Frank Decker
Perspektiven des Rechtspopulismus in Deutschland am Beispiel
der "Schill-Partei"
I. Einleitung
Wenn in der Bundesrepublik in der Vergangenheit vom "Rechtspopulismus" die
Rede war, dann richtete sich der Blick fast immer nach "draußen". Teils
sorgenvoll, teils mitleidig durfte der Beobachter hierzulande registrieren,
wie sich ein neuartiger Typus von Parteien in den westlichen Demokratien
breit machte. Die Namen ihrer Führer waren bald in aller Munde: Le Pen,
Bossi, Berlusconi, Haider. Die Rechtsparteien in der Bundesrepublik fristeten
demgegenüber ein Schattendasein. Zwar konnten die neugegründeten
Republikaner unter der Ägide Franz Schönhubers von 1989 bis 1992
bei Landtags- und Europawahlen einzelne spektakuläre Wahlerfolge erzielen.
Von einer dauerhaften Etablierung blieb die Partei aber ebenso weit entfernt
wie ihre rechtsextremen Mitkonkurrenten DVU und NPD oder andere Neuerscheinungen,
die sich an einer gemäßigteren Version des Rechtspopulismus versuchten
(Statt-Partei, Bund Freier Bürger). Die Bundesrepublik schien gegen
das Phänomen offenbar immun.
Spätestens mit dem Sensationserfolg der "Schill-Partei" bei der Hamburger
Bürgerschaftswahl am 23. September 2001 dürfte diese Gewissheit
geschwunden sein. Noch niemals zuvor ist es einer Partei geglückt, bei
einer Landtagswahl aus dem Stand ein so hohes Ergebnis zu erzielen (19,4
Prozent). Beobachter und Experten streiten seither über die Chancen
der Schill-Partei, diesen Erfolg über die Grenzen der Hansestadt hinaus
zu tragen. Der Parteigründer und Namensgeber Ronald B. Schill hat aus
seinen diesbezüglichen Ambitionen keinen Hehl gemacht. Die Gründung
weiterer Landesverbände ist bereits erfolgt oder im Gange. Die Landtagswahl
in Sachsen-Anhalt, von deren Ausgang man sich eine Initialzündung für
die weitere Expansion erhofft hatte, brachte allerdings nicht den erhofften
Wiederholungserfolg. Die Schill-Partei verpasste mit 4,5 Prozent den Einzug
in den Landtag und entschied daraufhin, auf eine Kandidatur bei der Bundestagswahl
im September zu verzichten. Den Sprung auf die nationale Ebene hat in der
Bundesrepublik bisher noch keine Rechtsaußenpartei geschafft. Nachdem
die NPD 1969 mit 4,3 Prozent der Stimmen nur knapp unter der Fünfprozenthürde
geblieben war (womit sie das Zustandekommen der sozial-liberalen Koalition
unter Willy Brandt fast verhindert hätte), bewegten sich die Stimmenanteile
von Republikanern, DVU und NPD zusammengenommen in den neunziger Jahren in
einer für das Parteiensystem unerheblichen Größenordnung.
Den einzigen beachtenswerten Erfolg auf der Bundesebene erreichten die Republikaner
1989 bei den - innenpolitisch vergleichsweise unbedeutenden - Europawahlen
(mit 7,1 Prozent).
II. Gründe für das Scheitern des neuen Rechtspopulismus in der
Bundesrepublik
Das Scheitern der Rechtsaußenparteien in Deutschland wirkt erstaunlich,
wenn man ihm die Erfolgsbilanz der rechtspopulistischen Neulinge in anderen
europäischen Ländern gegenüberstellt. In Italien hat es die
Forza Italia des Medienunternehmers Silvio Berlusconi im letzten Jahr erneut
geschafft, im Verein mit Umberto Bossis Lega Nord und Gianfranco Finis Alleanza
Nazionale die Mehrheit zu erringen. Dasselbe Kunststück ist der FPÖ
in Österreich gelungen, die bei den Nationalratswahlen 1999 mit 26,9
Prozent zur zweitstärksten Partei avancierte und seither zusammen mit
der Volkspartei die Regierung stellt. Einen ähnlichen Triumph bei den
jüngsten Parlamentswahlen erreichten die Rechtspopulisten in Norwegen
und Dänemark mit 15 bzw. 12 Prozent. Und selbst eine eindeutig rechtsextrem
ausgerichtete Partei wie der Front National konnte in Frankreich eineinhalb
Jahrzehnte lang stabile Wähleranteile in einer vergleichbaren Größenordnung
verbuchen.
Nach einigen Jahren Verzögerung hat die Politikwissenschaft in den neunziger
Jahren begonnen, sich mit den rechtspopulistischen Erscheinungen intensiv
zu beschäftigen. Inzwischen liegen zahlreiche international vergleichende
Darstellungen vor, die das Aufkommen der neuen Parteien analysieren und dabei
auch die voneinander abweichenden Ergebnisse in den verschiedenen Ländern
zu erklären versuchen. Übereinstimmung besteht darin, dass es sich
um ein "multifaktorielles" Phänomen handelt, das nicht auf eine einzelne
Ursache zurückgeführt werden kann. Die in der Literatur angebotenen
Erklärungen lassen sich - in zugegebener Vereinfachung - zu vier Ursachenkomplexen
zusammenfassen:
- Gesellschaftlicher Wandel. Damit sind langfristige Veränderungen der
Sozialstruktur und der Wertvorstellungen gemeint. Die verschiedenen parteibildenden
Konflikte können auf zwei Grundtypen reduziert werden, nämlich
verteilungs- und wertbezogene Konflikte. Dies gilt auch für Regionen-
oder Nationalitätenkonflikte, die freilich nicht in allen Ländern
gegeben sind.
- Institutionelle Rahmenbedingungen des politischen Systems. Hierzu zählen
die politischen Traditionen eines Landes (politische Kultur), das Wahlsystem
und das Ausmaß an Parteienstaatlichkeit. Die institutionellen Faktoren
sind ebenfalls längerfristiger Natur. Sie bestimmen zum einen die Zugangschancen
neuer Wettbewerber zum Parteiensystem, zum anderen können sie selber
ein Adressat des Protestes sein (politischer Populismus).
- Politische Gelegenheitsstrukturen. Hier handelt es sich um kurzfristig
wirksame situative Faktoren wie die Regierungskonstellation, die inhaltliche
Positionierung der etablierten Parteien oder das Verhalten der Medien. Als
Klammer der Gelegenheiten fungieren die von den Rechtspopulisten aufgegriffenen
Themen.
- Die Fähigkeit der rechtspopulistischen Akteure, die sich ihnen bietenden
Gelegenheiten zu nutzen. Auch diese Eigenschaft wirkt eher kurzfristig. Sie
hängt von den charismatischen Eigenschaften des Parteiführers,
der Programmbasis und dem organisatorischen Zusammenhalt der Partei ab.
Wie lässt sich die relative Erfolglosigkeit des Rechtspopulismus in
Deutschland im Lichte dieser Faktoren erklären? Eine vergleichsweise
geringe Rolle spielen die zuerst genannten gesellschaftlichen Voraussetzungen.
Die Politikwissenschaft betrachtet den Zulauf für die neuen Rechtsparteien
als ein Protestphänomen, das auf die desintegrativen Wirkungen der heutigen
Modernisierungsprozesse zurückzuführen sei. Anders als der Begriff
des "Modernisierungsverlierers" suggeriert, liegen dem Protest dabei nicht
primär materielle Entbehrungen zugrunde. Schenkt man den Wahlanalysen
Glauben, befinden sich die rechten Wähler wirtschaftlich keineswegs
am untersten Rand der Gesellschaft. Stattdessen rührt ihre Misere aus
empfundenen Verlustängsten, dem Gefühl, zu den benachteiligten
und abstiegsbedrohten Gruppen zu gehören. Im Kern geht es also um ein
tiefer liegendes, sozialkulturelles Problem, das mit den Folgen der gesellschaftlichen
Individualisierung zu tun hat. Zum Hauptkristallisationspunkt der Angst werden
dabei die Fremden.
Ist diese Diagnose richtig, so trifft sie auf die Bundesrepublik sicher nicht
weniger zu als auf andere westliche Länder, die unter den Folgen der
Modernisierungsprozesse leiden. Mit Verweis auf die "Nachfrageseite" kann
man die Schwäche des Rechtspopulismus also kaum erklären. In der
ostdeutschen Teilgesellschaft, wo durch die Umstände und das Tempo des
Systemwechsels ganze Bevölkerungsschichten in Anomie gefallen sind,
dürfte das Potenzial für eine Partei oder Bewegung von rechts sogar
überdurchschnittlich groß sein. Die Virulenz der gesellschaftlichen
Faktoren wird auch durch das Ausmaß der rechtsextremen Gewalt belegt,
das in Deutschland höher ist als in anderen Ländern. Der Vergleich
innerhalb Europas deutet auf eine Austauschbarkeit beider Protestformen hin.
Dort wo die Rechtsparteien stark sind - wie in Dänemark oder Frankreich
-, verfügen die fremdenfeindlichen Positionen über eine offizielle
Stimme, die sich auf die öffentliche Debatte enttabuisierend auswirkt
und die Gewaltbereitschaft zu begrenzen scheint. In Deutschland werden sie
dagegen unter der Decke gehalten und gerade so in die dumpferen Kanäle
der Gewalt und des Sektierertums abgedrängt.
Damit wendet sich der Blick zu den politischen Faktoren. Hier verweist der
internationale Vergleich zunächst auf ungünstige institutionelle
und politisch-kulturelle Rahmenbedingungen. So sorgt z. B. der Föderalismus
dafür, dass die bundesdeutschen Wähler ihrem Unmut nicht unbedingt
bei den gesamtstaatlichen (Bundestags-)Wahlen Luft zu machen brauchen. Stattdessen
können sie auf die als unwichtiger empfundenen Landtags- oder Europawahlen
ausweichen, deren Korrektivfunktion insofern über die tatsächliche
Stärke der Rechtsparteien hinwegtäuscht. Auch die Fünfprozentklausel
hat die Zugangschancen der neuen Herausforderer zum Parteiensystem beschnitten.
Die institutionellen Barrieren sind allerdings eher ein Symptom als der wahre
Grund der Mobilisierungsschwäche: Selbst bei niedrigeren Schwellen würden
die Newcomer in der deutschen Öffentlichkeit einen schweren Stand haben.
Das eigentliche Problem liegt in der politischen Kultur. Weil der Populismus
hierzulande in einem historisch vorbelasteten Umfeld agieren muss, entwickeln
die Medien ihm gegenüber Berührungsängste, die einen unbefangenen
Umgang verbieten und die Rechtsparteien der ständigen Gefahr aussetzen,
in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt zu werden. Diese Versuchung
dürfte auch mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Vergangenheit erhalten
bleiben.
Ein zweites entscheidendes Erfolgshindernis hängt mit dieser Stigmatisierung
zusammen: die Unfähigkeit der Parteien, sich als politische Kraft zu
etablieren. Bezeichnend für die Durchsetzungsschwäche des neuen
Populismus ist seine organisatorische Zersplitterung. Während es in
anderen Ländern gelungen ist, verschiedene Stränge des populistischen
Protests zu einer gemeinsamen Organisation zusammenzuführen, verlaufen
diese Stränge in der Bundesrepublik in Gestalt mehrerer Parteien nebeneinander,
die sich ihre Stimmen dadurch gegenseitig wegnehmen. Die Uneinigkeit hat
sowohl zufällige als auch strukturelle Ursachen. Zu den zufälligen
Faktoren gehört das Fehlen einer überzeugenden Führerfigur.
Ein Blick auf die Nachbarstaaten zeigt, dass sich Entstehung und Durchbruch
des neuen Rechtspopulismus ausnahmslos mit der Leistung einzelner Führungspersönlichkeiten
- Bossi, Berlusconi, Le Pen, Haider - verbinden, deren charismatische Eigenschaften
ihren deutschen Gegenstücken offenbar abgehen. Allein der frühere
Republikaner-Chef Schönhuber ist mit seinen Qualitäten der Vorstellung
eines charismatischen Führers nahe gekommen. Dies machte sich in der
Erfolgsbilanz der Partei bis 1994 positiv bemerkbar, konnte Schönhuber
selbst vor dem Scheitern allerdings nicht bewahren.
Dies verweist auf den anderen, strukturellen Faktor: das Funktionieren der
Organisation. Weil sich die charismatischen Erfolgsbedingungen im Laufe der
Zeit verbrauchen, droht die Attraktivität der populistischen Parteien
irgendwann nachzulassen und ihr interner Zusammenhalt zu schwinden. Wie das
Beispiel des Front National gezeigt hat, können selbst erfolgreiche
Parteien an Rivalitäten und Richtungskämpfen zerbrechen, wenn die
Voraussetzungen eines geregelten Konfliktaustrags nicht mehr gegeben sind.
Bei den bundesdeutschen Rechtsparteien kommt erschwerend hinzu, dass sie
eine unwiderstehliche Sogwirkung auf Gruppierungen und subkulturelle Milieus
im rechtsextremen Lager ausüben. Selbst gemäßigte Vertreter
des Rechtspopulismus sind nicht davor gefeit, durch rechtsextreme Personen
und Gruppen unterwandert zu werden, die auf diese Weise aus der politischen
Isolierung heraustreten wollen. Auch hier tut der "Schatten Hitlers" also
weiterhin seine Wirkung.
Bleibt als Letztes die Frage nach den politischen Gelegenheiten. Hier ist
das Bild auf merkwürdige Weise gespalten. Nimmt man allein die Regierungskonstellation,
dann hätten sich die Mobilisierungschancen der Rechtsparteien in der
16-jährigen Ära Kohl eigentlich verbessern müssen. Ihr mäßiges
Abschneiden scheint also darauf hinzudeuten, dass die von den Herausforderern
thematisierten Probleme in der Bundesrepublik entweder keine große
Rolle spielten oder bei den Altparteien gut aufgehoben waren. Der internationale
Vergleich zeigt, dass der neue Rechtspopulismus seine Unterstützung
vorrangig aus drei Themen bezieht: Parteienherrschaft, Wohlfahrtsstaat und
Migration. Den größten Zuspruch verzeichnen dabei diejenigen Parteien,
die - wie die österreichische FPÖ - aus allen Themen gleichzeitig
Kapital schlagen und sie zu einer dauerhaften Gewinnerformel verbinden. Die
deutschen Vertreter des Populismus waren und sind davon weit entfernt. Der
Parteienstaat beispielsweise mag unter Intellektuellen regelmäßig
Kontroversen auslösen, wird aber in der breiten Bevölkerung zumeist
nur anlässlich von Skandalen virulent. Auch das Wohlfahrtsstaatsthema
würde in der Bundesrepublik sicher nicht weniger Anknüpfungspunkte
für eine Profilierung bieten als in anderen europäischen Ländern,
doch wurde das Problem in den neunziger Jahren von den neuen Kräften
nur halbherzig aufgegriffen. Ein zusätzliches Erschwernis für die
Rechtsparteien stellten die Folgen des deutschen Vereinigungsprozesses dar.
Zum einen fehlte es in der früheren DDR an einer breiten Mittelschicht,
die man mit marktradikalen Inhalten hätte ansprechen können. Zum
anderen wirkte sich die Unzufriedenheit der Modernisierungsverlierer dort
nicht zugunsten der Rechten aus, da mit der linkspopulistischen PDS eine
andere, genuin ostdeutsche Protestalternative bereit stand.
Auch die mit der Migration verbundenen Probleme sind in der Bundesrepublik
nicht zu einem permanenten Erfolgsgaranten der neuen Rechtsparteien geworden
- so wie in Frankreich, Belgien (Flandern), Norwegen oder Dänemark.
Nachdem das Asylproblem 1993 von der Agenda verschwunden war, neigte sich
deren Stimmenkurve bald wieder nach unten. Die Populisten mussten erkennen,
dass ihnen die Ausländerpolitik unter normalen Bedingungen nur wenig
Angriffsflächen bot. Symptomatisch dafür ist die Art und Weise,
wie das Thema von den beiden Volksparteien angegangen oder vielmehr: nicht
angegangen wurde. Obwohl Deutschland im europäischen Vergleich einen
der höchsten ausländischen Bevölkerungsanteile aufweist, konnte
die offizielle Regierungspolitik lange Zeit auf der Vorstellung - Kritiker
würden sagen: Fiktion - beharren, wonach die Bundesrepublik kein Einwanderungsland
sei, und jeglicher Form des Multikulturalismus eine Absage erteilen. Durch
das Festhalten an einem restriktiven Grundverständnis der Integration
vergrößerten CDU und CSU während ihrer Regierungszeit zwar
das eigentliche Problem. Gerade damit gelang es ihnen aber, das Aufkommen
einer ausländerpolitischen Grundsatzdebatte zu verhindern, die den fremdenfeindlichen
Kräften womöglich Auftrieb verschafft hätte. Nennenswerten
Widerstand von Seiten der SPD brauchte sie dabei nicht zu fürchten.
III. Fallbeispiele: Republikaner, Statt-Partei und der Bund Freier Bürger
Erfolgreichste unter den erfolglosen neuen Rechtsparteien in der Bundesrepublik
sind die Republikaner. 1983 von den früheren CSU-Mitgliedern und Bundestagsabgeordneten
Franz Handlos und Ekkehard Voigt aus Protest gegen den von Franz Josef Strauß
betriebenen Kurswechsel in der Ost- und Deutschlandpolitik gegründet,
verstand sich die Partei zunächst als rechtskonservative Alternative
zur Union, was ihr im bürgerlichen Lager eine gewisse Reputierlichkeit
verschaffte. Der gleichzeitige Zustrom von rechtsextremen Kräften sorgte
jedoch schon bald dafür, dass sich die innerparteiliche Balance zugunsten
derjenigen verschob, die - wie der Fernsehjournalist Franz Schönhuber
- einem stärker nationalpopulistischen Kurs das Wort redeten.
Nach der Entmachtung des Vorsitzenden Handlos durch Schönhuber wurden
die Brücken zum organisierten Rechtsextremismus verstärkt (1985).
Eine Zusammenführung der verschiedenen rechtsextremen Vertreter - so
wie sie Le Pen in Frankreich gelungen war - stand für Schönhuber
aber nicht zur Debatte: Republikaner, DVU und NPD gingen getrennte Wege und
konnten sich nur in Ausnahmefällen zu einem koordinierten Vorgehen entschließen.
Die Republikaner blieben daher in einem strategischen Dilemma gefangen: Auf
der einen Seite konnte und wollte die Partei ihre Verbindungen ins rechtsextreme
Lager nicht lösen; auf der anderen Seite bemühte sie sich, der
Stigmatisierung als rechtsextrem zu entgehen.
Nach Schönhubers unfreiwilligem Abgang im Jahre 1994 gerieten die Republikaner
unter dem neuen Vorsitzenden Schlierer in ein ruhigeres Fahrwasser, was sich
elektoral jedoch kaum auszahlte. Einzige Ausnahme war die baden-württembergische
Landtagswahl von 1996, bei der es ihnen gelang, ihr Ergebnis von 1992 annähernd
zu bestätigen. Die Kehrseite von Schlierers gemäßigterem
Kurs war, dass die Partei nun keinen nennenswerten populistischen Elan mehr
entwickelte. Schuld daran trug neben der mangelnden charismatischen Ausstrahlung
des Parteiführers auch die einseitige Konzentration auf das Ausländerthema.
Um sich als Vertreter einer veritablen Neuen Rechten zu empfehlen, hätten
die Republikaner ihre programmatische und ihre Wählerbasis verbreitern
müssen. So aber ist es ihnen weder gelungen, die altrechten Tendenzen
im eigenen Bereich zu neutralisieren, noch waren sie imstande, dem bürgerlichen
Lager ernsthaft zuzusetzen oder auch nur das Aufkommen populistischer Konkurrenzparteien
zu verhindern.
Die Hamburger Statt-Partei verstand sich im Unterschied zu den Republikanern
von vornherein als bürgerliche Protestbewegung. Gegründet wurde
sie 1993 vom früheren CDU-Mitglied Markus Wegner, der seiner Partei
aus Verärgerung über die demokratiewidrigen Zustände ihres
Landesverbandes den Rücken gekehrt hatte. Wichtigstes Mobilisierungsthema
der neuen Gruppierung war die Überdehnungen des Parteienstaates, wofür
die Verhältnisse im Stadtstaat Hamburg besonders gutes Anschauungsmaterial
boten. Mit 5,6 Prozent der Stimmen gelang der eben erst gegründeten
Wählervereinigung im September 1993 auf Anhieb der Sprung in die Bürgerschaft,
wo sie mit der SPD zusammen die neue Regierung bildete. Hoffnungen auf eine
Etablierung in anderen Ländern und auf der Bundesebene mussten aber
rasch begraben werden, nachdem sich zeigte, dass man schon durch die Regierungsbeteiligung
in Hamburg überfordert war. Fortlaufende innerparteiliche Querelen führten
Ende 1994 zur Entmachtung Markus Wegners und zu dessen Rückzug aus der
Partei, die ihre Position in der Regierung dadurch weiter verschlechterte.
1997 verpasste die Statt-Partei mit 3,8 Prozent den nochmaligen Einzug in
das Landesparlament und spielt seither in der Hamburger Politik keine nennenswerte
Rolle mehr. Auch die anderen sieben Landesverbände sind bislang bedeutungslos
geblieben.
Das Scheitern war aus einer Reihe von Gründen vorgezeichnet. Erstens
bekam die Statt-Partei das Problem der rechtsextremen Trittbrettfahrer nicht
in den Griff, sodass ihr öffentliches Ansehen bald Schaden nahm. Die
Bundesausweitung wurde viel zu eilig vorgenommen. Zweitens fehlte es den
Mitgliedern und Funktionären an der nötigen Professionalität,
um die Gleichzeitigkeit von Parteiaufbau und selbst auferlegter Regierungsrolle
zu bewerkstelligen. Da die Partei mit hehren demokratischen Grundsätzen
angetreten war, musste sie sich an diesen Grundsätzen natürlich
messen lassen. Verschärft wurde das Problem durch den autoritären
Führungsstil Wegners, der sich mit den Bedürfnissen einer partizipationsbereiten
Parteibasis schlecht vertrug. Für Konflikte sorgte dabei neben der Persönlichkeit
des Gründers auch das ungeklärte Selbstverständnis der Partei,
deren Programmatik sich weitgehend auf das Metathema einer institutionellen
Reform beschränkte. Eine bessere Integration ihrer heterogenen Anhängerschaft
hätte verlangt, dass die Statt-Partei das Projekt einer Bürger-
oder Zivilgesellschaft in politikinhaltlicher Hinsicht weiter verfolgte.
Dazu konnte sie aber keine überzeugenden Beiträge liefern - weder
in Bezug auf die institutionelle Seite noch bei der alltäglichen Gestaltung
der "Bürgerpolitik", die sie mitunter mit bloßer Interessen- und
Kirchtumspolitik verwechselte.
Der Bund Freier Bürger (BFB) wurde - ebenfalls 1993 - vom früheren
bayerischen FDP-Vorsitzenden Manfred Brunner gegründet. Anlass war die
von der Bundesregierung betriebene Einführung einer gemeinsamen europäischen
Währung. Nachdem das Bundesverfassungsgericht Brunners Klage gegen den
Maastricht-Vertrag verworfen hatte, sollte die "D-Mark-Partei" - so die Selbstbezeichnung
- den Widerstand auf politischem Gebiet fortsetzen. Der Bund Freier Bürger
bettete die Europakritik in ein weiter gefasstes populistisches Konzept ein,
das in der Verbindung von konservativen und liberalen Programmelementen an
das Erfolgsrezept der österreichischen FPÖ erinnerte. Im Unterschied
zu dem Vorbild gelang es ihm aber nicht, die für einen Wahlerfolg gebotene
Durchschlagskraft zu entfalten. Der wählerwirksamen Ausstrahlung stand
z. B. im Wege, dass die Partei keine wirklich prominenten Überläufer
in ihren Reihen verzeichnete, wofür sich vor allem der nationalliberale
Flügel der FDP angeboten hätte. Ein weiteres Problem stellte der
hohe Professorenanteil unter den Vorstandsmitgliedern dar, der mit den Erfordernissen
einer volksnahen Strategie ebenso wenig in Einklang zu bringen war wie die
spröde wirkende Person des Vorsitzenden selbst. Schließlich blieben
Brunner und seine Bürgerbewegung von dem Vorwurf nicht verschont, dass
sie bei der Abgrenzung nach rechts außen zu lasch verführen; insbesondere
die Kontakte zur FPÖ sorgten dabei für innerparteilichen Zündstoff
und verschlechterten das Bild der Partei in der Öffentlichkeit.
All das zusammengenommen führte dazu, dass der BFB den für einen
elektoralen Durchbruch notwendigen Anfangserfolg nicht schaffte. Bei der
Europawahl 1994 kam die Bürgerbewegung auf ganze 1,1 Prozent der Stimmen.
Und bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1997 - der letzten Landtagswahl
vor dem geplanten Startschuss für den Euro - blieb sie bei enttäuschenden
1,3 Prozent stehen. Versuche von Teilen der Führung, die Misserfolgsserie
durch eine Abkehr von der gemäßigten Linie zu beenden, stießen
auf den entschiedenen Widerspruch Brunners, der seinen Vorsitz daraufhin
niederlegte und den BFB Ende 1998 verließ. Inzwischen hat die Partei
aus der Malaise die Konsequenzen gezogen und sich auch offiziell aufgelöst.
IV. Die Schill-Partei und ihre bundespolitischen Erfolgsaussichten
Das sensationelle Wahlergebnis der Schill-Partei bei der Hamburger Bürgerschaftswahl
hat gezeigt, dass der Rechtspopulismus hierzulande über ähnlich
gute Erfolgschancen verfügt wie in anderen Ländern, wenn nur die
Voraussetzungen stimmen. Die neu gegründete Partei konnte triumphieren,
weil sie einen Großteil der zuvor als Restriktionen genannten Bedingungen
erfüllte: Erstens gab es für sie in Hamburg durch das Kriminalitätsthema
eine optimale politische Gelegenheitsstruktur, zweitens war ihr Gründer
als früherer Amtsrichter im bürgerlichen Lager salonfähig,
konnte man ihn also nicht ohne weiteres als Rechtsextremisten in die Ecke
stellen, und drittens verfügte Schill über genügend Ausstrahlungskraft
und populistische Begabung, um die Nähe zum umworbenen Volk herzustellen.
Zu den Bedingungen im Einzelnen:
1. Welche Bedeutung den "passenden politischen Gelegenheiten" zukommt, hat
die Wahl in Hamburg eindringlich vor Augen geführt. Der Schill-Partei
ist es dort gelungen, das Thema Kriminalität praktisch zu monopolisieren.
Dass es von den anderen Parteien - auch der oppositionellen CDU - in seiner
Brisanz unterschätzt wurde, ist insofern erstaunlich, als die Innere
Sicherheit schon im Bürgerschaftswahlkampf 1997 eine herausragende Rolle
gespielt und zum Abgang des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau
mit beigetragen hatte. Dass Voscherau diesen Fehler, der auch sein eigener
gewesen war, der regierenden SPD noch während des Wahlkampfs offen vorhielt,
dürfte die Glaubwürdigkeit der Schill-Kampagne zusätzlich
befördert haben. Nicht nur, dass das Thema Innere Sicherheit zum mit
Abstand wichtigsten des Wahlkampfs avancierte; Schill wurden in diesem Bereich
von den Wählern auch die höchsten Kompetenzwerte zugeschrieben,
sodass es sich bei der Wahl nicht nur um ein reines Protest- oder Negativvotum
handelte. Selten ist es einem Außenseiter geglückt, die politischen
Konkurrenten in einer Frage so vor sich her zu treiben.
2. Begünstigend wirkte auch die Person Schill selbst. Die "Partei Rechtsstaatliche
Offensive" - so der offizielle Name - ist mit dem Namen ihres Gründers
untrennbar verbunden. Dass ihr der Gebrauch des Kürzels PRO von einer
konkurrierenden politischen Gruppierung untersagt wurde und sie auf den Wahlzetteln
stattdessen unter der Bezeichnung "Schill" auftauchte, ist symptomatisch
und konnte der neu formierten Partei nur recht sein. In der Öffentlichkeit
hatte sich der Name "Schill-Partei" schon vorher festgesetzt. Für den
Wahlerfolg spielte es sicher eine Rolle, dass Schill in der Hamburger Politik
kein Unbekannter war; als "Richter Gnadenlos" hatte er sogar über die
Grenzen der Hansestadt hinaus von sich reden gemacht. Dies verschaffte der
erst wenige Monate vor der Wahl gegründeten Partei die nötige Medienaufmerksamkeit.
Letztlich ausschlaggebend für den Erfolg waren aber zwei andere Dinge,
deren Bedeutung sich erst erschließt, wenn man Schills Kampagne mit
derjenigen seiner rechtspopulistischen Vorläufer und Konkurrenten vergleicht:
Zum einen war Schill im bürgerlichen Lager salonfähig. Ole von
Beusts Ankündigung, mit Schill zusammengehen zu wollen, dürfte
nicht wenige CDU-Wähler in dessen Arme getrieben haben; mit einem Stimmenverlust
von 4,5 Prozentpunkten zahlte die Union für den so ermöglichten
Machtwechsel einen denkbar hohen Preis. Über genügend Reputierlichkeit
verfügte der Kandidat aber auch ohnedies. Dafür sorgten neben seinem
Beruf als Amtsrichter auch eine untadelige Herkunft, die es der politischen
Konkurrenz unmöglich machte, Schill als Rechtsextremisten abzustempeln.
Zusätzlich befördert wurde dieser Effekt durch die Berichterstattung
der in Hamburg stark vertretenen Springer-Blätter, die ihre Sympathie
für den Newcomer nicht verhehlten. Das Schicksal der Stigmatisierung,
das Republikaner und DVU in Hamburg nie über die Fünfprozenthürde
hatte hinauskommen lassen, blieb der Schill-Partei so von vornherein erspart.
3. Zum anderen profitierte Schill von seinen populistischen Qualitäten.
Diese wurden von den anderen Parteien sträflich unterschätzt, die
den "Politiker wider Willen" (Schill über Schill) nicht ernst nahmen,
ihn zunächst sogar belächelten. Dessen Wahlkampf zeigte dann aber
rasch, dass der Newcomer die Stimmungen des Wählerpublikums hervorragend
zu bedienen wusste. Gewiss, Schill ist kein Volkstribun vom Schlage Le Pens,
und es fehlt ihm auch jene beißende Intelligenz, die Jörg Haider
für eine Weile zum bestgehassten Mann Europas machte. Raschke nennt
ihn durchaus treffend einen unpolitisch-ungelenken Charakter, in dessen Wahlversammlungen
es eher hölzern und trocken zugehe. Dennoch ist dem Amtsrichter das
Charisma zugewachsen, das einen erfolgreichen Populisten ausmacht. Von wohlkalkulierter
Angstmache (Beschwörung Hamburgs als "Hauptstadt des Verbrechens") über
gezielte Provokationen (Forderung nach einer Kastration von Sexualstraftätern)
bis hin zur Aufstellung von Verschwörungstheorien (Vorwurf des Wahlbetrugs),
hat es Schill im Hamburger Wahlkampf verstanden, auf der rechtspopulistischen
Klaviatur zu spielen und die Nähe zum umworbenen Volk herzustellen.
Damit unterscheidet er sich von Typen wie Markus Wegner (Statt-Partei) oder
Manfred Brunner (Bund Freier Bürger), denen es an eben dieser Nähe
fehlte.
Bleibt die Frage nach den bundespolitischen Perspektiven der Schill-Partei.
Gemessen am kleinräumigen Hamburg sind die organisatorischen Voraussetzungen
einer nationalen Ausweitung gewaltig. Dezentral entstandene Parteien tun
sich erfahrungsgemäß schwer, eine zentrale Organisation aufzubauen,
da beim Zusammenschluss einzelner Verbände unweigerlich Konflikte entstehen
(die bei einer direkten Konstituierung auf nationaler Ebene vielleicht vermeidbar
wären.) Auf der anderen Seite kann sich die Partei, selbst wenn sie
es will, dem Bedürfnis nach Ausweitung gar nicht entziehen. Das Interesse
an Schill ist so groß, dass sich Ableger notfalls auch ohne den Segen
des Hamburger Originals bilden würden. Entscheidend wird also sein,
ob man die Kontrolle über diesen Prozess behält. Im Unterschied
zur Statt-Partei scheint der Schill-Partei das bisher ganz gut gelungen zu
sein. Ihre Satzung sieht vor, dass der Parteiaufbau in den einzelnen Bundesländern
von Koordinatoren des Hamburger Landesverbandes überwacht werden soll.
In Sachsen-Anhalt wird diese Funktion von Ulrich Marseille wahrgenommen,
der als Betreiber von Pflegeheimen und Reha-Kliniken in Ostdeutschland einen
eher zweifelhaften Ruf genießt. Marseilles Kandidatur zog eine Reihe
von Mitgliederaustritten nach sich, die dem öffentlichen Bild der Schill-Partei
schadeten, ihre organisatorischen Bemühungen aber nicht ernsthaft gefährden
konnten. Auch in anderen Bundesländern ist der Aufbau der Partei bisher
ohne nennenswerte Turbulenzen vorangeschritten, wobei sich eine klare Schwerpunktbildung
in Ost- und Norddeutschland abzeichnet.
Die Schill-Partei ist sich der Notwendigkeit eines behutsamen Vorgehens bei
der Ausweitung bewusst. Einerseits braucht sie einen Wiederholungserfolg
in den Ländern, um sich als Alternative zu den etablierten Parteien
auf der Bundesebene glaubhaft empfehlen zu können. Anderer-seits muss
sie auf ihre Salonfähigkeit bedacht sein und eine mögliche Unterwanderung
durch Rechtsextremisten verhindern. Welche Fallstricke sich gerade hinter
dem zuletzt genannten Problem verbergen, hat das Schicksal von Statt-Partei
und BFB gezeigt. Die Schill-Partei möchte daraus ihre Lehren ziehen,
indem sie die Mitgliedsanträge genauestens prüft und bei der Aufnahme
strenge Kriterien anlegt. Dennoch war in der Presse zuletzt wiederholt von
Beziehungen und Verbindungen einzelner Funktionäre zu rechtsextremen
Organisationen zu lesen. Gleichzeitig wird aus Kreisen der intellektuellen
Neuen Rechten der Versuch gemacht, sich der neu gegründeten Partei als
Partner anzudienen. Die Geschichte scheint sich also auch hier zu wiederholen.
Die Rekrutierung von Mitgliedern und Funktionsträgern wirft auch jenseits
der rechtsextremen Infiltration Probleme auf. Um eine funktionierende Parteiorganisation
aufzubauen, braucht es politischen Sachverstand, der am ehesten von Renegaten,
also früheren Mitgliedern anderer (nichtextremer) Parteien eingebracht
werden kann. Auch wenn sie keine bundesweit bekannten Überläufer
vorzuweisen hat, ist die Schill-Partei in dieser Beziehung bislang recht
erfolgreich gewesen. Fast alle Ehemaligen entstammen dem bürgerlichen
Lager von Union und FDP, in Hamburg kommt - gleichsam als Zwischenstation
- die Statt-Partei hinzu. Darüber hinaus ist es der Partei gelungen,
Verbindungen zu konservativen Unterstützergruppen herzustellen bzw.
diese ganz zu absorbieren. Die Überläufer können allerdings
das Problem nicht aufwiegen, das der Partei durch die übrigen, politisch
unerfahrenen Mitglieder entsteht, die unter ihren Funktionären und Amtsträgern
die Mehrheit bilden. Neu gegründete Protest- oder Anti-Parteien entwickeln
eine natürliche Anziehungskraft auf enttäuschte oder frustrierte
Bürger, bei denen es sich nicht selten um Querulanten handelt. Die Folgen
lassen sich zur Zeit in Hamburg besichtigen. Durch das hohe Wahlergebnis
sind unerwartet viele Kandidaten der Schill-Partei in das Landesparlament
und die sieben Bezirksversammlungen eingezogen, von denen ein Großteil
für die Übernahme kommunaler oder staatlicher Ämter ungeeignet
ist. Die fehlende Professionalität wirkt sich zugleich auf die Parteiarbeit
aus. Wie schwer es ist, eine heterogen zusammengesetzte und politisch völlig
unerprobte Fraktionstruppe zusammenzuhalten, davon konn-te bereits der Statt-Partei-Gründer
Markus Wegner ein Lied singen. Auch bei der Schill-Partei hat sich eine der
Bezirksfraktionen (in Harburg) schon nach wenigen Wochen gespalten. Die Abgeordneten
waren dort wegen ihrer offenkundigen Unfähigkeit auf massive öffentliche
Kritik gestoßen.
Im raschen Wachstum der Organisation liegt ohnehin eine Quelle innerparteilicher
Konflikte. Die Vielzahl der zu besetzenden Parteiämter und Mandate generiert
Mitwirkungsansprüche an der Parteibasis, denen sich die Führung
nicht einfach verweigern kann. Zwar wurde Schill von der Mitgliederversammlung
Ende Oktober mit großer Mehrheit als Parteivorsitzender bestätigt,
doch gab es schon hier lautes Murren über seinen autoritären Führungsstil
und das Fehlen jeglicher innerparteilicher Demokratie. Dass sich das Führungsproblem
noch verschärfen wird, wenn zu dem Hamburger Landesverband weitere (und
womöglich mitgliederstärkere) Landesverbände hinzutreten,
lässt sich leicht voraussagen.
Hinzu kommt die Regierungsbeteiligung. Rechtspopulistische Parteien sind
ihrem Wesen nach oppositionell. Dass sie auf Anhieb Regierungsverantwortung
übernehmen wollen, passt da schlecht ins Bild. Auch hier hätte
das Scheitern der Statt-Partei Schill eine Warnung sein müssen. Immerhin
hatte die Statt-Partei 1993 darauf verzichtet, mit eigenen Leuten in den
Senat zu gehen und stattdessen zwei "unabhängige" Fachmänner nominiert.
Für Schill war es demgegenüber keine Frage, dass er selbst nach
dem erhofften Regierungswechsel das Amt des Innensenators übernehmen
würde. Nachdem er im Laufe der Koalitionsverhandlungen ein ums andere
Wahlversprechen zurücknehmen musste, hat die Entzauberung des früheren
Amtsrichters schneller als erwartet eingesetzt. Die Zwänge des alltäglichen
Regierungsgeschäfts fordern ihren Tribut. Dies zeigt sich gerade beim
Thema Kriminalität, deren Halbierung (!) der Senator im Wahlkampf großmundig
versprochen hatte. Dass Schill selbst Verbindungen ins halbseidene Milieu
unterhält, wie nach der Wahl ruchbar wurde, dürfte sein Image als
Saubermann bei den bürgerlichen Wählern zusätzlich erschüttert
haben. Erfahrungen aus Österreich und Italien zeigen, dass die Wähler
der Rechtspopulisten ihren Parteien gegenüber normalerweise ein hohes
Maß an Duldsamkeit und "Skandalresistenz" aufweisen. Auf die Verhältnisse
in der Bundesrepublik und in Hamburg lässt sich das allerdings nicht
unbedingt übertragen. Durch die Pannen und Affären, die sie in
nur drei Monaten Regierungszeit anhäufte - von der Amtsführung
des "Partysenators" über die Filzvorwürfe in der Personalpolitik
bis hin zu der peinlichen Kokain-Posse -, hat die Schill-Partei ihren anfänglichen
Kredit (auch bei der lokalen Presse) weitgehend verspielt. Laut einer Emnid-Umfrage
vom Februar würde sie bei einer Bürgerschaftswahl heute nur noch
zwölf Prozent der Stimmen erreichen.
All das zusammengenommen erklärt, warum die Voraussetzungen für
eine Fortsetzung des Erfolgs in anderen Ländern oder gar auf der Bundesebene
nicht gerade günstig sind. Dennoch wären die anderen Parteien schlecht
beraten, sich nun zurückzulehnen und die Dinge einfach gelassen abzuwarten
- darauf vertrauend, dass sich die Schill-Partei früher oder später
selbst zugrunde richten werde. Dies gilt insbesondere für die Union,
deren Wähler bei der Bürgerschaftswahl in Scharen zu Schill überliefen.
Es gilt aber auch für die SPD, in deren Hochburgen die Schill-Partei
ihre besten Resultate erzielte.
Die Volksparteien, aber auch ein Großteil der Kommentatoren, scheinen
sich über die Ursachen des Wahlergebnisses mit der Erwartung hinwegzutrösten,
dass der Erfolg der Schill-Partei andernorts nicht wiederholbar sei. Begründet
wird dies mit den besonderen Umständen der Hamburger Politik, die es
der Schill-Partei erlaubt hätten, mit einem einzelnen Thema zu reüssieren.
In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass das Thema Innere Sicherheit in
anderen Städten oder auf dem flachen Land eine vergleichbare Mobilisierungswirkung
entfaltet hätte. Schill selbst war es ja, der in seinen Wahlreden München
oder Stuttgart als lobende Gegenbeispiele ausdrücklich erwähnte.
Eine Kampagne nach Hamburger Manier wäre dort also gar nicht möglich
gewesen.
Es reicht jedoch für ein wirkliches Verständnis des Phänomens
nicht aus, die Schill-Partei als bloße "Ein-Punkt-Partei" abzutun,
wie es in vielen Kommentaren nach der Wahl geschehen ist. Eine solche Charakterisierung
verdeckt mehr, als sie erklärt. Auch in Hamburg wäre der Wahlerfolg
in dieser Höhe nicht eingetroffen, wenn nicht hinter dem Kriminalitätsthema
ein tiefer verwurzeltes Unsicherheits- oder Entfremdungsgefühl gestanden
hätte, das die Wähler für die Parolen der Schill-Partei empfänglich
machte. Dieses Unsicherheitsgefühl lässt sich aber auch an anderen
Themen festmachen, wie in der Vergangenheit die Debatte um das Asylrecht
(1992/93) oder die von der CDU betriebene Kampagne gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht
gezeigt haben (1999). Schills Populismus ist insofern durchaus anschlussfähig.
Auch anderswo hat sich gezeigt, dass die rechtspopulistischen Parteien ihre
Themen scheinbar beliebig austauschen - je nach politischer Konjunktur und
Stimmungslage. So sattelten die skandinavischen Fortschrittsparteien in den
achtziger Jahren vom Steuerprotest auf das Thema Einwanderung um, was ihnen
an der Wahlurne neuen Zulauf bescherte. Ein weiteres Beispiel sind die Kurswechsel
der FPÖ in der Europapolitik, die Jörg Haider wiederholt den Vorwurf
des Opportunismus eintrugen. Der Opportunismus ist dem Rechtspopulismus gewissermaßen
Programm. Er funktioniert allerdings nicht ohne einen ideologischen Fundus,
aus dem sich die wechselnden Themenschwerpunkte speisen können. Um über
Hamburg hinaus erfolgreich zu sein, müsste die Schill-Partei ihre programmatischen
Anstrengungen gewaltig verstärken und sich einen solchen Fundus erst
einmal zulegen. Dafür spricht zur Zeit noch nichts.
Dabei mangelt es an Mobilisierungsthemen für eine rechtspopulistische
Partei in der Bundesrepublik keineswegs. Auf der Liste ganz oben steht die
Einwanderung, die in Schills Hamburger Wahlkampf - vermittelt durch das Kriminalitätsthema
- bereits eine wichtige Rolle spielte. Nach den bitteren Erfahrungen des
hessischen Landtagswahlkampfs liegt es im Interesse der SPD, das Thema aus
den kommenden Wahlkämpfen, insbesondere aus dem Bundestagswahlkampf,
herauszuhalten. Innenminister Schily hat der Union daher breiteste Zugeständnisse
gemacht, um ihre Zustimmung zum geplanten Zuwanderungsgesetz zu erreichen.
Dass sich die Unionsparteien einem Kompromiss am Ende verweigert haben, mag
ihre Integrationsfähigkeit nach rechts einstweilen verbessern. Auf lange
Sicht werden CDU und CSU jedoch nicht umhinkommen, sich auf die Realität
einer faktischen Einwanderungsgesellschaft einzulassen - egal in welcher
Rolle sie sich nach der Bundestagswahl befinden. (Dies gilt auch, wenn das
vom Bundesrat unter fragwürdigen Umständen verabschiedete Zuwanderungsgesetz
in Karlsruhe scheitert.) In der Debatte ist ja zu Recht auf die weitgehenden
Übereinstimmungen hingewiesen worden, die zwischen der Regierungsvorlage
und dem Papier der sog. Müller-Kommission bestehen, in dem die CDU ihre
Vorstellungen von einer modernen Zuwanderungspolitik formuliert hat. Dass
die Union hinter die dort gefundenen Einsichten wieder zurückfällt,
ist auch unter einem möglichen Kanzler Stoiber nur schwer vorstellbar.
Gerade damit würde sie aber der rechten Konkurrenz ein Feld überlassen,
das sich für die populistische Stimmungsmache wie kein anderes eignet.
Das strategische Dilemma wiegt umso schwerer, als sich die Christdemokraten
zur Zeit ohnehin in einer schwierigen Situation befinden. Bei den Wahlen
in Hamburg und Berlin büßten sie nicht nur in der Mitte Stimmen
ein (an die SPD), sondern auch im bürgerlichen Lager (an FDP und Schill).
Das Paradoxe ist, dass sich gerade daraus neue strategische Optionen ergeben
könnten. Schon in den siebziger Jahren war Franz Josef Strauss auf die
Idee verfallen, die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der Union durch
eine bundesweite vierte Partei zurückzugewinnen. Eine rechtspopulistische
Partei, die im bürgerlichen Lager salonfähig ist, könnte heute
dieselbe Funktion erfüllen. Das rechtsextreme Stimmenpotenzial, das
bei den Bürgerschaftswahlen 1993 und 1997 jeweils über zehn Prozent
betrug, wurde von Schill in der Hansestadt nahezu vollständig absorbiert
und stand damit für eine Regierungsmehrheit jenseits von Rot-Grün
zur Verfügung. Ein ähnliches Szenario wäre im April auch in
Sachsen-Anhalt vorstellbar gewesen, wo die rechtsextreme DVU bei der Landtagswahl
1998 fast 13 Prozent der Stimmen erzielt hatte. (Dabei hätte sie zugleich
von der mittelbaren Regierungsbeteiligung der PDS im "Magdeburger Modell"
profitieren können.) Das hohe Stimmenergebnis für die FDP zeigt,
dass die Schill-Partei mit ihrer Konzentration auf marktwirtschaftliche Themen
durchaus richtig lag. Da sie mit Ulrich Marseille einen denkbar unbeliebten
(weil unglaubwürdigen) Spitzenkandidaten ins Rennen schickte, konnte
sie jedoch nur einen Teil der möglichen Proteststimmen in Sachsen-Anhalt
verbuchen. Der andere Teil entschied sich für eine der regulären
Oppositionsparteien oder zog es vor, der Wahl ganz fernzubleiben.
V. Schlussbemerkung
Über die künftigen Chancen der Schill-Partei lässt sich zur
Zeit nur mutmaßen. Käme es zu einem Wiederholungserfolg bei einer
der kommenden Landtagswahlen, wäre das sicher eine Initialzündung.
Prominente Funktionsträger und komplette Ortsverbände aus dem bürgerlichen
Lager würden dann womöglich zu Schill überlaufen und dessen
Reputation vergrößern; dies könnte die Partei auch in organisatorischer
Hinsicht voranbringen. Sollte Schill scheitern, dann wird es nicht an fehlenden
politischen Gelegenheiten liegen, sondern an der Schwierigkeit, diese Gelegenheiten
zu nutzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Neuling mit der angestrebten
Ausweitung auf Bundesebene übernimmt, ist groß; allein schon die
Regierungsbeteiligung in Hamburg dürfte intern für genügend
Konfliktstoff sorgen und einen (Groß)teil des zuvor gewonnenen öffentlichen
Kredites aufbrauchen.
Dennoch steht außer Frage, dass die Schill-Partei den bisher erfolgversprechendsten
Versuch darstellt, eine rechtspopulistische Gruppierung im bundesdeutschen
Parteiensystem zu verankern. Um Republikaner, Statt-Partei und Bund Freier
Bürger brauchten sich die etablierten Parteien in der Vergangenheit
nicht groß zu scheren; mit Schill könnte das zum ersten Male anders
werden. Ein nüchterner Blick auf die Nachbarstaaten zeigt, dass der
Rechtspopulismus längst zu einer normalen Begleiterscheinung der politischen
Systeme geworden ist; in ihm offenbart der Parteienwettbewerb seine problematische
Kehrseite. Eine rechtspopulistische Kraft auf der nationalen Ebene würde
die Bundesrepublik also lediglich der europäischen Normallage anpassen.
Selbst wenn einem diese Aussicht nicht behagt, sollte man sich rechtzeitig
auf sie einstellen.
(Aus: "Aus Politik und Zeitgeschichte", Nr. 21/2002, 24. Mai 2002)