Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

Spätestens nach den tödlichen Schüssen auf den führenden Regierungsberater in Sachen Arbeitsrecht, Marco Biagi, am 19 .März 2002 in Bologna, für die die neuen Brigate Rosse (BR) in einem langen Bekennerschreiben die Verantwortung übernahmen, fragen sich viele Beobachter, wer diese neuen Roten Brigaden eigentlich sind, woher sie kommen und wie umfangreich sie sind. Die linke italienische Tageszeitung “il manifesto” veröffentlichte am 23.3.2002 den folgenden interessanten Artikel zur Klärung dieser Fragen:



Alte Rotbrigadisten und neue “Kerne”

Nach dem D’Antona-Attentat hätten sich NTA, NIPR und NPR den “Unauffindbaren” von Bortone angenähert.

Alessandro Mantovani - Rom

Seit 12 Tagen sitzt in einer Zelle in einem Schweizer Gefängnis ein Mann von 45 Jahren, der sich zum “politischen Gefangenen, Militanten der Brigate Rosse” erklärt. Die Staatsanwaltschaft von Rom verdächtigt ihn zu den Gründern der neuen BR-PCC (Rote Brigaden - Kämpfende Kommunistische Partei) zu gehören. Zu denen, die auf Massimo D’Antona und drei Jahre später - am vergangenen Dienstag - auf Marco Biagi geschossen haben. Es handelt sich um Nicola Bortone, der am 11.März in Zürich nach einer Flucht, die 10 Jahre dauerte, in einer gemeinsamen Operation der Schweizer Polizei, der ehemaligen UCIGOS und der DIGOS1 von Rom verhaftet wurde. Die Auslieferungsprozedur ist bereits eingeleitet. In Italien muß Bortone 5 Jahre und 6 Monate wegen subversiver Vereinigung und bewaffneter Bande abbüßen. Er zählte zu den Randfiguren, die mit den letzten BR-PCC in engem Kontakt standen, die 1988 den Senator Roberto Ruffilli umbrachten und seit jenem Augenblick für 11 Jahre von der Bühne verschwanden.

Die Abkürzung wird erst 1999 mit dem Hinterhalt in der via Salaria in Rom zurückkehren, in dem D’Antona das Leben verliert. Zwischen 1988 und 89 waren alle verhaftet und dann zu Lebenslänglich verurteilt worden: Fabio Ravalli, Maria Cappello, Flavio Lori, Antonio De Luca, Antonino Fosso, Tiziana Cherubini und andere “reguläre” Rotbrigadisten. Während kleinere Persönlichkeiten wie Bortone, Simonetta Giorgieri (die dann seine Frau wurde) und Carla Vendetti - “Irreguläre”, “Kandidaten” oder “Kontakte” vor der Festnahme flohen und im Ausland (genauer gesagt in Frankreich) Zuflucht suchten. Wo sie allerdings auch verhaftet, vor Gericht gestellt, für 3 Jahre inhaftiert und schließlich freigelassen, aber nicht nach Italien ausgeliefert wurden. Seit 1992 sind sie “unauffindbar”. Mit ihnen seien <so die italienischen Ermittlungsbehörden> Giuseppe Armante und Franco La Maestra verbunden, die jüngst aus der Haft entlassen wurden. Sie stammen aus Caserta und die Ermittlungsbehörden denken auch über die Verbreitung des Bekennerschreibens gerade in Caserta nach. Jetzt warten die Staatsanwälte des Anti-Terrorismus-Pools von Rom, die D’Antona-Mord untersuchen, sehnsüchtig darauf Bortone in die Hände zu bekommen, um ihn zu befragen. “Wir vertrauen darauf, daß die Auslieferungsprozedur kurz sein wird”, berichtet einer der römischen Staatsanwälte optimistisch. “Bereits in den nächsten Wochen könnten wir ihn zur Verfügung haben.” Niemand erwartet, daß Bortone spricht, aber die Vorhaltungen, die ihm von den Staatsanwälten Ormanni, Salvi, Ionta, Saviotti und De Siervo gemacht werden sowie die Erklärungen, die Bortone abgeben wird, werden in jedem Fall dazu dienen Klarheit darüber zu schaffen, ob die Staatsanwaltschaft von Rom, die unter Druck steht, weil sie bei der D’Antona-Untersuchung in drei Jahren stecken geblieben ist, sich irrt oder nicht. Eine Sache ist sicher: In der Rekonstruktion des römischen Pools, die auf der Aktivität der <Spezialeinheit> ROS der Carabinieri und der DIGOS-Einheiten beruht, die sich jedoch häufig untereinander prügeln, sind Bortone und die französischen “Unauffindbaren” entscheidende Figuren der neuen BR-PCC. Wenn Bortone also sagen würde, daß er mit dem bewaffneten Kampf vor 10 Jahren abgeschlossen hat und die deutlichen Beweise dafür liefern würde, dann wäre die römische Untersuchung reif zum Wegwerfen.

Der, von der Staatsanwaltschaft Rom bestätigten, Hypothese zufolge wären die neuen Roten Brigaden in erster Linie eine Entwicklung der Nuclei Comunisti Combattenti (Kämpfende Kommunistische Kerne - NCC), die sich 1992 und 94 zu zwei Bombenattentaten auf das “NATO-Defense College” und auf <den wichtigsten Unternehmerverband> Confindustria bekannten. Unter ihnen - so nehmen die Staatsanwälte seit den Zeiten der NCC und dann dem D’Antona-Mord an, seien bekannte Namen der letzten Phase der BR-PCC. Jener Phase des Bruches mit den UCC (Unione Comunisti Combattenti - Union Kämpfender Kommunisten), der Verhaftung von Barbara Balzerani <der letzten BR-Chefin> im Jahre 85 und der Morde an Ezio Tarantelli, Lando Conti (1986) und Ruffilli (1988). Bortone, Giorgieri und Vendetti und mehr noch La Maestra und Armante standen den BR-PCC jener Epoche sehr nahe. Sie seien - zusammen mit hier und da aufgefischten neuen Elementen - wieder dabei zuzuschlagen.

1999 ist der Mord in der via Salaria mit einem Dokument reklamiert worden, das das Ende des Schweigens der Brigaden signalisierte und an neue Kräfte appellierte. Laut einem Ermittler “war jenes” <Dokument> sogar “bereits eine erste Synthese zwischen ‚Alten‘ und ‚Neuen‘, die den Sprung zusammen machten”. Das Ziel - so schrieb die ROS - war es, “Kapital aus der Resonanz der Geste zu schlagen, um andere revolutionäre Kräfte zu vereinigen und somit jenen, viele Male verfochtenen, Prozeß des Neuzusammenschlusses und des Wiederaufbaus fortzusetzen” und die neuen Brigadisten bekannten sich daher zu “der Verantwortung den Namen BR-PCC zu übernehmen”.

Nach D’Antona sei dieses <daraus> “Kapital schlagen” nach Ansicht der Ermittler geschehen. An dem Punkt als der Biagi-Mord sofort nach den Enthüllungen der Geheimdienste geschah, die ihn als Ziel bezeichneten, und sofort nach der Verhaftung von Bortone. Die neuen Brigate Rosse (BR) und ihre Gesprächspartner hätten in diesen drei Jahren weitere Schritte, weitere Sprünge vollzogen. Da sind z.B. die Anschläge der NIPR (Nuclei di iniziativa proletaria rivoluzionaria - Kerne der revolutionären proletarischen Initiative): Zu der Bombe vom April 2001 am Istituto per gli affari internazionali (Institut für die Internationalen Angelegenheiten) in der via Brunetti in Rom wurde sich mit einem Text bekannt, der diskrete Ähnlichkeiten mit dem aufweist, der vorgestern von den BR-PCC verschickt wurde. Nach dem Biagi-Mord haben sich die NIPR nicht gemeldet und einige Staatsanwälte nehmen an, “daß sie in die BR-PCC eingeflossen sind”.

Und dann sind da die Aktionen der NTA’s in Venetien ab 1995. Gerade sie, die Nuclei territoriali antiimperialisti (Territoriale Antiimperialistische Kerne), auf die der Staatsanwalt von Verona, Guido Papalia, Jagd macht, haben am selben Abend wie das “Original”-Dokument der neuen Roten Brigaden einen Text verbreitet, mit dem sie sich dem Biagi-Mord anschließen. Für Papalia ist das ein Zeichen für eine starke Verbindung - “zumindest auf der Führungsebene” - seitens derjenigen, die die BR zuvor nur als “eine Führung” betrachteten.

Nicht nur das. Eine der Ermittlungshypothesen wegen des Attentates in Bologna führt nach Mailand zu dem Dokument, das von den NPR (Nuclei proletari rivoluzionari - Revolutionäre Proletarische Kerne) im Juli 2000 anläßlich eines versuchten Anschlages auf einen Sitz des <christdemokratischen> Gewerkschaftsbundes CISL hinterlegt wurde. “Eine leichte Bombe und ein schwerwiegendes Bekennerschreiben”, glossiert ein an den Ermittlungsarbeiten Beteiligter. Die NPR beschränkten sich nicht darauf die Sozialpartnerschaft zu attackieren, sondern sie richteten den Zeigefinger auf den von CISL und UIL ohne die <größte, früher der KP und heute den Linksdemokraten (DS) nahestehende Gewerkschaftszentrale> CGIL unterschriebenen Pakt für die Arbeit in Mailand. Der Professor Biagi war einer der Inspiratoren dieses Paktes gewesen.

Neue Kräfte, meinen die Ermittler, könnten von jenen NPR gekommen sein, von denen man - wie bei den NIPR und den NTA - nicht weiß, wer sie sind. Niemand hat, nachdem er verhaftet wurde im Stile der alten Brigate Rosse und (wenn er es bestätigt) von Bortone jemals gesagt, daß er dazugehört. “Aber es ist nicht gesagt” - sagt ein Staatsanwalt noch - “daß sie sich erklären müssen. Auch Rotbrigadisten verhielten sich in ihren Anfängen anders.” Und die Verbindung zu den alten BR sei durch die Unterstützungserklärungen bestätigt worden, die nach dem D’Antona-Delikt aus den Gefängnissen in Trani, Latina und Novara kamen - unterschrieben von Randfiguren der BR-PCC der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Texten, die “den politischen Wert” des Attentates “anerkennen”, aber niemals auf eine gemeinsame Organisation anspielen.

Vorbemerkung, Übersetzung, Fußnote und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover