Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Die Antwort des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) auf die existenzielle Krise, die der FIAT-Konzern derzeit erlebt, lautet: Verstaatlichung des noch immer größten italienischen Privatunternehmens. Diese dem Zeitgeist zuwiderlaufende Position begründet der Sekretär von Rifondazione, Fausto Bertinotti, in einem Editorial für die parteieigene Tageszeitung “Liberazione” vom 8.10.2002:



Editorial:


FIAT verstaatlichen !

Das ist notwendig.

Das ist realistisch !


Fausto Bertinotti


FIAT steht kurz vor der Schließung. Ein tragischer Epilog, allerdings angesichts des offenkundigen Scheiterns ihrer Strategie und ihrer Industriepolitik vorhersehbar. Heute ist in der Tat mehr denn je sichtbar wie sehr jene in den 80er Jahren mit dem erdrückenden Sieg über die Arbeiter und die Gewerkschaft begonnene Strategie gescheitert ist. Heute ist klar als wie falsch sich die Vorstellung erwiesen hat, daß das größte nationale Unternehmen frei von Bindungen / Fallstricken und Fäden und befreit von den Forderungen der Arbeiter und der betrieblichen Tarifpolitik mehr verkaufen und auf dem nationalen und dem Weltmarkt mitkonkurrieren könnte.


Und es ist auch deutlich geworden wie die Aushebelung jeder öffentlichen Verpflichtung, jener über die der Staat intervenieren und die Pläne des Unternehmens regulieren oder beeinflussen konnte, kein anderes Ergebnis als die fortschreitende Verringerung der Beschäftigung, die Schließung von Werken und produktiven Teilen bis hin zu den dramatischen Ankündigungen der letzten Tage gezeitigt hat. Ein keiner industriellen Planung verpflichtetes <Unternehmen> FIAT, das nicht die Last hat, die Verwendung der Finanzmittel des Staates zu erläutern, hat sich darauf beschränkt, von diesem bloß Geld und soziale Abfederungen in Empfang zu nehmen. Ohne im Austausch dafür irgendetwas zu geben.


In wenigen Worten: Das von jeder internen und externen Verpflichtung befreite Turiner Unternehmen hat verloren. Seine Autos haben der Globalisierung nicht standgehalten, seine Forschung hat nichts Neues geschaffen und sein interner Markt hat sich verengt, während die Schaffung eines europäischen Autopols vom Unternehmensmanagement nicht einmal in Betracht gezogen wurde.


Und damit sind wir beim Heute. Bei der Ankündigung, daß 8 000 Arbeiter entlassen oder in Mobilität versetzt werden (d.h. entlassen), daß zwei Werke (jenes in Termoli Imerese und das in Mailand-Arese) geschlossen werden und die Wirtschaft des Landes einen sehr schweren Schlag erleiden wird. Es wird die Schließung seines größten Industriekonzerns erleben.


Die Regierung schweigt oder stammelt bestenfalls und ihr Schweigen ist kein unschuldiges. Die Schließung des größten Industriekonzerns des Landes ist nichts anderes als die Bestätigung und die Beschleunigung des Weges hin zu einem auf hoher Flexibilität und niedrigen Arbeitskosten basierenden industriellen Modells, das seine Subjekte in den kleinen Unternehmen hat, die über das Gebiet verteilt und – in Abwesenheit der Gewerkschaft – zur maximalen Ausbeutung der Arbeitskraft fähig sind. Das ist nichts anderes als ein weiterer Schritt hin zur Umwandlung des Landes in ein großes “Nordostitalien”, dem von jenem Wirtschaftsliberalismus vollbrachten Ausdruck, der das Fundament der Politik der Regierung und der Mitte-Rechten ist.


Was also tun ? Oder besser: Was mit FIAT tun ? Sich das zu fragen, ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Und auf diese Frage weiß niemand (nicht einmal die raffiniertesten Wirtschaftsanalysten) eine Antwort zu geben. Maximal vertraut man sich General Motors als möglichem Käufer des Turiner Unternehmens an. Aber das amerikanische Unternehmen wird, wie man weiß, bestenfalls die Teile von FIAT kaufen, die es für die günstigsten, konkurrenzfähigsten oder zu seiner Produktion am besten passend hält. Und wird den Rest zurücklassen. Oder es wird <den FIAT-Vorstand am Turiner> Corso Marconi sogar auffordern als Bedingung für den Kauf zuerst zum sozialen Massaker zu schreiten. In Wahrheit gibt es für FIAT keine Lösung innerhalb des Marktes. FIAT hat – so wie es heute ist – mit seiner Strategie und seiner Politik keine Möglichkeit eine negative Tendenz umzukehren. Die letzten 20 Jahre, in denen das Unternehmen vom 1. Januar 1977 bis zum 28. Februar 2002 für 238 Billionen alte Lire (120 Milliarden Euro) mit 6.372.929.914 Stunden cassa integrazione <d.h. aus den öffentlichen Sozialkassen finanzierte Kurzarbeit Null> versorgt wurde, belegen dies.


Es gibt eine einzige Möglichkeit die Beschäftigung und die gegenwärtigen Werke zu retten und das ist die Verstaatlichung. Eine radikale Intervention des Staates im Rahmen eines Gesamtprojektes für die Mobilität im Lande. Wir wissen sehr gut, daß das Wort “Verstaatlichung” <wörtlich immer: “Nationalisierung”> Angst hervorruft und bei denjenigen, die in den letzten 20 Jahren trotz der zahlreichen Bankrotte, nur von “Privatisierung” gesprochen haben, einige Ironie provoziert. Aber unser Vorstoß ist keine geistreiche Bemerkung und keine Propagandaaktion. Es ist eine, im Lichte des Scheiterns der Strategen des Corso Marconi gereifte, tiefe Überzeugung, die aber auch auf die italienische Geschichte und die europäische Wirklichkeit schaut.


In Europa gibt es zwei große Automobilunternehmen (der französische Renault- und der deutsche Volkswagen-Konzern) mit beträchtlicher öffentlicher Beteiligung und die sind auf den Weltmärkten in starkem Maße konkurrenzfähig. Die Intervention des Staates, die besseren Arbeitsbedingungen, die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind (es ist der Mühe wert, daran zu erinnern, daß bei Volkswagen eine bemerkenswerte Reduzierung der Arbeitszeit durchgeführt worden ist) weit davon entfernt, die Autos produzierenden Unternehmen zu schwächen. Sie haben sie gestärkt !


In Italien hat in den 30er Jahren die Entstehung des IRI (Institut für den industriellen Wiederaufbau <= die größte, in den 90er Jahren aufgelöste, italienische Staatsholding>) zur Schaffung von Großunternehmen mit Staatsbeteiligung geführt, deren Krise und deren Beseitigung nur eine politische Entscheidung war. Ihr Untergang war sicher nicht sozial oder ökonomisch bestimmt. Sie wurden nicht beseitigt, weil sie technisch unmöglich, sondern weil sie politisch nicht funktional waren.


FIAT zu verstaatlichen ist somit möglich und notwendig. Notwendig in erster Linie für diejenigen, die Gefahr laufen den Arbeitsplatz zu verlieren. Und nicht nur das: Es ist die einzig realistische Entscheidung angesichts des Scheiterns des größten und freiesten der Privatunternehmen. Wir fügen zuletzt (aber nicht als letztes) hinzu, daß nur eine Beteiligung des Staates zu einer heute unausweichlichen Umstellung verhelfen kann, damit die Mobilität angesichts der Krise eines auf dem Automobil aufgebauten Entwicklungsmodells ein Recht Aller bleibt.


Zu guter Letzt stellen wir einige konkrete und unmittelbare Forderungen: Die FIAT-Frage ist sofort auf die politische Tagesordnung zu setzen. Die Regierung muß im Parlament einen Vorschlag einbringen, um die Arbeitsplätze und ein für das Land strategisches Unternehmen zu retten.


Die zweite Forderung betrifft die Oppositionen. Sie müssen sich zusammensetzen, um endlich über eine große Frage wie die, der wir heute mit der Bedrohung der Arbeitsplätze von 8 000 Arbeitern gegenüberstehen, zu diskutieren und aus der FIAT-Frage einen der vorrangigen Punkte einer möglichen gemeinsamen Kampfinitiative zu machen.



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover