Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Am 5. Juli 2002 war die Kapitulation der beiden kleineren italienischen Gewerkschaftsbünde CISL und UIL in Sachen Aushebelung des Kündigungsschutzartikels 18 Arbeiterstatut perfekt. Zusammen mit den Vertretern der Regierung Berlusconi und dem wichtigsten italienischen Kapitalistenverband Confindustria unterschrieben sie den “Pakt für Italien”, der im Gegenzug CISL und UIL – neben einigen kleinen “Zuckerln” in der Steuerpolitik – über zu schaffende “bilaterale Einrichtungen” u.a. bei der Arbeitsvermittlung (ihrer Mitglieder !) eine privilegierte Position gegenüber der CGIL verspricht und damit, wie überhaupt mit den zunehmenden Separatabkommen von CISL und UIL und ihren Ablegern insbesondere in der Metallbranche einen deutlichen Einschnitt in der gewerkschaftlichen Entwicklung der letzten 35 Jahre markiert.

Hier die Übersetzung der beiden Artikel, die die links-unabhängige italienische Tageszeitung “il manifesto” am 6.7.2002 dazu veröffentlichte:

 

 

Artikel 18: Das ist der Anfang vom Ende

 

Der große Pakt unterzeichnet. Confindustria und Regierung vor Glück strahlend. Ziel schneller erreicht als vorgesehen und <noch> vor der Abfassung des Jahreswirtschaftsplanes DPEF. Die Neueingestellten der Unternehmen, die “wachsen”, können ohne richtige Ursache entlassen werden. CISL und UIL zufrieden. Sie sprechen von einer Wende der Politik der Regierung. Die CGIL sagt Nein und kündigt einen neuen Kampf zur Verteidigung der Rechte an.

 

Paolo Andruccioli

 

Der Pakt für Italien ist gestern nachmittag “besiegelt” worden. Man wird sich an ihn erinnern als das gravierendste Separatabkommen der Gewerkschaftsgeschichte, da die CGIL beschlossen hat, ihn nicht zu unterzeichnen, weil er das Prinzip der Gleichheit der Rechte angreift und da alle Anderen (die Höflichkeitsfloskeln einmal beiseite gelassen) mit der Abwesenheit der CGIL im finalen Moment der Unterschrift fast <schon> zufrieden waren. Es hat sogar einen aufrichtigen Demokraten gegeben, der erklärte, daß die besten Abkommen diejenigen ohne die CGIL seien. Die Confindustria, die doch nicht alles erreicht, was sie vor allem in Sachen Arbeitsmarkt gefordert hatte, ist sehr zufrieden. Ihr Präsident, Antonio D’Amato, hat, nachdem er die erreichten Dinge im Detail erläutert hat, von einem “optimalen” Abkommen gesprochen, während der Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Inhalte des neuen Paktes veranschaulichte, indem er die Punkte seines “Vertrag(es) mit den Italienern” vorlas. Quasi um auch visuell eine Art Deckungsgleichheit zwischen dem Pakt 2002 und dem Wahlprogramm <seines rechten Parteienbündnisses> Casa delle libertà (Haus der Freiheiten) zu besiegeln.

 

CISL und UIL haben zusammen mit den autonomen <gelben Standes-> Gewerkschaften gestern einen Pakt unterzeichnet, der in erster Linie kein gewerkschaftlicher (Tarif-) Vertrag, sondern ein politischer Pakt mit der Regierung ist. Der Erste, der in den Pressesaal im Palazzo Chigi <dem italienischen Regierungssitz> herunterkam, war Luigi Angeletti (Sekretär der UIL). Am Vortag hatte er <noch> eine feurige Mitteilung lanciert. (Das Dokument wurde vom Titel bis zu den Fußnoten verändert.) Gestern strahlte er <dann> fast vor Glück und hatte alle Zweifel beiseite geschoben. Es sei “ein gutes Abkommen”, das nicht nur den Artikel 18 nicht antaste, “sondern die Schutzbestimmungen auf eine Reihe von heute ausgeschlossenen Arbeitskräften ausweite”. Die UIL hat unterschrieben, weil sie davon überzeugt ist, daß die Steuerreform des <Forza Italia angehörenden Wirtschafts- und Finanz-> Ministers Tremonti (die mit den doppelten Steuersätzen und dem Ende der Progressivität) nicht mehr durchgeführt oder jedenfalls zeitlich verschoben wird. Angeletti erklärte, daß es den Gewerkschaften gelungen sei, Tremonti davon zu überzeugen, mit der Reduzierung der Lohn- und Einkommensteuer IRPEF nur die mittleren und niedrigen Einkommen besser zu stellen. Deshalb sei es ein “großes Abkommen”, das die Politik der Regierung auch in bezug auf die Fragen des Mezzogiorno (Süditalien) komplett umkehre. “Und die Kritik der CGIL bezüglich des Artikel 18 ?”, ist Angeletti gefragt worden. “Offensichtlich haben sie den Text des Abkommens nicht richtig gelesen.”

 

Nach so vielen Opfern, nach so vielen Monaten der Verhandlungen und der Pein “haben wir” am Ende “ein gutes Abkommen abgeschlossen”, sagte dann der Sekretär der CISL, Savino Pezzotta. Es sei ein Abkommen, das eine echte “Wende” im reformistischen Sinne signalisiere. “Die Gewerkschaft wird so wieder wichtig.”  Sie kehrt dazu zurück mit der Regierung die Einkommenspolitik zu vereinbaren, denn “wir” – hat Pezzotta präzisiert – “sind nicht für ein Hinterherjagen der Löhne <hinter der Inflation>. Es genügt uns, das die Kaufkraft gesichert ist.” Der Sekretär der CISL hat somit die beiden relevantesten politischen Punkte hervorgehoben: Einerseits die Gewerkschaft, die die Löhne kontrolliert, andererseits eine Gewerkschaft, die sich mit Vergnügen in die neuen “bilateralen Einrichtungen” einbeziehen läßt, die die Dienstleistungen des öffentlichen Dienstes, die Bildung und was noch alles verwalten. Es ist das Modell der Dienstleistungsgewerkschaft, welches die CISL <für sich> reklamiert, das <von ihr> der Konfliktgewerkschaft entgegengesetzt wird und das die Rolle der italienischen Gewerkschaft verwandeln wird. Pezzotta hat gestern auch eingeräumt, daß die unterzeichnenden Parteien am Ende der 3jährigen Experimentierphase in bezug auf den Artikel 18 (siehe Kasten hier unten) entscheiden werden, ob weiter so verfahren wird oder nicht. Beziehungsweise er hat eingeräumt, daß dies bloß der Anfang sein wird, weil – wie der Staatssekretär Sacconi (für den gestern anfangs ein Sitzplatz im Pressesaal fehlte) viele Male erklärt hat – es das Ziel der Regierung (und somit auch der <anderen> Parteien) ist, alle Normen des Arbeiterstatutes <der italienischen Variante des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes> zu überwinden.

 

Silvio Berlusconi, der das Erdbeben <des kurz zuvor erzwungenen Rücktrittes seines Innenministers> Scajola überstanden hat, strahlte vor Freude. “Das ist die bedeutendste Steuerreduzierung der italienischen Geschichte.” Weniger Steuern – mehr Arbeit !  So hat er begonnen und erklärt, daß der Pakt für Italien nichts anderes als eine Passage in der Umsetzung seines 5jährigen “Vertrag(es) mit den Italienern” ist. Berlusconi (aber nicht nur er) hat gesagt, daß der Pakt <dem im März 2002 von den neuen Roten Brigaden in Bologna erschossenen Professors und führenden Regierungsberaters in Arbeitsrechtsfragen> Marco Biagi gewidmet und daß er der erste Schritt eines Reformprozesses sei, der das Gesicht des Landes vollständig verändern werde. Ein sehr interessanter Punkt betrifft die Ausgabenkürzung. In dem Dokument steht geschrieben, daß sie im nächsten Haushalt vermieden werden sollen. Gestern während der Pressekonferenz haben allerdings sowohl Tremonti wie D’Amato wie <Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni und Parisi uns zwei Mitteilungen gemacht: Der Diskurs über das Gesundheitswesen ist noch offen, während der Rentenreform bald wieder die Aufmerksamkeit zuteil wird. Und dies ist ein Diskurs, den <der stellvertretende CGIL-Generalsekretär> Guglielmo Epifani  mit großer Nüchternheit erläutert hat (siehe den Artikel auf der vorangegangenen Seite): Ein Abkommen, das die Rechte reduziert und das keine Arbeitsplätze schaffen wird, das im Austausch dafür aber die soziale Rolle der Gewerkschaft verändert. Nächste Etappe: die <Regierungs-> Vollmacht in Sachen Sozialfürsorge.

 

 

Als Ergänzung zu obigem Artikel brachte “il manifesto” am 6.7.2002 noch den folgenden Kasten mit einer Zusammenfassung des “Paktes für Italien”:

 

 

Der Rahmen der teilweisen Aufhebung des Statutes

 

Der Pakt für Italien in Synthesen: Fiskus, Süditalien, bilaterale Einrichtungen und Gelder für die Arbeitslosen.

 

Paolo Andruccioli

 

Der “Pakt für Italien – Vertrag für die Arbeit, Übereinkunft für die Konkurrenzfähigkeit und die soziale Einbeziehung” ist 15 Seiten lang, plus vier Seiten Anlagen, in denen sich auch die Veränderung der Anwendungsnormen des Artikel 18 Arbeiterstatut finden. Vorbemerkung: Es handelt sich um eine kurze Seite, die sich unter Bezug auf die Aussagen der EU-Gipfel von Lissabon und Barcellona das Ziel einer Erhöhung der Beschäftigungsrate um bis zu 70% bis zum Jahr 2010 setzt.

 

Im ersten Kapitel über die Einkommenspolitik und den sozialen Zusammenhalt wird die Bereitstellung von 5,5 Milliarden Euro zur Reduzierung der Steuern auf die Einkommen von bis zu 25 000 Euro, eine Reduzierung der Steuer auf die juristischen Personen um mindestens 2 Prozentpunkte der Steuersätze sowie haushaltspolitische Verfügbarkeit von 500 Millionen Euro vorgesehen, um 2003 die Reform der IRAP einzuleiten. Der Text sieht auch eine eventuelle Steuerbefreiung für die Mindesteinkommen vor. In den Anlagen werden desweiteren konkrete Beispiele vorgeschlagen, die jedoch nicht auf einem konkreten Kontext bezogen werden können und daher Gefahr laufen, unglaubwürdige Simulationen zu sein.

 

Das zweite Kapitel (Welfare to Work) sieht die komplette Neumodulation der Dienstleistungen zur Arbeitsvermittlung vor. In diesem Teil wird in zwei Punkten (insbesondere auf den Seiten 4 und 6) die neue Rolle der bilateralen Einrichtungen bekräftigt – einem Institut, das die Gewerkschaften in die Verwaltung des Verhältnisses von Arbeitsangebot und –nachfrage einbezieht (die Auswahl des Personals inbegriffen).

 

Der Pakt sieht die Suspendierung des Artikels 18 des Statutes für 3 Jahre für alle diejenigen vor, die von Unternehmen eingestellt werden, die damit die Schwelle von 15 Beschäftigten überschreiten. Die Suspendierung wird in Gestalt des “Nicht-Erfüllens” <der Voraussetzungen für das Wirksam-Werden  des Art. 18> bei den Neueingestellten vollzogen. Einer Formel, die <bereits früher> auch für die <hochgradig prekären und scheinheiligen sogenannten> Ausbildungs-Arbeitsverträge und die LSU’ler <= auf staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigte> benutzt worden war. Am Ende der 3 Jahre ist eine Überprüfung und eine eventuelle Bestätigung der <neuen> Norm und vielleicht ihre Ausdehnung auf andere Sachverhalte vorgesehen. Sehr lang ist das Kapitel über Süditalien, das sich vertretbare Ziele setzt, allerdings ohne Angabe von Instrumenten und Ressourcen.

 

<Hervorhebungen in diesem erläuternden “Kasten” wie im Original !>

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover