusehen sind. Der neue Dresdner Stadtrat Holger Apfel fungierte seit Ende der 1980er Jahre als Mittelsmann der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) bzw. der NPD zu den militanten Nazikadern Worch und Wulff, der Stadtrat Jürgen Günz aus Riesa war beim Rudolf-Hess-Gedenkmarsch für eine funktionierende Infrastruktur mitverantwortlich. Das Engagement von Uwe Leichsenring aus Königstein beim Aufbau der inzwischen verbotenen "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) ist hinlänglich bekannt. Es verwundert auch niemanden, dass unter den NPD-Kandidaturen für die Kommunalwahlen in Sachsen etliche Personen angeführt sind, die unmittelbar mit der SSS zu tun hatten wie beispielsweise Carmen Steglich und der 50-jährige Klempnermeister Michael Jacobi, in dessen Garage nach einem Bericht der "Dresdner Neueste Nachrichten" das LKA auch schon Waffen und Sprengstoff fand und der jetzt für die NPD im Gemeinderat Reinhardtsdorf-Schöna sitzt. Beim "nationalen Bündnis" in Dresden finden sich Anti-Antifa-Aktivisten wie Sven Hagendorf und Alexander Kleber, der einen Tag vor der Wahl die Gegenkundgebung zu einer Demo der Antifa aus Pirna angemeldet und durchgeführt hat, bei der zur Gewalt aufgerufen wurde. Im Landkreis Freiberg zog mit Sandro Kempe der Begründer der "Kameradschaft Norkus" in den Kreistag. Kempe spielt auch den "Hausmeister" für das avisierte "Deutsche Haus Erzgebirge" des ehemaligen NPD-Vorsitzenden und Holocaust-Leugners Günter Deckert, der nun aus dem Hintergrund auf die Kommunalpolitik in Freiberg Einfluss nehmen kann. Im mecklenburg-vorpommerschen Anklam erzielte mit Michael Andrejewski (NPD) der Mann mit 8% die zweit meisten Stimmen, der als stellvertretender Vorsitzender der "Hamburger Liste für Ausländerstopp" (HLA) im Vorfeld der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen 1992 Flugblätter mit "Rostock bleibt deutsch" verteilte.

Was tun?


Die Reaktion auf die Wahlerfolge der Neonazis fällt unterschiedlich aus. Während der Oberbürgermeister von Pirna, Markus Ulbig (CDU), massiven Widerstand gegen die Neonazis ankündigt, legt die Oberbürgermeisterin aus Freiberg Dr. Uta Rensch (SPD) Wert auf die Feststellung, dass alle Parteien demokratisch gewählt seien und dementsprechend mit ihnen umgegangen werden muss. Der CDU-Kreisvize in Ostvorpommern, Herbert Kautz, will die NPD auf keinen Fall als Partner behandeln. Der dortige PDS-Kreisvorsitzende Lars Bergemann möchte zunächst alle demokratischen Gruppen zu einem Gespräch über den Umgang mit der NPD einladen, während der SPD-Kreisvorsitzende die NPD nicht per se ausgegrenzt wissen will. Der Bürgermeister von Reinhardtsdorf-Schöna, Arno Suddar (CDU), vertrat sogar die Auffassung, dass mit den neonazistischen Mandatsträgern besser zusammenzuarbeiten sei als mit den PDS-Mitgliedern. Ignorieren, Tolerieren oder gar Zusammenarbeit mit den Neofaschisten dürften jedoch keine geeigneten Mittel sein, um möglichen weiteren Erfolgen der Neonazis bei kommenden Landtagswahlen z.B. im Saarland und in Sachsen im September vorzubeugen.



Die neofaschistischen Parteien NPD und DVU haben sich geeinigt, bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen nicht gegeneinander anzutreten. In einer von den Vorsitzenden der Parteien Gerhard Frey (DVU) und Udo Voigt (NPD) unterzeichneten Erklärung wird als Ziel der Einzug in die beiden Länderparlamente im September diesen Jahres genannt. Dafür soll die DVU in Brandenburg und die NPD in Sachsen antreten. Mit der Begründung für die Vereinbarung, der| angeblich, „zunehmenden Überfremdung und der sozialen Verarmung der Deutschen", werden wohl auch die Inhalte der Wahlkampagne umrissen sein.