Fakten und Einschätzung zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion
Mit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ist das
schon so eine Sache: Da steht sie nun unmittelbar vor der Tür, aber kaum
jemand weiß so richtig, was da nun ganz genau auf uns zukommt. Zwar können
wir uns an zwei Fingern abzählen, daß es sich wohl um nichts Gutes
handeln kann, doch fallen den meisten Linken, wenn sie sich denn überhaupt
mal dazu äußern, meist nur die altbekannten Argumente von der
Festung, dem Überwachungsstaat und der Streitmacht Europa ein, um danach
wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wichtige Argumente, aber auch alte
Argumente für neue Dinge, die hauptsächlich darauf abzielen, zu
beweisen, daß die europäische Union genauso nationalistisch wird wie
es der deutsche Nationalstaat ist, während Regierung und Kapital hohnlächelnd
jeden als Nationalisten beschimpfen, der sich gegen dieses Europa auszusprechen
wagt. Eine dumme Lage, zumal die diesbezüglichen Interessen und Sorgen der
hier lebenden arbeitenden und arbeitslosen Menschen mal wieder so gut wie gar
nicht tangiert werden und das soziale Katastrophenprogramm WWU derweil recht
ungestört vorbereitet werden kann. Höchste Zeit und Grund genug also,
an dieser Stelle einen zumindest etwas eingehenderen Blick auf das zu werfen,
was uns da im Namen der Völkerverständigung um die Ohren gehauen wird.
Die Bemühungen, einen einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraum
in Europa zu installieren, sind keineswegs neu und lassen sich, wenn auch in
abgeschwächter Form, bis in die direkte Nachkriegszeit zurückverfolgen.
Sie beschreiben eine Abfolge immer neuer Abkommen und deren immer
wiederkehrendes Scheitern, welche vorläufig in dem Zusammenbruch des Europäischen
Währungssystems (EWS) im September 1992 mündet.
Trotz dieser Mißerfolge haben die Staats- und Regierungschefs der
damaligen EG in ihrem 1991er Abkommen über die Installierung einer WWU im
Maastrichter Vertrag ein Projekt in Gang gesetzt, das in seinen Ausmaßen
weit über das kurz zuvor gescheiterte Konzept des EWS hinausgeht. Handelte
es sich bei diesem Übereinkommen noch um ein System fest vereinbarter
Wechselkurse, deren Stabilität auch durch die gegenseitige Verpflichtung
der Nationalbanken zu Stützungskäufen von akut gefährdeten Währungen
gewährleistet wurde, so sollen nun im Rahmen der bevorstehenden WWU die Währungen
sämtlicher Teilnehmerländer durch eine einheitliche Euro-Währung
ersetzt, die Geld- und Kapitalmärkte vollständig liberalisert (d.h.,
daß sämtliche Handelshemmnisse, wie Zölle, direkte und indirekte
Steuern, und Einfuhrbeschränkungen - zu großen Teilen auch
Subventionen - abgebaut werden) und die geldpolitischen Souveränitätsrechte
der jeweiligen nationalen Notenbanken auf die einheitliche Ebene des Europäischen
Systems der Zentralbanken (ESBZ) übertragen werden.
Angesichts des erwähnten Scheiterns bisheriger ökonomischer
Integrationsversuche innerhalb der EG und der noch zu benennenden
Schwierigkeiten, die die Installierung einer WWU mit sich bringt, wirft das
beharrliche Festhalten der beteiligten Regierungen an diesem Projekt die Frage
auf, welche konkreten Interessen sich denn von seiten des westeuropäischen
Kapitals dahinter verbergen.
Grundsätzlich lassen sich in diesem Zusammenhang die drei folgenden
Motive unterscheiden:
Offensichtlich überwiegen zumindest für die dominanten Fraktionen
des europäischen Kapitals diese Vorteile die Nachteile, die sich aus dem
Abtreten finanzpolitischer Souveränitätsrechte der nationalen
Notenbanken ergeben. Diese Defizite werden jedoch durchaus gravierende Folgen für
die ökonomische und soziale Entwicklung der jeweiligen Länder haben.
Ein genereller Produktivitätsrückstand oder Konjunktureinbruch ließ
sich z.B. bislang durch eine Abwertung der jeweiligen Währung ausgleichen,
was zwar zu negativen Leistungsbilanzen aber auch zu einer verbesserten
Wettbewerbsposition durch die relative Verbilligung der eigenen Produkte führte.
Durch den Wegfall dieser Korrekturmöglichkeit läßt sich ein
vergleichbarer Effekt jedoch nur durch ein Senken der Löhne erreichen. Darüber
hinaus lassen sich die benannten Wettbewerbsvorteile aus der Sicht des Gros der
westeuropäischen Kapitalisten nur dann realisieren, wenn alle teilnehmenden
Länder eine relative Konvergenz in bestimmten ökonomischen Basisdaten
aufweisen. Die Notwendigkeit einer derartigen Übereinstimmung gründet
sich auf den Anspruch vor allem der Hartwährungsländer in der EU, die
eigene Währung nur dann zugunsten der eines Euro aufgeben zu wollen, wenn
dieser eine vergleichbare Stabilität aufweist. Nun richtet sich die
Stabilität einer Währung nicht allein nach der Inflationsrate
innerhalb des jeweiligen Währungsgebietes, sondern ist auch davon abhängig,
welches Vertrauen diesem Geld auf den internationalen Finanzmärkten
entgegengebracht wird. Herrscht also bspw. auf den Finanzmärkten die
Meinung vor, daß Staatsanleihen eines bestimmten Landes (die als Schulden
wie Geld gehandelt werden) aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in vollem Umfang
zurückgezahlt werden können, so sinkt der Kurs des jeweiligen Papiers
und damit auch der der Währung. Deswegen wird die Möglichkeit zur
Entwicklung einer stabilen Euro-Währung nicht nur von einer relativen
Konvergenz der Inflationsraten, sondern auch von der des Haushaltsdefizits, der
Staatsverschuldung und des Kapitalmarktzinses3 abhängig
gemacht.
Nachdem die Geld- und Kapitalmärkte innerhalb der EU bereits seit dem
1.6.1990 (mit Ausnahme der südlichen Länder) vollständig
liberalisiert sind, startete am 1. 1. 1994 vertragsgemäß die zweite
Stufe zur Etablierung der WWU, in der die Konvergenz der verschiedener ökonomischer
Kriterien bei einem gleichzeitigen totalen Verbot der Finanzierung des öffentlichen
Sektors durch Notenbankkredite von den potentiellen Teilnehmerländern
erreicht werden soll. Dazu sind im Vertrag von Maastricht die folgenden
Richtwerte (Konvergenzkriterien) vorgesehen:
Der in Maastricht beschlossene Fahrplan zur WWU sieht nun im weiteren
folgendes vor: Bis Ende 1998 soll entschieden werden, welche Länder die
Konvergenzkriterien erfüllen und unter Ausschluß aller somit nicht
qualifizierten Länder beginnt die WWU am 1.1.1999.4
Mit dieser Regelung haben sich die Regierungen der EU-Länder selbst
massiv unter Druck gesetzt, denn es sieht kaum so aus, als könne es unter
diesen Bedingungen zur Konstituierung eines Währungsraumes kommen, den
mensch auch nur im weitesten Sinne mit der Überschrift einer Europäischen
Union in Zusammenhang bringen kann. Bei einer strikten Auslegung dieser
Konvergenzkriterien kommt derzeit nämlich nur Luxemburg für die
Teilnahme an der WWU in Frage. Zwar könnten auch die Bundesrepublik,
Frankreich, die Niederlande und eventuell auch Großbritannien die
Konvergenzkriterien erfüllen, das Gros der anderen EU-Staaten ist
allerdings derart weit von der Erfüllung dieser Auflagen entfernt, daß
ein Beitritt zur WWU vollkommen unmöglich erscheint. So weisen z.B.
Italien, Belgien und Griechenland Staatsverschuldungsquoten von über 100%
auf, was z.B. im Falle Belgiens ein Einfrieren jeglicher öffentlicher
Ausgaben für ein ganzes Jahr erfordern würde. Dazu kommt, daß
unter dem Eindruck der ökonomischen Krise keineswegs von einer Annäherung
an die Konvergenzkriterien gesprochen werden kann: Blieben 1990 immerhin neun
EU-Länder unter dem Defizit von 3% oder erwirtschafteten einen Überschuß,
so schaffen das heute nur noch drei Staaten. Gleiches gilt für die gesamte
Staatsverschuldung, die sich von durchschnittlich 56% des BIP im Jahre 1991 auf
71% (1996) ausgeweitet hat.
Da ein striktes Einhalten des Fahrplans zur WWU nun also offensichtlich zu
einer WWU von nur ein bis drei Ländern führen würde, liegt es auf
der Hand, daß von der Perspektive der Installierung eines breiten Währungsraums
noch in diesem Jahrtausend zumindest unter diesen Bedingungen abgerückt
werden muß. Hierzu bieten sich die folgenden Entwicklungsmöglichkeiten
an:
Die erste Möglichkeit bestünde in einem Aufschieben des Datums für
den Eintritt in die dritte Stufe zur WWU. Diese Option erscheint allerdings sehr
fraglich, da die restriktive Politik, die die Regierungen und Zentralbanken der
EU-Länder in bezug auf die Erfüllung der Konvergenzkriterien verfolgen
grundsätzlich eher zur Verlängerung der Rezession beiträgt und
daher auch die Einhaltung der beschriebenen Richtlinien langfristig eher
behindert als befördert. Zur Begrenzung der Wechselkursschwankungen
verfolgen die Staaten bspw. eine Politik relativ hoher Zinsen, die sich
insgesamt negativ auf die Investitionsquote und damit auch auf das
Wirtschaftswachstum auswirkt. Dies führt zwangsläufig zu einer
weiteren Erhöhung der Arbeitslosigkeit, was wiederum Einahmen der öffentlichen
Hand mindert und zusätzliche Kosten verursacht.
Eine weitere Möglichkeit wäre das vor allem aus den Reihen der
deutschen CDU/CSU-Fraktion anvisierte Konzept eines Kerneuropa, dem zunächst
nur die wirtschaftsstärksten Länder der EU - vor allem Deutschland und
Frankreich - angehören sollen, um die sich die anderen EU-Staaten, die
verbliebenen EFTA-Staaten, die mittel- und osteuropäischen Staaten, die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die global über das Lomé-Abkommen
mit der EU verbundenen Länder des Südens im Sinne einer sich
konzentrisch erweiternden, vom Zentrum dominierten Peripherie gruppieren sollen.
Eine derartige Konzeption dürfte allerdings innerhalb der EU kaum
mehrheitsfähig sein und liefe auf eine vor allem ökonomische
Kraftprobe hinaus, die die Spaltungen innerhalb der EU wesentlich vertiefen würde.
Zudem stieße diese Variante auf die Schwierigkeit, daß damit ein
Kerngebiet mit einer verhältnismäßig harten Währung
geschaffen würde, das in jedem Fall einer massiven Konkurrenz durch die Länder
mit niedriger bewerteten Valuten ausgesetzt wäre. Dies würde z.B. die
französische Wirtschaft besonders hart treffen, deren Industrie sich
ohnehin einer sehr direkten Konkurrenz durch die Länder Italien und Spanien
ausgesetzt sieht.
Die letzte, wohl realistischste Möglichkeit ein generelles Scheitern
der WWU zu verhindern, bestände darin, die Konvergenzkriterien einfach
wesentlich weniger strikt auszulegen. Schließlich stellen die in den
Konvergenzkriterien festgeschriebenen Grenzwerte keineswegs eine natürliche
Grenze dar, bei deren Überschreitung der Euro seine Stabilität zwangsläufig
verlieren müßte. Es handelt sich hierbei vielmehr um relativ willkürlich
gebildete Richtlinien, die grundsätzlich keine Gewähr über die
zukünftige Akzeptanz dieser gemeinsamen europäischen Währung
darstellen. In welcher Weise sich nämlich der Euro nach der Vollendung der
dritten Stufe WWU entwickeln wird, hängt schließlich und endlich von
dessen Akzeptanz an den internationalen Finanzmärkten ab und ist damit ein
Prozeß, der naturgemäß nicht prognostiziert werden kann. Die
aufgestellten Konvergenzkriterien stellen also nichts anderes als Faktoren dar,
von denen angenommen wird, daß sie das Vertrauen der zahllosen
internationlen Anleger in eine gemeinsame europäische Währung beflügeln
werden.
Weil aber nun ein striktes Einhalten der Konvergenzkriterien zwangsläufig
zu einem Ausschluß sehr wesentlicher Länder wie Italien, Spanien und
wahrscheinlich sogar Frankreich führen würde, die WWU also zu einem
wesentlich kleineren Währungsraum, der sich ohne größere
Probleme bereits vor Jahren hätte einrichten lassen, werden würde,
erscheint es offensichtlich, daß das Interesse aller wesentlichen europäischen
Kapitalfraktionen an einer breiten WWU so groß ist, daß dafür
auch eine Aufweichung der Konvergenzkriterien in Kauf genommen wird. Dabei wird
jedoch nicht von der Maxime abgerückt, die Voraussetzungen für eine künftige
Entwicklung des Euro so stabil wie möglich zu gestalten, indem etwa die
Konvergenzkriterien bereits zu diesem Zeitpunkt aufgeweicht würden. Dies
spiegelt sich in einer widersprüchlichen Politik des Ecofin-Rats (Rat der
EU-Wirtschafts- und Finanzminister) wider, in deren Kontext einerseits offiziell
strikt an den Stabilitätskriterien festgehalten, andererseits aber über
die Einhaltung der für viele Länder offensichtlich unerfüllbare
Begrenzung der Staatsverschuldung kaum noch debattiert und gleichzeitig und
offenkundiges Frisieren der Haushaltsbilanzen mancher Länder (bspw. durch
regelwidrige Verschiebung der Schuldenpläne in die Zeit nach dem Start der
WWU) weitgehend toleriert wird. Es geht also offensichtlich darum, die WWU mit
so vielen Ländern wie möglich zu beginnen und gleichzeitig den Druck
zur Aufrechterhaltung der Konvergenzkriterien in größtmöglichem
Umfang aufrechtzuerhalten.
Zu erwarten ist unter diesen Bedingungen, daß 1999 eine Währungsunion
eingeleitet wird, an der Frankreich, die BRD, die Beneluxstaaten, Großbritannien,
Italien, Irland, Dänemark und möglicher Weise auch Spanien und
Portugal teilnehmen werden. Bis dahin wird jedoch alles versucht werden, sich
den aufgestellten Konvergenzkriterien so weit als möglich anzunähern.
Die Interessen der verschiedenen Regierungen an einer Sanktionierung des
Abweichens von den Konvergenzkriterien nach Beginn der WWU sind offensichtlich
sehr unterschiedlich. Sie haben auf so divergente öffentliche Interessen,
wie die Einführung einer mit der DM vergleichbaren harten Währung und
die Protestbewegungen gegen die Sparmaßnahmen u.a. in Frankreich und
Italien Rücksicht zu nehmen. All dies verweist darauf, daß die Einführung
des Euro im Jahre 1999 nicht dem Schaffen vollendeter Tatsachen gleichkommt,
sondern daß wir uns auf eine lange Phase ökonomischer und sozialer Kämpfe
einrichten müssen, in der sich die konkrete Gestalt des europäischen
Binnenmarktes erst noch herausbilden muß.
Auch wenn die Frage, mit welcher Konsequenz die Konvergenzkriterien
exekutiert werden und wieviele Zugeständnisse das Kapital bei der
Verwirklichung der WWU den sozialen Bewegungen in der EU macht, von deren Stärke
und nichtzuletzt auch von unserem Wirken als Linke abhängen wird, so lassen
sich doch die grundlegenden Auswirkungen der gemeinsamen Währung weitgehend
absehen. Daß die Bewertung dieser Auswirkungen aufgrund der gegensätzlichen
Interessen geringfügig voneinander abweicht, liegt dabei in der
Natur der Sache. Die Verkündigung des einigungserfahrenen Kanzlers und Ernährungsspezialisten
Dr. Helmut Kohl beispielsweise lautet: Erst mit der Wirtschafts- und Währungsunion
werde der Europäische Binnenmarkt mit mehr als 370 Millionen Menschen seine
positiven Wirkungen für Wachstum und Arbeitsplätze voll entfalten können.
Die pünktliche Einführung des Euro werde für den Standort
Europa wie ein Vitaminstoß wirken (SZ 31.12.96).
Genauer wollte er verständlicherweise nicht werden und sind es - mit
wenigen Ausnahmen - auch alle anderen bürgerlichen Politiker und
Kommentatoren in bezug auf die sozialen und politischen Auswirkungen der WWU
bisher nicht geworden. Zum Teil weil sie - in bester kapitalistischer Tradition
stehend - die Tragweite und die Auswirkungen ihres Tuns gar nicht übersehen
können, z.T. aber auch weil sie das, was sie an Auswirkungen abschätzen
können aus guten Gründen lieber für sich behalten. Hier liegt
auch der Grund für den erstaunlichen Vorschlag des deutschen Bundespräsidenten
Herzog den Euro durch Absprache der bürgerlichen Parteien aus dem
Wahlkampf 1998 herauszuhalten, denn es wäre eine
Katastrophe wenn der Euro zum Streitthema im Wahlkampf würde.
(SZ 17.12.96).
Ausgerechnet ein französischer Konzernchef, der Präsident von
Peugeot/Citroen, Jacques Calvet, erklärte in dankenswerter Offenheit warum
das eine Katastrophe wäre: Alles ist viel zu unklar und
liegt im Dunkeln. Würde man den Leuten sagen, wohin man will, bekäme
man keine Mehrheit. Die Bevölkerung ist erwachsen. (SZ 28.11.96) Daß
diese Offenheit aus der Angst um das Überleben des von ihm geführten
Konzerns und aus seiner politischen Nähe zum gaullistischen RPR resultiert,
ändert nichts daran, daß seine Feststellung ins Schwarze trifft. Sehr
interessant ist auch, was er - im Gegensatz zu Kohl - über die Wirkungen
der WWU zu sagen hat: Um die Voraussetzungen zur Teilnahme 1999 zu erfüllen,
müssen alle Länder - auch diejenigen, die nicht zum engsten Kreis gehören
- eine Politik der Defizitreduzierung und damit eine sehr strikte Währungspolitik
betreiben. Die Folge ist eine Quasi-Deflation oder Stagnation in Europa. Das hat
sehr negative Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation. Zum anderen
wird einem Währungsinstitut die Macht übertragen, die Währungspolitik
zu steuern. So ist die Banque de France, unsere nationale Notenbank, völlig
unabhängig. Es ist aber völlig undemokratisch, Beamten eine
Entscheidungsgewalt zu geben, die gewählten Mandatsträgern vorbehalten
ist. Das ist eine Mißachtung der vom Volk gewählten Mandatsträger.
Es bedeutet aber auch, daß Spezialisten, die immer dazu neigen auf ihrem
Gebiet die Klassenbesten sein zu wollen, die Währungspolitik bestimmen und
daß sie nur zu langsam die realen Zinsen senken werden. (SZ
28.11.96)
Mit einem solchen weitgehenden Verzicht auf Zinssenkungen der Zentralbanken
fällt neben den im Maastrichter Vertrag festgelegten engen Margen für
das klassische keynesianische deficit-spending (staatliches Schuldenaufnehmen um
damit subventionierte Arbeitsplätze zu schaffen bzw. antizyklische
Konjunkturförderung zu betreiben) auch das letzte Mittel der bürgerlichen
Ökonomie auf zyklische und strukturelle Krisen zu reagieren bzw. eine
funktionierende allgemeine Infrastruktur sicherzustellen weg. Nicht daß
wir dem bittere Tränen nachweinen, schließlich waren genau dies in
der Vergangenheit die wirkungsvollsten Mittel (nicht nur) sozialdemokratischer
Integrationspolitik, doch die Folge dessen wird eine deutliche Verschärfung
der ökonomischen und sozialen Krise des westeuropäischen Kapitalismus,
eine deutliche Dequalifizierung und Senkung des Lebensstandards großer
Teile der Bevölkerung, Verödung ganzer Regionen und eine tiefgreifende
Krise des Sozialreformismus samt seiner rot-grünen Parteien und
Gewerkschaften sein, die nach einer entsprechenden Antwort der revolutionären
Linken verlangt, wenn sie nicht wie z.B. in Österreich in eine massive Stärkung
des Rechtsradikalismus münden soll.
Selbstverständlich erfordert eine solche soziale
Entwicklung auch staatlicherseits eine wesentlich autoritärere
Vorgehensweise, um solche Maßnahmen durchzusetzen und abzusichern. Wir
stehen bei dieser Veränderung der politischen Landschaft zwar
erst am Anfang, doch die Ereignisse in Belgien im Mai 1996 gewähren bereits
erste Einblicke in die mögliche neue Praxis. Unter der Überschrift Kaltstellung
des belgischen Parlaments - Befristete Sondervollmachten für Premier
Dehaene berichtet die sicherlich keiner linksradikalen Neigungen verdächtige
Neue Zürcher Zeitung: Die Regierungsmehrheit im
belgischen Parlament hat sich am Montag damit einverstanden erklärt, daß
Premierminister Dehaene das Land in den nächsten anderthalb Jahren mit
Sondervollmachten regiert. Er wird per Verordnung wahrscheinlich sogar neue
Steuern beschließen können. Zur Rechtfertigung dieser
Parlamentsentmachtung wird der Maastrichter Vertrag über die europäische
Währungsunion angeführt. ... Den Bedenken der Opposition gegen diese
Aushölung der Demokratie stellte Dehaene die Versicherung entgegen, daß
das Parlament das letzte Wort behalte und die ergriffenen Maßnahmen im
Nachhinein debattieren und gutheißen dürfe. (NZZ 14.5.96) Die
NZZ berichtet auch wie es zu diesem denkwürdigen Beschluß, den die Süddeutsche
Zeitung im übrigen schlicht als Ermächtigungsgesetz
bezeichnete, kam: Nach der Ablehnung des Zukunftskontrakts zur
Beschäftigung durch die sozialistischen Gewerkschaften und dem Fiasko, das
die wallonischen Sozialisten auf den Kundgebungen zum 1.Mai erlebten, haben die
Regierungspartner vorerst keinen Bedarf an Öffentlichkeit mehr. Fazit
der liberalen Züricher Chronisten: Das Kaltstellen eines nationalen
Parlaments zur Erreichung des Euro-Ziels erscheint umso bedenklicher, als über
die mangelnde demokratische Legitimierung der EU-Institutionen stets geklagt
wird. (NZZ 14.5.96)
Diesem Urteil ist wenig hinzuzufügen. Die Tatsache, daß das
Europa-Parlament die einflußloseste Schwatzbude ist, die der bürgerliche
Parlamentarismus je hervorgebracht hat, wird selbst von seinen Anhängern
nicht bestritten. Es verfügt über ähnlich viele
Kompetenzen wie der Deutsche Reichstag unter Wilhelm II. Es muß dem von
den EU-Kommissaren vorgelegten Haushalt zustimmen, darf nach Lust & Laune
parlieren und wirkungslose Beschlüsse fassen sowie gelegentlich Anfragen an
die EU-Kommission richten. Über deren Politik und Zusammensetzung hingegen
wird auf den Sitzungen der europ. Ministerräte bzw. den Gipfeltreffen der
Regierungschefs entschieden. Wir erwähnen dies hier, im Gegensatz zu den
Klagen der Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen, nicht um die Einführung
der demokratischen Dimension in den europ. Einigungsprozeß zu
fordern, sondern um deutlich zu machen wie mit dieser kapitalistischen europäischen
Vereinigung - notwendigerweise - auch eine autoritäre Genesis der, ohnehin
eng begrenzten, bürgerlichen Demokratie verbunden ist. Der soziale Inhalt
verlangt halt nach geeigneten Organisationsformen.
Doch zurück zu den ökonomischen und sozialen Folgen der WWU. In
diesem Zusammenhang war schon öfter vom, seit 1992 existierenden,
EU-Binnenmarkt die Rede, insbesondere weil die Schaffung einer gemeinsamen
(west-)europäischen Währung von ihren Erfindern immer als notwendige
Vollendung des Binnenmarktes gesehen wurde und dies tatsächlich auch ist.5
Über einige der Auswirkungen dieses WWU-Vorläufers, der laut Kohl
erst mit der WWU ... seine positiven Wirkungen ... voll entfalten
wird (SZ 31.12.96), hat die EU-Kommission jüngst höchstselbst einen
Bericht vorgelegt. Dort ist neben den unvermeidlichen und unüberprüfbaren
Jubelmeldungen (je 0,2% mehr BIP-Wachstum von 1987 - 93 und eine um 1% - 1,5%
geringere Inflation durch das Binnenmarktprojekt), bei denen auch die NZZ
empfiehlt solche Berechnungen mit Vorsicht zu genießen
(NZZ 2.11.96), beispielsweise zu erfahren, daß sich zwischen 1985 und 93
in der EG die grenzüberschreitenden Investitionen verfünfachten, was sich
u.a. in einer Verdreifachung der Firmenübernahmen von 1503 (1985) auf 4899
(1995) äußerte. Es kam zu einer Steigerung des EU-internen
Handels von 61% auf 68% der Gesamt-Exporte. Und: Allein wegen der
Vereinheitlichung technischer Normen haben die Lebensmittel- und die
Maschinenindustrie Einsparungen von 1% ihres Produktionswertes erzielt. Durch
die Liberalisierung des Transportsektors, darunter die schrittweise Einführung
der Cabotage oder erleichterte Grenzformalitäten, könne das Gewerbe
bei einer Fahrt von 1000 km 5% - 6% der Kosten einsparen. Im Luftverkehr hat die
Deregulierung zu mehr Anbietern, neuen Routen (zusammen 800 neuen Lizenzen),
verschärftem Wettbewerb und tieferen bzw. flexibleren Preisen geführt.
Die Auflösung der Telefonmonopole, die noch in vollem Gange ist, hat
bereits zu deutlich tieferen Preisen geführt, im transatlantischen Verkehr
zwischen 1990 und 1995 um 42%. (NZZ 2.11.96) Bei den von Normalsterblichen
zumeist geführten Orts- oder Nahbereichgesprächen war freilich der
gegenteilige Effekt zu spüren, in der Lohnentwicklung aufgrund verschärftem
Standortwettbewerb ebenso. Und auch vor dem Hintergrund der seit
1985 gestiegenen Arbeitslosigkeit, die mittlerweile in der EU 18 Mio. Personen
betrifft, wirken die 300 000 bis 900 000 Stellen, die dank dem Binnenmarkt neu
geschaffen worden sein sollen nicht überwältigend. (NZZ 2.11.96)
Überwältigend waren, wie man sieht, nur die Erfolge bei der
Kapitalkonzentration, der Deregulierung, der verschärften Ausbeutung der
Ware Arbeitskraft und dem Ausverkauf der letzten staatlichen Unternehmen selbst
in Kernbereichen der gesellschaftlichen Infrastruktur (z.B. Post und Bahn), der
trotz allem Propagandarummel um die T-Aktie schlußendlich nur für das
europäische und internationale Großkapital von Vorteil ist und ganz
nebenbei die Abhängigkeit der schwächeren kapitalistischen Länder
von den beiden Hauptländern Deutschland + Frankreich vergrößert.
Bestes Beispiel dafür ist der Ausverkauf der staatlichen spanischen
Autoindustrie (SEAT) im Vorfeld des Binnenmarktes an VW.
Doch diese positiven Wirkungen des Helmut Kohl sind noch immer
nur der Vorgeschmack, denn wenn die Eigenständigkeit der nationalen Währungen
wegfällt und gleichzeitig rigide Auflagen für Staatsverschuldungen und
Zinssätze gelten, werden für die kapitalistischen Staaten wie für
die Einzelkapitale auch die letzten Schlupflöcher zugemauert. In die Folgen
für die Einzelkapitale und die Konsequenzen in der Produktion gewährt
der Finanzvorstand der Siemens AG, Karl-Hermann Baumann, einen kleinen Einblick.
In einem SZ-Interview wurde er gefragt. Wie hoch sind denn die Kosten ,
die Siemens durch die unterschiedlichen europäischen Währungen hat ?
Baumann: Wir haben nie versucht, das auszurechnen. Wir haben aber die
Preisunterschiede auf den Märkten ermittelt. Denn nach der Einführung
des Euros und durch die dadurch entstehende Preistransparenz wird es zu einer
Anpassung der Preise im gemeinsamen Markt kommen. SZ: Nach oben oder
nach unten? Baumann: Preise passen sich immer nach unten an. Das ist
leider so. (SZ 12.12.96)
Die Konsequenz dieses Preisanpassungseffektes wird - trotz aller
betriebswirtschaftlichen Vorteile die Siemens aus der WWU ziehen wird (Wegfall
der Hedgingkosten, starke Reduzierung der Transaktionskosten, Einsparungen beim
Marketing etc.) - unmittelbar eine erhebliche Verschärfung der sogenannten Standortpolitik
sein, um die Löhne, die Arbeitszeiten und die Arbeitsbedingungen den
entsprechend verschärften Standortbedingungen anzupassen. Die
Freude der Siemens AG über die Einführung des Euro trübt das
naturgemäß keineswegs, denn er ist eine notwendige
Fortententwicklung des gemeinsamen Marktes. Er bietet den darin tätigen
Unternehmen erhebliche Vorteile (K.-H. Baumann in der SZ vom 12.12.96).
Eines dürfte nach allem bisher Gesagten klar sein: Eine Linke, die sich
und ihr Ziel einer von Ausbeutung und Unterdrückung freien Gesellschaft
ernst nimmt, kann nur im unversöhnlichen Gegensatz zur WWU stehen und sie
auf das Entschiedenste bekämpfen, egal ob ihr dabei aufgeschreckte Kleinbürger
und Mittelständler unter dem dümmlich-reaktionären Banner des
DM-Nationalismus den Weg kreuzen oder nicht! Daß die REPs oder
Brunners Bund Freier Bürger (BFB) dabei trotz der gemeinsamen
WWU-Ablehnung kein Bündnispartner sondern ein weiterer - allerdings
politischer als bisher - zu bekämpfender Gegner sind, ist klar. Wie steht
es aber mit den Kräften der politischen und sozialen Opposition
in Deutschland ? Was ist von ihnen im Zusammenhang mit der WWU zu erwarten?6
Beim DGB und seinen Einzelgewerkschaften fiel bei allen Aktivitäten
gegen das Sparpaket und die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
auf, daß sie sich, trotz aller Desorientierung und heftigen Schwankungen
zwischen Kampf und Kungelei nach dem Scheitern des Bündnisses für
Arbeit in einem treu blieben: Seine Funktionäre haben es in allen
ihren Reden, Artikeln und Flugblättern tunlichst vermieden, den
grundlegenden Konsens der Standortpolitik aufzukündigen, eine
ernsthafte Auseinandersetzung mit den Kämpfen in Frankreich, Belgien,
Italien, Spanien oder Griechenland zu führen (im Gegenteil, dergleichen
wurde eher als Sozialromantik abgetan) und die Begriffe Maastricht,
Euro oder WWU auch nur zu erwähnen, geschweigedenn sie als Hintergrund der
Kürzungsorgie und der Kapitalangriffe zu thematisieren und den Kampf gegen
die WWU aufzunehmen.
Genauso wie der DGB, bzw. sein Funktionärskörper, nur gegen Kapitalismus
pur ist, genauso tritt er auch nur gegen wilde Deregulierung
in Europa auf. Gegen die regulierte Deregulierung (welch Widersinn in sich !),
bei der die Gewerkschaftsführung zuvor sozialpartnerschaftlich konsultiert
wird, ist natürlich nicht das Geringste einzuwenden. So verkündet etwa
der Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts und als solcher einer
- wenn nicht - der Vordenker des EGB und des DGB in Europafragen, Reiner
Hoffmann, kampfstark: Wir sind nicht nur entschieden gegen wilde
Deregulierung, sondern ebenso entschieden - wie übrigens der EGB und seine
Mitgliedsbünde insgesamt - für die Währungsunion. Doch wie kann
man die Währungsunion verwirklichen, angesichts von über 20 Millionen
Arbeitslosen in Europa ? Das ist doch das große Problem. (Die
Mitbestimmung 5/96, S.24)
Wer solche Sorgen hat, dessen Forderungen sehen auch
entsprechend aus. Unter dem wohlklingenden Titel die soziale Dimension des
Integrationsprojektes erschöpfen sie sich darin die Sozialcharta und
das Sozialprotokoll zum Maastrichter Vertrag direkt in diesen aufzunehmen, eine,
ebenso nebulöse wie illusorische, europäische Beschäftigungspolitik
zu betreiben, die Rechte des Europa-Parlamentes zu stärken, eine
Reorganisation der Entscheidungsstrukturen durchzuführen und, auf
reine Informations- und Konsultationsrechte beschränkte, Euro-Betriebsräte
zu schaffen (ebenda S.25). Die von DGB und EGB so hochverehrte Sozialcharta
stammt aus dem Jahre 1989 und wurde damals als Trost-Bonbon kreiert, um den
sozialpartnerschaftlichen EGB-Gewerkschaften die Zustimmung zum EG-Binnenmarkt
ein wenig zu erleichtern. Sie enthält eine Reihe von absoluten
Mindeststandards in bezug auf Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen sowie
gewerkschaftliche und betriebliche Vertretungsrechte der Lohnabhängigen,
der beizutreten sich heute nur noch die Tory-Regierung in Großbritannien
weigert. Kaum etwas könnte die Genügsamkeit und die Unterordnung unter
das Diktat des Kapitals besser aufzeigen als der Eifer mit dem EGB und DGB noch
immer versuchen an diesem sauren Drops zu lutschen, der für die Arbeiter +
Angestellten beispielsweise in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Österreich,
Dänemark, Schweden etc. rein gar nichts erbringt. Das Sozialprotokoll zum
Maastrichter Vertrag von 1992 ist zwar jüngeren Datums, beschränkt
sich aber auch nur darauf vergleichsweise nebensächliche Punkte wie
elterlichen Erziehungsurlaub u.ä. zu regeln. Zwar fehlen mit zwei Ausnahmen
noch die konkreten Dekrete doch sind die Regelungen von den Regierungschefs der
EU-Staaten bereits beschlossen.
Daß Hoffmanns Position keineswegs seine Privatmeinung ist, bestätigt
in derselben Ausgabe der Mitbestimmung DGB-Chef Dieter Schulte in höchst
eigener Person: Dieser Druck in Richtung Besitzstandsabbau kann sinnvoll
nur durch europaweit gültige Mindestnormen aufgefangen werden.
(Nr.5/96, S.28) Hoffmanns italienischer Kollege Prof. Dr. Bruno Veneziani hatte
es in dem Round-Table-Gespräch mit Hoffmann u.a. herzerfrischend deutlich
und absolut unwidersprochen auf den Punkt gebracht: Es geht um
Mindestrechte für Menschen, die in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen
arbeiten und die bislang in einigen Ländern von den kollektivvertraglichen
Schutzbestimmungen sogar ausdrücklich ausgeschlossen sind. Im Gegenzug könnten
wir die aus Wettbewerbsgründen wohl notwendige Flexibilisierung auf dem
Arbeitsmarkt respektieren. Bei dieser Prämisse setzt unser Vorschlag an.
(Die Mitbestimmung 5/96, S.26)
Solche Prämissen sind die Folge der nationalen Beschränktheit
des größten Teiles der europäischen Gewerkschaftsbewegung, die
weder geistig noch praktisch in der Lage ist, auf die globalen
Herausforderungen des europäischen und des internationalen Kapitals
zu reagieren. Die lächerliche, über keinerlei Unterbau verfügende
und zu keinerlei Initiative fähige Attrappe Europäischer
Gewerkschaftsbund ist davon ebenso Ausdruck, wie der fehlende Kampf um
wirkungsvolle Europäische und Internationale Betriebsräte oder die
weitgehende Nicht-Berichterstattung der Gewerkschaftspresse über Maastricht
und die soziale Situation und die sozialen Kämpfe in Europa.
Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen die deutsche
Sozialdemokratie oder zumindest ein Teil von ihr, nämlich der von Gerhard
Schröder repräsentierte, sei da radikaler. Doch weit gefehlt. Das
einzige was an Schröders Äußerungen, auch den jüngsten,
wirklich fortschrittlich ist, ist daß er damit das de facto herrschende
Diskussionsverbot über Euro und WWU durchbricht und die entsprechenden
Beschlüsse wieder zur Disposition stellt. Inhaltlich sind sie freilich
Ergebnis einer rechten und nationalistischen Stoßrichtung und - wie
Oberkassierer Theo Waigel richtig auffiel - einer populistischen
Profilierungssucht (SZ 30.12.96)
Schröders Credo ist nicht der Kampf gegen die WWU von den Interessen
der Lohnabhängigen und Erwerbslosen aus, sondern das wahltaktische Spielen
mit den, in der gesamten Bevölkerung vorhandenen, Vorbehalten gegen den
Maastrichter Vertrag und das Bedienen der - nicht ganz unberechtigten -
Inflationsängste sowie des DM-Nationalismus nach gutem alten
sozialdemokratischen Integrationsmuster: Wenn Ende 97 erkennbar ist,
daß man das nur mit unerhörten sozialen und politischen Schleifspuren
erreicht, dann sollte man sich nicht unter Termindruck setzen. Statt des festen
Datums 1999 sollten wir uns dann aber nicht gleich wieder auf einen festen
Termin wie 2002 festlegen. Das muß ein Prozeß sein. Die SPD hat gar
keinen Grund, sich heute definitiv auf ein Pro unter allen Umständen
festzulegen. Sie sollte ihre Entscheidung von der Entwicklung abhängig
machen. (Focus Nr. 1/97, 30.12.96)
Bei dieser Haltung kann Schröder laut einer gleichzeitig, vom
INRA-Institut durchgeführten, Focus-Umfrage zwar auf die überwältigende
Mehrheit der befragten SPD-Sympathisanten bauen (61% seien gegen den Euro und
nur 35% dafür, gar 79% forderten eine Volksabstimmung über die WWU -
Focus 1/97), in der Partei hingegen ist er total isoliert. Kein einziger
SPD-Politiker hat in der durch seine Focus-Äußerungen losgetretenen
Diskussion für ihn Position bezogen. Im Gegenteil, Lafontaine, Scharping,
Wieczorek-Zeul & Co. machen keinen Hehl aus ihrer absoluten
Gefolgschaftstreue zum Projekt WWU. So verkündete SPD-Chef Lafontaine bspw.
in der entsprechenden Bundestagsdebatte im Dezember: Wir stimmen überein
und sagen: Wir wollen die WWU zum vorgesehenen Zeitpunkt und zwar selbstverständlich
bei vertragsgemäßer Anwendung der Konvergenzkriterien. Ich rate nicht
zu sagen: bei strikter Beachtung der Konvergenzkriterien, das klingt in
Gesamteuropa etwas zu deutsch. (Das Parlament 20./27.12.96). Nur fähig
genug sei die Kohl-Regierung dafür nicht (Sie <reihen> ja eine
Fehlentscheidung an die andere.), sie näme zuwenig Rücksicht auf
die französische Bourgeoisie und schere sich - erstaunlicherweise - nicht
um die weiter anwachsende Massenarbeitslosigkeit in Europa. Daher lautet die zündende
Parole der Sozialdemokratie: Greifen Sie doch das auf, was der französische
Nachbar vorschlägt. Setzen Sie sich zusammen, um zu einem Pakt über
Wachstum und Beschäftigung zu kommen. (ebenda) In der SZ vom
30.12.96 ist es noch eindeutiger formuliert: Lafontaine fordert erneut ...
ein Bündnis für mehr Wachstum und für neue Arbeitsplätze
anzustreben. Kennen wir das nicht irgendwoher ?
DIE GRÜNEN ihrerseits sind, befangen von der Angst vor einem deutschen
Sonderweg und gefangen in der (Realo-)Logik des Kapitals, mittlerweile die
beflissensten Handlanger von Kohl & Kapital in Sachen WWU. Während die
Grünen noch vor einigen Jahren vors Bundesverfassungsgericht zogen, um
zumindest gegen Teile des Maastrichter Vertrages zu klagen und sich dabei, wie
nicht anders zu erwarten, eine klare Abfuhr holten, ist es ihrem
Fraktionsvorsitzenden Joseph Fischer heutzutage ein inneres Anliegen dem Herrn
Bundeskanzler im Parlament ausdrücklich zu versichern, daß Sie
das Hauptproblem in Ihren eigenen Reihen bekommen werden. Sie werden es nicht
mit der demokratischen Linken hier im Hause bekommen, denn die steht -
anders als ein Edmund Stoiber (CSU) über den sich Fischer in diesem
Zusammenhang bitter beklagt - in Treue fest zur WWU: Insofern teilen wir
zwar die allgemeinen, weihevollen Reden über Europa; die sind alle richtig,
die waren immer richtig, die teilen wir, das wissen Sie, Herr Bundeskanzler.
(Das Parlament 20./27.12.96) Doch die demokratische Linke im Hohen
Hause zu Bonn sieht die Entwicklung mit großer Sorge, weil dem
Maastricht-Europa eine fundamentale Krise droht - die Gefahr einer
massenhaften sozialen Opposition, wie sie in Frankreich bereits existiert. Chirac
wird von einem Wegbrechen seiner Mehrheit für Europa und für die WWU
bedroht. Er wird deshalb bedroht, weil er die Massenarbeitslosigkeit mit der von
Bonn und Frankfurt verordneten stabilitätsfetischistischen Politik nicht
mehr in den Griff bekommen kann und deshalb die innenpolitischen Probleme und
damit die antieuropäische Opposition übermächtig werden. Dies müssen
Sie bedenken ... Dies erfüllt uns mit großer Sorge. (Ebenda)
Der geläuterte Sponti-Revoluzzer Joseph Fischer weiß wovon er
spricht. Ob sein Aufruf diese Stabilitätsdiskussion endlich <zu>
durchbrechen und eine Beschäftigungs- und Wachstumspolitik
mit ökologischer Prägung zu betreiben, allerdings ein allzu
wirkungsvolles Mittel ist gegen das Risiko ..., daß wir es
ersteinmal <auch in der BRD /d.V.> mit einer mächtigen Opposition zu
tun haben werden (ebenda), darf getrost bezweifelt werden.
Und wie steht es um die PDS ? Nun, wie immer. Sie ist innerlich hin- und
hergerissen zwischen dem brennenden Wunsch in einer rot-grünen
Bundesregierung mitzuregieren und der Notwendigkeit die Interessen der Krisen-
und Vereinigungsverlierer vor allem - aber nicht nur - in Ostdeutschland zu
vertreten, wenn sie weiterbestehen und insbesondere in Westdeutschland noch
wachsen will. Gerade die Bevölkerung der neuen Bundesländer
jedoch ist nach ihren Erfahrungen mit der deutschen WWU der Maastrichter WWU
gegenüber noch kritischer eingestellt als die in den alten.
Laut der bereits zitierten Focus-Umfrage fordern 81% der Ostdeutschen einen
Volksentscheid über den Euro, gegenüber nur 72% der
Westdeutschen. (Focus 30.12.96) Nach einer Allensbach-Umfrage lehnen 55% der
Ostdeutschen die WWU ab, bei 47% Ablehnung im BRD-Durchschnitt. (SZ 12.12.96)
Selbst ausgewiesene Rechtsausleger in der Partei, wie Gregor Gysi, kommen
trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung zum Projekt einer kapitalistischen
europäischen WWU nicht umhin deren Vertagung zu fordern. Auf der
Europapolitischen Konferenz der Bundestagsgruppe der PDS vom 17. - 19.11.95 in
Berlin erklärte Gysi: Und deshalb, glaube ich, ist die entscheidende
Aufgabe für die Linke - neben dem Kampf um einen hohen Standard von
Menschenrechten - der Kampf um die richtigen steuerlichen, ökonomischen, ökologischen
und sozialen Bedingungen als Voraussetzung einer Währungsunion. Nicht der
Kampf gegen die Währungsunion steht auf der Tagesordnung, sondern der Kampf
um eine Währungsunion in der die Voraussetzungen stimmen. Das heißt,
die Währungsunion kann nur der Schlußpunkt einer solchen Entwicklung
sein, aber sie kann nicht der Beginn sein mit dem eine Entwicklung nach unten
erzwungen wird, noch dazu eine, die auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik
katastrophale Folgen haben wird. (PDS-Broschüre Europa und die
Linken - Traum und Wirklichkeit, S.20)
Der Hauptredner der PDS in der letzten Bundestagsdebatte zur WWU, Manfred Müller,
ging - obwohl auch kein Vertreter der PDS-Linken - noch einen Schritt weiter: Die
einzigen Teilnehmer, die von dieser monetären Gemeinschaft voraussichtlich
profitieren werden, sind die exportstarken deutschen Konzerne. Das kann man ja
wollen, Herr Bundeskanzler. Dann muß man ... aber auch ... den Mut zu dem
Eingeständnis haben, daß diese Währungsunion eine
Benefizveranstaltung für die Besitzer großer Geldvermögen und für
die Aktionäre exportorientierter Großkonzerne ist. (Das
Parlament 20./27.12.96)
Fazit: Die PDS ist die einzige Kraft unter den sogenannt oppositionellen
Großorganisationen in Deutschland, die sich dem WWU-Staatskonsens
verweigert und - zunächsteinmal verbal - dagegen auftritt. Sie ist dabei
freilich vom überlebten und zum Scheitern verurteilten Wunsch nach
Neuauflage einer echten & kämpferischen Sozialdemokratie
und dem heißen Verlangen mitzuregieren geprägt und gezeichnet. Wenn
dies von der revolutionären Linken bedacht und öffentlich immer wieder
eindeutig aber auch solidarisch kritisiert wird, könnte die PDS durchaus -
zumindest für eine gewisse Zeit - Partner eines breiten Basisbündnisses
gegen das Europa des Kapitals sein.
Trotz allem werden nicht wenige Linke bei der Forderung Ersatzlose
Streichung des Maastrichter Vertrages ! - Keine kapitalistische Wirtschafts- und
Währungsunion in Europa ! ersteinmal kräftig zusammenzucken. Die
Fragen und Bedenken, die auftreten werden, sind unschwer vorherzusehen: Müssen
wir als Internationalisten den Gedanken der europäischen Einigung nicht
grundsätzlich begrüßen ? Leisten wir mit einem Kampf gegen die
WWU nicht dem deutschen Nationalismus und den Rechtsradikalen Vorschub ? Können
wir paar Linken in Deutschland gegen ein solches Mega-Projekt etwas ausrichten ?
Ist der Prozeß der Kapitalkonzentration und der Internationalisierung des
Kapitals nicht eine historische Gesetzmäßigkeit ? Läßt der
sich überhaupt aufhalten ? Und wenn ja, was käme denn dann nach einer
gescheiterten WWU ?
Alle diese Einwände lassen sich im Grunde recht einfach beantworten.
Die Tatsache, daß solcherlei Fragen bei den Linken in Frankreich, Italien,
Spanien, Griechenland etc..- außer im sozialdemokratischen Bereich - so
gut wie nicht auftreten, sagt allerdings einiges über den Zustand der
Linken in Deutschland aus. Um gleich mit dem 1. Einwand zu beginnen: Linker oder
sozialistischer Internationalismus ist keine inhaltsleere Form. Er unterscheidet
sich vom bürgerlichen Kosmopolitentum gerade dadurch, daß er
parteiisch antikapitalistisch und antiimperialistisch ist und damit solchen
Projekten wie der WWU diametral entgegengesetzt!
2. Das Schreckgespenst des deutschen Nationalismus, des deutschen
Sonderwegs als heute noch aktueller Option des deutschen Kapitals ist
schlicht absurd und überlebt. Es geistert noch durch die Köpfe eines
großen Teils der deutschen Linken, weil wir das Trauma des deutschen
Faschismus, das Trauma der Niederlage von 1933 noch immer nicht überwunden
haben und fortfahren Schlachten zu schlagen, die längst vergangen sind.
Dabei laufen wir Gefahr, die real anstehenden Kämpfe entsprechend
umzuinterpretieren oder gar zu übergehen und uns damit unsere nächste
historische Niederlage selbst zu organisieren. Kein einziger der bestimmenden
Sektoren des deutschen Kapitals setzt heute mehr auf den nationalistischen
Alleingang, deren Option ist eindeutig und ausschließlich der europäische
Weg, die WWU. Daß Rechtsradikale, unterstützt von Teilen des
Mittelstandes und des Kleinbürgertums, mit sozialer Demagogie versuchen die
berechtigten sozialen Forderungen der Massen in ihr Gegenteil zu verkehren,
sollte spätestens seit der Agitation der NSDAP gegen das raffende jüdische
Wucherkapital bekannt sein. Sollte die Linke deshalb etwa - aus Angst dem
Antisemitismus Vorschub zu leisten - auch ihren Kampf gegen das Kapital
einstellen?
3. Auch wenn das für Linke in Deutschland sicherlich eine eher seltene
und vielleicht sogar beängstigende Erfahrung ist, haben wir bei der
Ablehnung der WWU - stimmungsmäßig - doch die Mehrheit der Bevölkerung
hinter uns. Laut der INRA-Umfrage für Focus (1/97, 30.12.96) lehnen 54% der
Deutschen den Euro ab, nur 39% befürworten ihn. Diese Daten werden von
einer noch aktuelleren Umfrage der linksliberalen Woche bestätigt.
Danach sprachen sich 56% der 1005 Befragten gegen den Euro aus, 31% waren dafür
und 73% verlangten eine Volksabstimmung über diese Frage (Die Woche
9.1.97). Auch die Süddeutsche Zeitung mußte am 20.11.96
in einem Leitartikel unter der Überschrift Angst vor dem Euro
feststellen: Hartnäckig lehnen die Deutschen in Umfragen die Europäische
Währungsunion ab. Die Ängste, die dahinterstehen sind laut
INRA-Umfrage für 71% ein befürchteter Anstieg der organisierten
Kriminalität, für 63% eine erwartete höhere Arbeitslosigkeit, für
62% der Verlust an Sozialstandards, für 57% eine größere Bürokratisierung
und nur für 31% die Angst vor dem Verlust der eigenen nationalen Identität,
Kultur und Sprache. (Focus 30.12.96) Da sollten sich linke Ängste, mit dem
Kampf gegen das Europa des Kapitals Wasser auf die Mühlen der
Rechtsradikalen zu leiten eigentlich in Grenzen halten. Umgekehrt wird ein Schuh
daraus: Wenn wir als Linke diesen Kampf nicht aufnehmen und mit Entschiedenheit
vom sozialen, um nicht zu sagen vom Klassen-Standpunkt aller Ausgebeuteten und
Unterdrückten in der BRD, in Westeuropa und weltweit aus führen,
werden wir uns wirklich der Förderung des Rechtsradikalismus schuldig
machen.
Die Frage des Maastrichter Vertrages über die WWU wird in 1997 und 98
hinter allen Angriffen auf den Rest-Sozialstaat, die Löhne und die gesamten
Lebens- und Arbeitsbedingungen in der BRD und in Westeuropa stehen. Niemand
kommt mittlerweile mehr an der Erkenntnis vorbei, daß die Soziale Frage
auf der Tagesordnung steht - selbst die autonom-sektiererische Interim
nicht (siehe Editorial der Interim Nr. 402, 19.12.96). Auf diese Frage und die
herben Angriffe, die die Spar- und Standortpolitik in 1997 ff. für
uns bereit hält, läßt sich ohne den Kampf gegen Maastricht nur
nach Art des DGB antworten.
4. und 5. Die Beobachtung, daß das WWU-Projekt nicht der Beginn
sondern die Folge der historischen Tendenz des Kapitals zur Konzentration und
Internationalisierung ist, ist durchaus zutreffend. Insofern stellen wir uns mit
dem Kampf gegen die WWU tatsächlich gegen die geschichtliche
Entwicklung des Kapitalismus, wohlwissend daß die Ausformung dieser
Entwicklung immer vom politischen Kräfteverhältnis der Klassen abhängig
und der Kapitalismus beileibe nicht das letzte Wort der Geschichte ist. Im
Gegenteil, er zeigt sich, trotz des Zusammenbruchs der meisten sozialistischen
Staaten, immer weniger in der Lage die Bedürfnisse der Menschheit zu
befriedigen bzw. sich aus seiner strukturellen Krise zu befreien. Darüberhinaus
ist der Euro historisch der erste Versuch überhaupt die Währungen
sowie die Finanz- und Wirtschaftspolitiken einer ganzen Gruppe hochentwickelter
kapitalistischer Staaten miteinander zu verschmelzen. Nirgendwo steht
geschrieben, daß dieser erste Versuch gelingen muß ! Das Gegenteil
zu behaupten, liefe daraufhinaus sich in den Fatalismus zu flüchten. Im
gemeinsamen Kampf gegen die WWU liegt für die europäische Linke die
Chance sich selbst zu vereinen und zu stärken und das europäische
Kapital zu spalten und zu schwächen. Es versteht sich von selbst, daß
eine solche Niederlage für das Kapital und das sich daraus ergebende
strategische Patt kein Dauerzustand sein kann, sondern nach einer grundlegenden
Klärung verlangt. Insofern kann der Kampf gegen das WWU-Projekt nur ein
erster Schritt in die richtige Richtung sein, denn:
Die Enkelin und ihr Opa
wollen Sozialismus in Europa ! (und
weltweit!)
Für übertriebenen Pessimismus besteht kein Grund. Nicht, daß
wir hier bestreiten wollten, daß die Linke (nicht nur in der BRD) im
Vergleich zu den 70er und 80er Jahren massiv geschwächt, reduziert und
frustriert ist. Das ist eine Tatsache. Aber wir sind so dreist zu behaupten, daß
mit der Entwicklung im vergangenen Jahr (1996) die Talsohle durchschritten ist,
was die massenhaften Kämpfe gegen die Sparpakete, die Kürzung der
Lohnfortzahlung, die Semestergebühren oder die Castor-Transporte (auch wenn
sie nur z.T. erfolgreich waren) ebenso gezeigt haben wie die organisatorische
Konsolidierung der verbliebenen Rest-Linken. Und die anstehenden sozialen Kämpfe
können ein quantitativer wie qualitativer Jungbrunnen für
die Linke, für ihr Bewußtsein, ihre Kampfkraft und ihren Einfluß
sein. Weg vom nur defensiven Sysiphus-Kampf gegen die Symptome der Symptome, wie
es beispielsweise der Kampf gegen die Neonazi-Szene ist, hin zu einem
umfassenden sozialen Kampf gegen den Kapitalismus und für eine freie,
gleiche und solidarische - man könnte auch sagen sozialistische -
Gesellschaft, die sich an der Befriedigung der Bedürfnisse aller
orientiert. Hier stellt sich im übrigen auch die Frage wie es mit den ein,
zwei und mehr Jahrzehnte lang gebrüllten Forderungen nach internationaler
Solidarität, nach einer Front in Europa und der
Kampf um Befreiung ist international wirklich bestellt ist. Jetzt ist ihr
Inhalt real gefordert und real möglich. Diesen realen Anforderungen gerecht
zu werden, würde z.B. bedeuten die Kontakte zu französischen,
britischen, spanischen, italienischen u.a. Linken auch auf örtlicher Ebene
erheblich zu intensivieren, einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch,
gemeinsame Veranstaltungen, Aktionen und auch Demonstrationen zu organisieren
bzw. sich daran zu beteiligen (wie z.B. am Projekt des europäischen
Arbeitslosenmarsches von Mitte April - Mitte Juni 97 mit der großen
Abschlußdemonstration am 14.6.97 in Amsterdam).
Darüberhinaus strotzt auch die Gegenseite nicht eben vor Kraft. Große
Teile des deutschen (Klein-)Bürgertums sind von der WWU wenig begeistert,
weil auch sie sich als Verlierer wähnen. Unter den EU-Staaten gibt es eine
ganze Reihe politischer und ökonomischer Wackelkandidaten. Die WWU bleibt
... ein riskantes Unterfangen wie höchste schweizer
Regierungsbeobachter trocken feststellen (NZZ 5.11.96) und sie wird selbst bei pünktlichem
Beginn die ersten Jahre über ökonomisch extrem instabil sein. Für
vorzeitige Resignation besteht also kein Anlaß.
Vielmehr sollte und muß es unsere Aufgabe sein, die bisher weitgehend
zersplitterten und isolierten Abwehrkämpfe gegen die Kürzungs- und
Umverteilungspolitik in basisorientierten und klassenkämpferischen Bündnissen
gegen Sozialabbau zusammenzuführen, den WWU-Hintergrund dieser Maßnahmen
zu thematisieren, die Diskussion über Maastricht zu forcieren und zu einer
Verbindung und gemeinsamer Handlungsfähigkeit der Linken in Schule,
Universität, Arbeitsamt, Betrieb & Gewerkschaft zu kommen. Das hieße
u.a. auch: als arbeitsloser Linker nicht bloß irgendwie in der Szene,
sondern mit anderen Betroffenen eben auch mal als linke
Erwerbslosengruppe aktiv zu werden.
Wie sich jetzt bereits abzeichnet, werden wir bei dieser Auseinandersetzung
recht schnell mit der Forderung nach einer Volksabstimmung konfrontiert sein. In
den Reihen der PDS wird diese Parole, wenn auch noch vorsichtig, bereits
intoniert und die Rechtsradikalen um Brunners Bund Freier Bürger
sowie Die Republikaner fordern sie zum Erhalt unserer DM
sowieso. Für uns sollte die Frage der Volksabstimmung keine Glaubensfrage,
sondern von rein taktischer Relevanz sein. Es lassen sich damit in bestimmten
Situationen durchaus sehr gute propagandistische Erfolge erzielen. Das hat die
Anfang der 50er Jahre von der KPD in Eigenregie organisierte Volksabstimmung
über die Wiederbewaffnung mit ihrer millionenfachen Beteiligung (und
Ablehnung der Bundeswehr) ebenso gezeigt wie die Abstimmungen über den
WWU-Beitritt in Dänemark, Norwegen und der Schweiz. In allen drei Fällen
wurde der Beitritt zunächsteinmal abgelehnt, in Frankreich hingegen sind
die WWU-Gegner sehr knapp gescheitert. Im französischen Falle hat die
Opposition ihr Blatt damit allerdings fürs Erste ausgereizt und in Dänemark
wurde halt solange abgestimmt bis das Ergebnisse stimmte (knappes Ja
zur WWU in der 2.Abstimmung). Eine Wunderwaffe ist solch ein Volksentscheid
also beileibe nicht. Er ist vielmehr ein eher heikles Mittel, das taktisch
wohlerwogen sein will und im übrigen in der deutschen Verfassung bisher
auch gar nicht vorgesehen ist.
Entscheidend wird im Kampf gegen die WWU etwas anderes sein, die Frage nämlich
inwieweit es gelingt ähnlich oder sogar noch weitergehender wie im Herbst
95 in Frankreich die Dynamik einer von Arbeitern und Arbeiterinnen,
Erwerbslosen, Schüler(inne)n, Studierenden, Gesundheitsberufen, Rentnern
etc. gemeinsam getragenen massenhaften und radikalen Streik- und Protestbewegung
gegen die Spar- und Standortpolitik und ihren WWU-Hintergrund zu
entwickeln und mit den übrigen Kämpfen in Westeuropa soweit wie möglich
zu verbinden, um das Projekt WWU zu kippen.
9. Januar 1997
1 Als nichttarifäre Handelshemmnisse werden
Einfuhrbeschränkungen bezeichnet, die nicht direkt als Einfuhrzölle
auf die Importgüter aufgeschlagen, sondern indirekt über Steuern,
Quoten oder Gesetze wirksam werden.
2 Der Anteil der Exporte am Bruttosozialprodukt ist in
der OECD-Welt von 9,5% (1960) auf 15% 1992 angestiegen, wobei die Exportquote
der EU-Länder 1992 sogar bei 28,1% lag.
3 Als Kapitalmarktzins werden die Renditen langfristiger
(meist staatlicher) Schuldverschreibungen herangezogen.
4 Ursprünglich war das Datum der WWU auf den
1.1.1997 festgesetzt und die Verschiebung auf den 1.1.1999 nur unter der Prämisse
eingeräumt worden, falls sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht die Mehrheit
der EU-Staaten qualifizieren sollte. Da dieses Datum ja nun offensichtlich nicht
eingehalten wurde, soll eine WWU auch unter der Prämisse, daß sich
keine Mehrheit qualifiziert gestartet werden.
5 Bei EG 92 kommt dazu, daß
modernere Programme wie der EWR, die Währungsunion, Schengen (Abschaffung
der Grenzkontrollen) oder die Assoziierungsabkommen mit mittel- und osteuropäischen
Ländern (Europa-Verträge) ihre Verankerung und ihren Ursprung im
EU-Binnenmarkt haben. (NZZ 2.11.96)
6 Der eigentlich notwendige Überblick über die
politischen Kräfteverhältnisse und sozialen Kämpfe in den übrigen
EU-Staaten kann hier aus Platzgründen nicht geleistet werden und muß
daher einem späteren Artikel vorbehalten bleiben.